Stolpersteine Pestalozzistraße 15

Hauseingang Pestalozzistr. 15, Foto: KHMM, 6.11.2012

Hauseingang Pestalozzistr. 15, 6.11.2012

Die folgenden Stolpersteine wurden am 26.04.2012 verlegt.

Das Haus Pestalozzistraße 14/15 war 1884/85 für den Geheimen Postbaurat Wilhelm Tuckermann gebaut worden. Bereits 1887, damals noch Nr. 2 und 3 der „Strasse 11“, wohnten dort mehrere Mietparteien. Nach Pestalozzi wurde die Straße ein Jahr später benannt und erst 1897 erhielten die beiden Häuser die Nummern 14 und 15. Wilhelm Tuckermann wohnte selbst in der Nr. 15, auch „Villa Tuckermann“ genannt, ein Verwandter von ihm in dem anderen Haus. 1910 erwarben der jüdische Kaufmann Bernhard Samuel Jacobsohn und seine Frau Betty Sophie das Gartengrundstück hinter den Wohnhäusern und ließen dort eine Privatsynagoge erbauen, die am 9. Mai 1912 eingeweiht wurde. Die Synagoge wurde dann 1915 von der jüdischen Gemeinde übernommen, die Mietshäuser an der Straßenfront blieben Eigentum von Tuckermann. Nach seinem Tod 1919 blieben die Häuser im Besitz der Erbengemeinschaft. Zu den Mietern gehörte auch die Jüdische Gemeinde, die Wohlfahrtseinrichtungen wie Suppenküchen, später auch Einrichtungen der „Jüdischen Winterhilfe“ dort unterhielt. 1930 erstand die Jüdische Gemeinde auch die Wohnhäuser und hatte so einen direkteren Zugang zu den Wohnungen. So wohnten hier dann auch der Rabbiner Wezer Cycowicz und andere Angestellte der Gemeinde und es konnten auch wohnungslos gewordene Gemeindemitglieder untergebracht werden. Siehe auch Esther Slevogt: Die Synagoge Pestalozzistrasse, Berlin 2012

Stolperstein Hedwig Wolfsohn, 25.08.2012

Stolperstein Hedwig Wolfsohn, 25.08.2012

HIER WOHNTE
HEDWIG WOLFSOHN
JG. 1888
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Else Wolfsohn, 25.08.2012

Stolperstein Else Wolfsohn, 25.08.2012

HIER WOHNTE
ELSE WOLFSOHN
JG. 1887
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Else und Hedwig Wolfsohn waren Schwestern. Else, die ältere, war am 18. Dezember 1887, Hedwig fast genau ein Jahr später am 21. Dezember 1888 in Breslau geboren worden. Beide blieben unverheiratet. Viel mehr wissen wir nicht über ihr Leben, bevor sie Ende 1938 oder Anfang 1939 in die Pestalozzistraße 15 zogen. Hauptmieterin dort war Else, laut Adressbuch kaufmännische Angestellte. Da die Häuser Pestalozzistraße 14 und 15 der Jüdischen Gemeinde gehörten und in ihnen etliche Angestellte der Gemeinde untergebracht waren, ist es gut möglich, dass auch Else und/oder ihre Schwester Hedwig für die Gemeinde arbeiteten. Sie bewohnten eine 3-Zimmer-Wohnung im Vorderhaus, 1. Stock rechts.

Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten mussten sie erleben, wie ihr Leben durch Antisemitismus und diskriminierende Maßnahmen der Regierung zunehmend erschwert wurde. Insbesondere nach dem Pogrom am 9./10. November 1938 hatten sich die Verordnungen gegen Juden gehäuft, sie konnten nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen, nicht in Theater, Konzerte, Kinos usw. gehen, zu bestimmten Zeiten durften sie gar nicht auf die Straße, durften nur von 4 bis 5 Uhr nachmittags einkaufen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, Rundfunkgeräte wurden beschlagnahmt, Telefonanschlüsse gekündigt – dies waren nur einige der staatlichen Maßnahmen.

Spätestens 1941 wurden beide Schwestern auch zur Zwangsarbeit herangezogen. Else wurde im Kabelwerk Siemens und Schuckert eingesetzt, Hedwig bei der Firma Willi Schubert Feinmaschinenbau, in der Amendestraße 46, Reinickendorf Ost.

