Stolperstein Gillweg 9 / Ecke Hubertusallee

Ansicht Gillweg Ecke Hubertusallee

Der Stolperstein für Frieda Fraenkel wurde von Rosemarie Korth (Heide in Holstein) gespendet und in Anwesenheit zahlreicher Familienmitglieder und Freunde an der Hubertusallee am Zugang zum einstigen Wohnhaus von Frieda Fränkel am 22.10.2015 verlegt. Auf dem Stolperstein ist ihr Nachname versehentlich mit AE anstatt mit Ä geschrieben worden.

Stolperstein Frieda Fraenkel

HIER WOHNTE
FRIEDA FRAENKEL
JG. 1873
DEPORTIERT 25.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 29.1.1943

Frieda Fränkel wurde am 18. April 1873 in Berlin geboren. Wie ihre Eltern hießen, weiß ich leider nicht. In der Familie erzählt man, dass sie „die Butter-Fränkel“ genannt wurden und als gut betucht galten. Frieda Fränkels Brüder kämpften im Ersten Weltkrieg für Deutschland und wurden dafür mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Beide konnten vor den Nationalsozialisten fliehen und emigrieren, Frieda Fränkel wollte in Deutschland bleiben, sie sagte: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“

Zur Verlegung wurde der folgende Text von Rosemarie Korth verlesen:

Meine Großmutter, Lydia Anton, verheiratete Köpke, war gleichaltrig mit Frieda Fränkel und eng mit ihr befreundet. Die beiden kannten sich aus der Schule. Die eine, Lydia, hatte am 17. April Geburtstag, die andere, Frieda, am 18. April. Frieda Fränkel blieb unverheiratet. Sie war Kunstmalerin und hatte – so wird es in der Familie erzählt – als einzige Frau die Erlaubnis, im Berliner Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Bode-Museum, die holländischen Meister zu kopieren.
Mehrere ihrer Werke sind im Besitz unserer Familie, so etwa die Kopie von Rubens’ „Knabe mit Zeisig“. Frieda Fränkel schenkte das Gemälde meiner Mutter, ihrem „Friedelchen“, 1925 zur Hochzeit mit meinem Vater. Das Original hängt in der Berliner Gemäldegalerie.

Segelboote auf dem Wijkersmeer

Bei meinem Bruder Klaus hängt die Kopie des Bildes „Segelboote auf dem Wijkersmeer“ von Jacob Isaackszoon van Ruisdael, 1648. Dieses Bild schenkte sie meinen Eltern anlässlich meiner Taufe am 20. Februar 1927. Auf der Rückseite des Bildes steht „Fr. Fr., Grunewald 1927“. Das Original hängt ebenfalls in Berlin, in einem der Staatlichen Museen.

Dienstmagd mit Milchkrug

Ein ähnliches Sujet von Ruisdael, kleiner im Format, hat sie meinem Bruder geschenkt. Auf der Rückseite steht die Widmung: „Meinem lieben kleinen Freund Klaus, Grunewald, Gillstraße 9, Weihnachten 1933.“ Ebenfalls bei Klaus befindet sich die Kopie von Jan Vermeer van Delfts „Dienstmagd mit Milchkrug“ von 1658 bis 1660. Das Original hängt im Amsterdamer Rijksmuseum.

Eine Kopie von Vermeers „Die Spitzenklöpplerin“ (1670/71) hängt bei Claudia Söhngen. Sie ist eine Enkelin des Pastors Paul Anton aus Zehlendorf, der sich mit seiner Frau Martha sehr um Frieda Fränkel gekümmert hat, als ihre Lage als Jüdin in Deutschland unter den Nationalsozialisten immer schwerer wurde.

