Drucksache - 1534/VII  

 
 
Betreff: Zur Situation der Roma im Bezirk
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion der SPDBzBm/BzStR SchulSportFinPers
Verfasser:Komoß, Stefan 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beantwortung
26.06.2014 
Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf schriftlich beantwortet   

Sachverhalt
Anlagen:
1. Große Anfrage PDF-Dokument
2. Schriftliche Beantwortung PDF-Dokument

Das Bezirksamt wird um Auskunft gebeten:

Die Große Anfrage wird wie folgt beantwortet:

 

  1. Welche Aufgaben haben die in Marzahn-Hellersdorf vom Senat von Berlin im Rahmen des Berliner Aktionsplanes zur Einbeziehung ausländischer Roma 2014 - 2015 finanzierten Projekte, treffen diese den bezirklichen Bedarf und wenn in wie weit?

 

Zu 1.: Aus dem bezirksorientierten Programm des Aktionsplan Roma 2014 - 2015 des Berliner Senats werden seit dem 01.01.2014 zwei bezirkliche Träger gefördert, die aufsuchende Sozialarbeit in den Roma-Familien mit folgender Aufgabenbeschreibung leisten:

a)        Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V. im Migrationszentrum Marzahn-Hellersdorf:  Aufsuchende Sozialarbeit in Roma-Familien in der Großsiedlung. Kulturelle Übersetzungsarbeit überall dort im Bezirk, wo sich dies als erforderlich erweist. Hilfen und Betreuung sowie Begleitung in Regeldienste und Behörden. Beratung in den Rechtsgebieten wie Wohnen, Existenzsicherung, Bildung, Ausbildung und Arbeit, Gesundheit und Krankenversicherungsschutz, Verschuldung, Aufenthalts- und Familienrecht. Intervention bei antiziganistischen Vorfällen. Dolmetsch- bzw. Übersetzungshilfen und Vermittlung  bei Konflikten mit Vermietern und Nachbarschaften zur Vermeidung von Kündigungen und Räumungen. Moderation von Nachbarschaftsgesprächen zur Lösung von Spannungen und Etablierung von Kommunikationsstrukturen. Hilfen bei Zuständigkeitsfragen und Brückenarbeit zu weiteren geeigneten Angeboten im Bezirk, insbesondere der sozialen Stadtteilzentren, zu Alphabetisierungsangeboten der VHS, den Integrationskursen und Qualifizierungsoptionen. Arbeit mit Jugendlichen und Streetwork in Zusammenarbeit mit den Streetworkteams im Bezirk. Sprachmittlung in Polnisch und Rumänisch. Vermittlung von Übersetzungs- und Dolmetsch-Hilfen in weiteren Sprachen. Die Förderung beträgt in diesem Jahr 46,950 ?

 

b)        Im Haus der Begegnung M3: Niedrigschwellige aufsuchende Beratung und Unterstützung traditionskonservativer Polnisch sprachiger Roma-Familien in Marzahn-Mitte mit dem Schwerpunkt bildungsbezogener Sozialarbeit zur Entwicklung von familiären Voraussetzungen für einen erfolgreichen Schulbesuch ihrer Kinder sowie Vermittlung der Einsicht in die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit Pädagogen und Regeldiensten. Intervention bei und Prävention von Gewalt in der Familie. Unterstützung der Bruno-Bettelheim-GS in Marzahn-Mitte und Falken-GS in Marzahn-Nord durch Sprach- und Kulturmittlung  in der Elternarbeit, Begleitung von "Krisenfamilien" und ggf. Unterrichtsbegleitung je nach Bedarf. Dolmetsch- bzw. Übersetzungshilfen und Vermittlung  bei Konflikten mit Vermietern und Moderation von Nachbarschaftsgesprächen zur Lösung von Spannungen und Etablierung von Kommunikationsstrukturen.  Begleitung in Regeldienste und JobCenter. Brückenarbeit zu geeigneten Angeboten Dritter. Zusammenarbeit mit dem Streetworkteam von Gangway e.V. zur Delinquenzprävention. Die Förderung beträgt in diesem Jahr 15.650,00 ?

