Drucksache - 1557/V  

 
 
Betreff: Wir brauchen eine neue Standortdebatte für das Freiheits- und Einheitsdenkmal
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion der FDPFraktion der FDP
Verfasser:Hemmer, Dietzsch, Roet 
Drucksache-Art:EntschließungEntschließung
Beratungsfolge:
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
22.11.2018 
22. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin (mit LIVE-STREAM) vertagt   
20.12.2018 
23. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin zurückgezogen   

Sachverhalt
Anlagen:
1. Entschließung FDP vom 13.11.2018

Im Jahr 2017 beschloss der Deutsche Bundestag endgültig den Bau des Freiheits- und Einheitsdenkmales in Berlin mit einem letztendlichen Finanzierungsrahmen von 19,1 Millionen Euro. Als Ort für das geplante Denkmal wurde der Sockel der Schlossfreiheit vor dem damals noch zu rekonstruierenden historischen Berliner Stadtschloss gewählt. Den Wettbewerb gewann der Entwurf „rger in Bewegung“ der Stuttgarter Agentur Milla & Partner. Dieser sieht eine ca. 50 Meter lange gewölbte Schale vor, die sich je nach Verlagerung des Gewichts in die eine oder die andere Richtung neigt, und vor dem Eosanderportal des wiederaufgebauten Berliner Stadtschlosses entstehen soll.

Als der Bundestag sich bereits im Jahr 2008 für den Standort des Denkmals entschied, war die Grundsteinlegung des Schlosses noch in weiter Ferne (Juni 2013). In der Zwischenzeit ist das Eosanderportal samt Kuppel wiederauferstanden und dominiert mit seiner barocken Fassade die Schlossfreiheit und den gegenüberliegenden Schinkelplatz. Diese Fassade wurde durch ein in Deutschland wohl einmaliges bürgerschaftliches Engagement ermöglicht, bei der durch weit über 50.000 Spender*innen etwa 85 Mio. € Spendengelder zusammengetragen wurden. Gleichzeitig war auch der Wiederaufbau der dem Stadtschloss gegenüberliegenden Bauakademie im Jahr 2008 noch nicht absehbar. Die Rekonstruktion ihrer historischen Fassade ist bereits bewilligt und soll in den nächsten Jahren realisiert werden. Vor der Vollendung dieses Bauensembles war es daher unmöglich, eine realistische Einschätzung der tatsächlichen Wirkung dieser architektonischen Gesamtanlage zu erlangen. Erst nach der Wiederbelebung des Areals wird der Charakter des gesamten Stadtviertels voll ersichtlich sein, weshalb wir nicht heute eine Gestaltung der Schlossfreiheit vorwegnehmen können.

Das kolossale Denkmal soll nun direkt vor den Haupteingang des zukünftigen Humboldt Forums gesetzt werden. An eine Stelle, an der die geplante schwingende Form nach der Fertigstellung des Schloss-Nachbaus nicht mehr den nötigen Platz zur Entfaltung findet. Das Humboldt Forum und die Wippe sind zwei Denkmäler, die sich durch ihren Stil und ihrer Aussage beharken werden, wenn sie so dicht aneinander geklemmt sind.

Zudem ist der Denkmalbau ausgerechnet auf den denkmalgeschützten Sockel geplant, der die einzige verbliebene historische Substanz des alten Stadtschlosses beinhaltet. Gegen die Errichtung des Denkmals auf diesem sogenannten Mühlengrabengewölbe hegt das Landesdenkmalamt Berlin in zwei Gutachten vom 26. August 2015 sowie vom 3. August 2018 „erhebliche grundsätzliche Bedenken“. Nichtsdestotrotz plant die Agentur Milla und Partner zur Gründung des Denkmals, sieben jeweils 1,50 m dicke und 40 m lange Betonpfeiler durch das denkmalgeschützte Gewölbe in den Berliner Untergrund zu treiben, „um dem als bewegliche Schale konzipierten Denkmal Standsicherheit zu verschaffen (Berliner Zeitung). Das Gewölbe, welches gerade erst über die letzten Jahre für mehrere Millionen Euro denkmalgerecht saniert wurde, würde durch diese Gründungsmaßnahmen unweigerlich schweren Schaden nehmen. Es dient als Lebensraum für seltene Wasser- und Zwergfledermäuse. Da das Landesamt für Artenschutz bei der Sanierung des Gewölbes den besonderen Schutz dieser Tiere gefordert hatte, wurden zahlreiche künstliche artgerechte Versteckmöglichkeiten geschaffen und ein weiträumiges Monitoringsystem errichtet. Die Sicherung des Fortbestands dieser äerst seltenen und daher unter besonderem Schutz stehenden Tiere würden durch die Gründung des Denkmals unwiderruflich zunichte gemacht werden.

