Drucksache - DS/0047/V  

 
 
Betreff: Fontanepromenade 15
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:FDPAbt. Finanzen, Umwelt, Kultur und Weiterbildung
Verfasser:Heihsel, Michael 
Drucksache-Art:Mündliche AnfrageMündliche Anfrage
Beratungsfolge:
BVV Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin Vorberatung
11.01.2017 
Öffentliche Sitzung der BVV Friedrichshain-Kreuzberg (BVV) schriftlich beantwortet     

Beschlussvorschlag

In Bezug auf die bisherige und jetzige Situation vor Ort stellen sich folgende Fragen:

Wir fragen das Bezirksamt:

  1. Was haben die bisherigen Gespräche des Bezirksamts mit dem Eigentümer über die künftige historische Berücksichtigung des Hauses ergeben?
  2. Gibt es in Berlin Gedenkstätten, die das Thema jüdische Zwangsarbeit in Berlin zentral behandeln?
  3. Setzt sich das Bezirksamt dafür ein, die Zuständigkeit für das weitere Vorgehen selbst zu behalten oder strebt es die Federführung durch das Land Berlin an?

 

Nachfragen:

  1. Wie konnte das Haus seit 2010 (bis zu seinem Verkauf 2015) rechtskonform leer stehen?

 

 

Abt. Finanzen, Umwelt, Kultur und Weiterbildung

 

Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

  1. Was haben die bisherigen Gespräche des Bezirksamts mit dem Eigentümer über die künftige historische Berücksichtigung des Hauses ergeben?

 

Ich selbst habe mir am 2.Januar.2017 vor Ort einen Eindruck von außen verschafft und mit der Initiative Kontakt aufgenommen. Termine mit der Initiative werden gerade koordiniert. Gespräche mit dem Eigentümer sind geplant. Das Gebäude ist momentan eingerüstet, die Gedenk-Stele ist verhüllt. Der Presse ist zu entnehmen, dass dies zum Schutz während der Baumaßnahmen erfolgt und die Stele erhalten bleiben soll. Das Amt für Weiterbildung und Kultur ist in die Baumaßnahmen und in die Frage des Schutzes bzw. Umgangs mit der Stele bisher nicht einbezogen worden.

Der Text der angebrachten Gedenk-Stele lautet folgendermaßen:

 

FONTANEPROMENADE 15

Das Berliner Zwangsarbeitsamt für Juden 1938-1945

 

In diesem Gebäude befand sich von 1938 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die „Zentrale Dienststelle für Juden” des Berliner Arbeitsamtes. Nach der Reichspogromnacht im November 1938 wurden den Berliner Juden das Betreten der Diensträume des allgemeinen Arbeitsamtes untersagt. Ihr Arbeitseinsatz wurde von nun an in der neuen Dienststelle an der Fontanepromenade 15 verwaltet - einem 1906 von der Fuhrwerks-Berufsgenossenschaft gebauten Haus.

Zur Zwangsarbeit befohlen wurden als erste diejenigen, die bis dahin abhängig beschäftigt waren, Selbständige und Frauen wurden erst später erfasst. Seit 1940 wurden alle Männer von 18 bis 55 Jahren und alle Frauen bis 50 Jahre registriert und zu meist schwerer und schmutziger Arbeit in so genannten Judenkolonnen eingesetzt. Die Betroffenen nannten den Ort ”Schikanepromenade”. Insbesondere der Leiter der Dienststelle, Alfred Eschhaus, war wegen seines menschenverachtenden Verhaltens gefürchtet.

 

„Sie können froh sein, dass Sie endlich mal in ihrem Leben eine vernünftige, zweckmäßige Arbeit kennen lernen werden. Sie wissen ja wohl, wie viel Sie damit denen voraus haben, die sich unterdessen in Polen das Arbeiten angewöhnen ... .” Erinnerung von Elisabeth Freund an den Leiter der Dienststelle Alfred Eschhaus

Hinzu kam seit 1940 die Erniedrigung im öffentlichen Raum: Nach Beschwerden über auf den Bänken des Mittelstreifens der Promenade wartende Juden wurden zwei Bänke als „Judenbänke” markiert und die anderen Bänke mit der Aufschrift „Nicht für Juden” versehen.

 

Im Februar 1943 wurden die letzten noch in den Rüstungsbetrieben beschäftigten Juden vom Arbeitsplatz weg in Konzentrationslager deportiert. In der Fontanepromenade 15 wurde weiterhin der Arbeitseinsatz der jüdischen Partner und Kinder aus so genannten Mischehen organisiert.

 

Während des Zweiten Weltkriegs wurden die beiden Seitenflügel des Gebäudes zerstört. Der noch vorhandene Mittelteil wurde nach 1945 von der „Reorganisierten Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage” (seit 2000: „Gemeinschaft Christi”) gekauft und bis Mitte 2011 als Kirche genutzt.

