Zahngesundheit in Charlottenburg-Wilmersdorf

Vorwort

Der Zusammenhang zwischen sozialer Lage, in der Menschen leben, und ihrem persönlichen gesundheitlichen Zustand ist statistisch gesehen eindeutig: Je ärmer an Einkommen, sozialen Beziehungen und Perspektiven Menschen sind, desto mehr sind sie von Krankheiten und Gebrechen betroffen. Während die Krankenkassen und das Gesundheitssystem insgesamt auf die Behandlung von Individuen ausgerichtet sind und über wenig Möglichkeiten verfügen, die sozialen Bedingungen zu beeinflussen, hat der Öffentliche Gesundheitsdienst die Aufgabe, Krankheiten vor ihrer Entstehung zu verhindern.

Mit der Fusion der Bezirke Wilmersdorf und Charlottenburg wurden zwei einwohnerstarke Gebiete zusammengelegt, die sich in ihrer sozialen Gewichtung deutlich unterschieden. Wilmersdorf ist ein sozial eher homogener Bezirk mit überdurchschnittlich wohlhabender Bevölkerung; zu Charlottenburg gehören einige Kieze mit ärmeren Bevölkerungsgruppen.

Bei der oberflächlichen Durchsicht aktueller Zahngesundheitsdaten fielen wie schon in den Vorjahren Unterschiede zwischen den Bezirken auf. Kinder, die in Einrichtungen Charlottenburgs untersucht worden waren, hatten teilweise schlechtere Zähne, als die, die im benachbarten Wilmersdorf untersucht worden waren. Höherer Kariesbefall, dies ergab die genauere Analyse für den hier vorliegenden Bericht, ist insbesondere dort festzustellen, wo sich die Einrichtung (Grundschule bzw. Kita) in einem sozial stärker belasteten Gebiet befindet. Somit liefern die Zahngesundheitsdaten deutliche Hinweise auf den Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit.

Die Zahnkaries gilt als vermeidbare Erkrankung. Ursachen der Entstehung und einflussnehmende Risikofaktoren sind bekannt, eine Reihe erprobter und effektiver Präventionsmaßnahmen stehen dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zur Verfügung. Aber trotz allgemeiner Erfolge bei der Kariesbekämpfung in den letzten Jahren ist festzustellen, dass nicht alle Bevölkerungsschichten in gleichem Maße an der Verbesserung der Zahngesundheit teilhaben. Erhöhter Kariesbefall konzentriert sich, wie wissenschaftliche Untersuchungen belegen, weiterhin in den sog. Kariesrisikogruppen.

Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit diese mit den gängigen Maßnahmen der Verhaltensprävention (Anleitungen zur Mundhygiene, Ernährungshinweise, Informationen über Fluoridanwendungen etc.) überhaupt erreichbar sind. Hilfreich und erfolgversprechend sind allerdings Maßnahmen, welche mit geringem Aufwand bei den Angehörigen aller sozialen Schichten durchgeführt werden können und unabhängig vom Verhalten des Einzelnen (Häufigkeit des Zähneputzens, Häufigkeit des Verzehrs von Süßigkeiten, Häufigkeit des Zahnarztbesuchs…) wirksam sind.

Ein Beispiel dafür ist die sog. Fluoridlackprophylaxe (Auftragen von Fluoridlack auf den Zahnschmelz), welche seit drei Jahren bei Kindern im Norden Charlottenburgs zum Einsatz kommt und dort bereits die ersten positiven Resultate erbringt. Über die Anwendung in einem weiteren Teilgebiet – es schließt vor allem das Wohngebiet südlich des Klausener Platzes bis hin zum Kaiserdamm ein – kann mit den Ergebnissen dieses Berichts neu entschieden werden, das Schlusskapitel gibt darüber Auskunft.

Zunächst aber wird auf den folgenden Seiten anhand der Auswertung aktueller Daten die Gesamtsituation der Kinderzahngesundheit in Charlottenburg-Wilmersdorf beschrieben. Die sich anschließende kleinräumige Analyse bildet regionale Unterschiede des Kariesvorkommens innerhalb des Bezirks ab und stellt den Bezug zur sozialen Lage her.

