Warum mehr barrierefreier Wohnraum in Berlin notwendig ist
Bei der Suche nach einer geeigneten Wohnung sind Menschen mit Behinderungen in mehrfacher Weise benachteiligt: Zum einen gibt es auf dem ohnehin angespannten Berliner Wohnungsmarkt zu wenige freie Wohnungen. Zum anderen sind diese Wohnungen in der Regel nicht barrierefrei.
Barrierefreie Wohnungen
Bereits in der Vergangenheit fehlten in Berlin zwischen mindestens 41.000 (Kuratorium Deutsche Altershilfe/Wüstenrot Stiftung: Wohnatlas – Rahmenbedingungen der Bundesländer beim Wohnen im Alter, 2014) und bis zu 110.000 barrierefreie Wohnungen (Holm, A.: Sozialer Wohnraumversorgungsbedarf in Berlin, 2016).
Der für Bauen und Wohnen zuständige Landesverwaltung (SenSBW, Landesverwaltung) sind diese Zahlen bekannt. Immerhin räumt auch sie ein, dass „von einer aktuellen Versorgungslücke von rund 106.000 weitgehend barrierefreien Wohnungen in Berlin auszugehen (ist)“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen: Wohnraumbedarfsbericht 2019, S. 97).
Der Mangel an barrierefreiem Wohnraum wird durch die stark zunehmende Alterung der Bevölkerung weiter verschärft: Vom Zeitpunkt der beiden erstgenannten Untersuchungen an wird sich die Anzahl der Menschen in Berlin, die älter sind als 65 Jahre, bis 2030 nahezu verdoppeln. Insbesondere die Anzahl der Hochbetagten über 80 Jahre wird mit 62 % prozentual ansteigen wie keine andere Altersgruppe in Berlin (vgl. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Zeitschrift für amtliche Statistik Berlin-Brandenburg, 4/2019). Mit dieser Altersentwicklung steigt auch der Bedarf an barrierefreien Wohnungen sprunghaft an.
Unter Beibehaltung der bisherigen Regelungen, wonach bestenfalls die Hälfte neuer Wohnungen barrierefrei zu errichten ist, kann der bestehende und stetig anwachsende Mangel an barrierefreien Wohnungen kaum überwunden werden.
Uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbare Wohnungen
Über den Mangel an barrierefreien Wohnungen hinaus gibt es in Berlin kaum uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbare Wohnungen (sog. “Rollstuhlbenutzer-Wohnungen”, RB-Wohnungen). Auf dem ohnehin angespannten Berliner Wohnungsmarkt finden Rollstuhlnutzende kaum eine freie und für sich geeignete Wohnung.
In der Folge kommen Rollstuhlnutzende in ihrer Wohnung häufig nicht zurecht, können diese nicht verlassen oder sind gegen ihren Willen auf besondere Wohnformen angewiesen. Mit dem Recht auf unabhängige Lebensführung (vgl. Art. 19, Bst. a) UN-BRK) ist dies nicht zu vereinbaren.
Nicht nur der
-
Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen und die
- Berliner Beauftragten für Menschen mit Behinderungen
(vgl. u. a. Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen: Verstößebericht 2016-2019, 2019, S. 12 f) verweisen auf den Mangel an RB-Wohnungen. Auch die Landesverwaltung kommt zu dem Schluss, dass „von einer Versorgungslücke im Segment der rollstuhlgerechten Wohnungen auszugehen [ist]“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen: Wohnraumbedarfsbericht Berlin, 2019, S. 97).
In Berlin verfügen knapp 25.000 Menschen über einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen „außergewöhnliche Gehbehinderung“, aG. Dieser Personenkreis ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Rollstuhl und damit potentiell auf eine RB-Wohnung angewiesen. Dem gegenüber stehen gerade einmal etwas mehr als 1.000 Wohnungen, die in Berlin bekannt sind. Der quantitative Bedarf an RB-Wohnungen geht daraus nicht exakt hervor. Der qualitative Mangel an RB-Wohnungen hingegen ist offensichtlich.
Auch die Landesverwaltung erkennt dies an (vgl. Drucksache 18 / 16 623). Eine Verpflichtung zur Schaffung von RB-Wohnungen hat der Senat jedoch bisher abgelehnt. Stattdessen setzt er allein auf eine Fördermöglichkeit, wonach RB-Wohnungen pauschal mit
14.000 EUR je Wohnung bezuschusst werden können (vgl. Wohnungsbauförderungsbestimmungen 2019, 4.4.2).
Eine Anfrage des Bezirksbeauftragten für Senioren und Menschen mit Behinderungen (Beauftragter) an die Landesverwaltung ergab, dass nach Einführung der Fördermöglichkeit 2019 bis Ende 2020 nur 39 geförderte RB-Wohnungen entstanden sind.