In den Akten des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz findet sich nur wenig zu Frieda Fränkel. Immerhin liegen in den Erwerbungsakten der Nationalgalerie zwei Briefe, mit denen sie dem Haus ein Gemälde von Lovis Corinth zum Kauf anbietet: „Liegender Akt“ von 1908. In ihrem Schreiben vom 27. Juni 1928 bietet sie das Bild für 8000 Mark an:

„Sehr geehrter Herr Geheimrat!
Hiermit erlaube ich mir, Sie auf eine Arbeit von Lovis Corinth aufmerksam zu machen, einen liegenden, weiblichen Akt, der 1908 entstanden ist. Dieses Bild ist noch nicht öffentlich gezeigt worden, Corinth hat es in meinem Atelier gemalt, u. dort ist es bisher geblieben. (…)“

Das Absage-Schreiben der Nationalgalerie ging an die Trabener Straße 25 in Grunewald, dort wohnte Frieda Fränkel im 2. Stock. Die Gegend gehörte damals zu den besten Adressen Berlins.

Fünf Jahre später, am 8. April 1933, schreibt Frieda Fränkel ein zweites Mal an die Nationalgalerie. Sie wohnt jetzt in der Gillstraße 9, ihre wirtschaftliche Situation muss sich inzwischen sehr verschlechtert haben. Sie bietet dasselbe Bild nun für 600 Mark an:

„(…) …ein Akt, den Corinth im Jahre 1908 in meinem Atelier vor meinen Augen gemalt hat, um mir zu zeigen, wie er dieses Stück Natur sah. Und zwar malte er ihn in zwei Sitzungen; die Arbeit ist nicht signiert, weil weder Corinth noch ich damals Wert darauf legten. Es ist (…) ein prachtvolles, echt Corinth’sches Stück Malerei. Ich würde jetzt, da ich aus wirtschaftlichen Gründen meine Wohnung sehr verkleinern muss, den Akt gerne an einem Platz wissen, an dem er vielen jungen Malern ein prachtvoll anregendes Beispiel sein könnte, und ich würde ihn auch aus diesem Grunde zu einem ganz geringen Preis, etwa 600 M. abgeben. Ich bin im Besitz eines Zeugnisses von Prof. Adolf Meyer, ehemals Lector für Zeichenkunst an der Universität Berlin, das besagt, dass er den Akt gleich nach seiner Entstehung gesehen hat. (…)

Mit Schreiben vom 13. April 1933 sieht die Nationalgalerie auch dieses Mal vom Kauf ab.

Frieda Fränkel war die Patentante meiner Mutter. Deshalb hieß auch meine Mutter Frieda, genannt wurde sie Friedel. Zu meiner Geburt am 9. September 1926 schrieb Frieda Fränkel meinen Eltern eine Glückwunschkarte, die in meinem Besitz ist:

Grunewald, den 17. September 1926.

Mein liebes Friedelchen,
sehr geehrter Herr Doctor,

Zum Erscheinen Rosemarie’s sende ich den jungen Eltern vorläufig auf diesem Wege meine allerherzlichsten Glückwünsche. Bald werde ich mich der jungen Dame persönlich vorstellen.
Bis dahin mit besten Grüssen in alter Freundschaft

Tante Frieda.

Das einzige Foto, das ich von Frieda Fränkel besitze, zeigt sie bei meiner Taufe, am 20. Februar 1927. Ich erinnere mich an sie als eine liebe Frau, die bei allen Familienfesten war, weil sie quasi zur Familie gehörte – klein, unscheinbar und grau – die niemandem etwas getan hat.

Zum letzten Mal habe ich Frieda Fränkel bei einem Spaziergang mit meinem Großvater in Charlottenburg gesehen. Das muss 1941 oder 1942 gewesen sein, ich war damals 14 oder 15 Jahre alt. Es war dunkel, sie huschte über die Straße. Mein Großvater fasste mich am Arm und sagte: „Das war Tante Frieda Fränkel.“

Am 25. September 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Sie starb dort am 29. Januar 1943. Als Todesursache ist auf der Todesfallanzeige vermerkt: Herzinfarkt.

Meine Großmutter hat ihre Freundin fallen lassen, weil sie Jüdin war. Meine Familie hat Frieda Fränkel vergessen, und auch ich habe lange nicht an sie gedacht. Das treibt mich seit mehreren Jahren um. Ich setze Frieda Fränkel diesen Stolperstein, um zu zeigen, dass sie nicht vergessen ist.

Text von Rosemarie Korth, geboren am 9. September 1926 in Berlin-Spandau