Mit dem geplanten Denkmal haben wir es baufachlich mit einem sehr schwierig zu bauenden Bauwerk auf dem sicherlich allerschwierigsten Baugrund in ganz Berlin zu tun. Deshalb kann nicht von einer reibungslosen Großbaustelle und der Einhaltung des oben genannten Kostenrahmens ausgegangen werden.

Auch thematisch ist die Wahl des Denkmalortes zumindest fragwürdig. Weder fanden hier große Demonstrationen, die zum Fall des SED-Regimes beitrugen, statt, noch hat der Platz eine besondere Bedeutung im Wiedervereinigungsprozess Deutschlands. Ganz im Gegenteil erinnerte der Platz in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mit seinem monumentalen Reiterstandbild Wilhelms I. gemeinhin an das Erbe der Hohenzollern.

In der Bevölkerung unserer Hauptstadtmitte gibt es seit dem vergangenen Jahr eine wieder aufgeflammte intensive Debatte über den Ort des geplanten Freiheits- und Einheitsdenkmals. Wochenlang demonstrierten Anhänger des VereinsHistorische Mitte“ auf dem Platz der Republik gegen den Bau des Denkmals vor dem wiedererrichteten Stadtschloss. Umfrageergebnisse des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap aus dem Sommer 2017 unterstützen diese Haltung. Lediglich 18 Prozent der gesamten Berliner Bevölkerung wünschen sich das Denkmal auf der Schlossfreiheit. 58 Prozent hingegen sind für den Wiederaufbau der wilhelminischen Kolonaden.

Vor diesem Hintergrund hält die Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin den vorgesehenen künstlerischen Entwurf der so genannten „Einheitswippe“ zwar für inspirierend, allerdings für gänzlich ungeeignet für den geplanten Standort vor dem Schloss-Nachbau in der Historischen Mitte Berlins.

Die Bezirksverordnetenversammlung spricht sich für die Verlegung des Denkmals von der Schlossfreiheit auf einen geeigneten Alternativstandort aus,

-          um die Wirkung des bedeutenden wiedererrichteten historischen Bauensembles rund um die Schlossfreiheit nicht zu beeinträchtigen,

-          um den Bedenken und Anforderungen des Landesdenkmalamtes sowie des Landesamtes für Artenschutz gerecht zu werden,

-          um eine unkalkulierbare Kostenexplosion zu verhindern,

-          um der deutlichen öffentlichen Meinung Rechnung zu tragen,

-          um künftigen Generationen die Chance zur Teilhabe an der Gestaltung der Schlossfreiheit zu ermöglichen.

Die Bezirksverordnetenversammlung nimmt die Bedenken der Bürger*innen ernst. Bei dem „Freiheits- und Einheits-Denkmal" handelt es sich um ein zentrales Anliegen des deutschen Volkes und insofern um ein zentrales Thema der Demokratie.

Die Bezirksverordnetenversammlung ist sich bewusst, dass das Einheitsdenkmal vor allem die Bürger*innen des Bezirkes Mitte angeht. Seitens übergeordneter politischer Ebenen ein Denkmal gegen den Willen der betroffenen Bürger*innen und des betroffenen Bezirkes durchzusetzen, ist nicht der richtige Weg.

Die Bezirksverordnetenversammlung sieht daher das Land Berlin und vor allem den Bund in der Pflicht, alle Planungen am bisher vorgesehen Ort auf dem Denkmals-Sockel vor dem Humboldt Forum einzustellen und in die Prüfung für eine genaue Definition eines neuen Ortes zu gehen. Es darf nicht unhinterfragt auf die Beschlüsse des Vorgänger-Parlaments gepocht, sondern muss vielmehr eine qualifiziertere Standortdebatte eingeleitet werden.

 

 

 
 

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