Stolpersteine Landhausstraße 8

Hausansicht Landhausstr. 8, 2014

Hausansicht Landhausstr. 8, 2014

Diese Stolpersteine wurden am 9.4.2013 verlegt.

Stolperstein Mariem Winter, April 2013

Stolperstein Mariem Winter, April 2013

HIER WOHNTE
MARIEM WINTER
GEB. EISENBERG
JG 1879
DEPORTIERT 26.6.1942
MINSK
ERMORDET

Mariem Winter geb. Eisenberg wurde am 25. Mai 1879 in Warschau geboren. Ihr Mann Felix Winter, dem das neu erbaute Haus gehörte, war gestorben. Im Adressbuch war er mit dem Zusatz „AG Möbelfabrikation und Vertrieb“ sowie mit seinem Postscheckkonto 86889 eingetragen. Ihm gehörte die 1909 gegründete Möbelfabrik Felix Winter & Schmausch in den einstigen „Victoriahöfen“ an der Köpenicker Straße 126, die 1938 ariisiert und 1940 liquidiert wurde.

Als Marie Winter stand die Witwe 1931 allein im Jüdischen Adressbuch. Sie war nun die Eigentümerin dieses Hauses, in dem sie wohnen blieb, wie das Berliner Adressbuch ausweist.

Am 26. Juni 1942 ist sie vom Güterbahnhof Moabit nach Minsk deportiert worden. Vorher hatte sie sich in der Synagoge Levetzowstraße registrieren lassen müssen.

Stolperstein Antonie Tosi Salomon, April 2013

Stolperstein Antonie Tosi Salomon, April 2013

HIER WOHNTE
ANTONIE TOSI
SALOMON
GEB. LIPPMANN
JG 1861
GEDEMÜTIGT/ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
10.8.1942

Am 10. August 1942, an einem Montag, wird die 81jährige Antonie Salomon tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Sie hatte sich – so die Sterbeurkunde – vergiftet. Ein Jahr davor, am 8. Juli 1941, war ihr Ehemann Paul Robert Salomon in der gemeinsamen Wohnung in der Landhausstraße 8 verstorben. Der 91-Jährige war herzkrank. Das Ehepaar war 56 Jahre verheiratet. Ihre Hochzeit hatten sie am 9. Januar 1885 in Aachen gefeiert, der Geburtsstadt von Antonie.
Dort waren ihre Eltern, Helene und Leopold Lippmann seit dem frühen 19. Jahrhundert wohlhabende und geachtete Bürger. Auf dem Wiener Kongress von 1815 wurde Aachen von Preußen vereinnahmt. Die jüdische Bevölkerung der Stadt vervierfachte sich innerhalb weniger Jahrzehnte. Im Jahr 1820 wurde die „Wittip Lippmann, Handelsfrau“ als aus Paris eingewanderte Neubürgerin registriert. Ihre beiden Söhne waren Tuchhändler und später Tuchfabrikanten. Überregional bekannt wurden die Tuchgroßhandlung Lippmann & Herz und später die Haarener Tuchfabrik. Der Vater von Antonie, Leopold Lippmann, heiratete am 22. Oktober 1851 die Industriellentochter Helene Wolff. Mit ihren acht Kindern, zwei Jungen und sechs Mädchen, führten sie die Familie zum wirtschaftlichen Erfolg. Leopold Lippmann gehörte außerdem lange Jahre dem Vorstand der Aachener Synagogengemeinde an und betätigte sich in Wohlfahrtsorganisationen.

