Von Herzlichkeit, Tanztee und Gänsekeulen: Porträt des Maria-Rimkus-Hauses

Herzlich Willkommen im Maria-Rimkus-Haus

„Nach Berlin verschlagen hat mich, ob man es glaubt oder nicht, die Liebe“: Entwaffnend ehrlich ist das Bekenntnis von Astrid Reinfeld, die seit mittlerweile drei Jahren die Lankwitzer Seniorenfreizeitstätte „Maria-Rimkus-Haus“ leitet. Seit Mitte der 1980er Jahre lebt die aus der Steiermark stammende Österreicherin nun in Berlin. Von Anfang an im öffentlichen Dienst tätig, führten sie mehrere Etappen über Jugendgesundheitsdienst, Krebsfürsorge und Sozialpsychiatrischer Dienst direkt an den Standort Gallwitzallee 53. „Ich habe hier das Gefühl, am richtigen Platz zu sein“, bekennt sie freimütig ihr Gefühl des Angekommen-Seins. Sie strahlt große Zufriedenheit aus – und zwar eine Zufriedenheit, die sich rasch auf die Menschen um sie herum überträgt. Es sind die Menschen, mit und für die sie arbeitet und sich einsetzt, es ist aber auch das Haus selbst. Dank der rührigen Leiterin und ihrem engagierten Team aus ehrenamtlich tätigen Helferinnen und Helfern ist das Maria-Rimkus-Haus ein Ort, an dem man sich wohlfühlt, sobald man die Schwelle übertreten hat. Damit sind nicht die positiven Schwingungen gemeint, die esoterisch angehauchte Zeitgenossen – etwas abgehoben und wolkig zumal – an manchen Orten gerne zu spüren glauben. Die Wahrheit ist viel handfester und unmittelbar erfahrbar: Es ist die dem Menschen zugewandte Freundlichkeit der Gastgeberinnen und Gastgeber, die für eine entspannte und angenehme Atmosphäre sorgt. Freundlichkeit ist eine Grundhaltung, mehr noch: eine Geisteshaltung, die man niemandem künstlich antrainieren kann. Man hat sie, oder man hat sie eben nicht. „Es gibt hier wenig Schwellenangst“, drückt Frau Reinfeld ihre Überzeugung aus, wie wichtig es ist, dass sich Gäste zu jeder Zeit willkommen fühlen.

Kontaktbörse für frisch Verliebte

„Die Herzlichkeit ist unser Hauptkriterium und uns allen am Wichtigsten“, formuliert sie eine Art Grundsatzprogramm des Hauses. Und erzählt mit großem Enthusiasmus von ihren schönsten Erlebnissen, die sich immer dann einstellen, wenn es einfach „menschelt“: der ältere Herr aus der Nachbarschaft, der regelmäßig einmal pro Woche kam, sich ein Gläschen Rotwein bestellte und mit aller Muße des Alters die Leute beim Ein- und Ausgehen beobachtete. Oder die spontan arrangierte Kontaktbörse, die einen Witwer und eine Witwe beim Tanztee zusammenbrachte: Über Jahre hatte der Rentner seine verstorbene Ehefrau liebevoll gepflegt. Als er eines Tages am Maria-Rimkus-Haus vorbeiging und dabei einen geknickten und traurigen Eindruck machte, sprach ihn Astrid Reinfeld einfach an und bat ihn herein. Gesagt, getan: Er fasste sich ein Herz und der Zufall wollte es, dass er bei dieser Gelegenheit seine Herzdame kennenlernte. Es war Donnerstag, und Donnerstag ist traditionell für den „Tanztee“ reserviert. Wenige Tage später hatten die beiden ihre erste Verabredung – natürlich im Maria-Rimkus-Haus. Wie zwei frischverliebte Teenager hatten sie den ganzen Nachmittag über miteinander getanzt. Und das, obwohl Gründonnerstag und damit eigentlich Enthaltsamkeit beim Tanze angesagt war. Karwoche hin oder her: „Ich habe unseren Kassettenrekorder hervorgekramt und eine Tanz-CD eingelegt“, schildert Frau Reinfeld dieses unvergessliche Erlebnis. Ihre Ehrenamtler hätten wunderbar mitgespielt, eine Rose auf dem Tisch platziert und diskret dafür gesorgt, dass das Paar einen schönen Nachmittag miteinander erleben konnte. Woanders verlieben sich Singles bekanntermaßen im Elf-Minuten-Takt. Im Maria-Rimkus-Haus passiert das vielleicht ein bisschen seltener, dafür aber umso nachhaltiger – „zweiter Frühling“ eben.

