Daniela Richter berichtet aus Rotterdam

Aussicht aus dem 22.Stock

Aussicht aus dem 22.Stock

Ich arbeite seit knapp über einem Jahr als Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik. Meine Aufgaben sind u.a. die Förderung der fairen öffentlichen Beschaffung und des fairen Handels sowie die nachhaltigere Gestaltung unserer Kommune.

  • Abschlussbericht Daniela Richter

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Erasmusburg Wahrzeichen der Stadt

Erste Woche: Rathaus der Zukunft? Erste Eindrücke aus Rotterdam

Ich habe mich für eine Hospitation in der Stadtverwaltung Rotterdam entschieden, da sich die Kommune der Nachhaltigkeit ganz besonders verpflichtet hat und eine eigene Verwaltungsabteilung dafür eingerichtet hat – und zwar weniger gesetzlich als vor allem freiwillig. Vor allem bei der Integration von sozialen Kriterien in Ausschreibungen sind sie im europäischen Vergleich ganz vorne mit dabei, was ich mir unbedingt genauer ansehen möchte.
Erst dachte ich, ich würde im schönen Stadthuis meinen Arbeitsplatz beziehen, aber die Einladung zum Auftaktmeeting verwies auf den 32. Stock?! In der Tat sitzt ein Teil der Gemeente Rotterdam im „de Rotterdam“, dem größten Gebäude der Niederlanden, gelegen am Stadtwahrzeichen Erasmusbrug. Ein glitzernder Komplex bestehend aus drei Türmen, in dem sich Büroflächen, Wohnungen, ein Hotel, Cafés- und Restaurants sowie Sport- und Fitnessangebote befinden. Und auch hier werde ich keinen festen Arbeitsplatz beziehen, denn die Mitarbeitenden bekommen keinen eigenen Platz, sondern einen Computerzugang und suchen sich morgens über ein digitales System in der Eingangshalle einen Platz. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst und es mag natürlich passieren, dass die Kolleg*innen auf verschiedenen Stockwerken landen… Folglich gibt es auch keine eigenen Durchwahlen (es gibt keine Telefone an den Arbeitsplätzen), sondern nur Mobilnummern. Und viele kleine und große Inseln für Besprechungen mit mehr oder weniger Privatsphäre. Um 19 Uhr muss die Bürofläche leer sein, um den Wohnungen im Nachbarturm mehr Privatsphäre zu gönnen.
Auch inhaltlich verlief die Woche mehr als spannend. Alle waren sehr nett und verwiesen mich direkt an weitere Kolleg*innen, von denen ich noch mehr lernen könnte. Die Abteilung Nachhaltigkeit und öffentliche Beschaffung unterteilt sich in Zuständigkeiten für ökologische und soziale Kriterien. Die ökologischen teilen sich nochmal in zirkuläre Kriterien, also Wiederverwertung und Müllvermeidung, und Lebenszyklusanalyse – nicht nur Kosten sondern auch Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung. Die sozialen Kriterien werden unterschieden in ethische/ Fairtrade Kriterien (keine Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette) sowie soziale (Förderung sozialer Gerechtigkeit in den Niederlanden). Ich freue mich sehr, die nächsten Wochen tiefer in die einzelnen Themen einzutauchen!

Rathaus in Rotterdam

Rathaus in Rotterdam

Zweite Woche: Nachhaltigkeit, das machen wir einfach

Die Zeit verfliegt und schon ist mit Ende der zweiten Woche Halbzeit! Dabei gibt es noch so viel Spannendes zu entdecken und zu erfragen und ich fühle mich schon heimisch. Das Warnbimmeln der Ampeln, dass die Straßenbahn kommt, ist für mich zu einem typischen Stadtgeräusch geworden. Ich habe fünf verschiedene Wege über verschiedene Brücken und vorbei an den absurdesten Bauten zur Arbeit kennengelernt (alle Wege führen zur Erasmusbrücke. Sogar das Wassertaxi könnte ich nehmen!) und mich schon vollends an die kurzen Wege, das sichere Fahrradfahren und die entspannten Verkehrsteilnehmer gewöhnt.