Mitte Dezember 1942 mussten beide Schwestern die „Vermögenserklärung“ ausfüllen, der Vorbote zur erzwungenen „Abwanderung“ oder „Umsiedlung“ – so die verschleiernden Bezeichnungen der Nationalsozialisten für die Deportation. Vermögen hatten die beiden allerdings nicht anzugeben, lediglich ein paar Möbel und Kleidungsstücke. Wahrscheinlich wurden ihnen noch ein paar Wochen zu Hause gegönnt, denn erst am 27. Januar 1943 waren sie nachweislich in dem Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26. Zwei Tage später, am 29. Januar, verließen sie um 17.20 Uhr in einem Sonderzug mit 1002 weiteren Leidensgenossen den Güterbahnhof Berlin-Moabit und kamen am nächsten Tag in Auschwitz an. Dort wurden 140 Männer und 140 Frauen zur Arbeit ausgesucht, d.h., zum vorläufigen Überleben. Möglich, aber unwahrscheinlich, dass die beiden 55- und 54-jährigen Schwestern dazu gehörten. Viel wahrscheinlicher ist, dass Else und Hedwig Wolfsohn zu den übrigen 724 Opfern gehörten, die sofort, am 30. Januar 1943, in den Gaskammern ermordet wurden.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Haim Zeida, 25.08.2012

Stolperstein Haim Zeida, 25.08.2012

HIER WOHNTE
HAIM ZEIDA
JG. 1876
DEPORTIERT 14.1.1943
THERESIENSTADT
1943 AUSCHWITZ
ERMORDET

Haim Zeida wurde am 25. Februar 1876 in Herza geboren. Der Ort gehörte damals zu Rumänien und hieß auf rumänisch Herţa. Er liegt an der rumänisch-ukrainischen Grenze und gehört heute zur Ukraine. Haim Zeida war Schneider und kam um 1902 nach Berlin. Im März 1907 heiratete er Ernestine Katz und nahm mit ihr eine eigene Wohnung im Hinterhof, IV. Stock in der Jablonskistraße 18, Prenzlauer Berg. Er machte sich selbständig als Damenschneider und zog nach einem Jahr in eine vermutlich größere Wohnung in der Weißenburger Straße 29 (seit 1947 Kollwitzstraße). 1912, nach der Geburt zweier Kinder 1909 und 1910, zog die Familie abermals um in die Fehrbelliner Straße 18, ebenfalls Prenzlauer Berg. Haim, der sich in Deutschland Heinrich nannte, baute dort ein Maßatelier für Damenmäntel und Kostüme auf, in dem er zeitweilig bis zu zwölf Angestellte beschäftigte. Er hatte inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben.

Stolperstein Ernestine Zeida, 25.08.2012

Stolperstein Ernestine Zeida, 25.08.2012

HIER WOHNTE
ERNESTINE ZEIDA
GEB. KATZ
JG. 1870
DEPORTIERT 14.1.1943
THERESIENSTADT
1943 AUSCHWITZ
ERMORDET

Ernestine Katz war sechs Jahre älter als ihr Mann. Sie war am 25. März 1870 in Posen geboren worden. Ihr Vater Philipp Katz war laut einer Enkelin bereits 1872 nach Berlin gekommen. Die Mutter Rebecca war eine geborene Wreschner. Folgt man den Berliner Adressbüchern, hatte Philipp Katz erst 1888 eine eigene Wohnung in der Grenadierstraße im Scheunenviertel (heute Almstadtstraße). Er arbeitete zeitweise als Koch, später ist er nur noch als Kaufmann eingetragen. Ernestine hatte mehrere Brüder, ob sie auch Schwestern hatte, ist nicht klar. Die Familie zog mehrmals um, Mitte der 1890er in die Straßburger Straße 12 in Prenzlauer Berg. Aber 1896 starb Philipp Katz und seine Witwe Rebecca wechselte in eine Wohnung gegenüber, Straßburger Straße 43, und, zwei Jahre später, um die Ecke in die Saarbrücker Straße 32. Die noch unverheiratete Ernestine zog sicherlich jeweils mit der Mutter mit. Sie arbeitete in einer Exportfirma der Putz- und Federbranche. Am 26. März 1907 heiratete sie Heinrich (Haim) Zeida. Im Januar 1909 brachte sie ihre Tochter Ruth zur Welt, im Juni 1910 den Sohn Manfred. Ernestine arbeitete im Atelier mit. Sie besorgte vor allem die Buchhaltung, Haim war auf seine Frau angewiesen, da er nicht gut genug deutsch konnte.

Auch Ruth und Manfred lernten das Schneiderhandwerk. Ruth besuchte die Handelsschule und machte eine Schneiderlehre, Manfred absolvierte die Lehre bei einer Konfektionsfirma und dann beim Vater. Beide arbeiteten im Betrieb des Vaters mit. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten veränderte sich das Leben der Zeidas von Grund auf. Schon nach dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 musste sich Ernestine wegen Angstzuständen und Depressionen in ärztliche Behandlung begeben. 1934 wurde Haim mit seinen beiden Kindern ausgebürgert. Manfred, der als Angestellter bei seinem Vater galt, bekam keine Arbeitserlaubnis mehr, die vorgesehene Gesellenprüfung konnte er nicht mehr machen. 1935 gaben Zeidas das Maßatelier auf und zogen in eine 3-Zimmer-Wohnung in der Pestalozzistraße 15. Wahrscheinlich fühlten sie sich sicherer in einem der Jüdischen Gemeinde gehörenden Haus. Haim – oder Heinrich – Zeida arbeitete weiter als Schneider, nun mit wenigen bzw. zuletzt ohne weitere Angestellte. Drei Nähmaschinen hatte er noch behalten. Manfred beschloss 1936 nach einer Warnung – vermutlich weil er schwarz weiter in der Schneiderei arbeitete – kurzerhand nach Südafrika auszuwandern. Ruth heiratete im Juli 1937 den Leipziger Kaufmann Helmut Marcus, wodurch sie wieder als deutsche Staatsbürgerin galt. Dennoch emigrierten ein Jahr später auch sie, über Portugal nach Uruguay.

