Mit einer Begegnung fängt vieles an

Mitmach- und Informationsmarkt zum Europäischen Aktionstag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung

Montag, 5. Mai 2014, 10–20 Uhr, FORUM Steglitz, Schlossstraße 1, 12163 Berlin

Der 5. Mai ist der “Europäische Aktionstag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung”. In Steglitz-Zehlendorf ziehen an diesem Tag 14 lokale soziale Träger zusammen mit der Bezirksbehindertenbeauftragten, Beatrix Beese, in das FORUM Steglitz, um mehr Begegnungen möglich zu machen, und zwar ganz ungezwungen dort, wo das Leben so spielt – in einem Einkaufszentrum. Eine Behinderung ist nur dann etwas Ungewöhnliches, wenn man nie jemanden trifft, der mit einer lebt. Wer am 5. Mai in dem Konsumtempel seine Besorgungen erledigt, kann Menschen mit Behinderungen dort treffen, wo er seine Tüten füllt. Als Praktikanten arbeiten sie in den Shops des Centers mit. Für Mario T. ist der Tag ein besonderes Datum, er hat über diese Praktikantenaktion seinen Job gefunden.

“Ich lebe mit einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung” erzählt der 57jährige. Mario T. isolierte das von seinem sozialen Umfeld. Bankkaufmann hat er mal gelernt, dann Heilerziehungspfleger. Aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigung konnte er in den Berufen nicht mehr arbeiten. Über eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung fand er zurück in geregelte Strukturen. Die Praktikantenaktion am 5. Mai eröffnete ihm die Chance, sich wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt auszuprobieren. Mit Erfolg. Nach einer zweimaligen Verlängerung wurde aus dem Praktikum eine Festanstellung.

Bei COEO, dem “Haus der guten Taten”, ist es schön bunt. Das gesamte Warensortiment stammt von Behindertenwerkstätten, von kleinen Familienunternehmen und aus fairem Handel. Mario T. preist Waren aus, räumt Regale ein, berät Kunden. Er liebt seine Arbeit. Die Anforderungen passen, er mag es von schönen Dingen umgeben zu sein. Die positiven Rückmeldungen von Kunden und Kollegen geben ihm Selbstvertrauen und das Gefühl an der richtigen Stelle zu sein. In einem Job, bei dem seine Arbeit den Unterschied macht.

Mario T. ist ein gutes Beispiel, was Menschen mit Behinderung leisten können, wenn man sie nur lässt. Dass der Mann mit den grauen Schläfen mit einer Behinderung lebt, sieht man ihm nicht an. Wie unterschiedlich die Lebenswelten von Menschen mit Behinderung sein können, dazu können Besucher sich am 5. Mai auf dem Aktionsmarkt der Trägerinitiative informieren. Mitmachaktionen wie “Showdown”, eine Art Tischtennis für Blinde und Sehbeeinträchtigte, bieten dazu die Möglichkeit für einen spielerischen Perspektivwechsel. Das unterstützen auch Berliner Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft wie Bezirksbürgermeister Norbert Kopp, der den Aktionstag um 10:00 Uhr offiziell eröffnet.

Alle Akteure tragen am Aktionstag ein oranges T-Shirt. Darauf steht “Mitten im Leben”. Mario T. fühlt sich wieder mittendrin. Auch er wird am 5. Mai das Aktions-T-Shirt wieder tragen, um für mehr Miteinander und Vielfalt ein Zeichen für eine inklusive Gesellschaft setzen. Inklusion beginnt im Kopf, manchmal auch in Shops eines Einkaufszentrums.

Aktionstag 5. Mai

Montag, 5. Mai 2014, 10–20 Uhr, FORUM Steglitz, Schlossstraße 1, 12163 Berlin

Eine Kooperation von 14 Trägern der Berliner Behindertenhilfe mit der Beauftragten des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf von Berlin für Menschen mit Behinderung

Tagespraktikanten bei Fix Foto / Body Attack / H&M / Wolsdorf Tobacco / COEO / Pizza Hut / Rossilio / OSCO / Inter-Sport-Olympia / Inclusio media

Mario T. und Beatrix Beese, Beauftragte des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf von Berlin für Menschen mit Behinderung, im Interview

Mario T. und Beatrix Beese im Interview

Interview mit Mario T.

Mario T. ist 57 Jahre alt und ist 30 Stunden pro Woche im Haus der Guten Taten der COEO gGmbH beschäftigt.

_Herr T., mit welcher Beeinträchtigung leben Sie?_

Ich leide unter einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung und habe
Schwierigkeiten mich abzugrenzen. Um schöne, kurze Erfahrungen zu erleben, bin ich
einkaufen gegangen, woraus eine Kaufsucht resultierte. Schließlich war ich überschuldet und
es folgte eine Privatinsolvenz. Ich isolierte mich von meinem sozialen Umfeld und es prägte
sich ein Messisyndrom aus – mit den Dingen blieb ich alleine. Ein Traum von mir war immer,
an einem Tisch mit Freunden in einer schön aufgeräumten Wohnung zu sitzen.