Diese Seniorenfreizeitstätte ist ein Haus der Gastfreundschaft. Astrid Reinfeld weiß, dass ältere Menschen oft einsam sind und eine ganz persönliche Begrüßung oder Verabschiedung sehr schätzen. „Man muss die Leute und deren Bedürfnisse sehen“, sagt sie. Ihr Ehrenamts-Team teilt diese Ansicht. Da die Helferinnen und Helfer ihre Gäste regelmäßig bewirten, entsteht nach und nach ein vertrautes Miteinander. Irgendwann weiß man, wie Person X ihren Kaffee trinkt und ob Person Y ihren Kuchen mit oder ohne „Schlagobers“ (Sahne) bevorzugt. Es ist wie in einem Café, wo empathisches Bedienungspersonal die Wünsche der Stammgäste aus dem Effeff kennt.

Es bleibt festzuhalten: Wenn sich einer oder eine ins Maria-Rimkus-Haus „verirrt“, kommt er oder sie wieder. Garantiert.

Komplette Barrierefreiheit

Hier ist nicht nur die Kontaktaufnahme zwischen Besucherinnen und Besuchern im übertragenen Sinne „barrierefrei“. Komplett Barrierefrei ist das Maria-Rimkus-Haus aufgrund seiner Ebenerdigkeit auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Es zählt zwar zu den eher kleinen Häusern unter den Steglitz-Zehlendorfer Serienfreizeitstätten, macht dies aber durch eine besondere Gemütlichkeit und den Charme des ehrenamtlich engagierten Teams mehr als wett.

Von Musik, Tanz und Wiener Kaffeehaus-Charme

Wer jemals in Wien war, kennt die besondere Sinnlichkeit der Kaffeehäuser, wo man stundenlang die erlesenen Kaffeespezialitäten genießen kann – versteckt hinter einer Tageszeitung und bedient vom Herrn Ober oder dem „Fräulein“, dessen/deren formvollendete Höflichkeit ebenso besticht wie sein frisch gestärktes blütenweißes Hemd (bzw. ihre Bluse). Wer die üppig bestückte Kuchen- und Tortenvitrine am Tresen des Maria-Rimkus-Hauses bestaunen darf, dem gehen die Augen über und er fühlt sich viele Hunderte Kilometer in südlicher Richtung versetzt. Donnerstag ist Tanztee-Tag. „Kaffee, Kuchen, Cha-Cha-Cha“ heißt diese Veranstaltung offiziell. Und wenn es nach Astrid Reinfeld geht, darf daraus ruhig auch ein Kaffeehaus-Tag nach Wiener Vorbild werden: „Ich habe noch viele Pläne“, denkt sie laut beim Blick in die Zukunft nach. In Verbindung mit Vorträgen oder Lesungen schwebt ihr die Idee eines kleinen Kaffeehaus-Betriebs vor, dessen Umsetzung aber eher langfristig angelegt ist. Dazu bedarf es der Neuanschaffung passenden Mobiliars. Aber jede Neuerung beginnt zunächst mit einem Traum. Der Traum, im Herzen Preußens ein Stück österreichischer k. & k.-Gastlichkeit zu schaffen.

„Mir ist wichtig, dass ich einmal in der Woche eine Kulturveranstaltung habe“, schildert die Freizeitstättenleiterin ihre persönlichen Prioritäten bei der Programmgestaltung. Dabei erschöpft sich das Repertoire der Musik- und Tanzdarbietungen nicht im Dreivierteltakt. Und auch an jene ist gedacht, die zwar gerne zum Tanztee kommen, aber selbst gar nicht tanzen können. Deshalb wechseln die für die Maria-Rimkus-Konzertbühne verpflichteten Unterhaltungskünstler gekonnt zwischen Lied- und Wortbeiträgen ab. Bei den Musikstilrichtungen wird eine große Bandbreite abgedeckt: Von Frank Sinatra über Marlene Dietrich bis hin zu Udo Jürgens. Oder eben Altberliner „Musike“ von Günter Rüdiger. Das Steglitzer Urgestein präsentiert Gassenhauer u.a. von Paul Lincke, Hildegard Knef, Walter & Willi Kollo und – natürlich – Fredy Sieg. Kaum ein älteres Semester, das die Hymne auf die Krumme Lanke oder den Krawall vom „Pflaumenkuchenfall“ bei der „Hochzeit bei Zickenschulze“ nicht mitsingen oder zumindest –schunkeln könnte. Mit seinem im liebenswerten Berliner Dialekt vorgetragenen Programm gastiert Rüdiger auch regelmäßig im Zimmertheater-Steglitz.de. Kongenial begleitet wird der Gesangskünstler von Alexandra Gotthardt am Piano.

