83. Kiezspaziergang am 8.11.2008

Vom Joachimstaler Platz zum Stuttgarter Platz

Martina Schmiedhofer auf dem Joachimstaler Platz, Foto: KHMM

Martina Schmiedhofer auf dem Joachimstaler Platz, Foto: KHMM

Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer

Treffpunkt: Joachimstaler Platz, U-Bahnhof Kurfürstendamm

Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem 83. Kiezspaziergang. Mein Name ist Martina Schmiedhofer. Ich bin Bezirksstadträtin für Soziales, Gesundheit, Umwelt und Verkehr im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, und ich habe den heutigen Kiezspaziergang übernommen, weil Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen sich noch im Urlaub befindet.
Wie immer im November wird es auch heute wieder um die Geschichte der Juden in unserem Bezirk gehen, um ihre Vorfolgung, Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung im Nationalsozialismus. Morgen am 9. November wird es genau 70 Jahre her sein, dass die Nationalsozialisten in einem Pogrom die Synagogen angezündet und die jüdischen Geschäfte zerstört haben. Gerade hier in der westlichen City Berlins zwischen Kurfürstendamm und Kantstraße waren die Zerstörungen besonders massiv. Wir wollen uns heute vor Ort daran erinnern.

Zuvor will ich Ihnen aber wie gewohnt mitteilen, wo der nächste Treffpunkt ist. Den 84. Kiezspaziergang am 13. Dezember wird wieder Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen übernehmen. Im Mittelpunkt wird dann die Besichtigung des Hauses der Berliner Festspiele, der früheren Freien Volksbühne in der Schaperstraße stehen. Der Intendant Joachim Sartorius hat die Kiezspaziergängerinnen und –spaziergänger zu einem Besuch eingeladen. Treffpunkt ist am Samstag, dem 13. Dezember, um 14.00 Uhr vor dem ehemaligen Joachimsthalschen Gymnasium am U-Bahn-Ausgang Spichernstraße.

Der Joachimstaler Platz, auf dem wir uns gerade befinden ist zwar ebenfalls wie das Joachimsthalsche Gymnasium nach dem märkischen Ort Joachimsthal benannt, aber merkwürdigerweise ist ihm irgendwann das “h” nach dem “t” abhanden gekommen. Niemand weiß, wann und warum, aber er schreibt sich ebenso wie die Joachimstaler Straße seit der Nachkriegszeit nur mit “t”. Auf älteren Plänen wurden Straße und Platz noch korrekt mit “th” geschrieben. Aber das ist sicher das Geringste, das im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen ist.

Erich Kästner wohnte von 1931 bis 1944 unweit vom Kurfürstendamm in der Roscherstraße 16. Sein bevorzugter Arbeitsplatz war das Café Leon im Mendelsohn-Bau am Lehniner Platz, in dem heute die Schaubühne untergebracht ist. Kästner erlebte die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 auf dem Kurfürstendamm. Er hat darüber geschrieben:
“In jener Nacht fuhr ich, im Taxi auf dem Heimweg, den Tauentzien und Kurfürstendamm entlang. Auf beiden Straßenseiten standen Männer und schlugen mit Eisenstangen Schaufenster ein. Überall krachte und splitterte Glas. Es waren SS-Leute, in schwarzen Reithosen und hohen Stiefeln, aber in Ziviljacken und mit Hüten. Sie gingen gelassen und systematisch zu Werke.
Jedem schienen vier, fünf Häuserfronten zugeteilt. Sie hoben die Stangen, schlugen mehrmals zu und rückten dann zum nächsten Schaufenster vor. Passanten waren nicht zu sehen. Erst später, hörte ich am folgenden Tag, seien Barfrauen, Nachtkellner und Straßenmädchen aufgetaucht und hätten die Auslagen geplündert.
Dreimal ließ ich das Taxi halten. Dreimal wollte ich aussteigen. Dreimal trat ein Kriminalbeamter hinter einem der Bäume hervor und forderte mich energisch auf, im Auto zu bleiben und weiterzufahren. Dreimal erklärte ich, dass ich doch wohl aussteigen könne, wann ich wolle, und das erst recht, wenn sich in aller Öffentlichkeit, gelinde ausgedrückt, Ungebührliches ereigne. Dreimal hieß es barsch: ‘Kriminalpolizei’! Dreimal wurde die Wagentür zugeschlagen. Dreimal fuhren wir weiter. Als ich zum vierten Mal halten wollte, weigerte sich der Chauffeur. ‘Es hat keinen Zweck’, sagte er ‘und außerdem ist es Widerstand gegen die Staatsgewalt!’ Er bremste erst vor meiner Wohnung.”
So weit der Bericht von Erich Kästner, der erahnen lässt, was in jener Nacht vor 70 Jahren hier geschehen ist.

Ehem. Wäschehaus Grünfeld, heute Ku’damm-Eck
Hier direkt gegenüber an der Stelle des heutigen Ku’damm-Ecks eröffnete Heinrich Grünfeld 1928 eine sehr markante Filiale seines Wäschehauses Grünfeld. Das Stammhaus befand sich in der Leipziger Straße – dort setzte man auf Tradition, hier am Kurfürstendamm auf Moderne mit einer gläsernen Schaufensterfront und einem gläsernen Fahrstuhl, beides damals absolute Neuheiten.
Hier kaufte die Prominenz aus Film, Theater, Musik, aus der Kunst- und Modewelt und Touristen aus dem Ausland. Die “Grünfeld-Ecke” wurde schnell zum Begriff in Berlin.
Fritz Grünfeld hat in seinen Erinnerungen beschrieben, wie er das Problem löste, als er im Jahr der Olympiade 1936 aufgefordert wurde, das Haus zu beflaggen: “Ein unbeflaggtes Haus an dieser prominenten Ecke hätte das ‘Anderssein’ des jüdischen Unternehmens zu deutlich gemacht. Andererseits konnten wir auch nicht die Hakenkreuzfahne hissen. So kam ich auf den Gedanken, die ganze attraktive Fassade mit Wimpeln wie bei einer Regatta ausschmücken zu lassen – und zwar abwechselnd in den zwei Farben ‘Wäsche-Weiß’ und ‘Grünfeld-Blau’. Das waren auch die Farben der zionistischen Bewegung. Sehr festlich wirkte der Anblick auf die Besucher der Olympiade zu Berlin”.
Im Jahr darauf, 1937, wurde das 75jährige Firmenjubiläum in großem Rahmen begangen. Unmittelbar nach diesem Erfolgs-Jubiläum begann im Jahr 1938 das Kesseltreiben gegen die Firma mit einer Hetzkampagne des Stürmers, der vor dem Kauf bei Grünfelds warnte. Danach wurde das Personal unter Druck gesetzt, Grünfeld zu verlassen. Die Presse druckte keine Anzeigen mehr, und Lieferanten boykottierten die Firma auf staatlichen Druck hin, die Banken sperrten die Kredite. Die Firma war nicht mehr zu halten. Die Grünfelds mussten einen Käufer suchen. Walther Kühl, Inhaber der Berliner Einzelhandelsfirma Max Kühl, kaufte das Unternehmen weit unter Wert. Und selbst dieser Verkaufserlös wurde der Familie Grünfeld von den deutschen Behörden wieder abgenommen, bevor sie – gerade noch rechtzeitig – nach Palästina auswandern konnte.
Am 15. Oktober 1938 meldete die “Textil-Zeitung”: “Grünfeld in arischem Besitz!” Das Haus Grünfeld wurde zunächst von Kühl weitergeführt, im Krieg beschlagnahmt und als Heereskleiderkasse zur Lagerung und Ausgabe von Uniformen benutzt. In den letzten Kriegstagen im April 1945 wurde das Gebäude von SS-Leuten angezündet, wahrscheinlich um zu verhindern, dass der Feind in den Besitz der Uniformen gelangte.
Max Kühl führte das Wäschekaufhaus in der Nachkriegszeit am Kurfürstendamm Ecke Fasanenstraße weiter. Die Ruine des Wäschehauses Grünfeld wurde noch bis in die 60er Jahre als dreistöckiger Behelfsbau genutzt.

1969-72 entstand dann das Kudamm-Eck von Senatsbaudirektor Werner Düttmann. Es wurde bald nach Fertigstellung als überdimensionierter hässlicher Schandfleck empfunden. In dem verwinkelten Gebäude konnte sich kein Nutzer auf Dauer erfolgreich behaupten, und viele wünschten sich schon in den 80er Jahren einen möglichst baldigen Abriss. Dazu kam es schließlich 1998. In den folgenden drei Jahren bis 2001 bauten Gerkan, Mark und Partner das heutige runde Kudamm-Eck.

Kurfürstendamm 217 (Ecke Fasanenstraße): Ehem. Nelson-Revue, Astor-Kino
Diagonal gegenüber dem Kempinski befand sich von 1921 bis 1928 die Nelson-Revue. Der überaus populäre Komponist und Theatermann zeigte hier seine Revuen mit moderner Unterhaltungsmusik und geistvollen literarischen Texten von Walter Mehring, Kurt Tucholsky und anderen. 1926 trat hier Josephine Baker erstmals in Berlin auf. Nelson emigrierte 1933 über Zürich nach Amsterdam. Die Revue wurde von den Nationalsozialisten geschlossen und 1934 zum Astor-Kino umgebaut.

Die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich hat am Donnerstag, dem 10. November 1938 in ihr Tagebuch notiert:
“Um sieben Uhr früh läutet es. Vor der Tür steht Dr. Weißmann, der Rechtsanwalt und berichtet fassungslos: ‘Wie Hasen werden wir gejagt. Den halben Kurfürstendamm entlang haben sie mich laufen lassen. Judenschwein! Massenmörder! Verrecke, du Aas! mir nachgebrüllt. Mit Steinen auf mich geworfen und mit Dreckklumpen.’
Um halb zehn fahre ich in die Redaktion. Der Kurfürstendamm ist ein einziges Scherbenmeer. An der Ecke Fasanenstraße stauen sich die Menschen. Eine stumme Masse, die betreten in Richtung der Synagoge starrt, deren Kuppel von Rauchwolken verhüllt ist.”

Vor dem Hotel Kempinski, Foto: KHMM

Vor dem Hotel Kempinski, Foto: KHMM

Fasanenstraße Ecke Kurfürstendamm 27 Kempinski
1994 hat Fritz Teppich, ein Nachkomme der Familie Kempinski durchgesetzt, dass an dem Hotel eine Gedenktafel angebracht wurde. Die Messingtafel ist links neben dem Eingang zu sehen. Der Text lautet:
HIER STAND SEIT 1928 EIN
KEMPINSKI-RESTAURANT.
ES WAR EIN WELTWEIT
BEKANNTES SYMBOL
BERLINER GASTLICHKEIT.
WEIL DIE BESITZER JUDEN
WAREN, WURDE DIESE
BERÜHMTE GASTSTÄTTE
1937 “ARISIERT”,
UNTER ZWANG VERKAUFT.
ANGEHÖRIGE DER
FAMILIE KEMPINSKI
WURDEN UMGEBRACHT,
ANDERE KONNTEN FLIEHEN.
DAS 1952 ERÖFFNETE
BRISTOL HOTEL KEMPINSKI
MÖCHTE, DASS DAS SCHICKSAL
DER GRÜNDERFAMILIE
NICHT VERGESSEN WIRD

Vor dem Haus der Jüdischen Gemeinde, Foto: KHMM

Vor dem Haus der Jüdischen Gemeinde, Foto: KHMM

Fasanenstr.79/80 Synagoge und Haus der Jüdischen Gemeinde
1910-1912 baute Ehrenfried Hessel hier die große Synagoge der Jüdischen Gemeinde Charlottenburg als dreischiffigen Monumentalbau mit drei Kuppeln und einem Tonnengewölbe. Stilistisch orientierte sich das Haus an frühchristlich-byzantinischen Kirchenbauten. Die Synagoge bot 2.000 Menschen Platz. Sie wurde am 26.8.1912 eingeweiht. Kaiser Wilhelm II kam zwar nicht zur Einweihung, aber er besuchte die Synagoge einige Tage danach. Es war die erste große Synagoge außerhalb des alten Berlins, und neben der Synagoge in der Oranienburger Straße war es die berühmteste in Berlin. Sie kündete vom Selbstbewusstsein des liberalen jüdischen Bürgertums: Nicht mehr versteckt im Hinterhof wie noch die wenige Jahre zuvor geweihte Synagoge in der Rykestraße, sondern als sichtbares Zeichen im Stadtbild. Von 1912 bis 1938 war Julius Galliner Gemeinderabbiner.
In der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde die Synagoge angezündet und brannte aus. 1957/58 wurde die Ruine abgerissen. An ihrer Stelle bauten Dieter Knoblauch und Hans Heise 1958-60 das Jüdische Gemeindehaus.
Es ist eine kreuzförmige Anlage mit einem Saalbau und einem langgestrecktem Verwaltungstrakt. Der Saalbau erinnert mit drei Oberlichtkuppeln an die zerstörte Synagoge.
Am Portal erinnern Reste der alten Portalbekrönung an die Synagoge. Im Vorhof wurde 1987 ein Mahnmal von Richard Hess in Form einer stilisierten Torarolle aufgestellt.

