Drucksache - 0207/XIX  

 
 
Betreff: Freilufttrinker in Neukölln
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:CDUBA/JugGes
Verfasser:Lanske, UteLiecke, Falko
Drucksache-Art:AntragVorlage zur Kenntnisnahme - SB
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
25.04.2012 
7. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin überwiesen   
Gesundheitsausschuss Entscheidung
04.12.2012 
8. öffentliche Sitzung des Gesundheitsausschusses ohne Änderungen im Ausschuss beschlossen   
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
23.01.2013 
14. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   
Bezirksverordnetenversammlung Entscheidung
29.01.2014 
25. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Beschlussvorschlag
Anlagen:
Antrag
Antrag überwiesen
Ausschuss Beschluss
Beschluss
Schlussbericht

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

 

 

 

Mit Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung vom 23. Januar 2013 wurde das Bezirksamt gebeten zu prüfen, welche Maßnahmen zur Eindämmung der "Freilufttrinker-Problematik" im Bezirk ergriffen werden können. Hierzu sollen entsprechende Konzeptionen, auch aus anderen Bundesländern, einbezogen sowie Experten gehört werden.

 

Das problematische Konsumieren von Alkohol an öffentlichen Plätzen, kurz Freilufttrinkerproblematik, ist ein Problem, dass bekanntermaßen nicht nur in Neukölln oder Berlin auftritt. Es handelt sich um ein Problem, das bundesweit Sorge bereitet und auch angrenzende Staaten betrifft und mit dem sich die internationale Forschung beschäftigt (z.B. Institut für Sucht- Gesundheitsforschung Zürich; Trinken im öffentlichen Raum: Ein Spannungsfeld zwischen Randständigen und PassantInnen; Zürich 2009).

 

Allgemein gilt für alle betroffenen Gemeinden, Städten, Regionen usw., dass es sich um heterogene Gruppen oder Szenen handelt, die sich aus unterschiedlichen Motiven zusammenfinden und treffen. Diese Problematik macht es schwierig, eine allgemein gültige und für alle Seiten befriedigende Lösung zu finden.

 

Für alle betroffenen Plätze gilt, dass allein ordnungspolitische und polizeiliche Maßnahmen, wenn überhaupt, dann nur kurzfristig greifen, aber niemals eine adäquate Lösung des Problems darstellen können bzw. sich mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht erreichen lassen. Eine kontinuierliche und andauernde Präsenz der Ordnungskräfte wäre erforderlich, um an den neuralgischen Punkten dauerhaft für Abhilfe zu sorgen, wobei diese Maßnahmen in der Regel nur zu einer Verdrängung führen. Auch der Einsatz von sozialarbeiterischen Betreuungsangeboten in Form von Straßensozialarbeit hat sich als alleiniges Instrument zur Lösung des vielschichtigen Problems als nicht zielführend erwiesen. Den Betroffenen können überwiegend keine oder nicht zielgruppenspezifische Alternativen für eine Veränderung ihrer Situation geboten werden.

 

Oftmals handelt es sich bei der Zielgruppe um chronisch mehrfach beeinträchtigte, abhängige Menschen von legalen und zum Teil illegalen Suchtstoffen, die zumindest zeitweise nicht auf den Konsum verzichten können. Seelische und /oder psychische Störungen und Beeinträchtigungen sind häufige Begleiterscheinungen bzw. ursächlich für die derzeitige Lebenssituation. Durchgehend zeichnen sich die Gruppen aber durch einen Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und ein Zuviel an Langeweile aus.

 

Sollen Maßnahmen die Zielgruppe erreichen, müssen sich diese an den Indikatoren dieser Zielgruppe, wie fehlende sinnstiftende Tagesstruktur und Beschäftigungsmöglichkeit, familiäre Probleme, problematische Wohnsituation, Vernachlässigung von Gesundheit und Hygiene, sozialunverträgliches Verhalten, fehlendes Unrechtsbewusstsein etc. ausrichten.

 

Bei der Fachveranstaltung der Neuköllner Suchtperspektiven wurden im Workshop „Trinken im öffentlichen Raum – Eine Handlungsstrategie“ – nachfolgende Ansätze entwickelt.

 

Bestehende Maßnahmen und Angebote wie z.B. Suchtberatungsstellen, Kontaktstellen, Tagesstätten, Wohneinrichtungen etc. werden nicht genutzt, weil sie für die Zielgruppe zu hochschwellig sind, z.B. wegen fehlender Fähigkeit zur Punktabstinenz, aus Schamgefühlen, wegen fehlender Angebote des voraussetzungslosen Aufenthalts, oder weil sie nicht die gewünschte Form der sozialen Begegnung bieten.

 

Erforderlich ist eine passgenaue Handlungsalternative, die als Zielsetzung die Überwindung von sozialer Ausgrenzung und Isolation beinhaltet, das soziale und konfliktarme Miteinander stärkt, die Eigenverantwortung und Veränderungsbereitschaft der Konsumenten fördert. Angebote und Hilfen der Regelversorgung und ansässiger sozialer Einrichtungen müssen als weiterführende Hilfen erschlossen werden. Die gesundheitliche und soziale Lage der Konsumenten gilt es zu stabilisieren. Weiteres Ziel muss die Verbesserung des Erscheinungsbildes des öffentlichen Raums, die Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung und die Frühintervention bzw. Prävention bezüglich der Entstehung neuer Treffpunkte im öffentlichen Raum sein.

