Kommunalpolitischer Rundgang am 27.1.2001

Durch Schmargendorf

Bezirksbürgermeister Andreas Statzkowski

Allgemeines

Schmargendorf wurde 1354 erstmals urkundlich als “Marggrefendorf” (Dorf des Markgrafen Ludwig des Römers) erwähnt. Daraus wurde “Smargenendorff” und schließlich Schmargendorf. Bis 1899 wurde es von Wilmersdorf mitverwaltet, seit 1899 selbständiger Amtsbezirk, 1920 in den Bezirk Wilmersdorf und damit in die neue Stadtgemeinde Berlin integriert, seit 2001 Ortsteil des neuen Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf.

In den 1890er Jahren verkauften die Bauern ihre Ackerflächen. Der Schmargendorfer Bebauungsplan von 1911 sah die Bebauung sämtlicher Ackerflächen vor, was wegen des Ersten Weltkrieges zunächst nicht geschah. Bis heute wurde das große Kleingartenareal nördlich der Friedrichshaller Straße nicht bebaut.

Berkaer Platz
Platzname seit 1891, viele Straßen in dieser Gegend wurden nach bekannten Badeorten benannt (Bad Berka bei Weimar in Thüringen)

1, Rathaus Schmargendorf, 1900-02 von Otto Kerwien im Stil der märkischen Backsteingotik mit Jugendstilelementen gebaut (Otto Kerwien hatte zuvor das Rathaus Steglitz gebaut). Schmargendorf hatte zu dieser Zeit 3000 Einwohner. Das Rathaus stand auf dem freien Feld und löste viel Verwunderung aus.

Wilmersdorfer Standesamt seit Schmargendorf 1920 in den Bezirk Wilmersdorf eingegliedert wurde, wegen seines repräsentativen, verspielten Äußeren auch bei Prominenten beliebt als Eheschmiede: u.a. Bernd Rosemeyer, Romy Schneider, “Fifi” Kronsbein, Anita Kupsch, Gunter Gabriel, Paul Kuhn, Ingrid Steeger und Roland Kaiser haben hier geheiratet (Baudenkmal).

Berkaer Straße Straßenname seit 1927, 1891-1927 Spandauer Straße (führte durch die Spandauer Heide Richtung Spandau)

8 Flachbau, in den 20er Jahren vom Bezirk Wilmersdorf in einem Notprogramm als Außenstelle für das Gesundheitsamt gebaut.

9-11 Carl-Orff-Grundschule

1911-13 als Goethe-Lyzeum von Alfred Solbach gebaut (Baudenkmal). 1938 wurde die Schule in Frau-Aja-Schule umbenannt (nach Goethes Mutter), weil Mädchenschulen Frauennamen tragen sollten.

31-35 (Ecke Sulzaer Straße)

Max-Bürger-Zentrum für Sozialmedizin, Geriatrie und Altenhilfe

(Gedenktafel), 1929-31 von Alexander Beer als Jüdisches Altersheim erbaut, 1941 von den Nationalsozialisten geschlossen, Spionageabwehr unter SS-General Schellenberg, 1945-54 britische Panzerkaserne und Offizierskasino, 1954-56 Modernisierung, seither Filiale des Krankenhauses Wilmersdorf, seit dessen Schließung 1982 zum Charlottenburger Max-Bürger-Krankenhaus gehörig (Baudenkmal).

Sulzaer Straße
Straßenname seit 1891 nach Bad Sulza bei Apolda in Thüringen

Hundekehlestraße
Straßenname seit 1891 (Hundequele, alte Bezeichnung für die Sammelstelle der Hundemeute bei einer Treibjagd, die Straße führt in Richtung Hundekehlefenn und Hundekehlesee im Grunewald)

Entlang der Hundekehlestraße verlief das Gatter des Grunewaldes, das den Wildbestand des Königlichen Jagdreviers am Weglaufen hindern sollte. Um die Jahrhundertwende entstand hier eine Siedlung mit Villen und Ausflugslokalen (in der Warnemünder Straße) direkt am Wald, von vermögenden Berlinern als Sommerfrische genutzt.

In einer Zeitungsmeldung vom 24.2.1890 hieß es:

“Schmargendorf als Luftkurort. Das vor wenigen Jahren kaum dem Namen nach bekannte Dörfchen ist heute bereits zu einem unentbehrlichen Luftkurort für zahlreiche Residenzbewohner geworden, die hier in der ozonreichen Luft des Grunewaldes Ersatz für den Aufenthalt im Thüringer Wald suchen.”