Nach der Ausreise ihrer Kinder verschlechterte sich der gesundheitliche Zustand Ernestines weiter, sie soll ständig an Gewicht verloren haben. Auch die äußeren Lebensumstände für Juden waren durch antisemitische Verordnungen immer schwieriger geworden, nach den Pogromen vom November 1938 wurden Juden durch zahlreiche weitere Verbote nahezu völlig aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Ab September 1941 waren sie noch zusätzlich durch das erzwungene Tragen des Judensterns gebrandmarkt. Haim konnte noch eine Zeitlang für eine jüdische Kundschaft arbeiten, die aber zusehends schrumpfte. 1939 oder 1940 nahmen Zeidas Ernestines Bruder Alfred mit Frau und Sohn als Untermieter auf: ein Zimmer traten sie an Alfred und Gertrud Katz ab, deren Sohn Erwin bekam die Kammer. Kurzfristig kam auch der junge Arno Katz, 1921 geboren, in der Wohnung unter, möglicherweise ein Neffe von Ernestine und Alfred. Seine Mutter Johanna geb. Rosenberg war am 26. September 1942 (mit einem ursprünglich für den 3. Oktober vorgesehenen Zug) nach Raasiku bei Reval deportiert und dort umgebracht worden. 1942 arbeitete Haim, vermutlich zwangsverpflichtet, für die Schneiderei Albert Kielhorn in der Schillingstraße 16.

Kurz vor Jahresende 1942, am 18. Dezember, mussten Ernestine und Haim die berüchtigte „Vermögenserklärung“ ausfüllen, Voraussetzung um nach der vorgesehenen Deportation Hab und Gut der Deportierten „einzuziehen“. Zeidas Besitz beschränkte sich auf einige Möbel, die später ein Gerichtsvollzieher im Auftrag der Oberfinanzdirektion auf einen Wert von 89.- RM schätzte. Kielhorn überwies noch 24,61 RM Restlohn. Beides wurde der Reichskasse einverleibt.

Vielleicht wurden Haim und Ernestine Zeida noch im Dezember 1942, vielleicht auch erst Anfang Januar 1943 von der Gestapo abgeholt und in dem Sammellager Gerlachstraße 18 interniert. Dies war ein jüdisches Altenheim, das die Nationalsozialisten von Mitte November 1942 bis Mitte März 1943 als „Ausweichlager“ nutzten, da die Kapazität des Lagers in der Großen Hamburger Straße für die hohe Zahl der Deportationen nicht mehr ausreichte. Am 14. Januar 1943 wurden Haim und Ernestine dann in einer Gruppe von 100 Berliner Juden vom Anhalter Bahnhof aus nach Theresienstadt deportiert. Die „Reise“ fand in zwei geschlossenen Waggons statt, die an den Regelzug um 6.07 Uhr nach Dresden bzw. Prag angekoppelt wurden .

1943 hatte sich vermutlich schon herumgesprochen, dass Theresienstadt nicht das vorgegaukelte „Altersghetto“ war, sondern ein KZ-ähnliches Lager mit absolut desaströsen Lebensbedingungen. In welchem Maße diese menschenunwürdig waren, dürfte Zeidas dennoch überrascht und geschockt haben. Überfüllung, Hunger, Kälte und katastrophale hygienische Verhältnisse machten ein Überleben sehr schwierig. Ernestine magerte weiter ab und erblindete infolge von Unterernährung. Haim musste als Schneider im Blindenheim arbeiten. Über das weitere Schicksal von Haim und v.a. Ernestine gibt es widersprüchliche Angaben. Nach Auskunft 1968 des International Tracing Service (ITS) in Arolsen wurden Ernestine und Haim Zeida am 18. Dezember 1943 von Theresienstadt weiter nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Tatsächlich sind ihre Namen auf der Liste dieses 2503 Menschen umfassenden Massen-„Transports“ dokumentiert.
Aber: Ein Brief eines Theresienstadt-Überlebenden an die Kinder von Haim und Ernestine wirft Zweifel auf. Leopold Levy war Kriegsinvalide des 1. Weltkrieges und hatte auch in der Pestalozzistraße 15 gewohnt. Er kannte Zeidas gut und war in Theresienstadt mit ihnen „täglich zusammen“. Er berichtet, Ernestine sei dort gestorben, offiziell an „Schwäche und Erschöpfung“. Ausführlich schildert er, wer aus der Pestalozzistraße alles bei dem Begräbnis dabei war:

bq. Frau Schmul, Frau Reisner, Herr und Frau Adler und Frau Markuse, gesprochen hat Dr. Salemonzyk, Rabbiner aus Berlin, kurz darauf sei Haim nach Auschwitz gekommen.

