Stolpersteine Theodor-Heuss-Platz 2

Hausansicht Theodor-Heuss-Platz 2

Diese Stolpersteine wurden am 10.02.2016 verlegt.

Stolperstein Dr. Alfred David Beutler

HIER PRAKTIZIERTE
DR. ALFRED DAVID
BEUTLER
JG. 1891
FLUCHT 1935
PALÄSTINA
USA

Stolperstein Dr. Käthe Beutler

HIER PRAKTIZIERTE
DR. KÄTHE
BEUTLER
GEB. ITALIENER
JG. 1896
FLUCHT 1935
USA

Stolperstein Friedrich Beutler

FRIEDRICH BEUTLER
JG. 1926
FLUCHT 1935
USA

Stolperstein Ernst Beutler

ERNST BEUTLER
JG. 1928
FLUCHT 1935
USA

Stolperstein Ruth Beutler

RUTH BEUTLER
JG. 1932
FLUCHT 1935
USA

Alfred Beutler als Medizinstudent in Couleur einer nicht-identifizierten Studentenverbindung, undatiertes Photo

Alfred David Beutler kam am 11. November 1892 in Reichenbach im Vogtland zur Welt, als ältestes Kind des Textil-Fabrikanten Joseph Beutler (1855-1924) und dessen Ehefrau Elisabeth, geborene Finder (1866-1954). Alfred hatte 3 Geschwister; Schwester Lotte war 1894 geboren, Bruder Joachim Friedrich 1896, und Bruder Ernst 1901. Joseph, der Vater, besaß gemeinsam mit seinen Brüdern Leo (1868-1942) und Isidor (1859-1938) eine Tuchfabrik. Die Gebrüder Beutler stammten aus Czarnkow in der ehemaligen preußischen Provinz Posen, und siedelten sich im Jahr 1885 in Reichenbach an, wo sie mit der Produktion von Textilien in einem Gebäude in der Greizer Straße 5 begannen, heute Dr.-Külz Straße.
Das Geschäftskontor und Wohnhaus der Familie lag in der Weststraße 24. Alfred besuchte ab Mai 1906 das Gymnasium zu Zwickau, der 20 km entfernten Kreisstadt. In seiner Freizeit nahm er Cello Unterricht und beherrschte das Instrument so gut, dass er später in verschiedenen Laienensembles spielte. Außerdem entwickelte er eine Vorliebe für das Wandern. Nach dem Abitur am 28. Februar 1911 studierte er Medizin, zunächst in Freiburg und dann in Berlin. Dort lernte er von den Besten ihres Faches. Unter seinen renommierten Professoren waren der Anatom Wilhelm von Waldeyer-Hartz (1836-1921) und der Entwicklungsbiologe Oscar Hertwig (1849-1922). Alfreds klinisches Studium wurden durch den Ausbruch des Krieges unterbrochen, sodass das Sommersemester 1914 seine letzte reguläre Studienzeit in Berlin war, mit einem Chirurgie Kurs unter Leitung von August Bier.

Vom Herbst 1914 bis November 1918 diente Alfred als Feldunterarzt und Feldhilfsarzt im deutschen Militär. Er war wohl stolz sowohl auf seine Heimat als auch auf seine Religionszugehörigkeit, wie man dem Lebenslauf in seiner Promotionsschrift entnehmen kann, der mit den Worten beginnt „Ich bin Preusse, jüdischen Glaubens.“ Dieses doppelte Zugehörigkeitsgefühl teilte er mit vielen der Juden in Deutschland. In den Jahren 1916 und 1917 erlebte Alfred mehrere Kämpfe an der Westfront in Belgien und Frankreich und erhielt das Eiserne Kreuz zweiter Klasse für erwiesene Tapferkeit in der Schlacht östlich des Flusses Yser in Belgien. Außerdem wurde er während seiner Zeit im Militär vom Feldunterarzt zum Feldhilfsarzt befördert. Sein jüngerer Bruder Friedrich – Fritz – war auch zum Militärdienst eingezogen worden, vermutlich gleich nach dem Abitur. Er fiel am 18. November 1917 im Alter von 21 Jahren. Nach Kriegsende ging Alfred an die Universität in Breslau, heute Wrocław in Polen, wo er am 15. Juli 1919 sein Staatsexamen ablegte und am 19. August des gleichen Jahres approbiert wurde.