 

Diese Tafel entstand im Zusammenhang einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Gebäudes im Rahmen des Themenjahres 2013 „Zerstörte Vielfalt”.

 

 

  1. Gibt es in Berlin Gedenkstätten, die das Thema jüdische Zwangsarbeit in Berlin zentral behandeln?

 

In Schöneweide befindet sich das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeitam historischen Ort eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers und ist eine Abteilung der Stiftung Topographie des Terrors. Es wird als Ausstellungs-, Archiv- und Lernort kontinuierlich weiterentwickelt. Die Dauerausstellung wird ergänzt durch Begleitveranstaltungen, Führungen und pädagogische Angebote. Ausführliche Informationen finden Sie auf der Internetseite des NS-Zwangsarbeit Dokumentationszentrums unter: http://www.dz-ns-zwangsarbeit.de/

 

 

  1. Setzt sich das Bezirksamt dafür ein, die Zuständigkeit für das weitere Vorgehen selbst zu behalten oder strebt es die Federführung durch das Land Berlin an?

 

Der Umgang mit der Fontanepromenade 15 war vielfach Thema in der bezirklichen Gedenktafelkommission, insbesondere in den Jahren 2012/2013. Hierbei wird auf die zahlreichen Protokolle der Gedenktafelkommission, die unter http://fhxb-museum.de/index.php?id=22 öffentlich zugänglich sind, verwiesen.

 

Die Gedenktafelkommission des Bezirks macht durch ihre Befassung mit der Frage, in welcher Form eine öffentliche Bewusstmachung der Geschichte des Ortes erfolgen kann und dem Anbringen der Gedenk-Stele bereits deutlich, dass die Fontanepromenade 15 ein Ort von zentraler Bedeutung ist. Das Bezirksamt hat ein Interesse an einem würdigen Gedenken vor Ort.

 

Dieser Prozess erfolgte bereits vor Jahren und fand nach intensiver öffentlicher Debatte, unter Einbeziehung von Bürger*Inneninitiativen die folgenden Umsetzungsformen:

 

-         am 23. Mai 2013 wurde eine Veranstaltung zur Erinnerung an das Berliner ZwangsArbeitsamt für Juden 1938–1945 vom Fachbereich Kultur und Geschichte des Amts für Weiterbildung und Kultur organisiert. An dem Tag fand die feierliche Enthüllung der dauerhaft angebrachten Gedenk-Stele statt. (unter Beteiligung der Bezirksstadträtin M. Herrmann und Rabbiner Daniel Alter)
Die Veranstaltung und das Anbringen der Gedenk-Stele waren ein Projekt im Themenjahr 2013 "Zerstörte Vielfalt"

 

-         Ebenfalls im Rahmen des Themenjahres 2013 „Zerstörte Vielfalt“ wurden als Intervention im öffentlichen Raum zur Bewusstmachung der Geschichte dieses Orts, die Parkbänke vor  dem Gebäude von Mai bis November 2013 neongelb gestrichen. Dies wurde durch den Fachbereich Kultur und Geschichte des Amts für Weiterbildung und Kultur veranlasst. Mehrfach befasste sich die Gedenktafelkommission z.B. in den Sitzungen am 14.08.2013 und am 05.11.2013 mit der Frage, ob die gelben Bänke eine temporäre Intervention bleiben oder verstetigt werden sollen. Die Mehrheit der Kommission sprach sich gegen eine dauerhafte Installation aus, da eine gelbe Parkbank im Rahmen des Themenjahres 2013 „Zerstörte Vielfalt“ Sinn macht, später aber der/m Betrachter*In der Kontext fehlt und sich daher die Intervention nicht mehr unmittelbar erschließt. Somit könnte die Gefahr falscher Assoziationen bestehen. Die Gedenktafelkommission sprach sich dafür aus diese Intervention in 5 oder 10 Jahren zu wiederholen.

 

Nachfragen:

 

  1. Wie konnte das Haus seit 2010 (bis zu seinem Verkauf 2015) rechtskonform leer stehen?

 

Nach Kenntnis des Amts für Weiterbildung und Kultur wurde das Haus Fontanepromenade 15 bis zum Eigentümerwechsel von der „Reorganisierten Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage” (seit 2000: „Gemeinschaft Christi”) zunächst als Kirche später als Veranstaltungsort genutzt und stand seit 2011 zum Verkauf.

 

Laut dem zuständigen Dezernenten  Bauen, Planen und Facility Management bestand bis zum Beschluss des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes, welches zum 01.05.2014 in Kraft getreten ist, für das Bezirksamt leider keine Handhabe gegen den Leerstand rechtlich vorzugehen.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Clara Herrmann

 

 
 

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