Spätestens seitdem deutlich ist, dass der Fördermechanismus kaum Wirkung entfaltet, sind verpflichtende Maßnahmen zur Schaffung von RB-Wohnungen unumgänglich.
RB-Wohnungen zu schaffen allein genügt nicht. Personen, die RB-Wohnungen vermieten und Personen, die RB-Wohnungen suchen, müssen auch zusammenfinden können.
Wie sich der Beauftragte für mehr barrierefreien Wohnraum in Berlin einsetzt
Zusammen mit seinen Mitstreitenden hat der Beauftragte gegenüber der Landesverwaltung mehrfach
- Änderungen der Bauordnung für Berlin (BauO Bln, “Bauordnung”“#BauOBln) und die
- Wiederaufnahme eines zentralen Registers für RB-Wohnungen
gefordert:
Forderungen zur Änderung der Bauordnung
Bei Neubauten müssen zukünftig alle Wohnungen barrierefrei erreichbar und nutzbar sein.
Bei neuen Wohngebäuden mit Aufzugspflicht nach § 39, Absatz 4 der Bauordnung müssen zukünftig
- bei mehr als sechs Wohnungen eine der barrierefrei zu errichtenden Wohnungen
- bei mehr als zwölf Wohnungen jede sechste der barrierefrei zu errichtenden Wohnungen
uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein.
Im Übrigen: In der Saarländischen Landesbauordnung sind entsprechende Regelungen zur Errichtung von RB-Wohnungen bereits eingeführt (vgl. § 50, Absatz 1, Satz 4 SaarlLBO). Auch in der Bremischen Landesbauordnung gibt es Pflichtquoten zur Errichtung von RB-Wohnungen (vgl. § 50, Absatz 1, Satz 3 BremLBO).
Forderungen zur Wiedereinführung eines zentralen Registers für RB-Wohnungen
Es ist ein zentrales, barrierefrei zugängliches Register zu schaffen. In diesem Register müssen freie RB-Wohnungen einen angemessenen Zeitraum gemeldet sein. Verantwortlich für dieses Register ist sollte die für Bauen und Wohnen zuständige Landesverwaltung sein.
Mit www.rb-wohnungen.de stünde ein geeignetes Instrument für ein solches Register grundsätzlich zur Verfügung. Die Internetseite ist allgemein bekannt und könnte (wieder) Akzeptanz finden. Allerdings wird die Internetseite aktuell nicht gepflegt.
Was das Ergebnis der Forderungen des Beauftragten nach mehr barrierefreiem Wohnraum in Berlin ist
Die Forderungen werden von der Landesverwaltung abgelehnt. Die aktuelle Pflichtquote zur Schaffung von barrierefreien Wohnungen sei bedarfsgerecht. Da der Bedarf an RB-Wohnungen unklar sei, müsse einer Pflichtquote zur Schaffung von RB-Wohnungen erst eine Bedarfserhebung vorausgehen.
Dem ist entgegen zu halten: Gegen die Beibehaltung der aktuellen Pflichtquote zur Schaffung von barrierefreien Wohnungen spricht der Wohnraumbedarfsbericht, der von der Landesverwaltung selbst herausgeben wird (s. o.).
Der Bedarf an RB-Wohnungen mag aktuell nicht genau quantifiziert sein. Allerdings kann ein hoher qualitativer Mehrbedarf an diesen Wohnungen kaum bestritten werden. Dies belegen viele Nachfragen nach solchen Wohnungen, die sowohl die Landesbeauftragte als auch die Bezirksbeauftragten für Menschen mit Behinderungen regelmäßig erreichen.
Es wäre die Aufgabe der Landesverwaltung, gesetzliche Bestimmungen zu erlassen, die kurzfristig zu mehr barrierefreien Wohnungen und zu mehr RB-Wohnungen führen. Falls nötig könnten die Bestimmungen zu RB-Wohnungen im Anschluss an eine Bedarfserhebung nachgesteuert werden
Bei einer Recherche ist der Beauftragte auf eine Studie vom Juni 2019 zur Erhebung des Bedarfs an RB-Wohnungen in Bremen (Bremer Studie) gestoßen.
Der Beauftragte hat diese Studie ausgewertet und daraus Rückschlüsse auf den Bedarf an RB-Wohnungen in Berlin gezogen. Demnach könnten in Berlin kurz- bis mittelfristig mehr als 10.000 RB-Wohnungen fehlen.
- Hier finden Sie in Kürze (sobald das Dokument barrierefrei aufgearbeitet ist) die Auswertung der Bremer Studie und die Rückschlüsse des Beauftragten auf den Bedarf an RB-Wohnungen in Berlin.