Alfred entschied sich zunächst für eine Grundausbildung in Pathologie. Hierzu blieb er in Breslau und begann seine Arbeit am Pathologischen Institut der Universität Breslau, das von Friedrich Henke (1868-1943) geleitet wurde. Henke war ein Krebsspezialist und bekannt als Koautor des „Henke-Lubarsch Handbuch der Speziellen Pathologischen Anatomie und Histologie.“ Er betreute Alfreds Doktorarbeit Über Ependymcysten im Dritten Ventrikel als Todesursache, mit der Alfred 1920 promoviert wurde, und die Ergebnisse wurden unter dem gleichen Titel in der bedeutenden Zeitschrift Virchow’s Archiv veröffentlicht. Alfreds großes Engagement in wissenschaftlicher Arbeit wurde schon zu diesem Zeitpunkt deutlich, da er in der gleichen Ausgabe des Journals noch eine Studie zu zwei Fällen von in den Magen versprengtem Pankreasgewebe publizierte. Vom 1. November 1921 bis 31. Dezember 1923 setzte Alfred seine Ausbildung als Assistenzarzt an der Inneren Abteilung B des städtischen Wenzel-Hancke-Krankenhauses in Breslau fort. Er erwarb dort die Qualifikation zur Leitung einer Röntgenabteilung, außerdem schrieb er zwei weitere Fallstudien die zur Veröffentlichung kamen (s.u.). Mit all diesen Publikationen war Alfred im Jahr 1923 klar auf dem Weg zu einer akademischen Karriere, folgte dann aber dem Ratschlag seines Vaters Joseph, der als erfolgreicher Geschäftsmann meinte, dass er nicht verstünde warum irgendwer „so hart für so wenig arbeite,“ und Alfred empfahl, eine Arztpraxis in Berlin aufzumachen.
Alfred verließ Breslau, zog in die deutsche Hauptstadt und begann Anfang 1924 zunächst als Assistenzarzt auf der Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses im Friedrichshain. Dort lernte er die soeben graduierte Ärztin Käthe Italiener kennen und die beiden verliebten sich. Sie teilten nicht nur berufliches und akademisches Interesse, sondern auch die Herkunft aus einem jüdischen Elternhaus, einen ähnlichen wirtschaftlichen Hintergrund, und besonders die Liebe zur klassischen Musik, die sie nicht nur hörten sondern auch selbst praktizierten. Am 23. Dezember 1925 fand die Hochzeit statt, und schon am 2. Oktober 1926 kam Sohn Friedrich Joseph zur Welt. Sohn Ernst folgte am 30. September 1928, und Tochter Ruth am 23. November 1932.

Noch während Alfred am Städtischen Krankenhaus im Friedrichshain arbeitete eröffnete er 1925 eine Praxis für Innere Medizin und Radiologie in der Familienwohnung am Reichskanzlerplatz 4, heute Theodor-Heuss-Platz. Auch Käthe Italiener richtete hier im Jahr 1927 ihre Kinderärztliche Praxis ein. Alfred hatte eine kassenärztliche Zulassung, und Käthe erhielt sie am 3. Februar 1933. Die junge Familie lebte in räumlicher und gesellschaftlicher Nähe zu vielen Verwandten von Alfreds und Käthes Seite, und mit Haushaltshilfe und Kindermädchen waren geregelte Kindererziehung, Haushalt und die Arbeit in zwei Arztpraxen gut vereinbar.