31, Landhaus, “florentinische Stadtvilla”, 1925 von Hugo und Otto Schellenberg als Architektur-Atelier gebaut, später wohnten hier die Schauspieler Maria Bard und Werner Kraus (Baudenkmal)

11, “Villa Waldfrieden” (Gedenktafel), hier lebte von 1898 bis 1900 Rainer Maria Rilke, schrieb hier 1899 die Erstfassung der “Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke”. Das Haus gehörte Lou Andreas-Salomé und ihrem Mann, dem Orientalisten Friedrich Carl Andreas. Rilke beklagte sich häufig über den Lärm aus den zahlreichen nahen Gartenlokalen, die es damals in Schmargendorf am Waldrand gab.

Lou Andreas-Salomé schrieb:

“Rainer Maria Rilke teilte ganz unsere sehr bescheidene Existenz am Schmargendorfer Waldrande bei Berlin, wo in wenigen Minuten der Wald in die Richtung Paulsborn führte, vorbei an zutraulichen Rehen, die uns in die Manteltaschen schnupperten, während wir uns barfuss ergingen – was mein Mann uns gelehrt hatte. In der kleinen Wohnung, wo die Küche den einzigen wohnzimmerlichen Raum außer meines Mannes Bibliothek darstellt, assistierte, Rainer mir nicht selten beim Kochen, insbesondere wenn es sein Leibgericht, russische Topfgrütze, oder einen Borschtsch gab… in seinem blauen Russenhemd mit rotem Achselschluss half er mir Holz zerkleinern oder Geschirr trocken, während wir dabei ungestört bei unseren verschiedenen Studien blieben.”

Rilke selbst schrieb über seinen Aufenthaltsort:

“Ein zauberhaftes Waldland, dessen Charakter nicht einmal durch die überflüssige Straße verunstaltet wird.”

Breite Straße
Straßenname seit 1904, zuvor 1871-1891 Dorfstraße, 1891-1904 Hauptstraße (die Straße war die breiteste in Schmargendorf)

Durch die Neubebauung in den 60er Jahren wurde der dörfliche Charakter zerstört. Die südliche Häuserzeile wurde abgerissen, der Dorfanger durch eine neue Straßenführung ersetzt. Am 10.5.1962 war Richtfest für die Bebauung der Südseite durch den Architekten Hans-Jürgen Heide (87 Wohnungen und drei flache Ladenpavillons), im Oktober 1964 wurde die neu angelegte Straße dem Verkehr übergeben.

24 erkennbar als Eckhaus angelegt. Hier sollte ursprünglich die Warnemünder Straße in Richtung Kolberger Platz durchgeführt werden. Die Eckkneipe war bis 1932 Stammlokal der Kommunisten, seit dem 30.1.1933 SA-Sturmlokal. Nach Zeitzeugenberichten verkehrten hier vorher und nachher überwiegend die gleichen Leute. 1945 hatte hier der sowjetische Ortskommandant von Schmargendorf, ein Georgier, seinen Sitz.

23 letztes altes Bauernhaus in diesem Bereich, gehörte dem Milchpächter Franz Balz, die alten Stallungen sind erhalten und wurden um Garagengebäude ergänzt

22 Bäckerei Wahl (alteingesessen, hervorgegangen aus dem Betrieb von Fritz Lenkersdorf)

21 hier befand sich bis 1998 das Bekleidungsgeschäft Wuhlert, das von den Töchtern des Gründers Albert Wuhlert geführt wurde. Albert Wuhlert hatte 1891 die Schmargendorfer Freiwillige Feuerwehr gegründet.

20 hier ist noch ein alter Hof mit Stallgebäuden vorhanden, die heute von der “Remise” genutzt werden, einem Antiquitäten- und Second Hand-Handel

15 in den 1960ern wurde hier die Villa “Charlotte” zugunsten eines Apartementhauses abgerissen. Die Villa war von Johann Friedrich Balz gebaut worden, der bis 1909 Ortsvorsteher von Schmargendorf war.

13-14 (Ecke Cunostraße) Stammsitz der weitverzweigten Schmargendorfer Bauernfamilie Schmidt, bis es um 1900 zum heftigen Erbstreit kam. Im Ergebnis blieb der sogenannte “Eisen-Schmidt” hier ansässig.

Ecke Kirchstraße, Dorfkirche Schmargendorf, 13./14. Jh., frühgotisch, Ältestes Gebäude im Bezirk (Baudenkmal).

Mehrfach umgebaut: 1831 wurde auf dem Giebel ein Dachturm aus Fachwerk aufgesetzt, 1895 von dem Friedenauer Baumeister Heinrich Otto Hoffmann umgestaltet (nicht besonders glücklich): Vergrößerung einiger Fenster, der flachgedeckte Saalbau wurde durch ein Tonnengewölbe in einen unproportionierten Raum verwandelt. 1918 und 1937/38 wurde der frühere Zustand weitgehend wiederhergestellt. Noch heute hängen in dem kleinen Kirchturm zwei Glocken aus dem 14. Jh.