Gemeint war vermutlich der renommierte Rabbiner Martin Salomonski. Leopold Levys Gedächtnis was Namen und auch Jahreszahlen betrifft mag nicht immer exakt gewesen sein, aber seine Schilderung des Todes und Begräbnisses von Ernestine Zeida ist so detailreich, dass sie kaum erfunden sein kann. Warum Ernestine dennoch auf der Liste der Deportierten nach Auschwitz steht, bleibt offen. Dieser Widerspruch wird nicht mehr zu klären sein, fest steht aber, dass sowohl Haim wie Ernestine Zeida durch die Nationalsozialisten ums Leben gekommen sind.

Ruth und Manfred Zeida überlebten im Exil. Albert Katz mit Gertrud und Sohn Erwin, die in der Wohnung in der Pestalozzistraße zurück geblieben waren, wurde zum 31. Oktober 1943 gekündigt, sie überlebten aber dank dem Umstand, dass Gertrud Christin war. Ihre Tochter Käte Gehr hingegen, die ebenfalls in der Pestalozzistraße 15 wohnte, wurde mit Mann und Kind am 19. Oktober 1942 nach Riga deportiert und dort ermordet. Arno Katz, der auch kurz in Zeidas Wohnung lebte, wurde am 19. Februar 1943 nach Auschwitz verschleppt und dort ebenfalls umgebracht. Rabbiner Martin Salomonski hatte in der Rankestraße gewohnt und wurde am 19. Juni 1942 nach Theresienstadt und am 16. Oktober 1944 weiter nach Auschwitz deportiert und ermordet. Für ihn liegt ein Stolperstein in Frankfurt/Oder, in der Karl-Marx-Straße am Synagogengedenkstein, wo er auch als Rabbiner tätig gewesen war. Leopold Levy kehrte in die Pestalozzistraße 15 zurück und starb in Berlin Ende der 50er Jahre.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; www.aktionsbündnis-brandenburg.de/stolperstein/dr-martin-salomonski

Stolperstein Alfred Nathan Reisner, 25.08.2012

Stolperstein Alfred Nathan Reisner, 25.08.2012

HIER WOHNTE
ALFRED NATHAN
REISNER
JG. 1895
DEPORTIERT 6.11.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 18.4.1944

Alfred Nathan Reisner wurde am 10. Mai 1895 in Berlin geboren. Sein Vater war Wilhelm Wolff Reisner, die Mutter Elise Reisner, geb. Friedländer. Als Alfred vier Jahre alt war, ließen sich die Eltern scheiden. Alfred blieb bei der Mutter, Wilhelm Wolff Reisner heiratete erneut und emigrierte zu einem unbekannten Zeitpunkt in die USA. Er und seine Frau Meta Minna, geb. Strase, verstarben in Kendalville, Indiana. Elise ist in den Berliner Adressbüchern in der Kantstraße 136 verzeichnet. Im gleichen Haus befand sich auch eine Filiale der Firma Hermann Reisner Zigarrenversand, geleitet von dem Sohn des Gründers, Arthur Reisner, möglicherweise ein Verwandter von Alfred. 1927 ist der frisch verheiratete Alfred laut Adressbuch ebenfalls in der Kantstraße 136 wohnhaft, vielleicht in einer anderen Wohnung als seine Mutter. 1928 sind sowohl Alfred Reisner wie Elise Reisner in der Schlüterstraße 22 vermerkt. Das bedeutet aber nicht, dass sie umgezogen sind, denn es handelt sich um das gleiche Haus: Kantstraße 136/Schlüterstraße 22 ist ein Eckhaus.

Alfred war Bankbeamter und hatte 1926 die Kunstgewerblerin Lilli Brandt geheiratet. Lilli Reisner, geb. Brandt, war die Tochter des Kaufmanns Max Moritz Brandt und seiner Frau Emma, geb. Gundermann. Als Lilli am 24. September 1895 geboren wurde, lebten die Eltern in der Brunnenstraße 152, zogen aber wenige Jahre darauf in die Wallnertheaterstraße 23, 1905 dann in die Grunewaldstraße 101 in Schöneberg. Dort wuchs Lilli ab ihrem 10. Lebensjahr auf. Sie hatte einen zwei Jahre älteren Bruder, Siegfried, und zwei Schwestern, Irma, Jahrgang 1897, und Hertha, 1899 geboren. Irma starb schon 1908. 1924 starb auch der Vater Moritz Brandt, seine Witwe wohnte weiter mit ihren Kindern in die Grunewaldstraße, das Haus war mittlerweile in 74 umnummeriert worden. Lilli machte in einer privaten Fachschule eine Ausbildung im Putzbereich, d.h. im Herstellen von Hut- und Kleiderschmuck. Im Ersten Weltkrieg ließ sie sich als Rote-Kreuz-Schwester ausbilden und arbeitete in einem Militärlazarett. Nach dem Krieg machte sie sich als Kunstgewerblerin selbständig, stellte, so ihre Schwester, „Teepuppen, Lampenschirme, Kuchenglocken und auch Wollpuppen nach eigenen Entwürfen“ her, die sie an Läden und Privatkunden verkaufte. Außerdem betrieb sie einen privaten Kindergarten, in dem sie bis zu 20 Kinder betreute. Dafür mietete sie ein kleines Haus mit Garten in der Laubenkolonie an der Innsbrucker Straße. Den Kindergarten betrieb sie auch nach ihrer Heirat weiter, bis sie ihn Ende 1938 verfolgungsbedingt aufgeben musste.