Die vorliegende Studie zeigt an einem konkreten Beispiel die enge Verknüpfung von Gesundheit mit sozialen Faktoren. Sie gibt uns Hinweise auf die Schwerpunkte der weiteren Präventionsarbeit, deren Ziel es u.a. sein muss, der gesundheitlichen Benachteiligung sozial schwächerer Bevölkerungsschichten entgegenzuwirken. Mit ihrer Veröffentlichung verbindet sich aber auch die Hoffnung, dass sie in der allgemeinen Diskussion um eine neue Ausrichtung des Gesundheitswesens einen kleinen Beitrag zur Stärkung des Präventionsgedankens leistet.

Martina Schmiedhofer
Bezirksstadträtin für Soziales, Gesundheit, Umwelt und Verkehr

1. Zahngesundheit – allgemeine Entwicklung

Die Zahngesundheit der Kinder hat in Charlottenburg und Wilmersdorf in den Jahren vor der Bezirksfusion eine insgesamt positive Entwicklung durchgemacht. Dies belegen die Ergebnisse der in Kindertagesstätten und Grundschulen alljährlich durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen. Dabei zeigt sich, dass immer häufiger der Befund “naturgesund” (für ein Gebiss ohne kariöse Defekte, Füllungen und extrahierte Zähne) erhoben werden kann.
Zwischen 1990 und 2000 stieg der Anteil naturgesunder Gebisse in Charlottenburg von 24,1% auf 33,0% (s. Abb. 1) und in Wilmersdorf von 23,5% auf sogar 46,4% (s. Abb. 2). Gleichzeitig verminderte sich in beiden Bezirken die Zahl der Kinder, die aufgrund von Kariesschäden als behandlungsbedürftig eingestuft wurden. Im Zeitverlauf wenig verändert hat sich der Anteil derer, die sich mit Zahnschäden in zahnärztliche Behandlung begeben haben und mit einem bereits sanierten Gebiss zur Untersuchung kommen.

Quelle: Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen

Die hier anhand des sog. Zahnstatus (mit seinen 3 Ausprägungen “naturgesund”, “behandlungsbedürftig”, “saniert”) beschriebene Entwicklung einer sich bessernden Zahngesundheit ist nicht auf die bezirkliche Ebene beschränkt. Seit einigen Jahren werden berlinweit, landesweit und in anderen Ländern Europas ähnliche Beobachtungen gemacht. Sie deuten hin auf einen Rückgang des Kariesbefalls bei Kindern und Jugendlichen.
Einigen Anteil an diesem Erfolg dürfte die im vergangenen Jahrzehnt intensivierte Präventionsarbeit haben, welche von den Zahnärztlichen Diensten und der Landes-arbeitsgemeinschaft zur Verhütung von Zahnerkrankungen (LAG) in Kindertagesstätten und Grundschulen als Gruppenprophylaxe sowie von den niedergelassenen Zahnärzten in den Praxen als Individualprophylaxe geleistet wird. Der folgende Abschnitt soll hierzu einen Überblick geben; er dient ebenso zur Erläuterung verschiedener Begriffe (“DMFT-Index”, “erhöhtes Kariesrisiko”, “Fluoridlackprophylaxe”, “Fissurenversiegelung”), die für das Verständnis des Berichts von Bedeutung sind.

2. Exkurs: Maßnahmen zur Prävention von Zahnerkrankungen

Den Impuls für entscheidende Veränderungen in der Präventionsarbeit gab 1989 das Sozialgesetzbuch V (SGB V), indem es für eine bestimmte Altersgruppe einen gesetzlichen Anspruch auf präventive Leistungen schuf.