Im Foyer gibt es Gedenktafeln unter anderem für Walther Rathenau, Richard Tauber, Josef Schmidt und eine Büste von Moses Mendelssohn. Im Innenhof trägt eine Gedenkwand die Namen von 22 Ghettos, Internierungs-, Konzentrations- und Vernichtungslagern, davor brennt eine Ewige Flamme.
Hier werden Gedenkveranstaltungen abgehalten und das Kaddisch, das jüdische Trauergebet, gesprochen. Im Juli 2006 verlegte die Jüdische Gemeinde ihren Sitz in das Centrum Judaicum an der Oranienburger Straße im Bezirk Mitte. Hier im Gemeindehaus in der Fasanenstraße bleiben der Seniorentreff, die Gemeindebibliothek, die Jüdische Volkshochschule und das koschere Restaurant Arche Noah.
Ein Charlottenburger Augenzeuge schrieb folgenden Bericht:
“Die Nacht vom 9. zum 10. November und den 10. November 1938 kann niemand aus dem Gedächtnis löschen, der die entfesselte Unterwelt aus dem Abgrund steigen sah. Mit Knüppeln und langen Stangen, johlend und lachend, brachen sie auf dem Kurfürstendamm, in seinen Nebenstraßen und in der Tauentzienstraße in die Geschäfte, Büros und Wohnungen der jüdischen Einwohner ein. Wie aus dem Boden gewachsen tauchten plötzlich Hunderte von jungen Burschen auf, die an ihrer SA-Herkunft nur durch die Schaftstiefel zu erkennen waren, verteilten sich nach einem festgelegten Plan auf beiden Seiten des Kurfürstendammes und zertrümmerten die großen Schaufenster der jüdischen Geschäfte.
Andere Trupps zogen nach der Fasanenstraße und begingen das schändlichste Werk der an Verbrechen reichen Nacht: Sie drangen in das Gotteshaus, in die Synagoge ein und setzten sie in Brand.
Hoch loderten die Flammen als, von empörten Passanten alarmiert, die Feuerwehr eintraf. Und dann geschah das Unfassbare, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt: Die Feuerwehr durfte nicht löschen, die Polizei durfte nicht den Mob verjagen! Hilflos standen die Löschmannschaften vor der brennenden Synagoge: Die SA-Männer hinderten sie am Auslegen der Schläuche, und die Polizei drehte dem schamlosen Schauspiel den Rücken.”

Der heutige Direktor des Jüdischen Museums, Michael Blumenthal, hat den 9. November 1938 als 12jähriger erlebt:
“Unser Geschäft wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 demoliert; meine Mutter ging gleich in der Früh los, um zu retten, was vielleicht noch zu retten war. Ich hatte strikte Anweisung, das Haus nicht zu verlassen. Aber ich war zu aufgeregt und musste einfach sehen, was los war.
Ich rannte den Kurfürstendamm entlang zur Synagoge in der Fasanenstraße. Überall standen Neugierige und starrten auf die unvorstellbare Verwüstung. Jedes jüdische Geschäft war demoliert worden, die Bürgersteige waren mit Glasscherben übersät, Läden waren geplündert und einige in Brand gesteckt worden. Aus Richtung der Synagoge sah man Rauchwolken aufsteigen.
Den Anblick, der mich dort erwartete, habe ich nie vergessen. Der schönste Tempel von Berlin war nur noch eine rauchende Ruine, Schutt lag auf der Straße, und die Feuerwehr sorgte bloß dafür, dass das Feuer nicht auf die benachbarten Gebäude übergriff. Eine große Menschenmenge stand hinter den Polizeiabsperrungen und schaute stumm zu.
Der Anblick war sogar für ein Kind meines Alters unheimlich; ich hatte zum ersten Mal richtig Angst, macht kehrt und rannte nach Hause. Vor einigen jüdischen Geschäften versuchten die Eigentümer, Schutt und Glasscherben zusammen zu kehren. Niemand half ihnen, die Menschen schauten hin und gingen weiter; sie schienen angesichts dessen, was sie sahen, ebenso sprachlos und verstört zu sein wie ich selbst.”
Blumenthal emigrierte 1939 zunächst nach Shanghai, dann in die USA.

Lotte-Lenya-Bogen
Der Lotte-Lenya-Bogen wurde 1999 nach der österreichischen Sängerin und Schauspielerin benannt. Sie wurde 1898 in Wien geboren und starb 1981 in New York. Sie kam Anfang der 1920er Jahre nach Berlin und lernte hier Kurt Weill kennen, den sie 1925 heiratete. 1928 spielte und sang sie in der Uraufführung der von ihm komponierten und von Bert Brecht geschriebenen Dreigroschenoper die Seeräuber-Jenny, die über Jahrzehnte ihre Paraderolle blieb.

Am Kant-Dreieck, Foto: KHMM

Am Kant-Dreieck, Foto: KHMM

Kantstraße 158: Kant-Dreieck, ehem. Haus der zentralen jüdischen Organisationen
Auf dem Gelände des heutigen Kant-Dreiecks an der damaligen Kantstraße 158 befand sich von 1928 bis 1943 das Haus der zentralen jüdischen Organisationen. Zunächst hatte dort der 1922 gegründete Preußische Landesverband jüdischer Gemeinden PLV hier seinen Sitz. 1933 zog die Reichsvertretung der deutschen Juden in das Gebäude ein. Präsident war der Rabbiner Leo Baeck. Dazu kamen der Jüdische Frauenbund e.V. und mehrere Wohlfahrtseinrichtungen wie die Zentralstelle für jüdische Wohlfahrtshilfe, die Vereinigte Zentrale für jüdische Arbeitsnachweise und die Zentralstelle für die jüdischen Darlehenskassen.
Von hier aus versuchte die Reichsvereinigung bzw. Reichsvertretung der deutschen Juden trotz zunehmender Diskriminierungen und Verfolgungen durch das NS-Regime die jüdische Schulverwaltung zu organisieren, Auswanderungen zu fördern und den jüdischen Auswanderern eine geeignete Ausbildung zukommen zu lassen. Außerdem ging es darum, die jüdische Wohlfahrtspflege aufrechtzuerhalten und den jüdischen Bürgern Arbeitsplätze zu vermitteln oder zu erhalten.
Auch die anderen im Haus ansässigen Organisationen versuchten mit eigenen Mitteln, den immer mehr entrechteten und verarmten Jüdinnen und Juden zu helfen – anfangs noch beim Aufbau einer neuen kleinen Existenz, nachdem sie von ihren Arbeitgebern entlassen worden waren. Später ging es nur noch darum, die Auswanderung zu organisieren, einen Start im Ausland zu erleichtern und diejenigen zu versorgen, die trotz der katastrophalen Lebensbedingungen nicht emigrieren konnten oder wollten.
Das Palästina-Amt der Jewish Agency for Palästina, dessen Aufgabe in der Betreuung und Förderung der Auswanderung nach Palästina bestand, zog 1938 aus der Meinekestraße 10 ebenfalls in das Haus der zentralen jüdischen Organisationen.
Im Juni 1943 schloss die Gestapo das Haus und beschlagnahmte das gesamte jüdische Vermögen.