Bis zu ihrer Heirat wohnte Lilli mit Mutter und Geschwistern in der Grunewaldstraße 74, mit Alfred dann in der Kantstraße 136 und/oder Schlüterstraße 22. Im Februar 1929 brachte sie eine Tochter zur Welt, Miriam, die jedoch schon zwei Monate später starb. 1932 zogen Reisners in die Kantstraße 120 um, Elise Reisner blieb in der Schlüterstraße. Laut Adressbuch war Alfred weiterhin Bankbeamter, eine Stellung, die er später verlor, sicherlich aufgrund der Rassenverfolgung, um dann als Buchhalter zu arbeiten. Als solcher wurde er bei der Jüdischen Gemeinde angestellt. Das war wohl auch der Grund, warum er 1939 eine 3-Zimmer-Wohnung in der Pestalozzistraße 15, Hochparterre rechts, beziehen konnte, zu einem Zeitpunkt, als Juden immer öfter gedrängt wurden, größere Wohnungen für Nicht-Juden zu räumen. Auch Emma Brandt, die weiterhin in der Grunewaldstraße 74 wohnte, sah sich genötigt, ihre Wohnung aufzugeben und zog 1940 zu ihrer Tochter in die Pestalozzistraße.

Nachdem Lilli sich gezwungen sah, 1938 ihren Kindergarten zu schließen – nicht-jüdische Kinder blieben aus antisemitischen Gründen weg, viele jüdische aber auch, da ihre Eltern aus Deutschland auswanderten –, nahmen Reisners einen Untermieter auf, vermutlich den 1939 erst 16-jährigen Martin Lwowski aus Zwickau. Als ein Jahr darauf auch Lillis Mutter in die Wohnung zog, lebte die Familie ziemlich beengt. Inzwischen hatten die antisemitischen Maßnahmen stark zugenommen, die das Alltagsleben der Juden immer weiter einschränkten und sie praktisch aus dem öffentlichen Leben ausschlossen. Zudem wurde Lilli zur Zwangsarbeit als Stanzerin bei der Görler Transformatorenfabrik, Flottenstraße 58 in Reinickendorf Ost, verpflichtet. Alfred konnte offenbar seine Arbeit bei der Jüdischen Gemeinde behalten.

Ende September/Anfang Oktober 1942 wurde Lillis Mutter Emma Brandt von der Gestapo abgeholt und am 3. Oktober nach Theresienstadt deportiert. Emma war am 8. Dezember 1868 in Halle a. d. Saale geboren worden, ihre Eltern waren Louis Gundermann und Charlotte Guttman. Ihr Zimmer in der Pestalozzistraße wurde von der Oberfinanzdirektion versiegelt, so dass Reisners es nicht mehr nutzen konnten. Sie hätten auch nicht viel davon gehabt, denn gut vier Wochen später, am 2. und 3. November, mussten sie jeweils ihre „Vermögenserklärung“ ausfüllen – zu diesem Zeitpunkt waren sie womöglich schon von der Gestapo in das Sammellager Große Hamburger Straße 26 verbracht worden. Alfred Reisner gab an, zuletzt drei Untermieter gehabt zu haben: Emil Adam und ein Herr Katz teilten sich ein Zimmer, ein Herr Aronheim bewohnte die Kammer. Emil Adam, Jahrgang 1899, wurde am 12. Januar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Aronheim blieb noch ein halbes Jahr in der Wohnung, bevor sie geräumt und das Inventar verkauft wurde – Emmi Brandts Zimmer war da noch immer versiegelt. Das Schicksal von Aronheim und Katz ist nicht geklärt. Vielleicht handelte es sich bei letzterem um den jungen Arno Katz, Jahrgang 1921, dessen Mutter Johanna bereits am 3. Oktober 1942, zusammen mit Emmi Brandt, deportiert worden war. Arno Katz wurde selber am 19. Februar 1943 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Alfred und Lilli Reisner wurden vom Lager in der Großen Hamburger Straße aus am 6. November 1942 nach Theresienstadt deportiert. In Theresienstadt erwarteten sie schwer erträgliche Lebensumstände: Kälte, Hunger, Raumnot und völlig unzureichende gesundheitliche und sanitäre Bedingungen führten bei vielen Insassen zum frühen Tod. Ein kleiner Trost mag für Lilli gewesen sein, dass sie dort ihre Mutter wiedersehen konnte und mit ihr eine dürftige Unterkunft in der Parkstraße 4 teilen. Aber Emmi Brandt überlebte die katastrophalen Umstände kein Jahr: wie viele, ereilte sie eine Darmkrankheit, am 10. August 1943 starb sie, offiziell an „Herzmuskelentartung“, wie die beschönigende „Todesfallanzeige“ vermerkt. Acht Monate später, am 18. April 1944, erlag auch Alfred Reisner den todbringenden Daseinsbedingungen. Lilli Reisner, die noch die Kraft fand, weiter zu überleben, wurde am 9. Oktober des gleichen Jahres zusammen mit nicht weniger als 1600 Leidensgenossen nach Auschwitz weiter verschleppt und dort ermordet. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.

