191. Kiezspaziergang

Von der Ecke Leibniz- / Pestalozzistraße zum Savignyplatz

Kartenskizze 191. Kiezspaziergang

Mit Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann

Treffpunkt: Leibniz- / Ecke Pestalozzistraße
Länge : ca. 2 km

Herzlich willkommen zu unserem 191. Kiezspaziergang, der wie jedes Jahr im November ganz im Zeichen jüdischen Lebens in unserem Bezirk steht. Ich begrüße ganz herzlich Frau Dr. Charlotte Hermann, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde aus unserer Partnergemeinde Linz und ihren Sohn. Wir haben heute das große Privileg in die Synagoge in der Pestalozzistraße 14 gehen zu dürfen, wo uns Rabbiner Sievers empfangen wird. Von dort aus gehen wir dann in die Bleibtreustraße 2, wo früher ein jüdisches Badehaus stand und heute ein Spielplatz Kinder zum Spielen einlädt. Eine weitere wichtige Station wird der Schulhof der deutsch-spanischen Joan-Miró-Grundschule sein, der vor kurzem fertig geworden ist. Ich begrüße ganz herzlich Herrn Paul-Martin Richter vom Regionalmanagement City West, der uns später etwas zum Umbau des Schulhofes der Joan-Miró-Schule sagen wird. Der Kiezspaziergang endet am Savignyplatz.
Doch bevor wir beginnen, möchte ich Ihnen den Treffpunkt des nächsten Kiezspaziergangs mitteilen. Da ich nicht in Berlin sein werde, wird ihn der stellvertretende Bürgermeister, mein Bezirksamtskollege Carsten Engelmann, durchführen. Er findet am Samstag, den 9.12.2017, statt, und Treffpunkt ist um 14 Uhr der südöstliche Ausgang des U-Bahnhofs Berliner Straße. Sie werden durch die Prinzregentenstraße an der Musikschule, am Kleinen Prinzen, einer Einrichtung des betreuten Wohnens für minderjährige Flüchtlinge, und der Kleingartenanlage Am Stadtpark vorbeikommen. Kurz vor dem Volkspark Wilmersdorf befindet sich ein Schulviertel. Sie gehen dann an der Jugendverkehrsschule vorbei über die Bundesallee zum Pflegestützpunkt Wilmersdorf und zum Seniorenzentrum Werner Bockelmann und danach zum Schoeler-Schlösschen. Der Kiezspaziergang endet in der Schwedischen Kirche, wo Sie von Frau Thomas empfangen werden.

Station 1: Leibniz- / Ecke Pestalozzistraße

Station 1.1: Leibnizstraße / Herkunft des Namens
Die Leibnizstraße ist seit dem 28.6.1869 nach dem Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz benannt. Er gehört zu den letzten Universalgelehrten und war Theologe, Mathematiker, Historiker, Jurist, Bibliothekar, Diplomat und politischer Berater. Doch vor allem war er einer der bedeutendsten Philosophen des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts und ein wichtiger Vordenker der Aufklärung. Leibniz wurde 1646 in Leipzig geboren und starb 1716 in Hannover.
Er war mit Königin Sophie Charlotte befreundet, die ihn an ihren Hof ins Schloss Charlottenburg holte. Dort gründete er 1700 mit ihr zusammen die Sozietät der Wissenschaften, aus der die Preußische Akademie der Wissenschaften hervorging.
Zu seinen wichtigen Forschungsergebnissen gehören die Intergral- und Differentialrechnung, die Beschreibung des binären Zahlensystems mit den Ziffern 0 und 1, ohne das es heute keine Computer gäbe, die Beweisführung des Unbewussten im Menschen und vieles Bedeutende mehr.

Station 1.2: Pestalozzistraße / Herkunft des Namens
Die Straße ist seit 1887 nach Johann Heinrich Pestalozzi benannt. Johann Heinrich Pestalozzi wurde 1746 in Zürich geboren und starb 1827 in Brugg, ebenfalls in der Schweiz. Er war Pädagoge, Philosoph, Politiker und Schul- und Sozialreformer. Pestalozzi war stark von der aufklärerischen Pädagogik von Jean-Jacques Rousseau beeinflusst. Pestalozzi gilt als Vorläufer der Anschauungspädagogik und der daraus Ende des 19. Jahrhunderts entstehenden Reformpädagogik. Sein pädagogisches Ziel war die ganzheitliche Volksbildung. Die Menschen sollten zu Selbständigkeit und Demokratie erzogen werden.

Wir gehen nun in die Synagoge in der Pestalozzistraße 14.