Highlights diese Woche waren einerseits der Besuch eines Marktdialogs zum sozial verantwortlichen Einkaufen, organisiert von der landesweiten Plattform für nachhaltiges öffentliches Einkaufen. Der Veranstaltungsort war eine ehemalige Lebensmittelverarbeitungsfabrik, eine Ikone der industriellen Architektur des 20. Jahrhunderts. Sie ist UNESCO Weltkulturerbe, heute haben diverse Start-ups dort ihren Sitz. Ziel war der Austausch zwischen Wirtschaft und Verwaltung und das gemeinsame Finden von Lösungen für diverse Herausforderungen: wie kann die öffentliche Hand das innovative Wissen der Wirtschaft zu nachhaltigen Prozessen besser nutzen? Wie erreichen die Ausschreibungen auch kleine Organisationen? Wie kann die Forderung nach nahhaltigen Kriterien andere motivieren statt abzuschrecken? Einen Bieterdialog, vorgeschaltet einer gezielten Ausschreibung, bei welchem potentielle Bieter über die Kriterien und deren Notwendigkeit eingehend informiert werden, gibt es hingegen nicht. Dies wurde aber von meiner Kontaktperson als gute Idee notiert.

Außerdem habe ich im Gespräch mit einem Mitarbeiter der Vergabestelle ausführlich diskutiert und deutsche und niederländische Datenbanken verglichen, welche Mindeststandards für welches Produkt gegeben sind und was darüber hinaus gefordert wird bzw. rechtlich auch gefordert werden kann. Rotterdams Nachhaltigkeitsslogan „wir machen das einfach“ zeigt sich in der Vielzahl an ökologischen und zirkulären Anforderungen an jedes Produkt, die die Stadt mutig einfordert. Die Einhaltung sozialer Kriterien wird weniger über Gütezeichen nachgewiesen, wie es in Deutschland der Fall ist, sondern einerseits über die verpflichtende Mitgliedschaft in nationalen, produktbezogenen Konventionen. Andererseits verpflichtet sich der Lieferant gegen eine Kaution, eine ausführliche ‚Due Dilligences‘ des Produktes durchzuführen und bei Lieferung mit einzureichen.

Am Stadtstrand

Am Stadtstrand

Dritte Woche: Rotterdam, Den Haag und das Meer

Meine dritte Woche versprach zwei spannende Besuche und einen Blick über den Tellerrand Rotterdams. Einerseits hatte ich einen Termin mit PIANOo, dem niederländischen Expertisezentrum für öffentliche Beschaffung – in deren Cafeteria. Das macht man hier so, auch offizielle Termine finden oft in (halb)öffentlichen Orten über einem Kaffee oder Tee statt. PIANOo kümmert sich mit dem „Manifest für nachhaltiges Einkaufen“, Leitfäden, Praxisbeispielen, Veranstaltungen und Trainings auch darum, alle Gemeinden in der nachhaltigen Beschaffung zu unterstützen. Leider war die Ansprechperson für die Fair Trade Kriterien nicht verfügbar, trotzdem haben mir die Kolleg*innen das so gut es geht erläutert. Besonders spannend war hier die Beschreibung, dass die niederländischen Kommunen mehr auf „softlaw“ beruhen, d.h. es wird eine politische Ambition formuliert, ob nun auf Landes- oder auf kommunaler Ebene und dies setzt die kommunale Verwaltung dann direkt um – auch ohne die Ausarbeitung von Gesetzen oder Verwaltungsvorschriften. Dies bezieht sich allerdings eher auf ökologische Faktoren, die von den meisten Kommunen freiwillig und deutlich ambitionierter als angestrebt umgesetzt werden. Im sozialen Bereich hingegen kann noch einiges passieren. Die Lieferanten/ Auftragnehmer verpflichten sich zwar vertraglich zu sozialen Auflagen, nicht immer wird dies jedoch sonderlich motiviert umgesetzt. Und hier mangelt es dann manchmal an Verwaltungspersonal um das nachzuprüfen.

Außerdem habe ich Besuch aus Den Haag bekommen. Der Kollege meines Betreuers, der die selbe Position in der Kommune Den Haag ausübt, war für einen Termin in Rotterdam und traf mich, im Café natürlich, zu einem interessanten Austausch über die Festigung von Nachhaltigkeit in der Kommune – in fließendem Deutsch, wie so einige der Kolleg*innen hier. Er war wie alle meine Kontakte hier überrascht dass wir keine eigene Nachhaltigkeitsabteilung haben und sich nur so wenige Mitarbeitende um den Einkauf kümmern. Rotterdam als auch Den Haag haben nicht mal doppelt so viele Einwohner wie Berlin Mitte, aber etwa die vierfache Anzahl an Beschaffer*innen, die in einer zentralen Vergabestelle arbeiten. Zusätzlich dazu die einzelnen Berater*innen, die sowohl Fachamt als Vergabestelle beraten. Vielleicht hinkt der Vergleich weniger wenn man sich Berlin als Land ansieht. Auf jeden Fall war es toll, neben Rotterdam noch einen kurzen Einblick in eine weitere Kommune erhaschen zu können.