 

Erforderlich ist hierzu ein niedrigschwelliges, ganzheitliches Konzept, das die Bereiche Netzwerkarbeit, Gemeinwesenarbeit, sinnstiftende Beschäftigungsangebote, aufsuchende Sozialarbeit an sozialen Brennpunkten und die Einrichtung einer Kontaktstelle zum voraussetzungslosen Aufenthalt mit akzeptierendem Konsum umfasst.

 

Die Kontaktstelle bildet innerhalb des Konzepts den Mittelpunkt, der die Anbindung der Zielgruppe ermöglicht und von der alle erforderlichen Angebote Maßnahmen und Hilfeangebote gesteuert werden und ausstrahlen. Sie bietet den Rahmen für die Pflege erforderlicher sozialer Kontakte, die Möglichkeit, sich sinnvoll zu beschäftigen und einer an der Abhängigkeit und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgerichteten Arbeit nachzugehen. Zusätzlich müssen gesundheitsfördernde und medizinisch-pflegerische Angebote für die Zielgruppe zur Verfügung stehen. Die Kontaktstelle dient auch als Anlaufpunkt für Anwohner und Gewerbetreibende mit einem offenen Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebot. Durch die Einbindung gemeinwesensorientierter Einrichtungen wird das soziale Miteinander gefördert.

 

Vergleichbare Angebote wurden bereits in mehren Städten etabliert, z.B. in Kiel, Lübeck, Wuppertal, Dortmund, Gelsenkirchen, Essen, Bielefeld, Bonn, aber auch in Amsterdam.

 

Bei dem Fachtag im September 2013 kamen Mitarbeiter aus speziellen „Trinkräumen“ der Städte Dortmund, Essen, Wuppertal, Kiel, Berlin-Spandau, Amsterdam und Suchthilfekoordinatoren der Bezirke Spandau, Treptow-Köpenick, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln zu einem Erfahrungsaustausch und zur Erarbeitung fachlicher Empfehlungen zusammen.

Die Einrichtungen befinden sich in unterschiedlicher Trägerschaft und werden auf unterschiedliche Weise finanziert, u.a. über den kommunalen Haushalt (Amt für Wohnen und Grundsicherung, Ordnungsamt), den Europäischen Sozialfonds (ESF), Landesmittel, Bundesmittel, Mittel des Kirchenkreises.

 

Die jeweiligen Einrichtungen unterscheiden sich in ihren Konzepten, Angeboten und innerbetrieblichen Regelungen, z.B. zum konkreten Umgang mit Spirituosen, Kinderschutz, Hausverboten etc. Dies ist zum Teil auch auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Zuwendungsgeber zurückzuführen. Übereinstimmend konnte aber festgestellt werden, dass Kontaktstellen mit akzeptierendem Konsum positive Auswirkungen auf der Ebene des Gemeinwesens und der Nutzer der Einrichtungen entfalten. Allgemein erfährt der öffentliche Raum eine Entlastung durch eine geringere Präsenz Konsumierender. Durch Einbindung der Nutzer in Beschäftigung des Gemeinwesens wird das Ansehen von Konsumierenden deutlich verbessert und führt zu einem konfliktfreieren Miteinander. Sinnstiftende Tätigkeiten und Beschäftigungen führen zu einer deutlichen Schadensminimierung und tragen zur Gesundheitsförderung der Zielgruppe bei. In der Regel ist eine gesundheitliche und psychosoziale Stabilisierung insbesondere bei Teilnahme an Beschäftigungsangeboten und tagesstrukturierenden Maßnahmen festzustellen. Vorhandene Ansprechpartner der Einrichtungen nehmen Druck und Spannungen innerhalb des Umfelds auf und wirken deeskalierend.

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Einrichtung einer Kontaktstelle mit akzeptierendem Alkoholkonsum – wie auch immer die Benennung einer solchen Einrichtung erfolgt - als Teil eines ganzheitlichen Konzepts im Rahmen einer umfassenden Handlungsstrategie den Anforderungen einer zielgruppenspezifischen, partizipativen und niedrigschwelligen Maßnahme der Gesundheitsförderung entspricht und den legitimen Forderungen des Gemeinwesens nach einem sozialverträglichem Miteinander unterschiedlicher Personengruppen Rechnung trägt.

 

Eine Realisierung dieses Konzepts erfordert neben entsprechenden Räumlichkeiten für Aufenthalt und Beschäftigung entsprechendes Fachpersonal in einer Größenordnung von 2 1/2 - 3 Personalstellen. Obwohl der Bedarf für eine derartige Einrichtung bzw. Einrichtungen in Neukölln gegeben ist/sind, lässt sich eine zeitnahe Umsetzung aus finanziellen Gründen nicht realisieren. Mittel aus dem Psychiatrienentwicklungsprogramm (PEP) stehen derzeit hierfür nicht zur Verfügung. Eine Finanzierung aus Zuwendungsmitteln des Landes Berlin im Rahmen des Integrierten Gesundheitsprogramms (IGP) ist derzeit ebenfalls nicht möglich. Die Abteilung Jugend und Gesundheit ist dennoch bemüht, Mittel für einen solchen (Probe-)Betrieb zu akquirieren, um Erfahrungen mit dieser Einrichtung zu machen und die Wirksamkeit zu erproben.

 

Das Bezirksamt sieht den BVV-Beschluss damit als erledigt an.

 


 

 

 

 
 

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