Start Pestalozzistraße 14 / Synagoge Kiezspaziergang 11.11.2017

Start Pestalozzistraße 14 / Synagoge Kiezspaziergang 11.11.2017

Station 2: Pestalozzistraße 14 / Synagoge

Ich begrüße ganz herzlich Jonah Sievers, den Rabbiner der Synagoge in der Pestalozzistraße 14. Wir freuen uns sehr, heute an einem Sabbat mit Ihnen zusammen in Ihrem Gotteshaus sein zu dürfen. Rabbi Sievers wird uns gleich mehr zur Gemeinde und dem jüdischen Leben in seiner Gemeinde erzählen.
Erbaut wurde die Synagoge 1911/12 als Privatsynagoge für gesetzestreue Juden nach Plänen des Architekten Ernst Dorn.
Ihre Stifterin war die Charlottenburger Geschäftsfrau Betty Sophie Jacobsohn, die von 1870 bis 1942 lebte. Die Synagoge hatte Platz für 1400 Gläubige. 1919 wurde das Gotteshaus zu einer offiziellen Synagoge der Jüdischen Gemeinde. In den 1930er Jahren wirkte als Chorleiter der Musikwissenschaftler, Schriftsteller und Maler Arno Nadel in der Synagoge.
In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde die Synagoge schwer beschädigt, aber wegen ihrer Hoflage nicht in Brand gesteckt. Während des Krieges war in dem Gebäude eine Wäscherei untergebracht. 1947 wurde der Betsaal wiedereingeweiht und das Gotteshaus zu einer der wichtigsten Synagogen in Deutschland und Gebetsstätte der liberalen Juden. Von 1947 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 war Estrongo Nachama zunächst Kantor, später Oberkantor dieser Synagoge. Die durchkomponierte Liturgie des Gottesdienstes für Kantor, Orgel und gemischten Chor zieht jährlich Besucher aus der ganzen Welt an.
Im Zuge einer Restaurierung hat die Synagoge in den Jahren 2013/14 ihre ursprünglichen Wandmalereien von 1912 zurückerhalten.

Nun gebe ich das Wort an Rabbi Sievers.

Vielen Dank, Herr Sievers!
Ehe wir weiter in die Bleibtreustraße 2 gehen, achten Sie bitte auf den Gehweg: In der Pestalozzistraße in dem Abschnitt zwischen Leibnizstraße und Schlüterstraße gibt es fast 68 Stolpersteine, allein vor der Synagoge sind es 40.

Station 3: Bleibtreustraße 2

Station 3.1: Bleibtreustraße / Herkunft des Namens
Die Bleibtreustraße wurde 1897 nach dem Maler Georg Bleibtreu benannt, der 1828 in Xanten geboren wurde und 1892 in Berlin starb. Bleibtreu ist hauptsächlich für seine Gemälde von Schlachten bekannt. Die Historienmalerei erreichte im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Ein weiterer wichtiger Vertreter war Adolf Menzel.
Auch in der Bleibtreustraße sind 58 Stolpersteine verlegt worden.

Station 3.2. Pestalozzistraße 105 / Jazz-Club A-Trane
Wir sind, als wir um die Ecke bogen, an dem berühmten Jazz-Club A-Trane vorbeigekommen. Das A-Trane feierte dieses Jahr sein 25-jähriges Jubiläum und gehört zu den besten Jazz-Clubs der Stadt. Hier trat und tritt alles auf, was international Rang und Namen hat. Über 300 Konzerte finden jährlich im A-Trane statt. Der Club ist täglich geöffnet. Samstags findet eine Jam Session Jazz after Midnight statt. 80 bis 100 Gäste sitzen an Tischen um die Bühne herum. Seit Längerem ist das A-Trane auch einer der Auftrittsorte des JazzFest Berlin, was gerade letztes Wochenende zu Ende gegangen ist.
Der Besitzer des Clubs, Sedal Sardan, wurde 2013 mit dem Deutschen Musikpreis ECHO in der Kategorie Jazz als Förderer des Jazz ausgezeichnet. 2011 wurde das A Trane mit dem Live Entertainment Award (LEA) als bester Jazzclub Deutschlands ausgezeichnet. 2013 überreichte Kulturstaatsminister Bernd Neumann dem Club den Spielstättenprogrammpreis 2013, der für das „kulturell besonders hochwertiges Live-Musikprogramm im Jahr 2012“ vergeben wurde. Der Club ist nach dem Spitznamen von John Coltrane Trane benannt, mit einer Reminiszenz an den Duke Ellington-Standard Take the A-Train.