Die Kirche besitzt einen Abendmahlskelch aus Silber, vergoldet mit der Widmung EVWGB 1634 (Eva von Wilmersdorf geborene Below 1634). 1937 hatte man bei den Umbauarbeiten sieben Särge entdeckt, in denen auch die gravierten goldenen Trauringe des ehemaligen Gutsherrenehepaares Hans und Eva von Wilmersdorf gefunden worden waren. Sie sind inzwischen verloren gegangen – nur ein Foto existiert noch. Das Gestühl stammt aus dem 19. Jh. Früher hatte die Kirche keine Bänke. Man versammelt sich stehend und kniete zum Beten auf den Steinfußboden nieder.

Als am 1.11.1539 Joachim der Zweite zum Protestantismus übertrat, wurden auch die Schmargendorfer Bauern protestantisch (“Cuius regio, eius religio”). Zunächst war die Wilmerdorfer Pfarrei der Schmargendorfer untergeordnet. Der Wilmerdorfer Pfarrer betreute bis 1708 das Dorf Lietzow mit. Als er diese Pfarrei ein Charlottenburg verlor, wurden Schmargendorf und Dahlem der Wilmersdorfer Pfarrei untergeordnet. Jahrelang wurde darüber gestritten, ob Schmargendorf als echte Tochtergemeinde oder als Gastgemeinde Wilmersdorfs anzusehen sei.

Seit den 1920er Jahren wurde die Kirche zu klein. Gottesdienste wurden in den Schulaulen der Carl-Orff-Schule und des damaligen Heinrich-von-Kleist-Gymnasiums gehalten. Ende 1929 konnte die Kreuzkirche am Hohenzollerndamm eingeweiht werden. Erst 1960 wurde die evangelische Kirchengemeinde Schmargendorf in die beiden Gemeinden Alt-Schmargendorf und Kreuzkirche geteilt.

Auf dem Friedhof liegt unter anderem der frühere Dorfschulze von Schmargendorf, Peter Gottfried Salomo Schmidt (1781-1844). Das Grab wurde in den letzten Jahren mit Unterstützung des Heimatvereins Wilmersdorf restauriert.

Früher lag vor der Kirche (zwischen Kirche und Breite Straße) der Dorfteich. 1896 wurde hier ein Denkmal für Kaiser Wilhelm I errichtet

Cunostraße
Straßenname seit 1891, benannt nach Rudolf Cuno 1827-1895, Direktor er städtischen Gaswerke; an der Cunostraße im Bereich des heutigen Stadiongeländes wurde seit 1889 ein Gaswerk gebaut, 1893 eröffnet, 1926 abgerissen; bei Stadionbauarbeiten wurden 1987 Cyanide im Boden gefunden, der aufwenig saniert werden musste.

7-12 (zwischen Friedrichshaller Str. und Reichenhaller Str.) Siedlung Kolberg Süd, 1982 von Henry Nielebock & Partner als letzte Großsiedlung auf Kleingartengelände gebaut (frühere Kleingartenkolonie Kolberg). (dahinter Kolonie Friedrichshall und Kolonie Oeynhausen)

9-11 Bezirkliche Kita

75-94 (Ecke Reichenhaller Straße), Reichsbanksiedlung Schmargendorf, 1923-26 von Werner March (Baudenkmalensemble und Freiflächen als Gartendenkmal)

Reichenhaller Straße
Straßenname seit 1891 (nach Bad Reichenhall bei Berchtesgaden in Bayern)

8-9 Alt-Schmargendorf-Grundschule, 1901 eingeweiht (Schulhaus an der Friedrichshaller Straße), 1904 wurde an der Reichenhaller Straße eine Turnhalle mit Feuerwache angebaut. Die Feuerwache blieb bis in die 30er Jahr auf dem Schulgelände, bis an der Auguste-Viktoria-Straße neben dem Rathaus Schmargendorf ein Neubau bezogen werden konnte.

1929 und 1933 Schul-Erweiterungsbau an der Reichenhaller Straße (Denkmalschutz) und Aufteilung in 13. und 14. Volksschule

62-64 (zwischen Weinheimer Str. und Davoser Str.) um 1925 von dem Architekten Stephanowitz errichtet: Siedlung mit einheitlichen, nach außen unterschiedlich gestalteten Familienwohnhäusern mit wirkungsvoll abgestufter Dachausbildung und klassizistischen Putzfassaden, breiten Freitreppen und Pergolen; heute “Russenviertel”

63 Kita Kissi (Umzugspläne)

Kolberger Platz

Wochenmarkt seit 1913 (Privater Markt: Mi, Sa 8-13 Uhr)

Reichenhaller Straße

4 Wohnung des Schauspielers Walter Franck, der 1945 von der sowjetischen Kommandantur zum Bürgermeister von Schmargendorf ernannt wurde und hier begann, die Verwaltung aufzubauen, bis das im Krieg beschädigte Rathaus Schmargendorf wieder bezogen werden konnte (u.a. waren sämtliche Fenster zerstört).