Kantstraße 154 a: Stolpersteine
Isaac Behar ist in diesem Jahr 85 Jahre alt geworden. Er besucht noch immer als Zeitzeuge unsere Schulen, um den Schülerinnen und Schülern seine Erlebnisse von damals zu erzählen. Er hat damals mit seinen Eltern und seinen beiden Schwestern hier an der Ecke Fasanenstraße und Kantstraße gelebt, und er hat berichtet, wie er versuchte, seine Mutter zu trösten, die am Morgen des 10. November 1938 weinte, als sie den Lichtschein der brennenden Synagoge sah. Er sagte zur ihr: “Das sind doch nur Steine.” Sie antwortete ihm: “Wenn erst einmal Steine brennen, dann brennen auch bald Menschen.”
Vor dem Haus an der Kantstraße 154a erinnern vier Stolpersteine an die Eltern Nissim und Lea und an die Schwestern Alegrina und Jeanne Behar. Alle vier wurden 1942 deportiert und in Riga ermordet. Isaac Behar ist der einzige Überlebende der Familie.
Der 1947 in Berlin geborene Kölner Bildhauer Gunter Demnig hat 1996 in Köln die ersten Stolpersteine verlegt, 10 × 10 cm große aus Beton gegossene Steine mit eingelassener Messingtafel, in die der Künstler mit Hammer und Schlagbuchstaben “Hier wohnte”, Namen, Jahrgang und Stichworte zum weiteren Schicksal eines einzelnen Menschen einstanzt. Die im Gehweg vor dem früheren Wohnort eingelassenen Stolpersteine sollen an die Opfer von Holocaust und Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus erinnern. Entscheidend ist dabei die persönliche Erinnerung an die Namen der Opfer. Inzwischen wurden in ganz Deutschland Tausende Stolpersteine verlegt. Allein in Charlottenburg-Wilmersdorf sind es mittlerweile 462, und in jedem Monat kommen neue hinzu.
Ein Verzeichnis aller Stolpersteine finden Sie auf unserer Website im Internet unter www.charlottenburg-wilmersdorf.de und in unserer Bezirksbroschüre. Wir werden bei unserem heutigen Spaziergang einigen Stolpersteinen begegnen. Sie werden feststellen, dass man nicht darüber stolpert, und sie gerade an solchen Herbsttagen, wenn das Laub auf den Gehwegen liegt, manchmal suchen und sich bücken muss, aber das ist auch die Absicht des Künstlers.

Am Savigny-Platz, Else-Ury-Bogen, Foto: KHMM

Am Savigny-Platz, Else-Ury-Bogen, Foto: KHMM

Savignyplatz Else-Ury-Bogen
1999 wurde diese Passage vom Savignyplatz zur Bleibtreustraße nach Else Ury benannt. Sie hat von 1905 bis 1933 unweit von hier in dem Haus Kantstraße 30 gelebt. Dort erinnert seit 1995 eine Gedenktafel an sie. Der Text lautet:
“In diesem Hause lebte von 1905 bis 1933
die Schriftstellerin
Else Ury
1.11.1877 – 12.1.1943
Die Verfasserin der Nesthäkchen-Romane
wurde1935 aus der
Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen
1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert
und dort umgebracht”
Sie war das dritte von vier Kindern einer liberal-bürgerlichen Fabrikantenfamilie. Sie besuchte zehn Jahre eine angesehene städtische Mädchenschule. 1905 zog die Familie hierher in die Kantstraße 30 um. Hier entstanden ihre Erfolgsserien über “Nesthäkchen” mit einer Auflage von 5 Millionen und “Professor Zwilling” mit einer Auflage von 7 Millionen. Else Ury wurde damit zur Lieblingsautorin mehrerer Mädchengenerationen. Von 1933 bis 1939 lebte sie am Kaiserdamm 24. 1935 wurde sie als Jüdin aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Die 65jährige wurde am 12. Januar 1943 vom Bahnhof Grunewald aus deportiert, am 13. Januar im Konzentrationslager Auschwitz als arbeitsunfähig eingestuft und am selben Tag ins Gas geschickt.

Bleibtreustraße 10, Foto: KHMM

Bleibtreustraße 10, Foto: KHMM

Bleibtreustr. 10: Gedenktafel für Mascha Kaléko
Hier wurde 1990 eine Gedenktafel für Mascha Kaléko enthüllt:
“Hier lebte von 1936-1938
die Dichterin
MASCHA KALÉKO
7.06.1907-21.01.1975
Das Deutschland von damals
trieb sie ins Exil und verbot ihre Bücher.
Sie emigrierte 1938 nach New York,
lebte seit 1966 in Jerusalem.”

Sie veröffentlichte 1933 im Rowohlt Verlag ihr erstes Buch, “Das Lyrische Stenogrammheft”. 1935 folgte das “Kleine Lesebuch für Große”. Danach erhielt sie als jüdische Dichterin Schreibverbot und wurde aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Mit ihrem zweiten Mann, dem jüdischen Komponisten Chemjo Vinaver, und ihrem Sohn konnte sie 1938 gerade noch rechtzeitig aus Deutschland emigrieren. In der von deutschen Emigranten in Amerika gegründeten Zeitung “Aufbau” veröffentlichte Mascha Kaléko unter anderem folgendes Gedicht:
“Ich bin, vor jenen ‘tausend Jahren’
Viel in der Welt herumgefahren.
Schön war die Fremde, doch Ersatz.
Mein Heimweh hieß Savignyplatz.”