Dies änderte sich unmittelbar mit der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten Anfang 1933. Käthe verlor ihre Kassenarztzulassung wenige Monate nachdem sie diese erhalten hatte, während Alfred die seine aufgrund seines Veteranenstatus behielt. Die Montessori-Schule der Kinder wurde von den Nationalsozialisten geschlossen und sie besuchten nun die Theodor-Herzl-Schule, und viele von Alfreds und Käthes Lehrern, Freunden und Verwandten verloren ihre Arbeitsstellen als Beamte ab April 1933. Zwei Verwandte wurden sogar gefangen genommen worden, und das tägliche Gespräch im Familienkreis drehte sich zunehmend um Auswanderungsmöglichkeiten. Käthe drängte auf Emigration, und Alfred unternahm mehrere Erkundungsreisen, um schließlich im August 1935 die Reise nach Palästina anzutreten um die Gegebenheiten für eine Umsiedelung dorthin persönlich in Augenschein zu nehmen. Doch schon vor der Abreise hatte er an entfernte Verwandte in Milwaukee, Wisconsin, geschrieben und sie um ein Affidavit für die Einreise in die USA gebeten. Dies Affidavit errichte ihn nun via Berlin in Palästina, wo er dann beschloss seine Familie in die USA zu bringen. Er selbst kam dort im November 1935 an und Käthe folgte mit den Kindern im Dezember 1935.

Seine Ausbildung als Radiologe erlaubte es Alfred, schon vor Ablegung des amerikanischen Staatsexamens und Erhalt seiner US Approbation am Mount Sinai Medical Hospital in Milwaukee zu arbeiten. Er erhielt die Approbation innerhalb weniger Monate, und eröffnete bereits im April 1936 seine neue Praxis für Innere Medizin und Radiologie in prominenter Lage in Milwaukee. Der Zeitungsartikel, der die neue Praxis ankündigte, beschrieb Alfred als Zionisten. Auch Käthe eröffnete bald darauf eine Kinderarztpraxis. Alfred gründete mit weiteren Emigranten die “Society of Friends”, später “New Home Club” genannt, eine Vereinigung, in der neue Emigranten gesellschaftlich zusammenkamen und auch andere Flüchtlinge unterstützen. Neben seiner gutgehenden Praxis hatte er Zeit sich um sein Hobby der Photographie zu kümmern, und fuhr mit seiner Familie am Wochenende zu seiner Nerz-Farm, die er für einige Jahre kommerziell betrieb – ein Patient hatte ihm Nerze als Zahlung für eine Behandlung überlassen.

Nach dem Krieg erfuhren Alfred und Käthe vom Schicksal vieler Verwandter, die Opfer des Holocaust wurden. Sie bemühten sich eingehend um entsprechende Informationen und Alfred korrespondierte zur Restitution von Familienvermögen, das während der Zeit des Nationalsozialismus verloren gegangen war.

Alfred Beutler erlebte noch die Geburt seiner ersten Enkelkinder, aber verstarb plötzlich am 13. Feb. 1962 in Milwaukee, im Alter von 70 Jahren. Eins dieser Enkelkinder ist Bruce Alan Beutler, der 2011 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet wurde.

Publikationen von Alfred Beutler:
  • Beutler, Alfred: Über Ependymcysten im Dritten Ventrikel als Todesursache. Virchows Archiv 232(1921a), pp. 358-367.
  • Beutler Alfred: Über blastomatöses Wuchern von Pankreaskeimen in der Magenwand. Virchows Archiv 232 (1921b), pp. 341-149.
  • Beutler, Alfred: Zur Kenntnis der innersekretorischen Zusammenhänge bei Chlorose, Folia Haematologica 29 (1923), pp. 121-143.
  • Beutler Alfred: Gleichzeitige hämolytische Krisen in einer Familie als erstes Krankheitssymptom bei Icterus haemolyticus familiaris, Deutsche Medizinische Wochenschrift 50(1924), pp. 495-460.
Quellen:
  • Schwoch, Rebecca (ed.). 2009. Berliner Jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Berlin: Hentrich & Hentrich
  • Hildebrandt S, Kammertöns T, Lechner C, Schmitt P, Schumann RR. Dr. Käthe Beutler, 1896-1999: A German Born Jewish Physician and Her Family Between Science, Politics and Prejudice. Medizinhistorisches Journal, 2019, im Druck

Käthe Italiener als Medizinstudentin in Berlin.

Käthe Italiener wurde am 11. Oktober 1896 in Berlin geboren. Sie war das dritte Kind und die einzige Tochter des Kaufmanns Ludwig Italiener und seiner Frau Anna, geb. Rothstein. Ihre Brüder waren Karl und Ernst, geboren in den Jahren 1889 und 1894. Ernst, der Jura studierte, fiel 1916; Karl, Statistiker und Unternehmensberater, wurde 1942 in Mauthausen umgebracht. In der Familie gab es vor allem Geschäftsmänner, Juristen, Musiker und Geisteswissenschaftler, einige von ihnen waren sehr prominent. Interessanterweise waren es die Frauen in Käthes Generation, die in den Naturwissenschaften und in Medizin reüssierten. Käthes Cousine Alice Italiener promovierte 1917 in Chemie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, und ihre gleichaltrige Cousine Tilly Rothstein studierte dort Medizin. Möglicherweise waren diese beiden Frauen Vorbilder für Käthe, die sich 1917 zum Medizinstudium entschloss. Zu dieser Zeit lebte sie als einziges der Kinder bei den Eltern in Charlottenburg – Ernst war gefallen, und Karl war seit 1914 als Zivilist in Frankreich interniert. Später gefragt nach ihrer Motivation zum Medizinstudium, antwortete sie: „Was gab es sonst zu tun? Ich wurde gebraucht.“ Tatsächlich war ihre Entscheidung nicht untypisch für viele Frauen in ähnlicher sozioökonomischer Situation. Jüdische Frauen machten ein Drittel der weiblichen Medizinstudenten aus, und als Käthe 1918 mit dem Studium begann war sie eine von 251 Frauen unter 2560 Medizinstudenten an der Friedrich-Wilhelms-Universität.

Käthe absolvierte Ihr Studium in der Mindestzeit, legte ihr Physikum im März 1920 ab, und verbrachte ein Auswärtssemester in München. 1923 promovierte sie zum Thema „Geschichtliches zum Tonusbegriff vom Altertum bis Virchow” bei Friedrich Kraus (1858-1936), dem Direktor der Zweiten Medizinischen Klinik der Charité. Ihre Prüfer im Rigorosum waren international anerkannte Vertreter der jeweiligen medizinischen Disziplinen: der Pädiater Adalbert Czerny, der Anatom Rudolf Fick, und der Chirurg August Bier. Käthe erhielt dann ihre Approbation am 23. Mai 1924 und entschied sich für eine Weiterbildung in Pädiatrie, das Fach das neben der Gynäkologie und Geburtshilfe zu den häufigsten der von Frauen gewählten Spezialisierungen gehörte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Berlin den höchsten Anteil von Frauen, insbesondere auch Jüdinnen, unter den Ärzten in Deutschland. Zu dieser Zeit bestand aber auch eine große Arbeitslosigkeit unter den Jungärzten, die besonders stark auf die Frauen unter ihnen zurückfiel. Käthe verfolgte ihre Weiterbildung also in Volontariaten, und die Auswahl, die sie hier und für die Stationen ihres Praktischen Jahres traf, verdeutlicht ihr klares Auge für wissenschaftliche Exzellenz.