Haarener Tuchfabrik um 1910

Haarener Tuchfabrik um 1910

Die am 7. Februar 1861 geborene Tochter Helene erlernt keinen Beruf. Als sie 24 Jahre alt ist, wird sie die Ehefrau des jüdischen Berliner Kaufmanns Paul Robert Salomon. Er war ebenfalls in der Textilbranche tätig. Sein Vater Samuel Emil Salomon (1923-1895) betrieb in Berlin-Mitte in der Friedrichstraße und in der Zimmerstraße eine eigene Firma. Dem Sohn Paul Robert gehörte später die „Plüsch- und Wollwarenfabrik 1903“ in der Wilhelminenhofstraße 90 in Oberschöneweide, später in Grünau. Die Firma ist 1913 und von 1923-1929 im Berliner Handelsregister eingetragen.
Die Aachener Familie Lippmann fühlte sich von dem wirtschaftlich aufstrebenden Berlin des späten 19. Jahrhunderts offenbar angezogen. Zwei Brüder von Antonie Salomon siedelten sich hier an und wurden erfolgreiche Geschäftsleute. Der 36-jährige Carl Lippmann betrieb im Jahre 1891 in der Breiten Straße 6, nahe dem Schlossplatz im Herzen vom damaligen Berlin, eine Tuchhandlung. „Tuch-Engr.“ heißt es präzise im Berliner Adressbuch. Bereits neun Jahre später, am 18. Dezember 1900, stirbt er mit 46 Jahren. Sein jüngerer Bruder Julius übernimmt seine Geschäfte. Er lässt seine Firma und auch die private Wohnung nahe am Potsdamer Platz noch dreißig Jahre lang auch unter dem Namen seines früh verstorbenen Bruders eintragen.
Julius Lippmann, geboren am 13. September 1859, war seinem älteren Bruder in die Reichshauptstadt gefolgt. Mit 42 Jahren heiratete er die Kaufmannstochter Gertrud Basch. Julius betrieb verschiedene Tuchhandlungen in der Nähe des renommierten Potsdamer Platzes: in der Leipziger Str. 99 und der Mohrenstraße 19. In den Berliner Adressbüchern und im Handelsregister finden sich die Firmeneintragungen bis zum Jahr 1929.
Nicht nur zwei Brüder, sondern auch die Eltern von Antonie Salomon, Leopold und Helene Lippmann, verließen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Heimatstadt Aachen und zogen nach Berlin um. Als Antonie 1893 heiratet, lebt der Vater mit seiner Frau als Rentier in der Potsdamer Straße 50. Ein Jahr später stirbt er mit 68 Jahren. Nach seinem Tod am 25. Februar 1894 sucht sich seine Frau Helene ein neues Zuhause am Kurfürstendamm 139. Nach weniger als zwei Jahren stirbt auch sie – mit nur 62 Jahren am 28. Dezember 1895.

Strafbefehl Antonie Salomon

Strafbefehl Antonie Salomon

Der letzte Eintrag für die Plüsch- und Wollwarenfabrik von Paul Robert Salomon im Berliner Adressbuch findet sich für das Jahr 1929. Da ist der Ehemann von Antonie Salomon 78 Jahre alt und sie selbst 67 Jahre. Bei der Machtübernahme der Nazis 1933 waren sie also wahrscheinlich „Rentiers“ und immer noch wohlhabend. Ihre Vermieterin Mariem Winter, der das Haus in der Landhausstraße 8 gehörte, war eine aus Warschau stammende Jüdin. Ihr verstorbener Ehemann war Möbelfabrikant. Er hatte die Firma „Felix Winter & Schmausch“ betrieben. Das Ehepaar Salomon konnte daher auch nach dem Gesetz vom 30. April 1939 über Mietverhältnisse mit Juden in der Landhausstraße wohnen bleiben. Denn es war kein „arisches“ Haus.
Drei Monate nach dem Tod von Robert Paul Salomon erhielt Antonie Salomon am 9. Oktober 1941 einen Strafbefehl vom Amtsgericht in Alt Moabit. In einem Brief an die Oberfinanzdirektion in Berlin hatte sie versäumt, als zweiten Vornamen „Sara“ anzugeben. Das Strafmaß: eine Woche Gefängnis. Ob sie die Strafe abgesessen hat, ist nicht bekannt.
Neun Monate später ist die Existenz der 81-Jährigen erneut bedroht. Die SS verhaftete ihre Vermieterin Mariem Winter. Die 73-jährige Witwe wird am 26. Juni 1942 vom Güterbahnhof Moabit nach Minsk deportiert und dort ermordet. Wenige Wochen später, am 10. August 1942, nimmt sich Antonie Salomon das Leben.

Recherche und Text: Gudrun Küsel

Quellen:
Entschädigungsamt Berlin; 
Berliner Adressbücher; 
Ancestry
; Westdeutsche Gesellschaft für Familienkunde e.V., Bezirksgruppe Aachen; Aachener Genealogie Info 1917
; Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin