Drucksache - DS/1489/VII  

 
 
Betreff: Weil der Bezirk betroffen ist - Verhandlungen zu CETA, TTIP und TISA aussetzen
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion Die LinkeBezirksamt
   
Drucksache-Art:Antrag zur BeschlussfassungVorlage zur Kenntnisnahme (Abb.)
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin Entscheidung
19.02.2015 
41. Sitzung in der VII. Wahlperiode der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   
Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin Entscheidung
21.05.2015 
44. Sitzung in der VII. Wahlperiode der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Sachverhalt
Anlagen:
Antrag DIE LINKE. PDF-Dokument
VzK (Abb.) PDF-Dokument

Die Bezirksverordnetenversammlung wolle beschließen:

Das Bezirksamt bittet die Bezirksverordnetenversammlung, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen:

 

Dem Ersuchen der BVV kann leider nicht nachgekommen werden, da die dafür notwendigen rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Stellungnahmen der Bezirksverwaltung sind nur dann zulässig, wenn diese aus einer besonderen Betroffenheit des Bezirkes zum jeweiligen Themengebiet heraus getätigt werden. Eine allgemeine Betroffenheit, die so auch auf einen Großteil oder gar alle weiteren Bezirke und Kommunen zutrifft, ist hierfür nicht ausreichend.

 

Im ersten Absatz des Beschlusses werden die genannten Freihandelsabkommen abgelehnt, weil sie allgemein die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen einschränken. Eine konkrete Lichtenberger Betroffenheit wird darin nicht aufgezeigt. Auch der zweite Absatz des Beschlusses konkretisiert diese Betroffenheit nicht, sondern ersucht das BA, diese allgemein ablehnende Haltung in bestimmter Weise öffentlich bekannt zu geben.

 

Auch in der Begründung – ohnehin nicht Teil des Beschlusses – wird kein konkreter örtlicher Bezug der Regelungen aus den Freihandelsabkommen aufgezeigt. Als mögliche betroffene Bereiche werden nur zusätzlich Bildung, Kultur, Gesundheitsleistungen und Nahverkehr angesprochen, die verstärkt für Privatisierungen geöffnet würden. Näher erläutert wird nur die mögliche Beeinträchtigung des Kulturbereichs. Aber auch hier wird nicht deutlich, warum gerade Lichtenberg deutlich stärker oder anders als andere Bezirke oder Kommunen hiervon betroffen sein soll.

 

 

In der Senatsvorlage Nr. 219/85 des Senators für Inneres vom 25.07.1985 ist hierzu wie folgt ausgeführt:

 

„Voraussetzung für jegliche Tätigkeit bezirklicher Verwaltung ist das Vorhandensein eines bezirklichen Anknüpfungspunktes. So sind beispielsweise Begriffe wie „Selbstverwaltungseinheit“ (§ 2 Abs. 1 BezVG), „Grundlinien der Verwaltungspolitik“ (§ 12 Abs. 1 BezVG) und „politische Selbstverwaltungsaufgaben“ (§ 1 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Bezirksamtsmitglieder) gekennzeichnet durch den Bezug auf den bezirklichen Wirkungskreis. Selbst bei Empfehlungen der Bezirksverordnetenversammlungen in Angelegenheiten, deren Erledigung nicht in die bezirkliche Zuständigkeit fällt, muss die Angelegenheit gemäß § 13 Abs. 3 BezVG „für den Bezirk von Bedeutung“ sein. Ein allgemeinpolitisches Mandat der „kommunalen Organe“ in dem Sinne, dass diese als Sachwalter aller Bürgerinteressen auftreten können, besteht nach unserer Rechtsordnung nicht.

 

Das vorstehend dargestellte Prinzip der Beschränkung auf den bezirklichen Wirkungsbereich entspricht voll dem im Gemeinderecht unbestrittenen Grundsatz, dass sich die Tätigkeit (kraft Wählerauftrag) ausschließlich auf Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu beschränken hat.“

 

Damit stellt sich die Frage, wie vor dem Hintergrund der Regelung des Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes die Rechtsprechung diesen Begriff der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft konkretisiert hat.