Zunächst arbeitete Käthe in der Pathologie des Städtischen Krankenhauses Am Friedrichshain, Berlin, die von Ludwig Pick (1868-1944) geleitet wurde, dem international bekannten Beschreiber des Morbus Niemann-Pick. Als nächste Station ging sie ans Städtische Grossen-Friedrich Waisenhaus in Berlin-Rummelsburg, dessen Krankenabteilung von Erich Müller (1868-1952) geführt wurde. Müllers Behandlungskonzept der kongenitalen Syphilis mit Salvarsan war über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Hier forschte Käthe an der klinischen Verbesserung dieser Therapie und publizierte 1924 ihre Arbeit „Unsere Erfolge mit hohen Neosalvarsandosen bei Behandlung der angeborenen Syphilis” in der renommierten Zeitschrift Klinische Wochenschrift. Es folgten Volontariate bei Professor Czerny am Kinderkrankenhaus der Charité, und am Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Kinderkrankenhaus, das unter der Leitung von Heinrich Finkelstein (1865-1942) stand. Sowohl Czerny als auch Finkelstein waren international renommiert für ihre Forschungen zur Entwicklung und Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern, und Käthe hat später in ihren Leben immer wieder davon berichtet, dass sie an Fragen zur Säuglingsnahrung wissenschaftlich gearbeitet habe. Allerdings hat sie hierzu nicht publiziert. Ihre letzte Ausbildungsstelle war dann bei Edith Alexander Katz, die das Säuglings- und Kinderkrankenhaus Charlottenburg leitete. In Katz hatte Käthe die einmalige Möglichkeit mit einer Kollegin der ersten Generation von Ärztinnen in Deutschland zu arbeiten.

1925 heiratete Käthe Italiener den Internisten und Radiologen Dr. med. Alfred Beutler, den sie vermutlich während ihrer Zeit am Städtischen Krankenhaus Am Friedrichshain kennengelernt hatte. Auch Alfred hatte ein starkes wissenschaftliches Interesse, das durch mehrere Publikationen belegt ist, folgte aber dem Rat seines Vaters, eines Kaufmanns, sich als niedergelassener Arzt ein ausreichendes Einkommen zu verschaffen. Im gleichen Jahr, 1925, eröffnete Alfred seine Praxis für Innere Medizin und Radiologie am Reichskanzlerplatz 4, wo die Familie auch wohnte. 1926 wurde der Sohn Friedrich geboren, 1928 Sohn Ernst, und 1932 Tochter Ruth. Die wachsende Familie hielt Käthe nicht davon ab, 1927 ihre eigene pädiatrische Praxis in den Räumen der Praxis ihres Mannes zu eröffnen, und zwar unter ihrem Mädchennamen Käthe Italiener. Offenbar kamen ihre Patienten aus finanziell wohlsituierten Kreisen, da sie ihre Privatpraxis erfolgreich betrieb. Ihre Kassenzulassung erhielt sie am 3. Februar 1933. Käthe hatte Hilfe im Haushalt durch Köchinnen und Kindermädchen, kümmerte sich aber auch intensiv um die Erziehung der Kinder, deren Ausbildung eine Priorität für sie und Alfred war.

Bis 1933 lebte Käthe in einer einmaligen, aber flüchtigen, Periode der deutschen Geschichte, in der es Frauen möglich war das volle Potential ihrer Existenz auszuleben: erfolgreich und selbständig im Beruf, war Käthe außerdem eine glückliche Ehefrau und Mutter. Dies änderte sich sofort nach der Übernahme des deutschen Staates durch die Nationalsozialisten. Käthe verlor ihre Kassenzulassung am 1. Juli 1933, während Alfred seine Zulassung behielt aufgrund einer Sonderregelung für Weltkriegsteilnehmer- er hatte 4 Jahre lang im Krieg gedient. Nachdem die Montessori-Schule, welche Fred und Ernst besuchten, von den Nationalsozialisten 1933 geschlossen wurde, schickte Käthe die Kinder auf die Theodor-Herzl-Schule, wo die Kinder vor antisemitischen Attacken geschützt waren und auf eine mögliche Emigration vorbereitet wurden. Es war Käthe, die schließlich auf die Emigration drängte, und auch Alfred sah bald ein, dass seine Kinder in NS-Deutschland keine Ausbildungschance hatten.