Station 3.3: Bleibtreustraße 2 / Ehemaliges jüdisches Bad
Ich referiere und zitiere hier aus dem Artikel von Aro Kuhrt, veröffentlicht am 18. Januar 2016 auf dem Online-Portal berlin:street:
http://www.berlinstreet.de/12353
Bei einem Bombenangriff 1943 wurde das Haus zerstört. 1956 wurde auf dem Grundstück ein Spielplatz für Kinder von 2 bis 12 Jahren eingerichtet.
Wir gehen nun weiter bis zur Bahnbrücke über die Bleibtreustraße an der Ecke Else-Ury-Bogen.

Station 4: Bahnbrücke

Station 4.1: Else-Ury-Bogen
Else Ury wurde am 1. November 1877 in Berlin geboren und wurde am 13. Januar 1943 in Auschwitz ermordet. Sie war die Schöpferin der Ihnen sicher bekannten Nesthäkchen-Figur: Rund siebzig Lebensjahre umfassen die 10 Nesthäkchen-Bände. Ury beschreibt darin fast ein ganzes Frauenleben von der Kaiserzeit bis zur Weimarer Republik.
In ihren Büchern und Erzählungen, die sich vor allem an Mädchen richteten, vertrat Ury überwiegend ein traditionell bürgerliches Familien- und Frauenbild. Ihre Bücher waren sehr erfolgreich, und sie war bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten eine anerkannte und erfolgreiche Schriftstellerin. Während des Dritten Reichs sind die meisten privaten Aufzeichnungen von Else Ury verloren gegangen. Anhand erhalten gebliebener amtlichen Schriftstücke kann man aber die zunehmende Ausgrenzung Else Urys aus dem Leben in Deutschland nachvollziehen. Dazu gehören u.a. die amtliche Erklärung über den Entzug ihres gesamten Vermögens, die amtliche Inventarliste über die in ihrer Wohnung befindlichen Gegenstände und die offizielle Zuweisung der Wohnung an einen „Arier“ sowie die Antwort der Oberfinanzdirektion auf den Antrag des Bürgermeisters des Ortes, wo ihr Ferienhaus lag, das Haus der „Reichsfeindin Else Sara Ury“ der Gemeinde unentgeltlich zu übertragen.

Station 4.2: Bahn-Brücke / Bleibtreustraße / Lichtinstallation
Die Lichtinstallation an der Bahnbrücke Bleibtreustraße ist seit 2013 in Betrieb und ist eine von drei sogenannten Perlen aus Licht in der City West. Die beiden anderen sind am Bahnhof Zoo und am Bahnhof Charlottenburg.
Die Idee für die Lichtinstallation hier stammt von den Lichtkünstlern Alexander Kuhnert, Christian Schroeder und Raoul Hesse. Die Beleuchtung ist in einer Kreisform angelegt und integriert sich in die Brückenkonstruktion. Dadurch wird der Raum unter der Brücke optisch aufgewertet. Die Installation reagiert auf Passanten und Straßenverkehr: Farben und Rhythmus ändern sich bei Bewegung. Dafür gibt es vier Bewegungsmelder, die über den Gehwegen im jeweiligen Eingangsbereich der Brücke montiert sind und eine entsprechende Lichtsequenz auslösen. Zusätzlich erhöht sich die Helligkeit beim Eintritt einer Person in den Brückenraum, wodurch die Lichtdynamik stärker wahrnehmbar ist.
Die Realisierung wurde durch eine Mischfinanzierung aus Fördermitteln des Aktiven Zentrums City West und privaten Geldern ermöglicht. Die Betriebskosten wurden für zunächst 10 Jahre von privaten Sponsoren unter Federführung der AG City West übernommen, für die jeweils auch eine Plakette an den Viadukten angebracht ist.

Station 5: Bleibtreustraße 10 / Gedenktafel Mascha Kaléko

Hier in dem Haus Bleibtreustraße 10 lebte von 1936-1938 Mascha Kaléko. Auf der Gedenktafel steht:
Hier lebte von 1936-1938 die Dichterin MASCHA KALÉKO 7.06.1907-21.01.1975
Das Deutschland von damals trieb sie ins Exil und verbot ihre Bücher.
Sie emigrierte 1938 nach New York, lebte seit 1966 in Jerusalem.
Gegen Ende der zwanziger Jahre kam sie mit der künstlerischen Avantgarde Berlins in Kontakt, die sich im Romanischen Café traf. So lernte sie u.a. Else Lasker-Schüler und Joachim Ringelnatz kennen. 1929 veröffentlichte Mascha Kaléko erste Gedichte, die im heiter-melancholischen Ton die Lebenswelt der kleinen Leute und die Atmosphäre im Berlin ihrer Zeit widerspiegeln. 1933 publizierte sie das Lyrische Stenogrammheft, über das der Philosoph Martin Heidegger später an sie schrieb [ich zitiere]:

Ihr Stenogrammheft zeigt, dass Sie alles wissen, was Sterblichen zu wissen gegeben ist.

Das Bändchen war nicht von der Bücherverbrennung betroffen, weil die Nationalsozialisten damals noch nicht wussten, dass Mascha Kaléko Jüdin war. Ab 1930 arbeitete Mascha Kaléko außerdem beim Rundfunk und im Kabarett Küka, dem Künstlerkabarett. Edmund Nick und Günter Neumann vertonten ihre Texte, vorgetragen wurden diese von Interpretinnen und Schauspielerinnen wie Rosa Valetti, Claire Waldoff oder Annemarie Hase.
Im September 1938 emigrierte sie mit ihrer Familie in die USA. In dem folgenden Gedicht drückt sich ihr großes Heimweh aus:
Ich bin, vor jenen ‘tausend Jahren’ Viel in der Welt herumgefahren. Schön war die Fremde, doch Ersatz. Mein Heimweh hieß Savignyplatz.
Kaléko hielt die Familie im Exil mit dem Verfassen von Reklametexten über Wasser und schrieb unter anderem Kindergedichte. Nach dem Krieg fand Kaléko in Deutschland wieder ein Lesepublikum. Sie sollte sogar von der Akademie der Künste geehrt werden, doch weigerte sie sich, den Preis aus der Hand eines ehemaligen SS-Mitgliedes entgegenzunehmen, was ihrer Karriere sehr geschadet hat. 1960 wanderte sie mit ihrem Mann nach Jerusalem aus.
Sie starb nach ihrem Sohn und ihrem Mann 1975 auf einer Reise.

Station 6: Bleibtreustraße 12

Station 6.1: Bleibtreustraße 12 / filmkunst 66
Wir stehen hier vor der filmkunst 66, einem der wichtigsten Charlottenburger Programmkinos. Das Kino wurde 1951 als eingeschossiger Flachbau auf einem ehemaligen Trümmergrundstück errichtet. Es hatte einen Kinosaal mit 400 Plätzen. Bis 1956 wurde hier das Kino BeLi Bleibtreulichtspiele betrieben, dann bis 1966 das Capri und dann wurde es kurz noch ein Porno-Kino. 1971 übernahmen Rosemarie und Franz Stadler das Kino. Die Stadlers machten aus dem Kino ein hochwertiges Programmkino mit zahlreichen Filmreihen und Festivals, darunter Western-, Zeichentrick- und Fantasy-Festivals.
1993 wurde das Haus abgerissen. In den vor uns stehenden Neubau wurde wieder ein Kino eingebaut, nun mit zwei Sälen à 100 und 200 Plätzen.1995 war Wiedereröffnung. Im Herbst 2000 wurde das Kino verkauft und 2001 von dem Ehepaar Stadler zurückgekauft. Im Juni 2003 erhielt das Kino den Kinoprogrammpreis für sein hervorragendes Jahresprogramm 2002 und 2009 von der Bundesregierung die Auszeichnung Bestes Programmkino.
2010 verkauften die Stadlers nach 39 Jahren das Kino an die Filmproduzentinnen Regina und Tanja Ziegler, die das Kino nun weiterbetreiben. Es zählt immer noch zu den Kinos mit den besten Filmkunstprogrammen.

Ein Stückchen weiter wurde ein Stolperstein für Elisabeth Krüger verlegt.

Station 6.2: Bleibtreustraße 12 / Stolperstein für Elisabeth Krüger
Hier wohnten Fritz und Elisabeth Krüger. Auf dem Stolperstein steht:
HIER WOHNTE ANNA ELISABETH KRÜGER JG. 1892 EINGEWIESEN HEILANSTALT
LANDSBERG A. D. WARTHE ERMORDET 28.6.1942
Fritz und Elisabeth Krüger wohnten zuerst in der Bleibtreustraße 18, wo der Schuhmacher auch seine Werkstatt hatte. Elisabeth Krüger arbeitete mit in der Werkstatt. In der Bleibtreustraße und in den angrenzenden Straßen wohnten viele jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen, die zu ihren Kunden gehörten.
Sie ließen sich von Fritz Geld und Schmuck in die Sohlen und Absätze ihrer Schuhe einarbeiten, um diese Werte vor den Nazis zu retten. Fritz Krüger war politisch eher links einzuordnen. Hier ein Zitat von Hansjürgen Kreft und Gerhard Rosenthal, Nachkommen der Krügers:
Jeden Morgen um 7 Uhr trafen sich einige Männer, die Nazi-Gegner waren, bei einem benachbarten Bäcker, um Nachrichten und Informationen auszutauschen. Krüger hängte die Hakenkreuzfahne so eingerollt aus dem Fenster, dass nur die rote Farbe zu sehen war. 1941/42 wurde das Gebäude jedoch Ziel eines Luftangriffs, die Ausgebombten mussten in die Bleibtreustraße 12 umziehen.
Ende der 30er-Jahre wurde Elisabeth „schwermütig“, ein anderes Wort für depressiv. Ich zitiere weiter:
Nach Ausbruch ihrer Krankheit konnte sie nicht mehr allein in ihrer Wohnung bleiben, während ihr Ehemann in seiner Schuhmacherei arbeitete. Sie kam daher in die Heilstätten Buch. Eines Tages wurde Elisabeth Krüger aus den Heilstätten Berlin-Buch in das Heil- und Pflegeheim Landsberg/Warthe (heute in Polen) gebracht. Dort ist sie am 28. Juni 1942 ums Leben gebracht worden. Sie war eines der Opfer des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten, dem mehr als 70 000 körperlich und geistig behinderte Menschen zum Opfer fielen.
Das Haus hier in der Bleibtreustraße 12 wurde noch im April 1945 bei einem Luftangriff zerstört, und damit auch die zweite Werkstatt von Fritz Krüger. Ich zitiere weiter:
Fritz machte aber nach Kriegsende wieder seine Werkstatt in der Bleibtreustraße auf und arbeitete dort bis Ende der 1950er-Jahre. Er war nicht nur ein guter Schuhmacher. Er liebte Musik. Er hatte eine Konzertzither, auf der er in der Freizeit und bei Familientreffen spielte.
Er lehnte Kirche und staatliche Willkür ab. Wie seine Frau Elisabeth war auch er „religionslos“. Sein Vorbild war Giordano Bruno, der 1600 in Rom als Ketzer verbrannt wurde. Fritz Krüger hat die Nazizeit überlebt, heiratete wieder und ist 1964 in Berlin gestorben.

Wir überqueren nun die Straße und treffen uns vor dem Eingang der Joan-Miró-Schule in der Bleibtreustraße 43 wieder.

Station 7: Bleibtreustraße 43

Station 7.1: Bleibtreustraße 15
Das Wohnhaus Bleibtreustraße Nr. 15 hier schräg gegenüber wurde von 1902 bis 1905 von Otto Harnisch & Hartmann erbaut. Es ist ein Putzbau im Neorenaissancestil mit burgähnlichen Dachaufbauten und gemeinsamen Höfen. Die luxuriösen Großwohnungen sind bis zu 400qm groß.

Station 7.2: Bleibtreustraße 15 / Gedenktafeln für Tilla Durieux und Alfred Flechtheim
An dem Haus Bleibtreustraße 15 wurden Gedenktafeln für Tilla Durieux und Alfred Flechtheim angebracht. Darauf steht:
Hier lebte von 1966 bis 1971 TILLA DURIEUX 18.8.1880-21.2.1971 Große deutsche Schauspielerin. Ab 1903 an den Reinhardt-Bühnen in Berlin. Emigration 1933, Rückkehr nach Berlin 1952 In diesem Hause lebte von 1923 bis 1933
ALFRED FLECHTHEIM 1.4.1878 – 9.3.1937 Kunsthändler, Verleger und Förderer der modernen Kunst Gründer und Herausgeber der Zeitschrift “Der Querschnitt” 1933 mußte Alfred Flechtheim emigrieren Er starb im Londoner Exil
Tilla Durieux hieß eigentlich Ottilie Godeffroy und wurde 1880 in Wien geboren, wo sie auch die Schauspielkunst studierte. Da ihre Eltern ihren Berufswunsch ablehnten, nahm sie als Künstlernamen den Geburtsnamen ihrer Großmutter väterlicherseits an. Nach Stationen in Olmütz und Breslau arbeitete sie beim Deutschen Theater in Berlin. Vor dem Ersten Weltkrieg engagierte sie sich auch in der Arbeiterbildung, indem sie an ihren probefreien Tagen zur Arbeiterversammlungen oder –matinéen fuhr, um Musik zu spielen, Theaterstücke aufzuführen oder bei Lesungen bedeutende Literatur vorzutragen.
In den 20er-Jahren unterstützte sie Erwin Piscator beim Aufbau seines Theaters finanziell und trat auch an der Piscator-Bühne auf. Im Zweiten Weltkrieg floh sie mit ihrem jüdischen Mann ins Exil, zuerst in die Schweiz und später nach Jugoslawien. Ihr Mann wurde 1941 in Thessaloniki von der Gestapo verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet. 1952 kehrte sie nach Deutschland zurück und trat weiterhin erfolgreich auf deutschen Bühnen auf. Anlässlich ihres 65-jährigen Bühnenjubiläums stiftete sie ein Jugendstil-Collier aus 32 in Platin gefasste Zirkonen. Dieses Collier wird alle zehn Jahre an eine herausragende deutsche oder österreichische Schauspielerin weitergereicht. Die Preisträgerin wird von der jeweiligen Trägerin bestimmt. Tilla Durieux starb 1971 in Berlin und ist neben ihrem zweiten Mann, dem Kunsthändler Paul Cassirer, auf dem Friedhof Heerstraße beerdigt.
Alfred Flechtheim wurde 1878 geboren. Er war ein bedeutender Kunsthändler, Verleger und Kunstmäzen. Über ihn gab es im Sommer eine Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum, die ja einige von Ihnen am Schluss des August-Spaziergangs gesehen haben. Er gehört sicher zu den wichtigsten Förderer der Avantgarde der 20er-Jahre. Im Mai 1933 floh er über die Schweiz und Paris nach London, wo er 1937 starb.