In §21 (Gruppenprophylaxe) – hier die aktuelle Fassung – ist geregelt, dass für Versicherte, die das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, flächendeckend Maßnahmen zur Erkennung und Verhütung von Zahnerkrankungen zu treffen sind. Die Maßnahmen sollen vorrangig in Gruppen, insbesondere in Kindergärten und Schulen, durchgeführt werden; sie sollen sich insbesondere auf die Untersuchung der Mundhöhle, Erhebung des Zahnstatus, Zahnschmelzhärtung, Ernährungsberatung und Mundhygiene erstrecken. Für Kinder mit besonders hohem Kariesrisiko sind spezifische Programme zu entwickeln. Die Realisierung der Maßnahmen soll in einem Zusammenwirken von Krankenkassen, Zahnärzten und den für die Zahngesundheitspflege in den Ländern zuständigen Stellen erreicht werden.
In diesem vorgegebenen gesetzlichen Rahmen fällt dem Zahnärztlichen Dienst vor allem die Aufgabe zu, einmal im Jahr in Kitas und Schulen Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen, bei denen (neben einem kieferorthopädischen Screening und der Befundung des Parodontalstatus) der Zahnstatus erhoben, ein ggf. vorliegender Behandlungsbedarf festgestellt sowie auch die Zahl der Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko ermittelt wird. Hierbei handelt es sich um eine Zahl, die über den sog. DMFT- Index bestimmbar ist.
Während nämlich der Zahnstatus mit seinen 3 Ausprägungen “naturgesund”, “behandlungsbedürftig” und “saniert” den Gebisszustand nur sehr grob beschreibt, geht in den DMFT auch die Zahl kariöser (decayed = D), fehlender (missing = M) und gefüllter (filled = F) Zähne (teeth = T) in die Berechnung ein und ermöglicht dadurch eine genauere Bewertung des Zahngesundheitszustandes1; dieser ist bei niedrigen DMFT-Werten als gut, bei hohen DMFT-Werten als schlecht einzustufen. Als Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko gelten diejenigen, deren DMFT-Wert eine für ihre jeweilige Altersgruppe festgelegte Grenze überschreitet.

Erhöhtes Kariesrisiko nach Definition der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege; DAJ

Alter (Erhöhtes Kariesrisiko liegt vor, wenn)
2-3 Jahre (dmf-t > 0)
4 Jahre (dmf-t > 2)
5 Jahre (dmf-t > 4)
6-7 Jahre (dmf-t /DMF-T > 5 oder D-T > 0)
8-9 Jahre (dmf-t /DMF-T > 7 oder D-T > 2)
10-12 Jahre (DMF-S an Approximal-/Glattflächen > 0)

Mit Hilfe aller in der Vorsorgeuntersuchung ermittelten Befunde und anhand der Zahl der Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko kann der Zahnärztliche Dienst über das Ausmaß des Betreuungsbedarfs sowie über eventuell erforderliche weitere Präventionsmaßnahmen in den Einrichtungen entscheiden. So wird beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Landesarbeitsgemeinschaft zur Verhütung von Zahnerkrankungen, im Folgenden LAG genannt, in ausgewählten Charlottenburger Grundschulen und Kitas seit 3 Jahren die Fluoridlackprophylaxe durchgeführt, die als sehr wirksame und gut praktikable Methode der Zahnschmelzstabilisierung gilt und somit der Kariesprävention dient. Es handelt sich hierbei um eine lokale Anwendung von Fluoriden (Salzen des Elements Fluor), welche den betreffenden Kindern 2mal im Jahr in Form eines Lackes direkt auf den Zahnschmelz aufgetragen werden. Kariesrisikokinder erhalten die Lackapplikation 4mal im Jahr (2mal davon in Verbindung mit einer professionellen Zahnreinigung).
Zu den sich aus §21 SGB V ergebenden Aufgaben gehören aber nicht nur die Vorsorgeuntersuchungen und Fluoridierungen. Daneben erhalten die Kinder praktische Unterweisungen in der Zahnputztechnik, werden informiert über gesunde Ernährung insbesondere im Hinblick auf Kariesvermeidung, über Möglichkeiten der Fluoridierung (Fluoridgelees sind bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ohne Zuzahlung verschreibungsfähig) sowie auch über die Fissurenversiegelung, einer Maßnahme der Individualprophylaxe (s. folgender Abschnitt). Mitarbeiterinnen der LAG wiederholen die Gruppenprophylaxe in den Schulen und Kindergärten 2–3mal im Jahr.
§22 SGB V (Individualprophylaxe) ermöglicht individuelle Maßnahmen der Prävention. Demnach können sich Versicherte im Alter von 6 bis unter 18 Jahre einmal in jedem Kalenderhalbjahr untersuchen lassen und haben Anspruch auf Fissurenversiegelung der Molaren.
Auch dies ist eine Maßnahme zur Kariesprophylaxe, welche erwiesenermaßen anhaltend protektiv wirkt. Hierbei werden die feinen Spalten (Fissuren) auf den Kauflächen der Mahlzähne (Molaren) mit einem Kunststoff ausgekleidet, was verhindert, dass sich dort Nahrungsreste festsetzen und gleichzeitig eine bessere Reinigung der Kauflächen gestattet.
§26 SGB V (Kinderuntersuchung) bezíeht auch die Kleinkinder in das Präventionskonzept mit ein. Versicherte haben bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres Anspruch auf Früherkennungsuntersuchungen von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. Dazu gehören insbesondere die Inspektion der Mundhöhle, die Einschätzung oder Bestimmung des Kariesrisikos, die Ernährungs- und Mundhygieneberatung sowie Maßnahmen zur Schmelzhärtung der Zähne und zur Keimzahlsenkung.