Von Skat, Schach und Töpfern: Buntes Kaleidoskop der Gruppen im Haus

„Mit zehn Jahren habe ich das von Opa gelernt“: Die Augen von Brigitte Röder leuchten, wenn sie von ihrer Leidenschaft erzählt – dem Skatspiel. Seit 2004 gehört sie zum festen Ehrenamts-Team des Maria-Rimkus-Hauses, sie ist gleichsam Teil des „Inventars“. Eingestiegen ist sie gleich nach Erreichen des Rentenalters – „damit ich nicht in ein tiefes Loch falle“, wie sie bekennt. 2013 erfüllte sie sich schließlich mit der Gründung einer festen Skatgruppe einen Herzenswunsch. Jeden Freitag zwischen 14:00 und 17:15 Uhr versammeln sich die Skatfreunde zum Spiel. Meistens sind sie zu acht, manchmal zu zehnt. „Zuwachs ist immer gerne gesehen“, wirbt Brigitte Röder um neue Mitglieder.

Neben den Freunden des gepflegten Kartenspiels kommen auch die Denksportler voll auf ihre Kosten: Wenn sich die Mitglieder der Schachgruppe hochkonzentriert vor dem Spielbrett versammeln, sollte man sie am besten nicht stören. Völlig versunken in der Welt der Läufer, Bauern und Damen geht es dann nur noch darum, den Spielpartner „Schachmatt“ zu setzen.

Im Raum nebenan wird dank des Brennofens fleißig getöpfert. Höhepunkt der „Tonkunst“ sind die selbstgefertigten Engelfiguren, die immer zu Weihnachten hergestellt und verschenkt werden.
Auf dem Sportplan stehen Gymnastik (zweimal die Woche), Yoga und Qi-Gong.
Sprachgewandte Senioren parlieren auf Englisch und Italienisch, künstlerisch Interessierte bilden zwei Malgruppen. Orientalisch wird es mitunter im Fasching, wenn die Bauchtanzgruppe ihren großen Auftritt hat und dabei keineswegs mit ihren Reizen geizt.

Weil der Mensch nicht von der Vergnügung und dem Brot allein lebt, hat sich freitags ein kirchlicher Gesprächskreis mit Austausch, Gebet und Gesang etabliert. Manchmal lässt sich auch der Pfarrer der nahegelegenen evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde blicken.

Alkoholkranken und Suchtgefährdeten sowie deren Angehörigen bieten die Anonyme Alkoholkranken-hilfe Berlin e.V. (AKB) und der Kreuzbund Diözesanverband Berlin e.V. regelmäßig Gesprächsrunden an und vermitteln Entzugstherapien: http://www.akb-ev.de und https://www.kreuzbund-berlin.de

Über die bereits bestehenden Gruppenangebote hinaus denkt Astrid Reinfeld über die Einrichtung einer Mediensprechstunde nach, die inhaltlich mehr sein soll als ein klassischer Computerkurs. Geplant ist, älteren Menschen praktische Hilfe anzubieten, wenn sie z.B. mit der Fernbedienung nicht klarkommen oder im Umgang mit dem Smartphone und den neuen sozialen Medien ungeübt sind.

Höhepunkt des Jahres: „Gänsekeulenessen“ im Advent

Inoffizieller Höhepunkt des Veranstaltungsjahres ist das adventliche „Gänsekeulenessen“. Wenn die gebratene Gans, das Blaukraut (Rotkohl) und die Semmelknödel ihren unwiderstehlichen Duft verbreiten, stehen die Gäste Schlange. „Das ist wirklich die schönste Veranstaltung im Jahr“, schwärmt Astrid Reinfeld für das kulinarische Spektakel, bei dem den Gästen Speis und Trank direkt am Tisch serviert wird. Wenn der größte Appetit gestillt ist, wird Stollen aufgetragen und das Tanzbein geschwungen. Ähnlich stimmungsvoll geht es wohl nur bei den alljährlichen „Weihnachtssternen“ im Zehlendorfer Hertha-Müller-Haus zu. „Zu meinen Veranstaltungen muss man sich nicht anmelden, das ist mir sehr, sehr wichtig“, betont die Freizeitstättenleiterin. Wer Lust hat zu kommen, dem soll das jederzeit auch spontan möglich sein. Einzige Ausnahme ist neben dem Gänsekeulenessen das immer sehr populäre Shanty-Chor-Konzert. Allerdings sei noch nie jemand abgewiesen worden, macht sie deutlich.

Zu den weiteren Großveranstaltungen im Jahr zählen der Fasching und das Sommerfest. Hinzu kam ein Oktoberfest im Jahre 2019. Letzteres wird sich coronabedingt 2020 kaum wiederholen lassen.