Bleibtreustraße 43 / Schulhof Joan-Miró-Grundschule

Bleibtreustraße 43 / Schulhof Joan-Miró-Grundschule

Station 8: Bleibtreustraße 43 / Joan-Miró-Grundschule / Schulhof

Die fünfzügige Joan-Miró-Grundschule mit 800 Schüler und Schülerinnen vereint unter ihrem Dach zwei Profile mit unterschiedlichen pädagogischen Konzepten: drei Regelzüge, die als Halbtagsgrundschule mit offenem Ganztagsbetrieb organisiert sind und zwei Züge als Staatliche Europaschule Berlin mit den Partnersprachen Deutsch-Spanisch in Form einer gebundenen Ganztagsschule. Somit gibt es eine interessante Mischung: Kinder aus der Nachbarschaft und die Kinder der Deutsch-Spanischen Europaschule, die aus ganz Berlin Kommen.
Die Klassen in der Europaschule werden in zwei Lerngruppen aufgeteilt, da die Alphabetisierung für jede Gruppe in deren Muttersprache erfolgt. Um die Kinder dem jeweiligen Partner oder Muttersprachenbereich zuzuordnen, werden vor der Einschulung Sprachtests durchgeführt. In den höheren Klassen werden die Fächer Sachunterricht, Geschichte, Erdkunde, Naturwissenschaften, Musik oder Sport auf Spanisch unterrichtet. Unterrichtssprache in Mathematik und Deutsch ist Deutsch.
Namensgeber der Schule ist Joan Miró. Joan Miró war ein katalanischer Maler und Bildhauer und wurde 1893 in Barcelona geboren und starb 1983 auf Mallorca. Miró gehört als Vertreter der Klassischen Moderne mit seinen fantasievollen Bildmotiven zu den populärsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Seine magischen Symbole für Mond, Sterne, Vogel, Auge und Frau zählen zu den bekannten Elementen seiner Kunst. Das verstörende Spätwerk, wie beispielsweise die Serie Toiles brûlées (Verbrannte Leinwände) war eine inszenierte Zerstörung, ein Protest gegen die Kommerzialisierung der Kunst und ein Ausdruck seiner Forderung, [ich zitiere] die Malerei zu ermorden.
Das Schulgebäude wurde 1899-1900 von Paul Bratring für die damalige 19. und 20. Gemeindeschule Charlottenburg gebaut. Das viergeschossige Haus ist in den Formen des Akademischen Historismus gestaltet. Vorgelagert ist eine zweigeschossige Turnhalle. Eine Zeit lang beherbergte das Gebäude das Kaiser-Friedrich-Gymnasium, in dem Walter Benjamin seit 1902 zur Schule ging. In seinem Buch Berliner Kindheit um neunzehnhundert schreibt er [ich zitiere]:
Der ganze Bau, der da hart am Stadtbahngelände aufsteigt, ist von altjüngferlicher, trauriger Sprödigkeit. Mehr noch als den Erlebnissen, die ich in seinem Innern hatte, ist es wahrscheinlich diesem Äußern zuzuschreiben, dass ich keine heitere Erinnerung an ihn bewahre.
Später waren in den Gebäuden auch verschiedene andere Institutionen untergebracht, zum Beispiel im Ersten Weltkrieg ein Lazarett, 1939 ein Krankenhaus für an Kinderlähmung Erkrankte, und dann bis 1969 die Ostpreußen-Hauptschule.
Im Rahmen des Aktiven Zentrums City West wurde der Schulhof neu gestaltet. Dazu sagt uns nun Paul-Martin Richter mehr.