Nach Sondierungen Alfreds in Palästina im Herbst 1935 wanderte die Familie dann im Dezember 1935 nach Milwaukee/Wisconsin in den USA aus. Hier war es zunächst Alfred, der das amerikanische Staatsexamen zur Erlangung der Praxiszulassung im Januar 1936 ablegte und dann im April desselben Jahres eine neue Praxis eröffnete. Käthe musste derweilen ungewohnte häusliche Aufgaben wie Kochen und Hauswirtschaft übernehmen, neben der Versorgung der Kinder und der ihr nicht sonderlich wohlgesonnenen Schwiegermutter. Trotz allem legte bald auch sie das amerikanische Examen ab und eröffnete ihre pädiatrische Praxis bereits im März 1937. Hierbei handelte es sich um eine ganz außergewöhnliche Leistung, denn die meisten verheirateten Ärztinnen, die mit ihren Arzt- Ehemännern emigrierten, fanden aus den verschiedensten Gründen nie wieder die Gelegenheit Medizin zu praktizieren. Aus Aussagen von Käthes Sohn Ernst geht auch hervor, dass ihr Status als Ärztin ein wesentlicher Bestandteil des Selbstbewusstseins seiner Mutter ausmachte.

Wenn Käthe Beutler auch selbst niemals wieder zu wissenschaftlicher Forschung zurückgekehrt war, so hatte sie doch ihre Wertschätzung wissenschaftlicher Exzellenz nie aufgegeben. Das manifestierte sich in der Sorgfalt, die sie auf die Schulauswahl für ihre Kinder aufwandte, wie auch in dem Interesse, dass sie für die Arbeiten ihrer Kinder und Enkel im Laufe ihres Lebens stets behielt. Nach dem Tod von Alfred im Jahr 1962 zog sie nach Kalifornien, um in der Nähe ihrer Kinder und Enkel zu leben. Sie war vielbeschäftigt mit Musik und Literatur, verfolgte Politik und andere Nachrichten, und arbeitete am Computer. Insbesondere kümmerte sie sich um ihre Enkel, zu denen Bruce Beutler gehörte, der meint, dass Käthe ihm zum ersten Mal vom Nobelpreis erzählt habe.

Käthe Italiener-Beutler lebte eine volles Jahrhundert lang, in dem sie alle Möglichkeiten im Leben einer Frau erfahren konnte und deren Teilverlust sie für lange Zeit hinnehmen musste. Trotz allem blieb sie ihren Prioritäten treu: dem Zusammenhalt der Familie und der wissenschaftlichen Wahrheit. Sie verstarb am 7. Februar 199 in La Jolla, Kalifornien.

Publikationen von Käthe Italiener-Beutler
  • Italiener, Käthe: Geschichtliches zum Tonusbegriff vom Altertum bis Virchow. Medizinische Dissertation, 1924, Bibliothek Humboldt-Universität Berlin.
  • Italiener, Käthe: Unsere Erfolge mit hohen Neosalvarsandosen bei Behandlung der angeborenen Syphilis. Klinische Wochenschrift 3 (14, 1924), pp. 577-579.

Weitere Informationen bei:
Hildebrandt S, Kammertöns T, Lechner C, Schmitt P, Schumann RR. Dr. Käthe Beutler, 1896-1999: A German Born Jewish Physician and Her Family Between Science, Politics and Prejudice. Medizinhistorisches Journal, 2019, im Druck

Quellen:
  • Schwoch, Rebecca (ed.). 2009. Berliner Jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch. Berlin: Hentrich & Hentrich, Seite 96.
  • Seidler, Eduard. 2007. Kinderärzte 1933-1945: entrechtet- geflohen- ermordet. Erweiterte Neuauflage. Basel: Karger, page 137.
  • Käthe Beutler’s collection of autobiographical manuscripts archived with the Beutler papers at the Library of the Holocaust Memorial Center, Zekelman Family Campus, Farmington Hills, Michigan/USA.
  • Beutler Stammbaum, persönliche Mitteilung Fred Beutler.
  • Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Med. Fak. 908, Promotionen, Italiener, Käthe.