Ehrenamt aus Überzeugung: Frauen, Männer und ein Gärtner

„Die Ehrenamtler sollen sich auch wohlfühlen“: Auf diesen Nenner bringt Astrid Reinfeld ihre Überzeugung, dass sich eine Wohlfühlatmosphäre erst dann einstellt, wenn Gast und Gastgeber harmonisch zusammenwirken. Mit 20 Damen und Herren kann sie sprichwörtlich aus dem Vollen schöpfen. Die Mischung ist ausgewogen, immerhin ein Viertel des ehrenamtlich tätigen Personals sind Männer. „Ich habe den Gärtner vergessen“, lacht Frau Reinfeld, als sie ganz stolz von der Herrenriege spricht, die ihren Dienst im Maria-Rimkus-Haus versieht. Kurzerhand schraubt sie damit den Männeranteil von vier auf fünf. Dienstälteste Ehrenamtlerin mit nunmehr 16 Jahren ist Brigitte Röder, die wir schon im Zusammenhang mit der Skatrunde kennengelernt haben. Einige blicken bereits auf acht Lebensjahrzehnte und mehr zurück, wie die rüstige Dame, die gerne Kuchen aufträgt und an den Tagen, an denen sie eingeteilt ist, so lange bleibt, wie es ihr guttut: „Die ist topfit und die Spitze meines Donnerstags-Teams“, lobt Frau Reinfeld. Ein typischer Dienst im Ehrenamt dauert vier Stunden, wobei sich überwiegend feste Teams herausgebildet haben. Die meisten kommen einmal die Woche, manche auch einen ganzen Tag über. Grundsätzlich können sie ihre Dienste ziemlich frei und individuell gestalten.

Maria Rimkus (1910-2001) – „Gerechte unter den Völkern“

Eine sehr mutige Frau muss Maria Rimkus gewesen sein: Unter größtem Risiko für ihr eigenes Leben gelang es ihr, der jüdischen Zwangsarbeiterin Ruth Abraham und deren Familie ab Dezember 1942 bei der Versorgung von Lebensmitteln, aber auch bei der Beschaffung von gefälschten Papieren zu helfen. Die anfängliche Skepsis der Familie Abraham wusste sie durch ihre zupackende Art rasch zu zerstreuen. Selbst als sie in den Fokus der Gestapo geriet und sich nervenaufreibenden Verhören unterziehen musste, konnte man ihr nichts nachweisen. Zusammen mit ihrer Tochter überlebte Ruth Abraham und emigrierte nach Kriegsende in die USA.

Einem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf vom 18. März 2011 zufolge wurde der frühere „Club Lankwitz“ nach umfassender Renovierung in „Maria-Rimkus-Haus“ umbenannt. Ein weiterer BVV-Beschluss vom 16. Juni 2021 führte zur Umbenennung des bisherigen Maerckerwegs (Lankwitz) in „Maria-Rimkus-Weg“. Zur feierlichen Enthüllung des neuen Straßenschilds versammelten sich Vertreterinnen und Vertreter aus Bezirksamt und BVV am 17. Februar 2023 am Ort der Umbenennung (https://www.berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf/politik-und-verwaltung/beauftragte/antisemitismus/artikel.1296565.php). Beide BVV-Entscheidungen sind wegweisend: Mit ihnen würdigt der Bezirk das uneigennützige Wirken einer tapferen Frau.

Maria Rimkus zählt zum Kreis der stillen Heldinnen und Helden, die ihren verfolgten Mitmenschen ohne viel Aufhebens halfen, ohne dafür Applaus zu erwarten. Im Gegenteil: Ihre Menschenfreundlichkeit und Glaubensüberzeugung als Katholikin drängten sie zu Zivilcourage und Nächstenliebe. Ohne das Zeugnis von Menschen wie Maria Rimkus wäre Steglitz-Zehlendorf ärmer. Sie ist ein ermutigendes Beispiel, dass am Ende des Tages menschliche Zuwendung obsiegt. Antisemitismus und politischer Extremismus bleiben auf der Strecke.

In Anerkennung ihrer Lebensleistung war Maria Rimkus bereits 1970 die höchste Auszeichnung zuteilgeworden, die der Staat Israel an nichtjüdische Wohltäterinnen und Wohltäter zu vergeben hat. Unter dem Namen Maria Nickel wird sie in der 1953 gegründeten Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geführt. Seither wird ihrer im „Garten der Gerechten“ durch eine eigene Namens-platte gedacht.

Dank der nach ihr benannten Seniorenfreizeitstätte ist Maria Rimkus unvergessen. Seit 1963 hatte sie ununterbrochen in unserem Bezirk gelebt. Ihr Geist der Mitmenschlichkeit wird im Maria-Rimkus-Haus tagtäglich aufs Neue gelebt. Er bleibt für immer jung.