 

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer grundlegenden Entscheidung (BVerfGE 8, 122) aus Anlass einer von hessischen Gemeinden eingeleiteten Volksbefragung über Atomwaffen u.a. festgestellt (vgl. Auszug aus dem Leitsatz 3, Hervorhebung seitens des Bezirksamtes):

 

3. Die Gemeinde ist als hoheitlich handelnde Gebietskörperschaft, soweit ihr nicht Auftragsangelegenheiten vom Staat zugewiesen worden sind, von Rechts wegen darauf beschränkt, sich mit Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises zu befassen. Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises sind nur solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können.“

 

Diese Ausführungen verdeutlicht das Bundesverfassungsgericht im Urteilstext anhand einiger Beispiele wie folgt:

 

Die Gemeinde kann zwar gegen eine sie speziell berührende staatliche Maßnahme protestieren, z. B. wenn sie als Einfuhrhafen durch einen neuen Zolltarif empfindlich geschädigt wird; Sie überschreitet aber die ihr gesetzten rechtlichen Schranken, wenn sie zu allgemeinen, überörtlichen, vielleicht hochpolitischen Fragen Resolutionen fasst oder für oder gegen eine Politik Stellung nimmt, die sie nicht als einzelne Gemeinde besonders trifft, sondern der Allgemeinheit - ihr nur so wie allen Gemeinden - eine Last aufbürdet oder sie allgemeinen Gefahren aussetzt. Die Abgrenzung im Einzelnen kann hier offenbleiben. Jedenfalls gehört die Stellungnahme zur Frage der Ausrüstung der Bundeswehr nicht zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises und deshalb nicht zu den hoheitlich zu erledigenden Aufgaben der Gemeinde. Die Gemeinde mag berechtigt sein, sich mit einer Entschließung ihrer Verfassungsorgane gegen die konkrete Absicht zu wenden, auf ihrem Gemeindegebiet einen Atomreaktor, einen Flugplatz, eine militärische Anlage, z. B. eine Abschussbasis für Atomsprengkörper, zu errichten, sie ist aber nicht befugt, sich in derselben Weise gegen die Anlage von Atomreaktoren, Flugplätzen, militärischen Anlagen schlechthin zu wenden.

 

Dieser Grundsatz ist in späteren Urteilen ausdrücklich bestätigt und von der Rechtsprechung und Literatur dogmatisch verfestigt worden. So führt z.B. das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 14.12.1990, Az. 7 C 37/89, aus:

 

Die Stellungnahme [der Gemeinde] muss demnach auch und gerade, wenn sie den Kompetenz- und Zuständigkeitsbereich sonstiger Stellen der vollziehenden Gewalt betrifft, in spezifischer Weise ortsbezogen sein. Der bloße Umstand, dass die Gemeindevertretung nur für die eigene Gemeinde spricht, genügt dem Anspruch spezifischer Ortsbezogenheit schon deshalb nicht, weil sie sonst unter Berufung auf die im Selbstverwaltungsrecht wurzelnde Allzuständigkeit der Gemeinde auch allgemeinpolitische Fragen zum Gegenstand ihrer Tätigkeit machen könnte. Die Gemeinde erlangt jedoch aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nur ein kommunalpolitisches, kein allgemeines politisches Mandat (BVerfGE 79, 127,147; ferner 8, 122,134), ebenso wie sie selbst weder Inhaberin grundrechtsgeschützter politischer Freiheit noch Sachwalterin der grundrechtlichen Belange ihrer Bürger ist (BVerfGE 61, 82,102 f.). Die von der Gemeindevertretung gefassten Beschlüsse ergehen vielmehr, auch soweit die Vertretung sich in der Form "appellativer" oder "symbolischer" Entschließungen äußert, in Ausübung gesetzlich gebundener öffentlicher Gewalt und bedürfen daher der - hier durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vermittelten - Rechtsgrundlage.

 

Entgegen einer im Schrifttum [….] geäußerten und von der Revision aufgegriffenen Auffassung werden das aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG abzuleitende Selbstverwaltungsrecht und die rechtlichen Befugnisse der Gemeindevertretung als Teil der gesetzlich gebundenen Verwaltung nicht dadurch modifiziert, dass die Gemeindevertretung eine Volksvertretung ist. Aus ihrer demokratischen Legitimation folgt nicht, dass die Gemeindevertretung zu einer den "zentralen Instanzen in Bund und Ländern" gegenüberstehenden lokalen "Instanz politischer Ausführung" […] geworden wäre, ausgestattet mit einem "Gegenäußerungsrecht" […].“

 

Weiter führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

 

An das Erfordernis eines konkreten örtlichen Bezuges ist deshalb bei Beschlüssen […] ein strenger Maßstab anzulegen; auf diesen konkreten örtlichen Bezug hat sich der Beschluss zu beschränken, wobei auch insoweit ein strenger Maßstab anzulegen ist.

 

Es besteht daher keine Vollzugspflicht bzw. -Möglichkeit des Bezirksamts hinsichtlich des BVV-Ersuchens.

 

 
 

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