Lillis Schwester Hertha konnte sich rechtzeitig nach London retten. Nicht so der Bruder Siegfried Brandt: Nachdem sich seine Frau Gertrud geb. Danziger am 27. Juli 1940 das Leben genommen hatte, blieb er mit der achtjährigen Tochter Eva in seiner Wohnung in der Kleiststraße 25 zurück. Am 2. März 1943 wurden sie beide nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Eva war 11 Jahre alt, ihr Vater knapp 50.

Recherchen und Text: Micaela Haas. Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; www.holocaust.cz/de/datenbank-der-digitalisierten-dokumenten/dokument/97878-brandt-emma-todesfallanzeige-ghetto-theresienstadt/; Hinweise von Benjamin Grilj, Wien

Stolperstein Lilli Reisner, 25.08.2012

Stolperstein Lilli Reisner, 25.08.2012

HIER WOHNTE
LILLI REISNER
GEB. BRANDT
JG. 1895
DEPORTIERT 6.11.1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Stolperstein Franz Gehr, 25.08.2012

Stolperstein Franz Gehr, 25.08.2012

HIER WOHNTE
FRANZ GEHR
JG. 1898
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Franz Gehr wurde am 3. Juli 1898 in Mogilno bei Posen Poznan) geboren. Sein Vater war der 1867 geborenen Kaufmann Jakob Gehr, seine Mutter Jenny, geb. Abraham. Franz hatte fünf Brüder: Max, Robert, Konrad, Herbert und Erich. Nach verschiedenen Angaben wird die Familie mal in Mogilno, öfter im 25 km entfernten Pakosch erwähnt. So sei der Sohn Max 1895 in Pakosch geboren, Franz 1898 in Mogilno, Erich 1900 auch dort, aber das Adressbuch von 1903 ortet die Familie wieder in Pakosch, am Marktplatz 20. Vielleicht sind sie öfters hin- und hergezogen, vielleicht sind aber auch nur die Angaben ungenau, denn Pakosch gehört zum Landkreis Mogilno und wurde nicht immer von der Stadt Mogilno unterschieden.

Der Name Gehr ist sowohl in Mogilno (Stadt) wie Pakosch dokumentiert, häufige Berufe waren Textilkaufmann und koscherer Fleischer. Fest steht, dass Anfang des Jahrhunderts Jakob und Jenny mit ihren Söhnen, wie viele ländliche Familien aus Posen, in die Großstadt Berlin zogen. Vieles spricht dafür, dass der Fleischermeister Jakob Gehr, der in den Berliner Adressbüchern nach 1903 zunächst in der Neuen Königstraße (heute Otto-Braun-Straße), dann in der Georgenkirch- und schließlich in der Dircksenstraße auftaucht, der Vater von Franz Gehr war. 1912 hatte er den Stand Nr. 142 in der Zentralmarkthalle und 1914 eine eigene Fleischerei in Prenzlauer Berg, Hufelandstraße 45. Offenbar hatte er auch seine Wohnung von Mitte nach Prenzlauer Berg verlegt. Zu diesem Zeitpunkt war Franz 16 Jahre alt. Fortan spielte sich das Leben der Familie in diesem Viertel ab. Jakob Gehr bezog eine Wohnung, unweit seiner Fleischerei, in der Lippehner Straße (heute Käthe-Niederkirchner-Straße), 1918 zog er in die ebenfalls nahe Greifswalder Straße 43a.

1920 hatte Franz, er war jetzt 22 Jahre alt, mit zwei seiner Brüder, Max und Robert, eine Firma gegründet: Gebrüder Gehr, Herrenwäsche, Luxuspapierwaren, in der Elbinger Straße 57, heute der östliche Teil der Danziger Straße. Dort wohnte auch Max. Robert und Franz lebten weiterhin bei den Eltern in der Greifswalder Straße. Die Firma hatte wohl nur kurzen Bestand, im Adressbuch ist sie nur einmal aufgeführt. Max wohnte fortan, wahrscheinlich schon mit seiner Frau Gertrud geb. Lewinski, in der Hufelandstraße 48, heute Nr. 5. Franz hatte laut Adressbuch erst 1928 eine eigene Wohnung, zunächst für zwei Jahre in der Friedrichstraße, dann in der Goldaper Nr. 6, (heute Heinz-Kapelle-Straße), wieder in der Nähe von Eltern und Bruder. Vermutlich hatte er inzwischen die fast acht Jahre jüngere Käthe Katz kennen gelernt und sie geheiratet. Beruflich wird Franz abwechselnd als Kaufmann und als Vertreter bezeichnet.