Nach stetigem Regen unter der Woche und mehreren nassen Fahrradfahrten wurde ich am Wochenende mit strahlendem Sonnenschein belohnt. Das galt es auszunützen und ich habe einen Abstecher ins nahe gelegene Utrecht unternommen. Im Vergleich zu Rotterdam eine alte Stadt mit vielen pittoresken Ecken und so vielen Fahrrädern wie ich sie noch nie gesehen habe. Am Sonntag gings dann auch endlich ans Meer. Zwischen gefühlt halb Rotterdam und allen Hunden der Niederlande war es ein wundervoller Nachmittag mit Muschelsuche und heißer Schokolade im Beachclub, den ich hoffentlich dieses Wochenende wiederholen kann.

kinderdijk

Kinderdijk

Vierte Woche: Tot ziens Rotterdam

Und schon begann die letzte Woche. In den letzten Tagen bin ich einerseits tiefer in das Konzept „social return“ eingestiegen. Das bedeutet, dass in jeder öffentlichen Ausschreibung ab 50.000€ sogenannte social return Klauseln eingebaut sind. Im Gegenwert von 5% der Vertragssumme muss der Bieter, der den Zuschlag erhält, der „Gesellschaft etwas zurückgeben“. Bei Bau- und Dienstleistungen ist dies in der Regel die gezielte Beschäftigung von Menschen, die Schwierigkeiten haben sich in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Es kann aber auch das Angebot von spezifischen Aus- oder Fortbildungsmaßnahmen sein. Social return in der Vergabepraxis gibt es in den gesamten Niederlanden, Rotterdam hat das System allerdings am weitesten ausgebaut. Eine beeindruckende Anzahl von 25 Mitarbeitenden ist mit diesem Thema beschäftigt und berät die Vergabestellen und die teilnehmenden Unternehmen – und das ohne kommunale gesetzliche Grundlage, soft law eben.

Andererseits habe ich mir weiter die Beschaffung von Natursteinen angesehen. Dazu besuchte ich den sozial-ökonomischen Rat, ein Beratungsgremium bestehend aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden sowie unabhängigen Expert*innen, welches die niederländische Regierung zu sozialen und ökonomischen Fragen berät. Unter dessen Fittiche steht auch die True Stone Initiative. Diese ist ein Zusammenschluss des niederländischen und flämischen Natursteinsektors, der beiden Regierungen, diversen Kommunen, NGOs und Gewerkschaften. Gemeinsam möchten sie einen verantwortungsvolleren Einkauf von Natursteinen institutionalisieren. Dazu gibt es verschiedene Pilotprojekte, wie beispielsweise die Lieferung von Sitzelementen und Lampenfüßen für den Coolsingel, einer zentralen Promenade in Rotterdam. Wie erwähnt wird hier ungern mit Gütezeichen gearbeitet, stattdessen sollen die Lieferanten und Händler in die Pflicht genommen werden, selbst Veränderungen in der Lieferkette anzustoßen. Die bekannten Gütezeichen, die in Deutschland bei Natursteinausschreibungen oft gefordert werden, gehen den Verantwortlichen hier nicht weit genug. Die Überprüfung der Maßnahmen der Händler und Lieferanten hingegen erfordert hohe Personalressourcen. Wir haben lange überlegt, wie eine sinnvolle Mischung aussehen könnte…

Und dann hieß es schon Abschied nehmen. Die vier Wochen sind wie im Flug vergangen und es ist schade, die neu gewonnenen Kolleginnen und Kollegen schon wieder verlassen zu müssen. Ich hätte noch so viele Fragen und Diskussionsbedarf gehabt! Dafür gibt es ja zum Glück moderne Technik, viele möchten außerdem weiterhin länderübergreifend zur nachhaltigen Beschaffung arbeiten.

Letztes Wochenende besichtigte ich Kinderdijk, eine der Top Sehenswürdigkeiten der Niederlande sowie UNESCO Weltkulturerbe. 19 Windmühlen aus dem 18. Jahrhundert führen in die Geschichte des Wassermanagements ein. 15 der Mühlen sind heute noch bewohnt, zwei davon als Museum zu besichtigen – ein durchaus spannender Ausflug. Meine beiden Tage vor Abreise werde ich mich nochmal in anderen Winkeln Rotterdams umsehen, die bisher zu kurz gekommen sind. Alles habe ich natürlich nicht gesehen, aber ich werde randvoll mit Eindrücken die Heimreise antreten. Ich bin sehr froh, hier gewesen zu sein, freue mich über die neuen Kontakte und Freundschaften und werde sicher wieder mal zu Besuch kommen.