Stolperstein Kulmbacher Straße 15

Hausansicht Kulmbacher Str. 15

Dieser Stolperstein wurde am 10.10.2017 auf Initiative und mit einer Spende von Gerhart Pfeufer (Berlin) verlegt.

Stolperstein Käte Weinbaum

HIER WOHNTE
KÄTE WEINBAUM
GEB. SCHWERIN
JG. 1888
DEPORTIERT 26.10.1942
RIGA
ERMORDET 29.10.1942

Käte Weinbaum, geb. Schwerin, wurde am 1. Dezember 1888 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren der Kaufmann Ignaz Schwerin und seine Frau Martha, geb. Rappaport. Käte hatte zwei ältere Brüder: Arnold Herbert, geboren am 15. Mai 1885, er starb als fünf Monate altes Baby am 15. Oktober 1885, und Edwin Schwerin, geboren am 29.September 1886, in den Berliner Adressbüchern mit der Berufsangabe „Prof. Dr. Ing.“ bezeichnet, er emigrierte 1933 mit seiner Frau Ella, geb. Baumgarten und der dreijährigen Tochter Lilly nach Palästina. Die jüngste Schwester Gertrud wurde am 2. Dezember1892 geboren. Sie arbeitete in der Schallplattenfirma Odeon, vermutlich im Verkauf. Wegen ihrer außerordentlichen Sprachbegabung schickte die „Odeon“ sie 1935 nach Argentinien, was ihr letztlich das Leben rettete. Sie lebte mit einem Partner zusammen, mit dem sie jedoch nie verheiratet war und auch keine Kinder hatte. Sie starb dort im hohen Alter.

Käte studierte Pädagogik und wurde Lehrerin für Englisch, Französisch und Religion. Sie heiratete am 14. April 1919 den 18 Jahre älteren Oscar Weinbaum, geb. am 28. Februar 1870 in Berlin. Er war Doktor der Philosophie und ebenfalls als Lehrer für Physik und Mathematik an einer Schöneberger Privatschule tätig. Oscar kam aus einem gebildeten Elternhaus. Er selbst dirigierte viele Jahre lang den „Interimschor“ in der Berliner Philharmonie und in Gottesdiensten zu den hohen Feiertagen. Sein Vater Jacob war ebenfalls Lehrer und der Bruder Alexander war Organist, Chorleiter und Gesangslehrer und wirkte für die Jüdische Gemeinde. Er wurde 1943 in Theresienstadt ermordet. Alexander war zweimal verheiratet. Seine zweite, 27 Jahre jüngere Frau Edith, geb. Gradnauer, war Sängerin in der Jüdischen Gemeinde. Sie überlebte das Konzentrationslager Theresienstadt. Oscars Bruder Leo starb schon am 19. Juni 1895 im Alter von nur 27 Jahren. Über das Schicksal des ältesten Bruders Siegfried, geboren am 21.Januar 1866, ist nichts bekannt.

Käte und Oscar Weinbaum lebten seit ihrer Heirat immer in der Kulmbacher Straße 15 im 3.Stock in einer Vierzimmerwohnung. Edith Weinbaum erinnerte sich und beschrieb 1966 die Lebensumstände des Ehepaares in einer eidesstattlichen Versicherung so:

bq. Ihre Wohnung bestand aus einem Schlafzimmer, einem Schlafzimmer für den Sohn, einem Speisezimmer und einem Arbeits- bzw. Wohnzimmer u. Küche und Mädchenzimmer. Sie hatten eine langjährige Haushaltshilfe, die bei ihnen wohnte u. die ihre Stelle auf Grund der Gesetzgebung verlassen musste. Das Ehepaar besaß eine reichhaltige Bibliothek, eine Auswahl an Musikalien u. Noten u. einen sehr schönen Flügel. Der Haushalt war sehr gepflegt u. sie hatten auch schöne Teppiche. Das Ehepaar machte jedes Jahr eine längere Ferienreise, oft ins Ausland, wie Österreich, Tschechoslowakei, Schweiz.