3. Aktuelle Ergebnisse der zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen

Die eingangs beschriebene positive Entwicklung der Zahngesundheit setzte sich, betrachtet man den Fusionsbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, auch im Untersuchungsjahr 2000/2001 fort, wobei die von der Weltgesundheitsorganisation WHO für das Jahr 2000 gesetzten Ziele erreicht wurden.

Die WHO-Ziele für das Jahr 2000 sind:
1.) Mindestens 50% der 5-jährigen Kinder sollen kariesfrei sein.
2.) Der DMFT-Wert der 12jährigen soll unter 2 liegen.

Erreicht wurde in Charlottenburg-Wilmersdorf:
zu 1) 60,7% der 5jährigen Kinder sind kariesfrei.
zu 2) Der DMFT-Wert der 12jährigen beträgt 1,31.

Diese Durchschnittswerte, die sich aus den Einzelergebnissen der Untersuchungen in allen Grundschulen und Kitas im Fusionsbezirk herleiten, sind zwar sehr zufriedenstellend, täuschen aber darüber hinweg, dass es eine Reihe von Einrichtungen gibt, die deutlich schlechtere (unterdurchschnittliche) Resultate liefern und die WHO-Ziele nicht erreichen. Auffällig ist zudem, dass unterdurchschnittliche Werte aus Charlottenburg stammen, während Wilmersdorf durchgehend gute Untersuchungsergebnisse hat. Diese Tatsache gab Anlass, den Bezirksteil Charlottenburg einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.
Zunächst ist aber festzuhalten, dass es regionale Unterschiede des Kariesvorkommens bei Kindern gibt. Sie deuten sich bereits auf der altbezirklichen Ebene in der Darstellung des Zahnstatus an (s. Kap. 1 sowie Abb. 1 und 2), wo sich Charlottenburg – im Rahmen einer ja insgesamt positiven Entwicklung – im Jahr 2000 mit immerhin 38,4% behandlungsbedürftigen Kindern und nur 33% naturgesunden schlechter präsentiert als der Berliner Durchschnitt (27,9 % behandlungsbedürftige und 41,4% naturgesunde), Wilmersdorf aber besser als der Durchschnitt ( 23,9% behandlungsbedürftige und 46,6% naturgesunde).

4. Exkurs: Kariesrisiken und soziale Einflüsse auf die Zahngesundheit

Das Auftreten der “Volkskrankheit Karies” wird bekanntermaßen stark mitbestimmt durch das Vorhandensein verschiedener Risiken – bereits vorhandene Kariesschäden, mangelnde Mundhygiene, kariesfördernde Ernährung (insbesondere häufiger Verzehr von Süßigkeiten), Übertragung kariesauslösender Bakterien, Störungen des Speichelflusses und zu geringe Fluoridversorgung spielen dabei eine Rolle. Es unterliegt aber auch, wie etliche Studien belegen, sozialen Einflüssen.
So konnte in unteren sozialen Schichten, und dort insbesondere auch bei Kindern, ein stärkerer Kariesbefall nachgewiesen werden als in höheren (Deutsche Mundgesundheitsstudie I, II und III; 1991, 1993 und 1997): Kinder aus Familien mit niedrigerem Bildungsniveau und der Arbeiterschicht haben schlechtere Zähne als Kinder, deren Eltern höher gebildet und Angestellte oder Beamte sind. Dabei erklärt man sich Unterschiede im Kariesbefall mit schichtenspezifischen Verhaltensmustern z.B. in Bezug auf Ernährung, Mundhygiene und der Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen, letztendlich aber auch mit verschieden stark ausgeprägtem Vorsorgebewusstsein.
Andere Studien untersuchten die Zahngesundheit von Menschen, die in sozial belasteten Gebieten leben (Gebiete mit niedrigen Haushaltseinkommen, hohen Anteilen an Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Ausländern) und wiesen dort einen erhöhtes Kariesvorkommen nach.
Für eine vertiefende Analyse der Charlottenburger Untersuchungsergebnisse galt es, den Ansatz einer Verknüpfung von Zahngesundheit und sozialer Lage weiter zu verfolgen, zumal der Sozialstrukturatlas Berlin 1999 für die Teilgebiete (Verkehrszellen) dieses Bezirks unterschiedliche Sozialindizes errechnet und bei einem Einzelmerkmal der Sozialstruktur, nämlich dem Anteil der Sozialhilfeempfänger an der Bevölkerung, die große Spannweite der Werte (Regionen mit niedrigen Anteilen und Regionen mit hohen Anteilen an Hilfeempfängern) dargestellt hatte. Demnach ließe sich möglicherweise das Nebeneinander von guten wie schlechten Ergebnissen der Zahngesundheit in Charlottenburg durch regionale Unterschiede der sozialen Lage erklären. Vom Jugendhilfeplaner wurde uns z.B. für den Planungsraum 2 im Nordosten Charlottenburgs, (Wohngebiete am Heckerdamm einschließlich Paul-Hertz-Siedlung) bei den unter-18jährigen Einwohnern ein Hilfeempfängeranteil von immerhin 42%, für den Planungsraum 11 im Südwesten Charlottenburgs (Wohngebiete südlich von Heerstraße und Kaiserdamm sowie in Eichkamp) aber nur von 4% mitgeteilt.