_Wie sind Sie an Ihren Job gekommen?_

Frau Beese hatte 2013 bei den Händlern im Forum Steglitz wieder für die
Tagespraktikantenaktion zum Aktionstag am 5. Mai geworben. Über die VIA-Werkstätten
wollte ich ein Praktikum im Forum Steglitz machen. Zunächst sollte ich in einer Boutique für
Damenoberbekleidung und Schuhe eingesetzt werden. Dies war jedoch nicht mein Ding, und
da ich das COEO kannte, habe ich aus eigener Initiative dort angefragt und am 5. Mai dort
gearbeitet. Dies verlief so gut, dass ich ab Ende August 2013 ein weiteres Praktikum dort
machte, was mehrfach verlängert wurde. Dann wurde daraus von Mitte Dezember 2013 bis
Mitte Januar 2014 ein ausgelagerter Werkstattarbeitsplatz. Mein Arbeitgeber (COEO) hatte
bereits zuvor über das Integrationsamt Fördermittel beantragt. Ab dem 27.12.2013 bekam
ich eine feste Anstellung bei COEO.

_Was haben Sie für Ausbildungen gemacht? Wo haben Sie vorher gearbeitet?_

Mein erster Beruf war Bankkaufmann und mein zweiter Heilerziehungspfleger. Ab 2010 habe
ich in der Floristik-Abteilung der VIA-Werkstätten gearbeitet.

_Ist es Ihnen schwer gefallen, Ihren alten Job aufzugeben?_

Mit dieser Perspektive: Nein! Der Job bei COEO macht mir viel Spaß und ist eine schöne
Herausforderung. Letztendlich bin ich sehr glücklich, diese Möglichkeit bekommen zu haben.

_Was fühlt sich bei Ihrer neuen Arbeit anders an im Vergleich zu Ihrem vorherigen Job? Welche Aufgaben haben Sie?_

Das Wichtigste: Es ist meins. Ich habe auf einen inneren Ruf gehört und bin aus eigenem
Impuls gestartet. Die Arbeit hat genau das richtige Format. Hier habe ich Kundenkontakt, bin
im Verkauf tätig, preise die Ware aus und räume sie ein. Es ist eine gute, passende
Anforderung und ich bin von schönen Dingen umgeben. Ich habe auch die Rolle des
sogenannten COEO-Cops. Die ist aufgrund einer Serie von Diebstählen entstanden. Dabei
bitte ich die Kunden, größere, offene Einkaufstüten für den Zeitraum ihres Einkaufs bei uns
hinter den Tresen stellen. Die Taschen bekommen dann einen Namenszettel und werden mit
einer Klammer verschlossen. Dies geschieht mit der Rückendeckung des Chefs und ist eine
tolle Erfahrung. Dabei ist es notwendig, einen guten, klaren Kontakt mit den Kunden zu
haben.

_Erinnern Sie sich an eine besondere Situation, einen tollen Moment in Ihrem neuen Job? Wann wussten Sie, “das hier der richtige Job, hier möchte ich arbeiten“?_

Da fällt mir ein Gespräch mit Herrn Franz aus der Geschäftsführung des COEO ein, bei dem
ich gespürt habe, dass ich willkommen bin und ein großes Verständnis für meine Person
vorhanden ist. Außerdem wurde mir viel zugetraut und ich hab mich angenommen gefühlt.
Dadurch konnte Selbstvertrauen wachsen. Sowohl von den Kollegen, als auch von der
Kundschaft, habe ich gute Rückmeldungen bekommen. COEO ist ein
Integrationsunternehmen mit einem werteorientiertem Konzept, in welchem der Mensch
anstelle des Profits im Mittelpunkt steht. Dafür steht auch sehr stark Herr Franz.

_Was würden Sie anderen Menschen, die mit Behinderung leben und einen Job suchen, raten?_

Jeder sollte immer wieder rausgehen und sich erproben. Wenn sie sich trauen und den Mut
fassen, würde ich allen raten, am 5. Mai mitzumachen und so Erfahrungen zu sammeln.
Jeder sollte immer wieder versuchen, Praktika zu machen. Eine Voraussetzung ist dabei aber
auch, Hilfen anzunehmen, sich zu informieren, wo ich Unterstützung bekommen kann und
die Dinge, die dann kommen, zuzulassen. Professionelle Helfer sollten sich informieren, wo
es Möglichkeiten für Praktika und Unterstützungen gibt, auch insbesondere
Integrationsbetriebe.

_Herr T., wir danken Ihnen für dieses offene Gespräch und wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute!_

Das Interview führten Beatrix Beese, Beauftragte des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf von Berlin für Menschen mit Behinderung, und Frank Böcker, Reha-Steglitz gGmbH, Mitglied des bezirklichen Aktionsbündnis 5. Mai.