- Die Bezirksverordnetenversammlung Mitte unterstützt eine weitere
Flächenentwicklung im Hinblick auf einen zu entwickelnden Bebauungsplan (B-Plan) auf Bezirksebene nur unter der Sicherstellung der in den Projektzielen beschriebenen Nachhaltigkeitsmerkmalen, die inhaltlich in einem B-Plan zu berücksichtigen sind. In welchem Umfang einer baulichen Entwicklung auf dem Friedhofsgelände St. Johannes Evangelist auf den in den nächsten Jahren Zug um Zug freiwerdenden Grabfeldern stattfinden soll, ist dabei zunächst ergebnisoffen zu diskutieren.
- Zur Sicherstellung der uneingeschränkten Einflussmöglichkeiten auf
bauliche, ökologische und soziale Qualitäten wird das Grundstück zunächst vom Land Berlin erworben. Der gesamte Planungs- und Evaluierungs-
prozess ist transparent für alle Bürger*innen zu gestalten.
Das Bezirksamt wird ersucht, die zukunftsfähige Quartiersentwicklung der
Friedhofsflächen St. Johannes Evangelist nach den in der Anlage aufgeführten grundsätzlichen Leitlinien zu entwickeln.
Die BVV ist über die Fortschritte zu unterrichten.
Anlage zum Antrag
„Strategie für eine zukunftsfähige Quartiersentwicklung der
Friedhofsflächen St. Johannes Evangelist“
Leitlinien für die zukunftsfähige Quartiersentwicklung der
Friedhofsflächen St. Johannes Evangelist
UMWELT- UND KLIMASCHUTZ IST ERFOLGREICHE SOZIALPOLITIK
Durch Formen einer Kultur des öffentlichen Dialoges sowie eines diskursiv geführten Prozesses eröffnet sich die Chance, dass die Bezirks- und Landespolitik in Berlin eine solide Grundlage für eine menschenwürdige, umweltfreundliche und damit soziale Stadtentwicklung im Interesse seiner Bürger*innen schafft.
Die kurzsichtige auf Gewinnoptimierung und Privatisierung des öffentlichen Stadtraums ausgerichtete Projektentwicklung muss durch eine interdisziplinäre, auf langfristige Qualität und Nachhaltigkeit ausgerichtete zukunftsfähige Quartiers- und Stadtentwicklung ersetzt werden, die den ökologischen Wert vorhandener Freiflächen nicht reduziert sondern zum Wohle der Quartiersbewohner*innen und zur Erreichung der Klimaziele insgesamt steigert. Jede zukünftige Entwicklung auf dem Gelände des Friedhofs St. Johannes Evangelist in Berlin Mitte muss diesen Nachweis erbringen.
KOMPAKTE STADT
Unsere Stadt wächst. In den vergangenen Jahren wurde ein kontinuierlicher Zuzug von 35.000 – 50.000 neuen Bürger*innen durch das Amt für Statistik Berlin Brandenburg festgestellt. Diese Entwicklung wird sich mit schwankenden Jahreszahlen auch in den kommenden Jahren fortsetzen.
Diese Tatsache erhöht den Druck auf die Kernstadt. Zugleich werden in den kommenden Jahren vorhandene Freiflächen mit neuen Stadtquartieren bebaut werden (14 neue Stadtquartiere). Ziel muss es sein, den fortschreitenden Flächenverbrauch und der Flächenversiegelung von Siedlungsgebieten in der Stadt aber auch an den Stadträndern im Hinblick auf das Brandenburger Umland zu stoppen. Zum Ziel der Begrenzung des verkehrsbedingten und flächenbezogenen CO2 Bedarfs sind dies unstrittige Forderungen der Wissenschaft. Gleichzeitig muss für eine Aufwertung und flächenbezogene Erhöhung der innerstädtischen Grünflächen gesorgt werden, auch um die Lebensqualität einer sich verdichtenden Stadt für ihre Bürger*innen zu erhalten.
In diesen unbestreitbaren Notwendigkeiten aber auch den sich eröffnenden Chancen für eine Stadt der Zukunft eröffnet sich ein komplexer, in Teilen mit Zielkonflikten behafteter gesellschaftspolitischer Prozess, dem sich alle
Akteur*innen offen und lösungsorientiert stellen müssen.
PROJEKTZIELE
Zur Bestimmung verbindlicher Projektziele und der erforderlichen Qualitätsmerkmale ist dem städtebaulichen Wettbewerb zunächst ein öffentlich geführter Evaluierungsprozess zur Identifizierung der tatsächlichen Belange des Allgemeinwohls. Die Evaluierung der Projektziele soll unter Mitwirkung beispielsweise folgender Interessensgruppen erfolgen:
- Schaffung eines öffentlichen Ideen-Pools / Workshops unter Mitwirkung von Akteur*innen auf Bezirks- und Landesebene
- Einbindung von Bürger*innen und Bewohner*innen des Quartiers durch Einrichtung einer öffentlichen Diskussionsplattformen
- Einbindung von nicht öffentlich-rechtlichen Institutionen (BUND, NABU, etc.)