Bleibtreustr. 15: Gedenktafel für Tilla Durieux
Die Gedenktafel für Tilla Durieux wurde am 30.10.1987 enthüllt:
“Hier lebte von 1966 bis 1971
TILLA DURIEUX
18.8.1880-21.2.1971
Große deutsche Schauspielerin.
Ab 1903 an den Reinhardt-Bühnen in Berlin.
Emigration 1933, Rückkehr nach Berlin 1952”
Tilla Durieux bezeichnete sich selbst als “Fanatikerin des Theaters”. Aufgewachsen war sie in Wien, wo sie 1880 mit dem Namen Ottilie Godeffroy als einzige Tochter eines hugenottischen Chemieprofessors und seiner Frau geboren wurde.
Nach dem frühen Tod des Vaters besuchte sie 1898 eine Theaterschule – gegen den Willen der Mutter, die eine Laufbahn als Pianistin für standesgemäßer und schicklicher hielt. Auf Wunsch der Mutter legte sie sich deshalb das Pseudonym Tilla Durieux zu. Nach Engagements in der Provinz wurde sie 1903 bei Max Reinhardt in Berlin verpflichtet. Das war damals der Gipfelpunkt jeder Theaterkarriere. Für das Publikum und die Kritiker jener Zeit waren ihre unpathetische, realistische Darstellungskunst und ihr herbes Äußeres ungewöhnlich.
Dennoch wurde sie bald zur gefeierten Schauspielerin, vor allem auf Berliner Bühnen. In zweiter Ehe seit 1910 mit dem einflussreichen Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer verheiratet, war ihr Haus im Tiergartenviertel Treffpunkt für alle prominenten Kunstschaffenden, und vielen von ihnen, darunter Liebermann, Corinth und Slevogt, saß sie selbst Modell.
1926 bis 1928 war sie als Dozentin für Schauspiel an der Hochschule für Musik in der Hardenbergstraße tätig, und 1927 beteiligte sie sich finanziell und künstlerisch an Erwin Piscators Theater am Nollendorfplatz. Mit ihrem dritten Ehemann, dem jüdischen Großindustriellen Ludwig Katzenellenbogen floh sie am 31. März 1933 via Prag über die Schweiz nach Jugoslawien.
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges spielte sie auf Gastspieltourneen in vielen europäischen Ländern. Erfolglos bemühte sich das Ehepaar um ein Visum für die USA.
Nach der Besetzung Jugoslawiens durch die deutsche Wehrmacht 1941 wurde Katzenellenbogen verhaftet und deportiert; Tilla Durieux tauchte unter und schloss sich der kroatischen Widerstandsbewegung an. Als Näherin an einem Puppentheater hielt sie sich nach dem Krieg über Wasser.
Ihre Eindrücke beschrieb sie 1945 in dem Stück Zagreb, das 1946 in der Schweiz uraufgeführt wurde. Nach 19 Jahren in der Emigration kehrte Tilla Durieux erstmals 1952 wieder nach Berlin zurück. Hier gelang ihr ein Come back, und so stand sie erneut bis ins hohe Alter auf der Bühne und wirkte auch in über 30 Filmen mit. Von 1955 bis 1966 lebte sie in der Bleibtreustraße 24, danach bis zu ihrem Tod 1971 hier in der Bleibtreustraße 15.
Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter das Große Bundesverdienstkreuz. Die Schauspielerin, die die Theatergeschichte und den Darstellungsstil des 20. Jahrhunderts wesentlich mitbestimmte und -prägte, wurde auf dem Friedhof in der Charlottenburger Heerstraße beerdigt.

Gedenktafel für Alfred Flechtheim
Die Gedenktafel für Alfred Flechtheim wurde 2003 enthüllt:
In diesem Hause lebte von 1923 bis 1933
Alfred Flechtheim
1.4.1878 – 9.3.1937
Kunsthändler, Verleger
und Förderer der modernen Kunst
Gründer und Herausgeber der Zeitschrift
“Der Querschnitt” 1933 mußte Alfred Flechtheim emigrieren
Er starb im Londoner Exil

Bleibtreustr 43: Joan-Miró-Grundschule
Die Joan-Miro-Grundschule ist eine Staatliche Europa-Schule Berlin für Spanisch. Das Schulgebäude wurde 1899-1900 von Paul Bratring für die damalige 19. und 20. Gemeindeschule Charlottenburg gebaut. Das viergeschossige Haus ist in den Formen des Akademischen Historismus gestaltet. Vorgelagert ist eine zweigeschossige Turnhalle.
Später wurde hier das Kaiser-Friedrich-Gymnasium eingerichtet, das Walter Benjamin seit 1902 besucht hat. In seinem Buch “Berliner Kindheit um neunzehnhundert” hat er die Schule beschrieben: “Der ganze Bau, der da hart am Stadtbahngelände aufsteigt, ist von altjüngferlicher, trauriger Sprödigkeit. Mehr noch als den Erlebnissen, die ich in seinem Innern hatte, ist es wahrscheinlich diesem Äußern zuzuschreiben, dass ich keine heitere Erinnerung an ihn bewahre.”
Der brillante Kulturkritiker Walter Benjamin stammte aus einem wohlhabenden jüdischen Elternhaus. Mit seiner Familie folgte er dem für das wohlhabende Berliner Bürgertum um die Jahrhundertwende typischen Zug nach Westen. Die Familie lebte bis 1895 am Magdeburger Platz im Berliner Zentrum, zog dann in die Kurfürstenstraße im sogenannten Alten Westen, weiter an den Nettelbeckplatz, dann von 1902 bis 1912 in die Carmerstraße in Charlottenburg und schließlich in die Delbrückstraße 23 in der Villenkolonie Grunewald. Walter Benjamin bezog in der Wilmersdorfer Prinzregentenstraße 1930 im Alter von 38 Jahren seine erste eigene Wohnung, in der er allerdings nur 3 Jahre bleiben konnte. Dort, an dem Haus Prinzregentenstraße 66 erinnert seit 1989 eine Gedenktafel an ihn:
“In dem früher hier stehenden Haus
lebte von 1930 bis zu seiner Emigration 1933
WALTER BENJAMIN
15.7.1892 – 27.9.1940
Literaturkritiker, Essayist und Philosoph,
schrieb hier Teile der “Berliner Kindheit um 1900”.
Freitod an der französisch-spanischen Grenze
wegen drohender Auslieferung an die Gestapo”

Mommsenstr. 5: Gedenktafel für Leo Blech
Der Text der Gedenktafel lautet:
“Hier lebte von 1913 bis zu seiner Emigration
im Jahre 1937
LEO BLECH
22.4.1871 – 25.8.1958
Komponist, Dirigent, Generalmusikdirektor
an der Staatsoper unter den Linden
und am Deutschen Opernhaus Charlottenburg