 

Die Aufgabenbeschreibungen wurden von Bezirksamt / IntB in Abstimmung mit den jeweiligen Trägern anhand des bezirklichen Bedarfs sowie im Einklang mit den Maßgaben des Bezirksorientierten Programms formuliert. Allerdings reichten die für dieses Programm verfügbaren finanziellen Mittel nicht aus, um den von Marzahn-Hellersdorf gemeldeten Bedarf in der Tat abzudecken, so dass es zur Kürzung bei M3 gekommen ist. Für das Förderjahr 2015 ist die Aufstockung der Förderung auf eine ganze Stelle beantragt.

 

c)        Seit dem 01.01.2014 wurde darüber hinaus die Zuständigkeit für Marzahn-Hellersdorf der überbezirklich arbeitenden mobilen Anlaufstelle für Roma von Amaro Foro e.V. verbindlich festgelegt, die mit den Mitarbeiter_innen beider o.g. Trägern und der Integrationsbeauftragten des Bezirksamtes zusammenarbeitet und schwierigere Fälle bzw. die  Vermittlung in weiteren Sprachen (z.B. Romani) übernimmt. Es finden gemeinsame Austausch und Beratungen statt und aus der überbezirklichen Zusammenarbeit ergeben sich Synergien, die nun weiter auszubauen und zu festigen sind. 

Die Aufgabenbeschreibung der mobilen Anlaufstelle ist wie folgt: Bezirksübergreifende Unterstützung bei der aufsuchenden Sozialarbeit, Streetwork und bei Hausbesuchen, Sprachmittlung, Betreuung der Klienten und deren Kinder, Begleitung in Regeldienste; Beratung in den Rechtsgebieten wie Bildung, Wohnen, Krankenversicherung, Arbeit.

 

 

Dennoch verschärft sind die Bedarfssituation in Marzahn-Hellersdorf in Folge des Anwachsens der Herkunftsgruppen und des Entstehens neuer Problemfelder zunehmend weiter aus folgenden Gründen:

 

a)        Stand bisher im Mittelpunkt der allgemeinen Betrachtung die Gruppe der Roma aus Polen, ist es gegenwärtig vor allem die Gruppe der Roma aus Bulgarien diejenige, die besondere Herausforderungen an die Beratungsstruktur vor Ort stellt. Der größte Bedarf betrifft deren Wohnsituation und die diesbezügliche Beratung und Begleitung,  da sie in der Regel keine Wohnungen bekommen und in (überteuerten) Hotels bzw. Pensionen unterkommen. Das wiederum begründet keinen Wohnsitz im Bezirk und somit keine Zuständigkeit der hiesigen Bezirksverwaltung. Daher weitet sich der Vermittlungsbedarf in allen Angelegenheiten häufig auf andere Bezirke aus. Da die Roma aus Bulgarien entweder bulgarisch- oder türkischsprachig sind, ist auch die Absicherung der sprachlichen Verständigung sowohl auf Bulgarisch (bisher in erster Linie über die IntB) als auch auf Türkisch (bisher über den bezirklichen Migrationssozialdienst in Marzahn-Mitte, der sich als Anlaufstelle für diesen Personenkreis durchgesetzt hat und einen sehr hohen Zulauf hat) nun mangels weiterer Alternativen vor Ort und bei der zunehmenden Beanspruchung der Beratungs- und insbesondere der Begleitdienste nicht mehr zu leisten. Die Auflegung einer weiteren Maßnahme mit bezirksorientiertem Ansatz zur Absicherung der Beratung und Begleitung von Roma aus Bulgarien mit Türkisch und Bulgarisch beim Senat wurde beantragt.