Stolperstein Käthe Gehr, 25.08.2012

Stolperstein Käthe Gehr, 25.08.2012

HIER WOHNTE
KÄTHE GEHR
GEB. KATZ
JG. 1906
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Käthe Katz wurde am 23. Januar 1906 in Berlin geboren. Ihr Vater war sehr wahrscheinlich Albert Katz, 1874 in Posen geboren, die Mutter die fünf Jahre jüngere, nichtjüdische Gertrud Brockmann aus Berlin. Käthe hatte mindestens einen Bruder, Erwin Katz. Albert Katz wird in den Berliner Adressbüchern als Kaufmann bezeichnet, ohne dass man wüsste, worin genau seine Tätigkeit bestand. Als Käthe zur Welt kam, zog er von Moabit nach Prenzlauer Berg, in die Jablonskistraße 23. Um 1914 zog die Familie in die Elbinger Straße 56, ein Haus neben jenem, in dem 1920 Franz Gehr mit seinen Brüdern seine kurzlebige Firma haben sollte. Das Haus, in dem die Familie Katz wohnte war das Eckhaus zur Wehlauer Straße (heute Eugen-Schönhaar-Straße), Albert Katz wird von 1933 bis 1939 im Adressbuch unter der Adresse Wehlauer Straße 1 geführt.

Wir wissen nicht, wann genau Käthe und Franz heirateten, fest steht, dass am 8. September 1932 ihr Sohn Wolfgang Gehr auf die Welt kam. Eventuell sind sie deshalb von der Goldaper Straße in eine größere Wohnung in der Kurischen Straße (heute John-Schehr-Straße) um die Ecke gezogen und ein Jahr später in die auch nahe Chodowieckistraße 2, weiterhin in der Nähe von Eltern und Schwiegereltern. 1937 zogen sie noch einmal um, jetzt nach Mitte in die Schützenstraße 13. Inzwischen war das Berufsleben für Juden durch die antisemitischen Verordnungen der Regierung beträchtlich erschwert worden, als selbständiger Kaufmann oder Vertreter war es sicherlich nicht leicht, eine Familie zu ernähren. Daher erstaunt es nicht, dass nun auch Käthe einen Adressbuch-Eintrag in der Schützenstraße 13 hat, Beruf: Knopfmontage. Das Beziehen von Knöpfen, Schnallen und ähnlichem war eine Arbeit, die man gut zu Hause leisten konnte um zu dem Familieneinkommen beizutragen. Interessant ist, dass auch Käthes Schwägerin in der Hufelandstraße 48, die Frau von Max Gehr, gleichzeitig mit der Knopfmontage begann.

1939 stehen Franz und Käthe Gehr letztmalig im Adressbuch. Wir wissen aber, dass sie bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 bereits eine Wohnung in der Pestalozzistraße 15 bezogen hatten. Von der Knopfmontage ist keine Rede mehr. Die Lebensbedingungen waren nach den Pogromen vom 9. November 1938 für Juden noch mal drastisch verschlechtert worden. Auftraggeber für die Knöpfe konnten nur jüdische Unternehmen sein, und die wurden nun systematisch aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen, d.h. zu Schließung oder Zwangsverkauf an Nichtjuden gezwungen. Möglicherweise erhielten Gehrs die Wohnung in der Pestalozzistraße durch Vermittlung von Käthes Tante Ernestine Zeida, eine Schwester von Albert Katz, die dort schon länger wohnte. 1939 oder 1940 musste Albert Katz seine langjährige Bleibe in der Wehlauer Straße aufgeben und zog mit Frau und Sohn Erwin ebenfalls in die Pestalozzistraße, als Untermieter von Zeidas.

Im Oktober und November 1941 wurden Franz und Käthe Gehr zum Reichsarbeitsdienst einberufen, also zur Zwangsarbeit – wo, ist nicht belegt. Ein Jahr später, am 19. Oktober 1942 mussten sie am Güterbahnhof Moabit in der Putlitzstraße mit 956 anderen Leidensgenossen einen Deportationszug nach Riga besteigen. 140 der Zuginsassen waren Kinder, darunter auch der zehnjährige Wolfgang Gehr. In Riga kamen sie drei Tage später an. Noch am Bahnhof wurden 87 Männer mit handwerklichen Berufen ausgesucht, unwahrscheinlich, dass der Kaufmann und Vertreter Franz Gehr dazugehörte. Ohnehin überlebten nur 17 von ihnen den Krieg. Alle Frauen und Kinder und die andern Männer wurden sofort in die umliegenden Wälder gebracht und dort ermordet. Der 22. Oktober 1942 ist der Todestag von Käthe Gehr und ihrem kleinen Sohn Wolfgang und ziemlich sicher auch von Franz Gehr.