Mommsenstr. 6: Stolperstein für Clara Lehmann
Der Stolperstein wurde am 11.12.2007 verlegt:
“HIER WOHNTE
CLARA LEHMANN
GEB MEYER
JG. 1865
DEPORTIERT 17.08.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 21.09.1942
TREBLINKA”

Mommsenstr.7: Gedenktafel für Hanns Sachs
Diese Gedenktafel wurde vor einem Jahr, am 20. August 2006 im Rahmen der Reihe “Mit Freud in Berlin” enthüllt
“HANNS SACHS
10.01.1881 Wien – 10.01.1947 Boston Massachusetts
Psychoanalytiker und Jurist
Lebte von 1920 bis 1930 in Berlin
Freund der Literatur und des Films.
Lehranalytiker am Berliner Psychologischen Institut.
Gehörte dem engsten Kreis um Sigmund Freud an.
Mitbegründer der Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die
Geisteswissenschaften,
„Imago“ (1912), ab 1939 „American Imago“.
Bereits 1932 erkannte er die Gefahr des Nationalsozialismus und
Emigrierte nach Boston (USA).
Sponsoren dieser Tafel:
Freunde der Psychoanalyse und des Jüdischen Museums”

Mommsenstr. 65: Stolpersteine für Samuel und Alfred Reichmann
“HIER WOHNTE
SAMUEL R. REICHMANN
JG. 1872
DEPORTIERT 01.11.1941 LODZ
ERMORDET”

“HIER WOHNTE
ALFRED REICHMANN
JG. 1901
FREITOD 30.07.1941”

Mommsenstraße 56, Foto: KHMM

Mommsenstraße 56, Foto: KHMM

Mommsenstr. 56 Gedenktafel für Kurt Singer
“In diesem Hause wohnte von 1932 bis 1934
KURT SINGER
11.10.1885-7.2.1944
In seiner Wohnung wurde am 15. Juli 1933 der
KULTURBUND DEUTSCHER JUDEN
gegründet, dessen Leiter er war
1938 floh Kurt Singer nach Holland
Er kam im Lager Theresienstadt um”

Auch im Foyer der Deutschen Oper wurde eine Gedenktafel für Kurt Singer angebracht:
“Dr. Kurt Singer, Mediziner, Musikschriftsteller und Dirigent, geboren am 11. Oktober 1885, gestorben im Januar 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt, hat sich in den Jahren 1926 bis 1931 um Arbeit und Bestand der Städtischen Oper Berlin-Charlottenburg in führender Verantwortlichkeit verdient gemacht.”
Im Juli 1933 wurde auf seine Initiative hin der “Kulturbund deutscher Juden e.V.” gegründet, um jüdischen Künstlern, die entlassen worden waren und Berufsverbot hatten, die Möglichkeit zu geben, weiter künstlerisch tätig zu sein. Singer selbst dirigierte Opern und Konzerte, etwa im August 1934 mit dem Kulturbund-Symphonieorchester Beethovens Eroica zu Ehren des verstorbenen Reichspräsidenten Hindenburg.
Von den Pogromen des 9. November 1938 erfuhr er auf einer Amerikareise und entschloss sich zur sofortigen Rückkehr, obwohl er die Gefahr kannte. Über Holland gelangte er wieder nach Deutschland, wo man ihn festnahm und nach Theresienstadt deportierte. Dort starb er am 7. Februar 1944.

Mommsenstr. 55: Stolperstein für Martha Konicki
Der Stolperstein wurde am 26.9.2006 verlegt:
“HIER WOHNTE
MARTHA KONICKI GEB. ROTHMANN JG. 1865
DEPORTIERT 17.08.1942 THERESIENSTADT ERMORDET 03.01.1943”

Mommsenstr. 50 Stolpersteine für Jeanette und Franz Lichtenstein
Die beiden Stolpersteine wurde am 30.7.2005 verlegt:
HIER WOHNTE
JEANETTE LICHTENSTEIN GEB. LUFT JG. 1904
DEPORTIERT 26.10.1942 RIGA ERMORDET 29.10.1942

HIER WOHNTE
FRANZ LICHTENSTEIN JG. 1897
DEPORTIERT 12.01.1943 AUSCHWITZ ERMORDET 25.01.1943

Hindemithplatz

Giesebrechtstr. 19: Stolperstein für Elisabeth Levysohn
Der Stolperstein für Elisabeth Levysohn wurde am 11. Dezember 2006 verlegt. Er trägt den Text:
“HIER WOHNTE
Elisabeth Levysohn
JG. 1879
DEPORTIERT 14.09.1942
Theresienstadt
ERMORDET 17.05.1943”

Giesebrechtstr. 17 Gedenktafel: Paul von Hase
Die Gedenktafel für Paul von Hase wurde 1991 enthüllt:
“Hier wohnte Generalleutnant
Paul von Hase
24.7.1885-8.8.1944
Stadtkommandant von Berlin 1940-44
Am Umsturzversuch vom 20. Juli
führend beteiligt, dafür am 8. August 1944
in Berlin-Plötzensee hingerichtet.”
Paul von Hause lebte in diesem Haus während seiner Zeit als Stadtkommandant von Berlin von 1940 bis zu seiner Hinrichtung1944.
Seit 1938 war Generalmajor von Hase in die Verschwörungspläne des Offizierskorps eingeweiht. Am 20. Juli 1944 ließ von Hase das Regierungsviertel in Berlin abriegeln. Nach dem misslungenen Attentat und Umsturzversuch wurde er noch am Abend des 20. Juli verhaftet. In einem Prozess gegen einen Teil der Verschwörer wurde er am 8. August 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee noch am selben Tage durch Erhängen hingerichtet.
Die Hinrichtungsstätte im nationalsozialistischen Zuchthaus Plötzensee befand sich ebenfalls in Charlottenburg-Wilmersdorf. 1952 wurde dort eine Gedenkstätte eingerichtet.
Sie erinnert an die etwa 2.500 dort durch Fallbeil oder Strick hingerichteten Männer, Frauen und Jugendlichen, darunter zahlreiche Widerstandskämpfer – unter anderem die am Umsturzversuch des 20. Juli 1944 Beteiligten.