- Einbindung von fachspezifischen Instituten von Universitäten, Fachhochschulen
- Einbindung der politischen Entscheidungsträger*innen auf Bezirksebene
- Einbindung der öffentlich-rechtlichen Behörden auf Bezirks- und Landesebene und weitere Prüfung und ggf. Anpassung der bauordnungs- und planungsrechtlichen Randbedingungen.
- Berücksichtigung der denkmalgeschützten Umgebungsbebauung (Weltkulturerbe)
- Schaffung der erforderlichen Sozialen Infrastruktur (Kita, Bildungseinrichtungen Grünflächen), die sich aus den Ansprüchen des neuen Stadtviertels und seiner Umgebung ergeben.
WETTBEWERB
Auf Grundlage des vorangestellten Evaluierungsprozess erfolgt die Sicherstellung einer qualifizierenden und unabhängigen Auswahl der besten Konzepte mit verbindlichen Qualitätsstandards zur Sicherung der ökologisch-sozialen Nachhaltigkeit:
Die Qualitätsstandards können beispielsweise aus dem Evaluierungsprozess hervorgehen oder auf Grundlage national (DGNB) und international (BREEAM) anerkannter Zertifizierungskriterien erfolgen. Ein offener Ideenwettbewerb wird unter folgen Rahmenbedingungen ausgelobt:
- Auslobung auf Grundlage der Ergebnisse des Evaluierungsprozesses
- Auslobung zur Bestimmung einer interdisziplinären Jury
FLÄCHENENTWICKLUNG
Den Zuschlag für die Entwicklung der Friedhofsfläche erhalten die Bewerber*innen mit dem sozio-ökologischsten Konzept mit folgenden Kriterien:
- Unter der Prämisse einer Teilbebauung werden die Flächen vorzugsweise in Erbpacht an landeseigene Wohnungsbaugesellschaften oder an gemeinwohlorientierte Wohnungsbaugenossenschaften und Bauträger übertragen. Diese müssen einen sozialen Wohnungsmix mit einem Anteil von mindestens 50% bezahlbarem Wohnraum auf Grundlage der Mietenziele des sozial geförderten Wohnungsbaus sicherstellen (Mietziele nach Wohnungsbauförderungsbestimmungen WFB 2019). Der Wohnungsmix soll grundsätzlich auf jeder geschaffenen Parzelle nachgewiesen werden.
- Bei allen Gebäuden ist eine CO2-neutralen Energieversorgung nachzuweisen. Die zu verwendenden Baustoffe sind so zu wählen, dass sowohl die Herstellung als auch die Entsorgung klima- und umweltfreundlich nachgewiesen werden kann. Die konstruktive sowie räumliche Struktur der Gebäude ist so zu konzipieren, dass vielfältige Nutzungsarten nachgewiesen werden können (Flexibilität).
- Monofunktionale Nutzungen sind nicht zulässig. Großparzellen sind zu vermeiden. Kleingewerbeflächen werden in großer Zahl geschaffen. Das Quartier ist, unter Berücksichtigung der zwingend erforderlichen Ansprüche barrierefreien Bedarfe sowie der sich aus dem Wohnen und dem Kleingewerbe ergebenen Ansprüche autofrei zu planen. Grundsatz ist eine CO2 freie Mobilität.
- Die Grünflächen sind in ihrer Biodiversität und Aufenthaltsqualität gegenüber der vorhandenen Qualität aufzuwerten und der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich zu machen. Die Grundsätze und Leitfäden der doppelten Innenentwicklung (BfN) sind bei der Entwicklung und Umsetzung zu würdigen.
ÖKOLOGISCHE MERKMALE
Die Vergabe der Parzellen erfolgt nicht an den Höchstbietenden, sondern nach folgenden inhaltlichen Kriterien:
- Die Energieversorgung wird CO2-frei sichergestellt
- Maximale Nutzung von Solar- und Photovoltaik durch vorgeschriebenen Einsatz von PV Modulen auf allen Dächern und Fassaden
- Zur Reduzierung der Baukosten und des Energieeinsatzes bei der Herstellung der Gebäude (graue Energie) wird auf eine Maximalforderung hinsichtlich der Reduzierung des Endenergieverbrauchs verzichtet. Die Mindeststandards der geltenden EnEV 2016 an die Gebäudehülle sind unter ökologischen Gesichtspunkten eine sinnvolle Grundlage.
- Die Technische Gebäudeausrüstung ist zu Gunsten der Minimierung von Wartungskosten und deren CO2 Bilanz bei Herstellung und Entsorgung sowie zu Gunsten des räumlichen Gerüstes hinsichtlich flexibler Nachnutzungen und des Wohnkomforts sowie der Außenraumgestaltung auf ein minimal einfaches und robustes Niveau zu reduzieren. (Low Tech Strategie)
- Regenwasserspeicherung für Gartenbewässerung und Spielplatz.
- Erhaltung und Steigerung des ökologischen Wertes der Gesamtfläche nach naturwissenschaftlichen Kriterien: der Spielraum für eine bauliche Nutzung ergibt sich aus der Möglichkeit den ökologischen Wert der verbleibenden Grünfläche u.a. durch eine Erhöhung der Biodiversität zu steigern und kompensatorische Grünflächen etwa an Fassaden und auf Dächern zu schaffen.