 

b)        Erhebliche Veränderungen sind auch in der Lage der Roma aus Polen zu verzeichnen: Im Gegensatz zum Trend der letzten Jahre, dass vor allem die Frauen und die Kinder ständig hier wohnten und die dazugehörigen Männer zwischen Berlin und den Herkunftsgebieten pendelten, siedeln nun auch die Männer hierher um und die Familien werden größer, auch durch Heiratsnachzug. Diese Männer stehen vor einer neuen Lebenssituation, mit der eine Reihe von ihnen schwer umgehen kann. Besonders problematisch ist es für diejenigen von ihnen, die vor kurzem in Polen berufstätig waren und ihre Familien dadurch unterhalten konnten. Die Folgen sind Abschottung von der Außenwelt, Verweigerung der Zusammenarbeit mit Diensten und Einrichtungen, Krankheiten wie Depressionen und psychosomatische Beschwerden und vor allem wachsende Konflikte in den Familien. Zur Abhilfe wurde eine entsprechende Maßnahme beim Senat eingereicht.

 

Eine solche Arbeit stellt die Voraussetzung zur parallelen Realisierung einer weiteren beim Senat beantragten zusätzlichen Maßnahme für Mädchen ab zwölf Jahren in zumeist weiterführenden Schulen und junge Frauen. Sie sind häufig bildungsfähiger, orientieren sich durchschnittlich besser in ihrem Lebensumfeld und zwar sowohl in Bezug auf Handlungsstrategien als auch auf ihre Umgangsformen. Deshalb haben sie i. d. R. höhere Chancen auf dem hiesigen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt als die jungen Männer. Folgeprobleme sind Hierarchiekonflikte und interne Familienlösungen wie Heirat, längere Auslandsaufenthalte etc. Problematisch ist dabei vor Allem die Tatsache, dass Frauen häufig die faktisch besseren Voraussetzungen zur Unterhaltung ihrer Familien besitzen, doch dies kulturell (traditionell) nicht erwünscht wird.

 

 

  1. Welche sonstigen Angebote für Roma, insbesondere im Gesundheits-, Bildungs-, Ausbildungs- und Freizeitbereich, gibt es im Bezirk, in welchem Umfang werden sie angenommen und wie wird die Arbeit mit Roma im Bezirk koordiniert und vernetzt?

 

Zu 2.: Aus dem Haushalt der Integrationsbeauftragten wird das Elternforum für Eltern von Schulkindern aus Roma-Familien, das als Kern der Arbeit wesentliche Voraussetzungen für die Umsetzung des bildungsorientierten Ansatz der Arbeit im M3 sichert. Die Förderung in diesem Jahr beträgt 6.000,00 ?.

Seit September 2013 läuft das AWO-Projekt "Vorurteilsbewusste Bildungsangebote für Roma-Kinder und ihre Eltern in Marzahn-Hellersdorf", gefördert durch Aktion Mensch, das neben Bildungs-, Gesundheits- und  Freizeitangeboten für die Zielgruppe der Roma aus Polen auch Informationsvermittlung und Schulungen für Multiplikatoren offeriert.

Der Polnisch sprachige Kulturdolmetscher ist mit der Begleitung von zwei (Groß-) Familien an einer Schule in Marzahn-NordWest  aktiv. Im Oberschulbereich (über das Projekt "Kulturmediatoren" bei Personalunion) erwies sich der Bedarf als nicht gegeben und das Angebot wurde eingestellt.

Die Alphabetisierungskurse der VHS Marzahn für Roma-(im Wesentlichen) Frauen sind bereits Selbstläufer und eine Erfolgsgeschichte.

Die Sportangebote der Schul- und SportJugendClubs - Marzahn werden intensiv von Roma-Jugendlichen genutzt.

Die Beratungsstruktur für Roma im Bezirk (bezirklicher Migrationssozialdienst, bundesfinanzierte Migrationsdiente, Integrationslotsen, die oben aufgelisteten spezialisierten Projekte) ist relativ gut aufgestellt und wird stark angenommen. Sie schafft auch Brücken zu diversen Angeboten der übrigen sozialen Infrastruktur im Bezirk.

Die Koordination der Arbeit mit Roma in Marzahn-Hellersdorf und die Vernetzung der Angebote obliegt nach wie vor der Integrationsbeauftragten des Bezirksamtes.