Sybelstraße 9, Foto: KHMM

Sybelstraße 9, Foto: KHMM

Sybelstr. 9: Gedenktafel für die Jüdische Private Musikschule Hollaender
Seit 1992 erinnert hier eine Gedenktafel über der Eingangstür an die ehemalige Jüdische Private Musikschule Hollaender:
“Im Haus Sybelstraße 9 bestand von 1936 bis
1941 die Jüdische private Musikschule Hollaender.
Hier unterrichteten die jüdischen Lehrkräfte des
Stern’schen Konservatoriums Gustav Hollaender
nach dessen zwangsweiser Arisierung 1935. Ihre
Besitzer und Leiter
Kurt Hollaender (*1885) und
Susanne Landsberg (*1892)
geb. Hollaender
wurden, wie viele der hier Lehrenden, 1941/43
deportiert und ermordet.
Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. 8.11.1992”

Das Sternsche Konservatorium der Musik war eine der bedeutendsten europäischen Musikschulen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Es wurde 1850 als Musikschule für Gesang, Klavier und Komposition von Julius Stern, Adolf Bernhard Marx und Theodor Kullak gegründet. 1894 erwarb der Komponist, Dirigent und Geiger Gustav Hollaender das Institut und leitete es bis zu seinem Tod 1915. Unter seiner Leitung erlebte das Konservatorium eine Blütezeit. Es kam ohne jegliche Subvention aus. Es wurde von mehr als tausend Schülerinnen und Schüler pro Jahr besucht.
Darunter befanden sich besonders zahlreiche Ausländer, die ihr Musikstudium in die Metropole Berlin führte, damals ein weltweit bekannter Umschlagplatz auf dem Gebiet musikalischer Qualifikation. Das Konservatorium verdankte zwar seine Existenz privatem jüdischem Engagement, aber es stand allen offen, die sich musikalisch bilden wollten. Es war im besten Sinne universell, und es war eines der wertvollsten Aushängeschilder für Berlin und für ganz Deutschland. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 wurde das Konservatorium gleichgeschaltet. Die jüdischen Inhaber wurden faktisch enteignet. Ihnen wurde verboten, nichtjüdische Schülerinnen und Schüler zu unterrichten. Sie konnten 1936 bis 1941 in der Sybelstraße 9 noch die Jüdische Musikschule Hollaender betreiben. Kurt Hollaender und Susanne Landsberg-Hollaender wurden deportiert und ermordet.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt das Städtische Konservatorium in West-Berlin den Namenszusatz “Ehemals Sternsches Konservatorium”. Heute ist das Julius-Stern-Institut für musikalische Nachwuchsförderung Teil der Universität der Künste. Der Name steht für eine große, bedeutende Tradition. Er steht für die deutsche Katastrophe, und er steht für einen Neuanfang, der die Geschichte nicht verdrängt.

Wilmersdorfer Straße
Adenauerplatz
Kurfürstendamm

Kurfürstendamm 71 Vera Schwarz
Hier wohnte die Sängerin Vera Schwarz. Sie wurde 1889 in Zagreb geboren und starb 1964 in Wien. Sie kam 1925 von der Wiener Staatsoper nach Berlin und hatte hier als Partnerin von Richard Tauber in Lehàrs Operette “Der Zarewitsch” ihren ersten großen internationalen Erfolg. Auch in der Operette “Das Land des Lächelns” sang sie in über 600 Aufführungen an seiner Seite und hieß nur noch “Die Königin des Metropol-Theaters”. In den dreißiger Jahren trat sie in den berühmten Operhäusern von Chicago, New York, San Francisco, London, München und Paris auf. 1938 emigrierte sie aus Wien in die USA. 1948 kehrte sie nach Österreich zurück und unterrichtete im Salzburger Mozarteum Gesang.

Kurfürstendamm 72 Stolperstein
Hier wurde am 12.05.2006 ein Stolperstein für Dr. Paul Kuttner verlegt. Der Text lautet:
“HIER WOHNTE
DR. PAUL KUTTNER
JG. 1878
DEPORTIERT 16.12.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET Oktober 1943”

Lehniner Platz Erich-Mendelsohn-Baukomplex
Dieses Grundstück blieb als einziges am Kurfürstendamm noch bis in die 20er Jahre hinein unbebaut. Hier fanden am Anfang des 20. Jahrhunderts noch Flottenspiele statt, in einer Art Wasserzirkus mit Tribünen für 4.000 Besucher. 1905 wurden “Die letzten Tage von Pompeji” vorgeführt, 1908 Tennisplätze angelegt, im Winter eine Eisbahn, bis der Verleger Rudolf-Mosse das Gelände kaufte und 1927 von Erich Mendelsohn bebauen ließ. Die Mendelsohnschen Bauten wurden damals als sensationell empfunden. Hier entstand ein moderner Gebäudekomplex, der sich deutlich von den wilhelminischen Prachtbauten abhebt, die bis dahin am Kurfürstendamm entstanden waren. Mendelsohn schloss die vorhandene Baulücke im Grunde nicht, sondern er schuf eine Öffnung in der Reihe der geschlossenen wilhelminischen Fassaden. Wie “ein groß aufgesperrtes Maul” wirkte der Eingangsbereich, wie damals ein Kritiker meinte.

Die gesamte Anlage wurde in den 20er Jahren als revolutionär empfunden und von der Architekturkritik begeistert gefeiert. Mendelsohn baute das “Universum-Kino”, gegenüber das Kabarett der Komiker und einen Wohnkomplex entlang der Cicerostraße mit Tennisplätzen im hinteren Bereich.
Im Haus des KadeKo wurde das Café Leon eingerichtet. Es wurde zum Stammcafé von Erich Kästner, der 1931 von der Prager Straße hierher in die Roscherstraße gezogen war. Das KadeKo war eines der berühmtesten Kabaretts der 20er Jahre, in dem auch noch in den 30er Jahren gewagte Anspielungen gemacht wurden.
Werner Finck zum Beispiel fragte noch im Jahr 1936 von der Bühne herunter den anwesenden Spitzel im Publikum: “Kommen Sie noch mit – oder muss ich mitkommen?”. In einem berühmten Sketch “Beim Schneider” interpretierte er den Hitlergruß als “Aufgehobene Rechte”. Seit dem 1.6.1945 spielte das Kabarett der Komiker im “Café Leon” ein Notprogramm. Im April 1948 eröffnete in seinen Räumen das “British Centre” mit Film-Club und Musik-Club.
Das “Universum-Kino” wurde nach 1945 zunächst als “Capitol”, später bis 1973 als “Studio” weiterbetrieben. In dem Bau residierte nach dem Krieg das Prominentenlokal Ricci. Nach Totalabriss und äußerlich originalgetreuem Wiederaufbau seit 1978 durch Jürgen Sawade wurde das Haus 1981 als Schaubühne am Lehniner Platz eröffnet.
Der Architekt Erich Mendelsohn hatte 1920 den Einstein-Turm für das Astrophysikalische Institut in Potsdam gebaut. Er gilt als eines der wichtigsten Beispiele expressionistischer Baukunst. 1930 baute er für sich selbst ein Wohnhaus in Charlottenburg Am Rupenhorn, wo er aber nur noch 3 Jahre leben konnte. 1933 emigrierte er über die Niederlande nach London und führte ab 1934 ein Architekturbüro in Jerusalem. 1941 wanderte er in die USA aus.