Guten Tag, meine Damen und Herren! Ich knüpfe heute an den 161. Kiezspaziergang im Mai 2015 an, der ebenfalls über den Schulhof der Joan-Miró-Grundschule und den Spielplatz in der Knesebeckstraße führte. Damals hatte ich noch den dringenden Handlungsbedarf an beiden Orten beschrieben und über die bewilligten Fördermittel für den Bezirk aus dem Programm Aktive Zentren Berlin berichtet.
Nun freue ich mich, Ihnen das Ergebnis des Prozesses schildern und zeigen zu können. Die Arbeiten auf dem Schulhof sind im Wesentlichen abgeschlossen. Sie können jetzt die neuen so genannten Rutsch- und Knutschkugeln besichtigen und Trampolins und Balancierstege ausprobieren. Den Spielplatz in der Knesebeckstraße können wir aufgrund der Baustelleneinrichtung noch nicht besichtigen. Hier ist die Fertigstellung bis Ende dieses Jahres geplant.
Es fällt mir schwer, das umfangreiche Verfahren und die Vielzahl an Einzelmaßnahmen in wenigen Worten zu beschreiben. Ich fasse das mal mit drei Besonderheiten zusammen:
Besonderheit 1: Es handelt sich eigentlich um zwei Projekte, die zu einer Maßnahme zusammengefasst wurden: der Spielplatz und die Pausenhofflächen. Es wurde in einem räumlich übergreifenden Verfahren ein Entwurf für beide Standorte entwickelt, sozusagen aus einem Guss. Dies ermöglichte uns große Synergien gegenüber zweier getrennter Verfahren, was Aufwand für Planung und Beteiligung, Materialbestellung und bauliche Umsetzung durch die beauftragten Firmen betrifft. Dafür konnten die zur Verfügung stehenden Mittel zum Beispiel besser für die Anschaffung vieler benötigter Spielgeräte verwendet werden.
Besonderheit 2: Von Anfang wurde mit dem Projekt ein umfangreiches Beteiligungskonzept verknüpft. Allein die Ankündigung in der Schule entfaltete eine unerwartet tolle Dynamik. Als wir mit unseren eigenen Beteiligungsveranstaltungen gestartet sind, haben uns die Schulklassen schon mit Wandzeitungen und Modellen die Türen eingelaufen, die sie in verschiedenen Schul- und Hortprojekten angefertigt hatten. Der Schulförderverein übergab eine im Rahmen eines Spendenlaufs gesammelte Summe über 10.000 Euro, aus der eine von den Kindern schon lange gewünschte Kletterwand in die Planung integriert wurde. Es gab darüber hinaus noch selbstorganisierte Filmprojekte und einiges mehr, das die Identifikation mit dem Gesamtprozess sicher gestärkt hat. Im Zuge einer Beteiligungswerkstatt, an der Kinder, Eltern, Nachbarn, das Lehrer- und Hortkollegium, aber auch die städtebauliche Kriminalprävention der Polizei und der Behindertenbeauftragte des Bezirks teilnahmen, wurden Vorschläge für die zukünftige Gestaltung harmonisiert und konkretisiert. Hier kristallisierte sich auch die Farb- und Formensprache des namensgebenden katalanischen Malers Joan Miró als Leitmotiv für die zukünftige Gestaltung heraus. Über die anschließend vom Planungsbüro erstellten Entwurfsvarianten wurde klassenweise an der gesamten Schule abgestimmt. Aber auch bei der baulichen Umsetzung wurden Kinder mit einbezogen. So gab es eine freiwillige AG Baustellenreporter, die den Prozess in ihrem Baustellenreport dokumentierten (einzusehen unter www.berlin-city-west.de). Darüber hinaus wurden die mehrere Meter hohe Skulptur im Eingangsbereich des Schulhofes und die Mosaike auf den vielen neuen Tischen von den Kindern selbst entworfen und mit Hilfe einer Handwerksfirma zusammengesetzt und eingebaut.
Besonderheit 3: Als letztes möchte ich noch die besondere Enge erwähnen, die in mancher Hinsicht eine Herausforderung darstellte. Da sind zum einen die direkt an den Schulhof grenzenden Wohnhäuser, deren Belange mit in der Planung berücksichtigt werden müssen. Dann gibt es auf dem Schulhof und insbesondere auf dem Spielplatz einen großen Baumbestand, der erhalten bleiben sollte und beim Bau durch den oberflächennahen Wurzelwuchs die eine oder andere Umplanung erforderlich machte. Und schließlich: Die Neugestaltung des Schulhofes erfolgte bei laufendem Betrieb. Das heißt für die Bauabschnitte, die außerhalb der Ferienzeiten lagen, war es eine logistische Herausforderung, Baumaschinen, Bauarbeiter und 800 Schulkinder so zu organisieren, dass so viel wie möglich Fläche nutzbar und gleichzeitig die Sicherheit gewährleistet bleibt. Das war nicht immer einfach und unser großer Dank gilt dem Kollegium, das täglich die Hofaufsicht unter erschwerten Bedingungen durchführen musste. Zum Glück ist das alles gut gegangen. Nun freuen wir uns auch auf die nahende Fertigstellung des Spielplatzes.
Vielen Dank, Herr Richter!