Der einzige Sohn Hans Jakob Weinbaum wurde am 3.Februar 1920 geboren. Er besuchte das „Reform-Realgymnasium der Goetheschule“ und erhielt sein Reifezeugnis mit durchweg guten Noten im März 1937. „Weinbaum will Ingenieur werden“ war auf dem Zeugnis vermerkt. Unmittelbar nach seinem Schulabschluss bewarb er sich an den Technischen Hochschulen in Berlin und Dresden um einen Studienplatz. Er wurde abgelehnt, weil „der Hundertsatz für Nichtarier bereits erreicht ist.“ – So die Umschreibung der Zulassungsbeschränkung für jüdische Studenten. Die Eltern schickten ihn zum Studium der Ingenieurswissenschaft in die Schweiz. Als die Finanzierung des Auslandsstudiums für Käte und Oscar immer schwieriger wurde, holte ihn Onkel Edwin nach Palästina. Hans heiratete in Tel Aviv die Krankenschwester Towa Lunsky, die zuvor die Internierungen in den Konzentrationslagern Westerbork und Bergen-Belsen überlebt hatte. Hans, noch immer Student, erlag am 4. Mai 1951 mit nur 31 Jahren in Tel Aviv einem Krebsleiden.

Sein Vater war am 19. Oktober 1941 in Wilmersdorf in der jüdischen Privatklinik in der Trautenaustraße 5 gestorben. Die Diagnose lautete Herzmuskelentzündung. Das Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee.

Käte Weinbaum wurde ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Mannes aus ihrer Wohnung vertrieben. Sie bezog am 15. Mai 1942 ein Zimmer zur Untermiete in der Luitpoldstraße 45, in unmittelbarer Nähe zu der Wohnung von Alexander und Edith, die in der Luitpoldstraße 41 wohnten. Es war ein unmöbliertes Zimmer in der Parterrewohnung von Rudolf Wolf, für das sie monatlich 40 RM Miete bezahlte. Wie aus der Inventarliste ihres Zimmers, die sie mit der Vermögenserklärung vor ihrer Deportation abgeben musste, hervorging, versuchte sie so viele Möbel wie möglich aus der Kulmbacher Straße 15 mitzunehmen und in dem Leerzimmer unterzubringen. Der größte Teil der Einrichtung blieb jedoch in der alten Wohnung. Der Wert ihrer Einrichtung in der Luitpoldstraße wurde auf 410 RM geschätzt. Ein Ehepaar aus Röntgental bei Berlin, der Mann war Kriegsversehrter, kaufte im März 1943 das gesamte Inventar und bezahlte in bar.

Käte gab in der Vermögenserklärung an, als unbesoldete Helferin im Lohnbüro der Jüdischen Kultusvereinigung tätig gewesen zu sein.

Von den 18000 RM, die sie und ihr Mann bei der Dresdner Bank in Form von Wertpapieren besaßen, hatte Käte Weinbaum 10000 RM für den sogenannten „Heimeinkauf“ in Theresienstadt an Gebühren bezahlt. Diese „Heimeinkaufsverträge“ suggerierten den älteren deutschen Juden, dass sie damit einen Platz in einem der Theresienstädter „Altersheime“ bekämen. Die Verträge waren wohl erzwungen worden, schürten aber die Hoffnung, dem Transport in den Osten entgehen zu können. Diese Tatsache, die 1947 von der Treuhandverwaltung dem Restitution Office in Tel Aviv mitgeteilt wurde, führte dazu, dass der Sohn Hans bis zu seinem Tode glaubte, seine Mutter sei in Theresienstadt gestorben.

Käte Weinbaum wurde nie nach Theresienstadt geschickt. Drei Tage nach der Abgabe der Vermögenserklärung wurde sie am 26. Oktober 1942 mit dem sogenannten 22. Osttransport nach Riga verschleppt. Dieser Transport stand im Zeichen der „Gemeindeaktion“, mit der die Gestapo besonders die Mitarbeiter der Jüdischen Gemeinde schlagartig dezimieren wollte. Von den 800 Deportierten waren 345 Mitarbeiter der Jüdischen Kultusvereinigung zusammen mit 164 Angehörigen. Sie wurden alle von der Sammelstelle Levetzowstraße aus nach Riga transportiert und ermordet. Käte Weinbaums Schwager Alexander und dessen Frau Edith wurden mit ihr zusammen in die Synagoge in der Levetzowstraße gebracht. Dort trennten sich ihre Wege. Alexander und Edith wurden zwei Tage später nach Theresienstadt deportiert. Edith überlebte und konnte sich in den USA ein neues Leben aufbauen.

Recherche und Text: Karin Sievert
Quellen:
Entschädigungsamt Berlin
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Berliner Adressbücher
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945
Yad Vashem Opferdatenbank
Statistik des Holocaust
Holocaust Survivors and Victims Database
Center for Jewish History New York Digital Collections – Alexander Weinbaum Collection
http://www.ghetto-theresienstadt.info/pages/h/heimeinkauf.htm
Ergänzende Angaben von Käte Weinbaums Nichte Lilly Guttmann