Kurfürstendamm 92 Fritz Goetz
Hier lebte der Journalist Fritz Goetz. Er arbeitete von 1904 bis 1933 beim Ullstein-Verlag in Berlin. Er war gleichzeitig Lokalchef der Vossischen Zeitung und Redakteur bei der Berliner Morgenpost.
1933 verschleppten die Nationalsozialisten Fritz Goetz in das Konzentrationslager Dachau bei München. Noch im gleichen Jahr konnte er nach Frankreich fliehen, von wo er 1938 nach Palästina emigrierte. 1957 starb er in Tel Aviv.

Kurfürstendamm 94/95 Kurt Mühsam
Hier war von 1933 bis 1938 das Unternehmen “Paketfahrt des Westens” untergebracht. Es organisierte Umzüge nach Paris und Palästina.
In diesem Haus lebte auch der Publizist Dr. Kurt Mühsam. Er wurde 1882 in Graz als Sohn des Landesoberrabbiners Samuel Mühsam geboren und war ein Vetter des Dichters und Revolutionärs Erich Mühsam. Kurt Mühsam war Theater- und Kunstkritiker, Schriftsteller und Politiker. 1913 wurde er Direktor der National-Zeitung, 1920 Pressechef der Ufa und 1924 Chefredakteuer der “Lichtbildbühne” und Redakteur der “Berliner Zeitung am Mittag”. Er starb 1931 in Berlin.

Markgraf-Albrecht-Straße 10-11, Foto: KHMM

Markgraf-Albrecht-Straße 10-11, Foto: KHMM

Markgraf-Albrecht-Str. 10-11 Ehem. Synagoge “Friedenstempel” Halensee
Hier wurde am 9. November 1988 eine Gedenktafel enthüllt, die an die früher hier stehende Synagoge erinnert. Sie ist auf der Bronzetafel als Relief abgebildet. Daneben enthält die Tafel folgenden Text:
An dieser Stelle stand einst die Synagoge
“Friedenstempel” erbaut von G. und C. Gause
1922-1923 eingeweiht am 9.September 1923
angezündet und zerstört von Nationalsozialisten
am 9.November 1938 “Der Tempel soll nicht
allein religiösen Zwecken dienen, sondern auch
eine Versammlungsstätte aller sein, die an der
Herbeiführung eines wirklichen Friedens
mitarbeiten wollen”.
Prof. Dr.S. Goldberg anläßlich der Einweihung

Die Synagoge bot Platz für 1450 Menschen und war damit eine der großen Berliner Vereinssynagogen. Sie war gestiftet worden von dem Besitzer des Lunaparks, Prof. Dr. jur. Salomon Goldberg. Er erwarb 1922 das als Acker ausgewiesene Grundstück. Es wurde eine Vereinssynagoge nach liberalem Ritus. 1929 wurde sie von der Berliner Jüdischen Gemeinde erworben. Sie wurde damit zur Gemeindesynagoge. Nach 1933 erlebte sie einen Aufschwung, weil immer mehr Juden, die von den Nationalsozialisten terrorisiert wurden, hier die Gemeinschaft suchten. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannte auch diese Synagoge.
Wie die Ruine der Synagoge in der Fasanenstraße wurde auch diese Ruine 1959 abgerissen und an ihrer Stelle das heutige Wohnhaus gebaut, ähnlich wie in der Prinzregentenstraße 69-70 und in der Franzensbader Str. 7-8.

Damaschkestr. 22: Stolperstein
Hier wurde am 21.08.2006 ein Stolperstein verlegt für Siegmund Flatow. Er trägt folgenden Text:
HIER WOHNTE
SIEGMUND FLATOW
JG. 1884
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET
Siegmund Flatow floh nach Frankreich und war gefangen im Lager Gurs, bevor er an die Nationalsozialisten ausgeliefert wurde.

Droysenstr. 7: 11 Stolpersteine
11 Stolpersteine wurden am 11.12.2007 verlegt:
für Leja und Leiser Sobel, Johanna Steuer, Selma Sternfeld, Siegfried Feldblum, Else Jacobsohn, Erna Gumpel, Henriette Markus, Clara und Minna Plessner und Hildegard Rund. Sie alle wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Droysenstr. 10a: Gedenktafel für Klara Grüger
Die Gedenktafel wurde vor einigen Tagen am 23. Oktober im Zusammenhang mit der neuen Gedenkstätte für die stillen Helden enthüllt:
“In diesem Haus betrieb von 1936 bis 1945
KLARA GRÜGER
16.7.1912 – 8.5.1999
gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Bäckerei
Unter Einsatz ihres Lebens versteckte sie
während der NS-Zeit Menschen jüdischen Glaubens
und bewahrte sie damit vor der Deportation
in ein Vernichtungslager”

Klara Grüger hat verfolgte Juden und russische Kriegsgefangene illegal mit Lebensmitteln versorgt. Sie wurde für ihre Taten von Yad Vashem, der nationalen Gedenkstätte Israels in Jerusalem geehrt und durfte dort 1986 in der Allee der Gerechten einen Baum pflanzen. In Deutschland dankte ihr zu Lebzeiten niemand.
Die deutsch-israelische Schriftstellerin Inge Deutschkron hat ihre Geschichte aufgeschrieben in dem Buch “Sie blieben im Schatten. Ein Denkmal für stille Helden”.
Vielleicht können wir aus dieser Gedenktafel und aus diesem Buch von Inge Deutschkron am Ende unseres Spaziergangs etwas Ermutigung gewinnen. Es gab viel zu wenige, aber es gab Menschen, die dem unmenschlichen System des Nationalsozialismus widerstanden haben, die ihre Menschlichkeit bewahrt und denen geholfen haben, die verfolgt wurden. Die Historiker bezeichnen heute das System des Nationalsozialismus oft als “Zustimmungsdiktatur”. Die Mehrheit in Deutschland musste damals nicht unterdrückt werden. Sie war mit Hitlers Diktatur einverstanden. Aber es gab auch eine Minderheit, die nicht zustimmte, und einige riskierten dafür sogar ihr Leben. Wir sollten uns heute an sie erinnern – als Vorbilder.

Gervinusstraße

Bahnhof Charlottenburg, Stuttgarter Platz