Savignyplatz / Eingangshäuschen

Savignyplatz / Eingangshäuschen

Station 9: Savignyplatz / Eingangshäuschen

Wir stehen hier auf dem Savignyplatz. Dieser entstand nach dem Plan von James Hobrecht aus dem Jahr 1861 für die Stadterweiterung von Berlin. Im Jahr 1887 wurde er nach dem Juristen Friedrich Carl von Savigny benannt. Friedrich Carl von Savigny wurde 1779 in Frankfurt am Main geboren und starb 1861 in Berlin. Er gehörte zu den ersten Professoren an der 1810 gegründeten Humboldt-Universität, die damals noch Universität zu Berlin hieß. Erst im Jahr 1892 erhielt der Savignyplatz Grünanlagen nach Entwürfen des städtischen Garteninspektors Ludwig Neßler. Er ist ein Blockplatz mit sieben Straßeneinmündungen. Die Straßen durchkreuzen den Platz, wobei die Kantstraße als größte Straße den Platz teilt. Der S-Bahnhof Savignyplatz wurde 1896 eröffnet. 1926/27 gab ihm der Städtische Gartenbaudirektor Erwin Barth mit Sitzlauben und Staudenrabatten eine neue Form.
Im Jahr 2007 wurde das vor uns stehende Stromhäuschen durch den Berliner Architekten Christian Koch rekonstruiert.
Der früher offene Durchgang des 1926 entworfenen Häuschens wurde dabei mit einer Kunstinstallation von Ute Lindner mit dem Titel Through the Looking Glass geschlossen. Sie besteht aus zwei von innen beleuchteten Glasfassaden auf den beiden Längsseiten des Häuschens. Ich zitiere nun aus der Beschreibung des Kunstwerkes, die auf der Infotafel steht:

Während der Betrachter sich bei Tageslicht in der Glasfläche spiegelt, verwandeln sich die Figuren durch die Beleuchtung bei Nacht zu dunklen Silhouetten vor einem leuchtend blauen Grund. Mit ihren wechselnden Tag- und Nachtansichten wird die Arbeit immer neu erlebbar, gleichzeitig verleiht sie dem Ort eine kontemplative Atmosphäre und gibt dem Offenen des ursprünglichen Gebäudes neuen Raum.

Wir gehen nun weiter auf die Südseite des Platzes und treffen uns vor der Kneipe Zwiebelfisch wieder. Dabei kommen wir an einem Kiosk vorbei, den Alfred Grenander 1905 entworfen hat.
Er wurde bei den Luftangriffen von 1943 stark beschädigt und zur 750-Jahr-Feier 1987 wieder instandgesetzt. Der Kiosk steht unter Denkmalschutz. Heute ist dort eine gern besuchte Currywurst-Bude.

Savignyplatz / Kneipe Zwiebelfisch

Savignyplatz / Kneipe Zwiebelfisch

Station 10: Savignyplatz / Zwiebelfisch

Wir stehen hier vor dem Zwiebelfisch. Die legendäre Kneipe ist dieses Jahr 50 Jahre alt geworden. Sie ist von 12 Uhr mittags bis 6 Uhr morgens geöffnet und schon immer Treffpunkt für Nachtschwärmer, Denker, Schriftsteller, Philosophinnen, Nachbarn, Journalisten und Künstlerinnen.
Man kann dort essen und trinken; – und, wie die Wirtin uns sagte, wenn sie Zeit habe, backe sie auch Kuchen für die Gäste. Sie können ja mal nachschauen, ob sie heute gebacken hat. Schön jedenfalls, dass in unserer sich schnell verändernden Welt manche Dinge bleiben.

Zum Namen: Das Wort Zwiebelfisch kommt aus dem Druckhandwerk, als man noch mit Bleilettern hantierte. Wenn ein artfremder Buchstabe in ein Wort hineingeraten ist, nennt man diesen Buchstaben Zwiebelfisch.

Hier endet unser Kiezspaziergang. Ich erinnere noch einmal an den nächsten Kiezspaziergang am Samstag, den 9.12. um 14 Uhr, den Bezirksstadtrat Engelmann führen wird. Er beginnt am südöstlichen Ausgang des U-Bahnhofes Berliner Straße und führt über die Prinzregentenstraße und Bundesallee in die Wilhelmsaue zum Schoeler-Schlösschen. Er endet in der Schwedischen Kirche in der Landhausstraße 26-28. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag, vielleicht mit einem Kaffee im Zwiebelfisch, und einen guten Nachhauseweg. Tschüss bis zu unserem Kiezspaziergang im Januar!