- Verwendung von regionalen, nachhaltigen, zertifizierten Baustoffen
- Minimierung der CO2 Emissionen resultierend aus dem Bauprozess
- Auswahl von energiearmen und ggf. CO2 neutralen Baustoffen wie Holz
SOZIALRÄUMLICHE MERKMALE
- Bestimmung von Standards, welche die öffentlichen sowie privaten Belange zur weiteren Nutzung des ehemaligen Friedhofsgeländes ausgleichend berücksichtigt.
- Städtebauliche Festlegungen sowie Schaffung eines Anreizsystems für eine nachhaltige und hochwertige Umsetzung: wenn Bauflächen freigegeben werden, steigen die ökologischen und sozialräumlichen Anforderungen an die Bauträger.
- Nachweisliche Erhaltung und Steigerung des sozialen Nutzens der Gesamtfläche nach sozialwissenschaftlichen Kriterien: hier wird der Spielraum für eine bauliche Nutzung durch eine Steigerung des Erholungswertes erzeugt. Die halböffentliche Aktivierung von Dachflächen kompensiert neu besetzte Naherholungsräume.
- Bestimmung von Standards, welche die öffentlichen sowie privaten Belange zur weiteren Nutzung des ehemaligen Friedhofsgeländes ausgleichend berücksichtigt. Städtebauliche Festlegungen sowie Schaffung eines Anreizsystems für eine nachhaltige und hochwertige Umsetzung: wenn Bauflächen freigegeben werden, steigen die ökologischen und sozialräumlichen Anforderungen an die Bauträger.
- Nachweisliche Erhaltung und Steigerung des sozialen Nutzens der Gesamtfläche nach sozialwissenschaftlichen Kriterien: hier wird der Spielraum für eine bauliche Nutzung durch eine Steigerung des Erholungswertes erzeugt. Die halböffentliche Aktivierung von Dachflächen kompensiert neu besetzte Naherholungsräume.
- Eine soziale Durchmischung des Quartiers ist unter Einbeziehung der bestehenden Umgebungsstrukturen und besonderer Wohnformen sicherzustellen.
GEBÄUDETYPLOGISCHE MERKMALE
Erweiterung des Nachhaltigkeitsbegriffs; die Gebäudestruktur muss in der Lage sein, fortwährend unterschiedliche Nutzungsszenarien abbilden zu können (Unbestimmtheit der Gebäudestruktur). Eine geschlossene, das heißt die auf eine spezifische Nutzung ausgerichtete Bauweise, ist zu vermeiden. Erschließungsart, Tiefe, Belichtung, sowie Konstruktionsart der Gebäude sind dementsprechend auszubilden (Berliner Mietshaus).
- Die Gebäude müssen baulich-typologische Eigenschaften insbesondere in den Erdgeschosszonen vorweisen, die die Schaffung von Kleingewerbe und öffentlich zugänglichen Nutzungen gewährleistet (Kreuzberger Mischung).
- Erdgeschosswohnungen sollen nur in Ausnahmefällen (z. B. Behindertenwohnungen) erstellt werden. Zulässig ist die Schaffung von funktional durchmischten Innen- und Auenräumen mit definierten und abgegrenzten öffentlichen und privaten Bereichen.
- Müll- sowie Fahrradschuppen oder Garagen sind in den öffentlichen Außenbereichen nicht zulässig. Diese sind in die Gebäude zu integrieren und dürfen nicht zu Lasten von entsiegelten Freiflächen gehen.
VERKEHRLICHE ERSCHLIESSUNG
- Schaffung eines PKW-freien Gebietes für Privatfahrzeuge mit reinen Wohnstraßen ohne öffentliche PKW Stellplätze. Ausnahme: Behindertenstellplätze, Lieferdienste, Rettungsdienste.
- Vorkehrungen für multimodalen Verkehr: Fahrradinfrastruktur mit Ladeinfrastruktur für e-bike etc., Car-Sharing- Handwerker, bzw. Lieferdienst.
- Verbesserung der Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr in Abstimmung mit dem Land Berlin
FORTLAUFENDE QUALITÄTSSICHERUNG
Erfahrungen aus vorhandenen städtebaulichen Projekten zeigen, dass zukunftsweisende Projektziele häufig hinter die Prämissen einer kurzfristigen Wirtschaftlichkeit zurückfallen. Dem ist durch eine langfristige Rechtsbindung der Akteur*innen auf Grundlage formulierter Vertragsinhalte entgegenzuwirken. Ein dem Gesamtquartier übergeordnetes Konsortium, zusammengesetzt aus bezirklicher Verwaltung, Bezirkspolitik und den tätigen Bauträgern (z. B. Wohnungsbaugesellschaften, Wohnungsbau- Genossenschaften und gemeinwohlorientierten Bauträgern) verfolgt und kontrolliert nach Nutzungsaufnahme kontinuierlich die gesetzten Ziele.
Erledigungsfrist: 10.06.2020