5. Das Kariesvorkommen in einzelnen Regionen Charlottenburgs

Der nun folgenden Darstellung kleinräumiger Untersuchungsergebnisse sei eine Bemerkung vorangestellt: Die der Auswertung zugrunde liegenden Daten enthielten keine personenbezogenen Informationen oder Informationen über den sozialen Status der Familien, aus denen die Kinder kommen. Einen groben Hinweis auf den sozialen Hintergrund der verschiedenen Einrichtungen konnte aber die in den Daten miterfasste Angabe der Region vermitteln, in der diese ihren Standort haben.
Als Regionen Charlottenburgs fungierten die 12 Planungsräume der Jugendhilfe, in die der Altbezirk unterteilt ist (s. Abb. 3, Übersichtsgrafik). Für diese war ein wichtiges Merkmal der Sozialstruktur bekannt, nämlich die Anzahl der dort lebenden unter-18jährigen bzw. unter-6jährigen Sozialhilfeempfänger. Somit bot sich einerseits die Gelegenheit, zahnärztliche Untersuchungsergebnisse regional zuordnen zu können und andererseits – zumindest grob – der Frage eines möglichen sozialen Einflusses nachzugehen.
Welche Ergebnisse lassen sich nun regional feststellen?
Kinder mit kariösen Zähnen leben überwiegend im Norden und Osten Charlottenburgs. Dort wurde überdurchschnittlich oft der Befund “behandlungsbedürftig” erhoben (bei mehr als über 40% aller Untersuchten). Gleichzeitig sind dies Gebiete, für die uns vom Jugendhilfeplaner eine überdurchschnittlicher Anteil an Sozialhilfeempfängern im Kindes- und Jugendalter gemeldet wurde (mehr als 22,5% bei der unter-18jährigen Bevölkerung). Demnach sind Orte höherer Sozialhilfedichte identisch mit Orten höheren Kariesbefalls (schraffiert in Abb. 3, Übersichtsgrafik). Wie stark tatsächlich soziale Lage und Zahngesundheit miteinander verknüpft sind kann in einer weiteren Abbildung (Abb. 4) veranschaulicht werden: Der Anteil der Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko steigt exakt mit zunehmender Sozialhilfedichte in den Planungsräumen.

Für den DMFT und den Befund “behandlungsbedürftig” ließen sich ähnliche Diagramme erstellen, da beide Untersuchungsparameter ähnlich eng mit der Sozialhilfe korrelieren. Auf gesonderte Grafiken soll hier verzichtet werden.

Kinder mit gesunden Zähnen – und damit vervollständigt sich das Gesamtbild – leben überwiegend im Westen und Süden Charlottenburgs. Es sind dies die gutsituierten Regionen des Altbezirks mit geringeren Sozialhilfeanteilen in der Bevölkerung. Dort, in den Planungsräumen 9, 10, 11 und 12 (unschraffiert in der Übersichtsgrafik, Abb.3), wurde der Befund “kariesfrei” überdurchschnittlich oft (bei mehr als 42 % der Untersuchten) erhoben. Der enge Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Zahngesundheit wird hier ebenfalls in allen Abstufungen deutlich: je niedriger die Sozialhilfedichte in den Planungsräumen, desto mehr kariesfreie Kinder gibt es (s. Abb. 5).