 

 

  1. Aus welchen Herkunftsländern kommen die in Marzahn-Hellersdorf wohnenden Roma und wie werden die sprachlichen Zugangsbarrieren zu Diensten und Leistungen der öffentlichen Hand und von freien Trägern beseitigt bzw. minimiert?

 

Zu 3.: In Marzahn-Hellersdorf wohnen - insoweit sie sich als solche selbst outen -  Roma aus Polen, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und der Slowakei (als EU-Bürger_innen) und aus mehreren Nachfolgeländern des ehemaligen Jugoslawien (als Flüchtlinge mit gesichertem Aufenthaltsstatus oder Asylsuchende im Verfahren).

Insofern vorhanden, werden die sprachlichen Zugangsbarrieren zu Diensten und Leistungen der öffentlichen Hand und von freien Trägern, mit bezirklichen Ressourcen in Beratungsstellen und Projekten, durch Selbsthilfe innerhalb der Familien bzw. der Herkunftsgruppen und mit Hilfe des Gemeindedolmetschdienstes, der auch über den Aktionsplan Roma des Senats finanziert wird und bezirksübergreifend arbeitet, bewältigt.  

 

 

  1. Welche Erkenntnisse gibt es über die Intention der Menschen, hier zu bleiben und sich zu integrieren?

 

Zu 4.: Alle Anlaufstellen berichten ausnahmslos, dass sich die zugewanderten Roma aus EU-Ländern zumindest auf einen möglichst längeren Aufenthalt in Berlin und im Bezirk fest einrichten. Ein Zeichen dafür ist der zunehmende Nachzug von Familien- bzw. weiteren Clanangehörigen. Sie werden so lange hier bleiben wie sich für sie nicht eine bessere Perspektive woanders aufzeichnet oder wie im Falle von abgelehnten Asylsuchenden sie nicht zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer gezwungen sind.

 

Da es sich bei Roma um klassische Transmigranten handelt, die insbesondere bei den modernen Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten nach wie vor in erster Linie innerhalb ihrer gruppenbezogenen transnationalen Netzwerke leben, ist die Frage nach der Intention zur Integration in die hiesige Gesellschaft offen, da sie nur für einzelne Individuen beantwortet werden kann. Sie hängt stark von den im Bezirk strukturell geschaffenen Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten ab und der Bezirk Marzahn-Hellersdorf ist dabei auf einem guten Weg.

 

 

  1. Wie ist ihre Wohnsituation im Bezirk einzuschätzen?

 

Zu 5.: Es gibt keine Erkenntnisse, dass in Marzahn-Hellersdorf Roma in Parks oder PKWs übernachten. Prekäre Wohnverhältnisse ergeben sich dennoch aus der sehr starken Überbelegung von gemieteten Wohnungen, in denen nicht selten mehrere Familien mit einer hohen Zahl von Angehörigen mit unterschiedlichem Verwandtschaftsgrad quasi dauerhaft wohnen. Es entstehen dabei entsprechende Probleme im Umfeld.  Das betrifft vor allem Roma aus Polen (vorwiegend in Marzahn) und Rumänien (vorwiegend in Hellersdorf).

 

Viele Vermieter sind bereits für die Überbelegung der Wohnungen sensibilisiert und versuchen diese zu verhindern. In Folge entsteht eine völlig unübersichtliche kreislaufartige Wanderung durch unterschiedliche Wohnungen von Bekannten und Verwandten in anderen Bezirken (Treptow-Köpenick, Kreuzberg, Reinickendorf) bei Beibehaltung der vertrauten Ansprechpartner im Bezirk.

 

Prekäre Wohnverhältnisse ergeben sich ebenso aus der Praxis einiger "Hotels" im Bezirk, die dauerhaft Einzelräume zu horrenden Preisen (pro Person bzw. Bett 40 ? täglich, d.h. bis 1.200 ? für "Miete" monatlich) an bulgarische Roma vermieten.

 

 

 

Komoß

 

 
 

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