Recherche und Texte zu Alfred und Käthe Beutler:
Sabine Hildebrandt
Associate Professor of Pediatrics; Lecturer on Global Health and Social Medicine
Boston Children’s Hospital, Harvard Medical School,
Div. General Pediatrics, Dep. Pediatrics
Boston, Massachusetts, USA
E-Mail

Fred kam am 3. Oktober 1926 als Friedrich Joseph Beutler in Berlin zur Welt. Er war das erste Kind der Ärzte Alfred David Beutler und Käthe (Italiener) Beutler. Die inzwischen verstorbenen Geschwister Ernst (geboren am 30. September 1928) und Ruth (23. November 1930) vervollständigten die Familie. Die Eltern waren beide jüdisch und realisierten, dass die Familie nicht länger in Nazi-Deutschland leben konnte. Die Familie konnte Anfang 1936 in die USA auswandern und ließ sich zunächst in Milwaukee (Wisconsin) nieder, danach in der Milwaukees Vorstadt Shorewood.

Nach Abschluss des Gymnasiums im Jahr 1944 rückte Fred in die US Armee ein. Er war Ausbilder im Signal Corps (Fernmeldeeinheit) und wurde im Januar 1947 entlassen. Danach begann er sein Studium am Massachusetts Institute of Technology, das er mit dem Titel eines Bachelor of Science abschloss. Fred kehrte 1951 ans M.I.T. zurück um einen Master-Abschluss zu machen, und nahm dann eine Stelle in der Flugzeugindustrie an. Im Jahr 1954 kehrte er noch einmal an die Universität zurück für das Studium der Ingenieurwissenschaften und Mathematik am California Institute of Technology, das er 1957 mit einem Doktortitel abschloss.

Im Herbst 1957 akzeptierte Fred eine Stelle am Institut für Luft- und Raumfahrttechnik an der University of Michigan. 1963 wurde Fred zum ordentlichen Professor ernannt. Seine Karriere umfasste eine Zeit als geschäftsführender Herausgeber einer bedeutenden Zeitschrift in angewandter Mathematik (1970-76), die Auszeichnung der Tau Beta Pi Ehrengesellschaft als Hervorragender Ingenieur (1981), und die Ehrenmitgliedschaft des Instituts der Ingenieure für Elektrik und Elektronik (1980). Er war Lehrstuhlinhaber des interdisziplinären Programms für Computerinformatik und Computertechnologie an der University of Michigan von 1977 bis 1990. Viele seiner Veröffentlichungen sind weiterhin im Internet erhältlich.

Fred trat dem Rotary Club of Ann Arbor bei, nahm an vielen internationalen humanitären Projekten teil und fungierte viele Jahre als Tagungs-Photograph. 2014 erhielt er die Auszeichnung dieses Clubs für hervorragende Dienste. Fred spielte Cello und war über die Jahre Mitglied verschiedener Symphonieorchester. Zwischen 1964 und 2008 segelte er kompetitiv als Mitglied des Barton Bootsclubs und war aktiver SCUBA Taucher. Ausserdem war er vierzig Jahre lang ein begeisterter Tennisspieler.

Fred emeritierte 1990 von der University of Michigan. Im Jahr 2006 erfand er sich neu als professioneller Photograph. Seitdem werden seine Arbeiten weitem Umkreis in regionalen Ausstellungen gezeigt.

Fred heiratete Abigail Elaine Caplan im Juni 1951, von der er 1967 geschieden wurde. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Arthur David (1954), Kathryn Ruth (1955) und Michael Ernst (1960). 1969 heiratete Fred Suzanne Armstrong Ireland.

Übersetzung: Sabine Hildebrandt