Gebäudegeschichte des Amtsgerichts Charlottenburg

Kantstraße am Amtsgerichtsplatz

Historischer Kontext

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Preußen die Ideen der Aufklärung und der französischen Revolution im „reformierten Strafprozess“ umgesetzt. 1846 wurde das preußische Strafverfahrensrecht verabschiedet, durch das die Staatsanwaltschaft als Anwältin des öffentlichen Interesses sowie die Öffentlichkeit der Verhandlungen eingeführt wurden. Das Interesse der Öffentlichkeit an den Verhandlungen war enorm und machte neue Verhandlungssäle mit hinreichend großen Zuschauerbereichen erforderlich.

Der Gründung des Deutschen Reichs 1871 folgte 1879 mit Erlass der Reichsjustizgesetze die Rechtsvereinheitlichung in Deutschland. Insbesondere wurde der heute noch gültige Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit aus Amtsgerichten, Landgerichten, Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof (damals Reichsgericht) eingeführt, § 12 Gerichtsverfassungsgesetz.

Zugleich erlebte Berlin als Hauptstadt des Deutschen Reichs einen stürmischen Aufschwung. Es konnte seine Einwohnerzahl von Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts von 430.000 auf 2 Millionen mehr als vervierfachen.
Die bis zur Schaffung von Groß-Berlin im Jahr 1920 unabhängige Stadt Charlottenburg übertraf diese Entwicklung nochmals deutlich. Hatte Charlottenburg 1875 noch 25.000 Einwohnerinnen und Einwohner, überschritt die Einwohnerzahl 1893 bereits die 100.000. Bei der Volkzählung 1910 wurden 306.000 in Charlottenburg lebende Menschen ermittelt.

Diese Faktoren machten den Neubau zahlreicher Gerichtsgebäude zwingend erforderlich. So wurden auf dem heutigen Gebiet von Berlin von 1895 bis 1921 insgesamt 17 neue Gerichtsgebäude errichtet, eine bis heute für die Justiz einmalige Bautätigkeit. Die beiden Gebäude des Amtsgerichts Charlottenburg, die von 1895 bis 1897 errichtet wurden, waren dabei die ersten Gerichtsneubauten dieser Epoche.

Ehemaliges Gerichtsgebäude Kantstraße

Gerichtsgebäude in Charlottenburg

Das von 1896 bis 1897 in der Kantstraße 79 für die Strafabteilungen errichtete Gebäude wird seit einigen Jahren nicht mehr von der Justiz genutzt, so dass sich die Gebäudedarstellung nachfolgend auf das Hauptgebäude des Amtsgerichts Charlottenburg am Amtsgerichtsplatz 1 beschränkt. Über dieses Bauwerk schreibt Kähne :

„Der Vorgänger des Amtsgerichts Charlottenburg, das „Stadtgericht zu Charlottenburg”, war Anfang des vergangenen Jahrhunderts gemeinsam mit dem Magistrat und den Stadtverordneten von Charlottenburg im alten Rathaus an der Schloßstraße untergebracht. 1825 kam es zu einem Rechtsstreit über die Raumverteilung, der zwar für das Gericht günstig ausging, dennoch zum Auszug des Gerichts in gemietete Wohnungen führte. Nur die Pfandkammer blieb im Rathaus. 1847 erhielt das Gericht für seine 3 Richter ein eigenes Gebäude in der Kirchhoff Str. 3, der heutigen Warburgzeile, und am 1. April 1879 änderte es seinen Namen in „Königliches Amtsgericht”.

Das Gerichtsgebäude am Amtsgerichtsplatz

Die rapide Zunahme der Einwohnerzahl Charlottenburgs auf über 100 000, und die teilweise Unterbringung des Gerichts in „Mietshäusern”, veranlaßte die Stadtväter im Jahre 1894 zu dem Beschluß, zwei Gerichtsgebäude, eines für die „Civilabtheilungcn” und eines für die „Strafabtheilung” zu errichten. Für die „Civilabtheilungen” stand ein rechteckiger Bauplatz mit den Ausmaßen 108,6 m x 40,1 m zur Verfügung, der ringsum von neuerrichteten Straßen umgeben war und dessen Vorderfront der damals als „Schmuckplatz” bezeichnete heutige Amtsgerichtsplatz bildet. Zunächst wurde nur ein Teil des heute vorhandenen Gebäudes errichtet. Mit 40,1 m Breite an der Frontseite zum Amtsgerichtsplatz und einer Länge von 46,4 m betrugen seine Ausmaße weniger als die Hälfte der heutigen Längsausdehnung zwischen der Suarez- und der Holtzendorffstraße. Bauplanung und Bauausführung lagen in den Händen des „Landesbauinspectors” Poetsch und des Regierungsbaumeisters Claren. Die Bauzeit währte von Juli 1895 bis November 1897. Die Stilfassung in märkischem Barock und die gelbliche Farbe des schlesischen Sandsteins geben dem Gebäude ein gefälliges Äußeres, allerdings majestätisch überragt von dem Fahnenmast auf dem Mittelrisalit, dessen Spitze der preußische Adler krönt.

Gerichtsgebäude - Innenaufnahme Treppenhaus

Über das Innere des Gebäudes schreibt das „Centralblatt der Bauverwaltung” vom 17. Juli 1897: ,,Die innere Ausstattung wird im ganzen einfach gehalten werden; nur der im Mitteltheil der Vorderfront liegende Sitzungssaal, das Haupttreppenhaus und die Eingangshalle erhalten eine etwas reichere Durchbildung”.

Die Erweiterung der Längsseiten des Gebäudes um etwa 62 m auf die heutigen Ausmaße erfolgte in den Jahren 1915 bis 1921 nach einem Entwurf des Regierungsbaumeisters Schulz, der sich eng an die architektonische Gestaltung des bereits vorhandenen Gebäudes anpaßte.“

Daneben nutzt das Amtsgericht Charlottenburg gemeinsam mit dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Räumlichkeiten des von 1905 bis 1907 für das Preußische Oberverwaltungsgericht in der Hardenbergstraße 31 errichteten Gebäudes. Informationen zu dessen Baugeschichte erhalten sie auf der Seite des Oberverwaltungsgerichts .

Quellen:
“Gerichtsgebäude in Berlin: eine rechts- und baugeschichtliche Betrachtung” von Volker Kähne. Mit Fotos von Klaus Lehnartz. – Berlin: Haude u. Spener, 1988
“Charlottenburg in königlicher und kaiserlicher Zeit” von Clemens-Maria Peuser & Michael Peuser – São Paulo: St Hubertus, 2004