12 Fragen und Antworten zur Straßenprostitution rund um die Kurfürstenstraße

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1. Straßenprostitution in der Kurfürstenstraße gibt es seit vielen Jahrzehnten – warum jetzt die Debatte?

Es ist richtig, dass es Prostitution rund um die Kurfürstenstraße schon seit vielen Jahren gibt. Lange wurden die Freier aber direkt vor den entsprechenden Stundenhotels angesprochen, in dem dann auch der Sex stattfand. Sex fand also nie in der Öffentlichkeit statt. Nachdem immer mehr Stundenhotels verschwanden, und nach der Öffnung der EU-Grenzen verlagerte sich auch der Sex immer mehr in die Öffentlichkeit. Viele Jahre gab es aber noch so viele unbebaute Grundstücke und Nischen, dass der Sex – wenn auch im öffentlichen Raum – so diskret ablief, dass es für die Menschen, die in der Gegend lebten, arbeiteten oder zur Schule gingen, toleriert wurde.

Doch mit jedem neuen Gebäude verschwinden diese diskreten Orte. Sex wird nicht mehr nur auf der Straße angeboten, sondern auch öffentlich vollzogen: auf Spielplätzen, in Grünanlagen, auf dem Schulgelände, in Hauseingängen. Kondome, Taschentücher, Fäkalien, aber auch Spritzen der zum Teil suchterkrankten Prostituierten sind überall zu finden. Schlecht einsehbare Flächen wie Spielplätze oder Schulhöfe mussten oder sollen demnächst mit Zäunen gesichert werden, um zu verhindern, dass sie zu etablierten Sexorten oder als Toilette missbraucht werden.

In Verbindung mit der Straßenprostitution hat sich rund um die Kurfürstenstraße ein „Begleitmilieu“ von Männern etabliert, die als „Beschützer“ oder Zuhälter die sich prostituierenden Frauen kontrollieren. Hinzu kommen Gruppen von Männern, die die Frauen begaffen und beschimpfen, was nicht nur zu verbalen Auseinandersetzungen führt.

Diese Zustände sind unwürdig, hemmungslos und roh und sind nicht nur für die Menschen vor Ort ein Problem.

2. Will das Bezirksamt die Prostitution verbieten?

Nein, Prostitution ist legal und kann nicht verboten werden. Illegal ist der Sex in der Öffentlichkeit. Den zu ahnden, ist aber für Polizei und Ordnungsamt kaum möglich und auch kaum zumutbar. Ein Verbot, Sex auf der Straße anzubahnen und zu vereinbaren, könnte verhindern, dass anschließend der Sex öffentlich praktiziert wird. Ziel ist es, dass Prostitution nur noch in geschlossenen Räumen stattfindet. Die Ordnungsämter können durch das neue Prostitutiertenschutzgesetz Bordelle und die vorgeschriebenen Mindeststandards kontrollieren. Nach Ansicht des Bezirksamts erhöht das die Sicherheit und die Würde der Frauen.

3. Wer Straßenprostitution verbietet verdrängt die Prostituierten nur in die Illegalität – will das Bezirksamt das?

Ein Verbot der Straßenprostitution wird nicht verhindern, dass weiter auf der Straße Sex angeboten wird. Die Erfahrungen anderer Städte zeigen aber, dass die Zahl der Prostituierten und Freier, die in der Öffentlichkeit Sex haben, deutlich zurückgeht. Ein Verbot ist auch ein deutliches Signal an die Freier, dass sie etwas Verbotenes tun, wenn sie Sex außerhalb geschlossener Räume haben. Welche und wo es alternative Angebote für die Frauen und Männer geben muss, um eine Verdrängung zu verhindern, muss anhand der Erfahrungen anderer Großstädte offen diskutiert werden.

4. Schützt der Strich rund um die Kurfürstenstraße nicht die Gegend vor einer noch stärkeren Gentrifizierung und garantiert günstige Mieten?

Man könnte annehmen, dass die schwierigen Begleiterscheinungen des Straßenstrichs die Gegend weniger attraktiv für Großinvestoren und ihre Mietvorstellungen machen. So könnten die Bestandsmieten weniger schnell steigen als in anderen Gebieten, die so zentral sind. Es gibt unabhängig vom Straßenstrich neue Luxushäuser, die mittelfristig auch die Bestandsmieten in die Höhe treiben. Um das Mietniveau auf einem sozialverträglichen Niveau zu halten, ist aber eine „Verelendung“ einzelner Kieze durch möglichst unhaltbare Zustände im Zusammenhang mit dem Straßenstrich der falsche Weg. Das Bezirksamt will, dass sich die Menschen in ihrem Kiez wohlfühlen und nicht, dass sie dort bleiben müssen, weil die Mieten dort wegen des Straßenstrichs noch bezahlbar sind. Um die Mieten auf einem sozialverträglichen Niveau zu halten, stehen andere Instrumente zur Verfügung: die Mietpreisbremse, der Millieuschutz, das Mietrecht, das Verbot von Ferienwohnungen, öffentlicher Wohnungsbau und die Preisbindung bei Neubauten von Privaten. Hier ist sicherlich in den letzten Jahren zu wenig getan worden.

5. Können die Probleme rund um die Kurfürstenstraße nicht mit mehr Sozialarbeit vermindert werden?

Viele Frauen, die rund um die Kurfürstenstraße anschaffen, sind suchtkrank und/oder sie kommen aus sehr schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen in ost- und südosteuropäischen Ländern. Der Frauentreff Olga an der Kurfürstenstraße und seine Mitarbeiterinnen helfen Frauen in Gesundheits- und sozialen Fragen und dabei, Gewalt gegen sie zu verhindern oder anzuzeigen. Den Sex auf öffentlichen Flächen und die Begleitprobleme der Zuhälterei können sie nicht verhindern.

6. Gehört die Kurfürstenstraße nicht zu Schöneberg? Warum mischt sich das Bezirksamt hier überhaupt ein?

Die Grenze zwischen den Bezirken verläuft an der südlichen Häuserkante der Kurfürstenstraße. Die Kurfürstenstraße und auch beide Bürgersteige gehören damit zum Bezirk Mitte. Ohne eine verstärkte bezirksübergreifende Zusammenarbeit, die es seit vielen Jahren gibt, kann man die Probleme im Zusammenhang mit dem Straßenstrich aber nicht lösen.

7. Die Prostituierten rund um die Kurfürstenstraße kommen hauptsächlich aus Ost- und Süd-Ost-Europa. Richten sich die Aktivitäten des Bezirksamtes somit nicht bewusst gegen Ausländer und Ausländerinnen?

Nein! Richtig ist aber, dass der Großteil der Prostituierten rund um die Kurfürstenstraße inzwischen aus Ost- und Südost-Europa und fast immer aus sehr schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen kommt. Die selbstständige Arbeit als Prostituierte ist für EU-Bürger und Bürgerinnen erlaubt. Das Bezirksamt Mitte begrüßt die europäische Freizügigkeit – trotz aller Schwierigkeiten (fehlende Ansprüche auf Sozialleistungen und die falsche Einschätzung des Arbeits- und Wohnungsmarktes führen oft zu mindestens gleich großen wirtschaftlichen oder sozialen Schwierigkeiten wie im Heimatland). Aber grade wer wie das Bezirksamt für eine offene und multikulturelle Gesellschaft eintritt, muss vorhandene Probleme beim Namen benennen – unabhängig davon, wie groß der Anteil an Menschen mit deutschem oder nichtdeutschem Pass daran ist.

8. Ohne Freier kein Straßenstrich – was tut das Bezirksamt, um zu verhindern, dass Männer für wenig Geld die Notlage der Frauen ausnutzen?

Eine schwere Frage, denn in der Tat sind das eigentliche Problem die Freier. Wären Sie bereit für Sex mehr zu bezahlen (wenn sie schon nicht auf käuflichen Sex verzichten wollen), müsste der Sex nicht in der Öffentlichkeit und unter entwürdigenden Bedingungen stattfinden. Ein Verbot der Straßenprostitution wäre ein Signal, dass ihr Verhalten und das, was sie von den Prostituierten verlangen, illegal ist und zukünftig noch schärfer verfolgt wird.

9. Es gibt doch schon ein Verbot – vor Kinder- und Jugendeinrichtungen darf kein Sex angeboten – warum wird nicht zuerst das Verbot umgesetzt?

Sex in unmittelbarer Nähe von Einrichtungen für Kinder und Jugendliche anzubieten ist verboten. §184g StGB sieht dafür Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr oder Geldstrafen vor. Doch dieses Verbot steht nur auf dem Papier, denn der Begriff der „unmittelbaren Nähe“ ist nicht definiert – in den letzten sechs Jahren wurden dazu nur zwei Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sie wurden eingestellt. Es ist das Ziel des Bezirksamts, dass die Regelungen so konkretisiert werden, dass sie anwendbar sind und die entsprechenden Orte geschützt sind.

10. Kann das neue Prostituiertenschutzgesetz die Situation rund um die Kurfürstenstraße entschärfen?

Ja. Die Ordnungsämter können durch das neue Prostitutiertenschutzgesetz Bordelle und die vorgeschriebenen Mindeststandards kontrollieren. Nach Ansicht des Bezirksamts erhöht das die Sicherheit und die Würde der Frauen. Alle Prostituierten müssen sich bis zum Jahresende bei den Bezirksämtern anmelden. Bei dieser Anmeldung sollen die Prostituierten informiert werden unter welchen Bedingungen sie als Prostituierte arbeiten dürfen. Hier muss aus Sicht des Bezirksamts unbedingt auf das Verbot von Sex in der Öffentlichkeit hingewiesen werden.

11. Über die Probleme vor Ort wurde schon viel geredet, passiert ist wenig. Bleibt es jetzt wieder bei Ankündigungen, denen nichts folgt?

Das Ziel des Bezirksamtes ist es, dass sich die Situation vor Ort für alle verbessert. Reden muss das Bezirksamt aber mit allen, denn weder (Teil)Verbote noch neue Konzepte kann das Bezirksamt Mitte ohne Absprache mit Senat und Unterstützung der anderen Bezirke umsetzen.
Daher sind die folgenden Schritte geplant:

  • Landesweite Festlegung, welche Informationen die Prostituierten erhalten werden, wenn sie sich bei den Bezirken oder dem Senat anmelden und belehrt werden müssen, unter welchen Bedingungen sie als Prostituierte arbeiten dürfen. Hier muss aus Sicht des Bezirksamts unbedingt auf das Verbot von Sex in der Öffentlichkeit hingewiesen werden.
  • Prüfung, ob und wie das Verbot Sex in unmittelbarer Nähe von Einrichtungen für Kinder und Jugendliche anzubieten (§ 184g StGB sieht Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr vor) so konkretisiert werden kann, dass es anwendbar ist und die entsprechenden Orte geschützt sind.
  • Eine Umfrage (nach der Bundestagswahl) unter den Menschen im Kiez, wie sehr sie die aktuelle Situation beeinträchtigt und welche Vorschläge sie für Verbesserungen haben. Es wird geprüft, wie diese Umfrage technisch umgesetzt wird. Berücksichtigt werden sollen dabei aber auch bereits vorhandene Erkenntnisse.
  • Der Austausch über die Ergebnisse dieser Umfrage mit dem Nachbarbezirk, dem Senat, der Polizei und den vorhandenen Hilfeeinrichtungen wird fortgesetzt.
  • Auswertung der Erfahrungen aus anderen Städten mit Prostitution, evtl. eine Städtekonferenz in Berlin zu diesem Thema.
  • Festlegung des Umgangs mit Straßenprostitution in Berlin – der Bezirk Mitte allein kann keine Änderung zum Status Quo erreichen.

12. Wie gehen andere Großstädte mit Straßenprostitution um?

Köln: Projekt „Geestemünder Straße“, das die Stadt Köln schon 2001 für drogenabhängige Prostituierte geschaffen hat. Das Gelände liegt in einem Gewerbegebiet im Kölner Norden und hat die Größe eines Fußballfeldes. Auf dem eingegrenzten Platz befinden sich in einer alten Scheune garagenähnliche Einfahrbuchten und zusätzlich “Stehboxen”. Der Bereich ist durch Alarmanlagen gesichert, am Eingang des Geländes steht ein Container, in dem jeden Tag Beratung der Frauen und Vermittlung in weitere Hilfen, u.a. zum Ausstieg aus dem Milieu, stattfinden. Da die Einrichtung kein gewerbliches, sondern ein soziales Projekt der Stadt ist, ist sie von der kommunalen Vergnügungssteuer befreit.

Essen: Seit dem Jahr 2009 befindet sich der neue Straßenstrich der Stadt Essen auf einem ehemaligen Kirmesgelände im Norden der Stadt. Das Areal liegt außerhalb des Sperrbezirks, besitze eine zentrale und verkehrsgünstige Lage und ermöglicht durch die vorhandene Überschaubarkeit und die aufgestellten „Verrichtungsboxen“ mit Alarmsystem sichere Arbeitsbedingungen für die Frauen. Auf dem Platz stehe ein Container, in dem in Kooperation u.a. von Drogen- und Suchtberatungsstellen, Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel sowie dem Gesundheitsamt eine auf die Frauen zugeschnittene Beratung und Versorgung angeboten wird.

NRW: In Nordrhein-Westfalen haben einige Kommunen die Ausweisung neuer oder erweiterter Sperrgebiete mit Konzepten verbunden, um die Straßenprostitution in ausgewählte und teilweise geschützte Bereiche zu verlagern. Ziel war es zum einen, den berechtigten Belangen von Anwohnerinnen und Anwohnern Rechnung zu tragen; andererseits galt es, eine bloße Verdrängung der Prostituierten zu vermeiden. Es sollten Orte geboten werden, an denen Prostitution in einem geschützten Rahmen stattfinden kann.

Duisburg: Die Sperrbezirksverordnung aus dem Jahr 1974 verbietet jegliche Ausübung von Prostitution in der Innenstadt. Sie finde deshalb an zwei bis drei Örtlichkeiten außerhalb statt. 42 Insbesondere der Strich auf einem Parkplatz am Zoo bestehe seit den 1970er Jahren und werde dort vom Eigentümer geduldet. Bemerkenswert sei, dass der Bereich von den überwiegend seit Jahren tätigen Prostituierten selbst organisiert werde. „Neuzugänge“ würden eigenständig auf bestimmte Plätze verwiesen, die Präsentation der Angebote erfolge überwiegend über das Internet. Auch nehmen die Frauen bestehende Angebote zur gesundheitlichen Beratung regelmäßig wahr. Kontakte zur Polizei würden von den Frauen begrüßt.

München: München hat 27 definierte Bereiche in der Stadt als Sperrgebiete ausgewiesen.

Dresden: Dresden hat eine Sperrgebietsverordnung. Diese ist definiert und beinhaltet eine Sperrzeit. Erlaubt ist die Anbahnung in einer konkreten Straße zwischen 20 und 6 Uhr.

Frankfurt: Frankfurt hat eine Sperrgebietsverordnung, mit absoluten, gemischten und Toleranzzonen geschaffen.