Dass nicht nur der Kariesbefall, sondern auch die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen indirekt von sozialen Faktoren abhängt, kann anhand weiterer Untersuchungsergebnisse aufgezeigt werden. In Planungsräumen mit höherer Hilfeempfängerdichte ist der Anteil an Schülern mit Fissurenversiegelung (eine Maßnahme der Individualprophylaxe) geringer als in den gutsituierten Regionen, was die These stützt, dass Angehörige der unterer sozialer Schichten ihren Zahnarzt eher “beschwerdeorientiert” als zum Zweck von Prophylaxemaßnahmen aufsuchen (s. Abb. 6).

Als Region mit den schlechtesten Zahngesundheitsergebnissen erweist sich der Planungsraum 4, welcher u.a. das Wohngebiet am Klausener Platz und südlich davon bis hin zum Kaiserdamm einschließt. Dort sind 31,5% der unter-18jährigen Einwohner von Sozialhilfe abhängig.
Nicht nur der Anteil der Behandlungsbedürftigen ist in diesem Planungsraum am höchsten (46,6% aller Untersuchten), sondern auch der Zahl der Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko (28,6% aller Untersuchten) sowie auch der DMFT-Wert der 12jährigen ( mit einem DMFT von 2,79 wird das WHO-Ziel deutlich nicht erreicht); und schließlich sind dort die wenigsten Kinder frei von Kariesbefall (nur 33,1% der Untersuchten).
Vor drei Jahren wurden als Reaktion auf zuvor sehr schlechte Untersuchungsergebnisse zwei Grundschulen aus den Planungsräumen 1 und 2 (Charlottenburg Nord) in das Fluoridierungsprogramm aufgenommen, was bedeutet dass die Schüler seitdem 2mal im Jahr die beschriebene Fluoridlackapplikation erhalten und diejenigen mit erhöhtem Kariesrisiko zusätzlich 2mal jährlich eine Intensivprophylaxe (mit Anfärben der Beläge, Zahnputztraining, professioneller Zahnreinigung und Lackapplikation). Obwohl der Beobachtungszeitraum noch sehr kurz ist, deutet sich bereits der Erfolg dieser Maßnahme der Kariesprävention an: die Zahl der behandlungsbedürftigen Kinder sinkt.

6. Zusammenfassung und Wertung der Ergebnisse, Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse der zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen 2000/2001 in Charlottenburg-Wilmersdorf folgen dem allgemeinen Trend einer sich verbessernden Zahngesundheit bei Kindern. Stetig wuchs in den vergangenen Jahren der Anteil derer mit gesunden, kariesfreien Zähnen; der Anteil behandlungsbedürftiger Kinder sank. Es ist anzunehmen, dass die von den Zahnärztlichen Diensten, der LAG sowie den niedergelassenen Zahnärzten getragene und seit längerer Zeit intensivierte Präventionsarbeit in Schulen, Kindergärten und Praxen Anteil an diesem Erfolg hat.
Während aber in Wilmersdorf gleichsam alle Regionen von den beschriebenen positiven Tendenzen erfasst sind, ist Charlottenburg hinsichtlich der Entwicklung der Zahngesundheit in zwei Teile gespalten: nur die westlichen (und teilweise südlichen) Gebiete kommen zu guten Ergebnissen; nahezu der gesamte Osten und Nordosten hängt mehr oder weniger stark hinter der allgemeinen Entwicklung her. Soziale Faktoren bilden den Hintergrund für dieses Geschehen, wie hier an dem Beispiel der “Sozialhilfedichte” gezeigt werden konnte. Ohnehin gelten die östlichen/nordöstlichen Regionen als die sozial stärker belasteten Anteile des Altbezirks: Folgt man dem Sozialstrukturatlas Berlin 1999, so sind dort nicht nur die Hilfeempfängerzahlen höher, sondern auch der Anteil der Arbeitslosen und der Ausländer; die errechneten Sozialindizes (auf Verkehrszellenebene) sind negativ, d.h. die soziale Belastung liegt über dem Durchschnitt..
Welche Konsequenzen sind nun aus den Ergebnissen der Untersuchung zu ziehen?
Im Bezirksteil Wilmersdorf kann so weiterverfahren werden wie bisher. Das Präventionskonzept hat sich offenbar bewährt, denn in allen Einrichtungen werden durchschnittliche bis überdurchschnittlich gute Resultate erzielt. Anders ist dies im Bezirksteil Charlottenburg. Dort sollte auf die Einzelergebnisse aus den Planungsräumen reagiert werden.
Gerade in Gebieten mit höheren Anteilen an Kariesrisikokindern und schlechterer Sozialstruktur kann mit der Fluoridlackprophylaxe auf eine Maßnahme zurückgegriffen werden, welche einfach durchführbar ist, die Erreichbarkeit aller sozialen Schichten gewährleistet und zudem unabhängig vom Verhalten des Einzelnen, also selbst bei mangelhafter Eigenvorsorge in Bezug auf Mundhygiene, Ernährungsverhalten und Häufigkeit des Zahnarztbesuchs, wirksam ist.
Die Methode der Lackapplikation zeigt in den Planungsräumen 1 und 2 (Charlottenburg Nord; dort musste man in den vergangenen Jahren die Prioritäten setzen) tendenziell bereits die ersten Erfolge. Eine Ausdehnung auf den Planungsraum 4 (mit seinen Wohngebieten um den Klausener Platz und südlich davon bis hin zum Kaiserdamm) erscheint angebracht: Eine Kita wird bereits zum Schuljahr 2001/2002 in das Programm aufgenommen; auch einer dort befindlichen Schule soll zum Schuljahr 2002/2003 ein diesbezügliches Angebot gemacht werden.
Der Zahnärztliche Dienst sollte im Idealfall insbesondere dort anzutreffen sein, wo er am meisten gebraucht wird. In der jetzigen Situation bietet es sich an, einen seiner Standorte aus einer Region, die sich als unproblematisch erwiesen hat (Schmargendorf), in den Planungsraum 4 Charlottenburgs zu verlagern, welcher nachweislich das höchste Kariesvorkommen hat.
Grundsätzlich erscheint es wichtig mehr Kinder und Eltern, insbesondere in den Gebieten erhöhten Kariesvorkommens, für den Gedanken der gesundheitlichen Vorsorge zu gewinnen. Der Zahnärztliche Dienst wird den Kitas anbieten, auf Sommerfesten o.ä. mit einem Spielstand für die Kinder und einem Infostand für die Eltern präsent zu sein. Dies soll als sehr niedrigschwelliges Angebot verstanden werden, bei dem vor allem das Ziel verfolgt wird mit den Eltern, wenn möglich auch aus sozial schwachen Familien, ins Gespräch zu kommen.

Literatur

Bauch, J.: Soziologische Aspekte der Zahngesundheitserziehung, Oralprophylaxe 6 (1984) 57-62 Frühbuß, J.; Micheelis, W.: Prävention in der Kinder- und Jugendzahnheilkunde; In: Kolip, P. et al. “Jugend und Gesundheit”, Juventaverlag Weinheim und München 1995 Meinlschmidt, G.; Brenner, M.H. (Hrsg.), Sozialstrukturatlas Berlin 1999; Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales Berlin; Institut für Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität Berlin, 2000 Micheelis, W.; Reich, E. (Gesamtbearbeitung): Dritte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS III); Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 1999 Mielck, A.: Soziale Ungleichheit und Gesundheit; Verlag Hans Huber, Bern 2000 Reich, E.: Welche Faktoren führen zu einem erhöhten Kariesrisiko?; Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 50 (1995) 769-775 Robke, F. J.: Fluoridlackprophylaxe bei Grundschülern im Stadtteil Linden/Limmer, Hannover, Dissertationsschrift; Freie Universität Berlin, 1997 Robke, F. J.: Jugendzahnpflege in interkulturellen Netzwerken – Casemanagement-Ansätze in der Gruppenprophylaxe; Gesundheitswesen 62 (2000) 446-450 Robke, F. J.: Jugendzahnpflege in einem sozialen Brennpunkt; Prophylaxe Impuls 3 (1999) 180-188 Wingerath, H. D.; Lange, D. E.: Mundhygieneverhalten von 14- und 15-jährigen Schülern unter soziologischen Gesichtspunkten; Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 37 (1982) 565-568