Auch Franz’ Bruder Max Gehr, der am 20. Januar 1895 in Pakosch geboren wurde, und seine Frau Gertrud geb. Lewinski, am 13. Oktober 1895 in Stettin geboren, ermordeten die Nationalsozialisten. Sie wurden am 15. Dezember 1942 erst nach Theresienstadt, wenige Wochen später, am 23. Januar 1943, weiter nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Für sie liegen Stolpersteine vor der Hufelandstraße 5 (vormals 48) in Prenzlauer Berg. Franz’ Eltern und die Brüder Robert, Konrad, Herbert und Erich konnten rechtzeitig nach Kolumbien fliehen. Käthes Vater Albert Katz und sein Sohn Erwin überlebten dank Alberts Ehe mit der nichtjüdischen Gertrud, sie kehrten nach 1945 wieder in ihr altes Viertel zurück, diesmal Greifswalder Straße 56. Gertrud starb dort 1950, Albert 1952.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Landesarchiv Berlin; Auskunft von Nachfahren; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; stolpersteine-berlin.de/biographie/7700 (zu Max Gehr)

Stolperstein Wolfgang Gehr, 25.08.2012

Stolperstein Wolfgang Gehr, 25.08.2012

HIER WOHNTE
WOLFGANG GEHR
JG. 1932
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Stolperstein Hedwig Holschauer, 25.08.2012

Stolperstein Hedwig Holschauer, 25.08.2012

HIER WOHNTE
HEDWIG HOLSCHAUER
GEB. MOSES
JG. 1889
DEPORTIERT 13.1.1942
RIGA
ERMORDET 16.1.1942

Hedwig Holschauer wurde als Hedwig Moses am 12. Januar 1889 in Zwiniarz, Kreis Löbau (Westpreußen) geboren. Wir wissen nicht, wann sie nach Berlin kam, möglicherweise aber erst nach ihrer Heirat 1911 mit dem Architekten Alfons Holschauer. Sie wohnten zunächst in der Zorndorfer Straße in Friedrichshain (seit 1951 Mühsamstraße) und dort wurde auch am 3. Juni 1912 ihr Sohn Heinz geboren. Alfons Holschauer zog bald mit seiner Familie um, in die Kniprodestraße 119 (Prenzlauer Berg). Im März 1924, sein Sohn war noch keine 12 Jahre alt, starb Alfons Holschauer und seine Witwe zog in eine vermutlich kleinere Wohnung in der Blankenfelder Straße 12 (Pankow). Nach Charlottenburg kam sie erst um 1928, als sie eine Wohnung bezog, die ihr Schwager Sally Silbermann, Ehemann ihrer Schwester Rosa, in der Sybelstraße 46 gemietet hatte. Silbermann selber wohnte entweder selber zur Untermiete oder außerhalb Berlins.

Hedwigs Sohn Heinz machte eine Ausbildung als Maschinenschlosser bei der Aufzugfirma Flohr und begann ein Ingenieurstudium an der Beuthschule. Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde er bei Flohr entlassen und musste auch sein Studium abbrechen. Heinz arbeitete nun in der Sperrholzfirma J. Hoffmann & Co, die seinem Onkel Sally Silbermann gehörte. 1936 heiratete er Margarete Halpert und das junge Paar wohnte mit Hedwig zusammen in der 2-Zimmer-Wohnung in der Sybelstraße. 1938 emigrierten Heinz und Margarete in die USA und Hedwig wurde genötigt in die Pestalozzistraße 15 zu ziehen, zur Untermiete bei Davidson. Dem Umzug war wahrscheinlich die Auswanderung Silbermanns nach England vorausgegangen. Auch Hedwig versuchte noch, zu ihrem Sohn in die USA zu kommen. Vergeblich. Auf einer Bescheinigung des US-Generalkonsulats vom 2. Februar 1939, die im Jüdischen Museum aufbewahrt wird, wurde ihr mitgeteilt, dass sie auf der polnischen Warteliste mit der Nr. 6275 eingetragen sei. „Es kann zur Zeit noch nicht angegeben werden, wann Sie mit einer Berücksichtigung Ihrer Angelegenheit rechnen können“…

Falls sie je „berücksichtigt“ wurde, war es zu spät: Hedwig Holschauer wurde noch einmal gezwungen in eine noch bescheidenere Unterkunft in der Zehdenicker Straße 15 umzuziehen. Von dort wurde sie im Januar 1942 von der Gestapo abgeholt und in die zum Sammellager umfunktionierte Synagoge in der Levetzowstraße 7/8 gebracht. Anschließend musste sie mit weiteren rund tausend Leidensgenossen am 13. Januar 1942 – einen Tag nach ihrem 53. Geburtstag – zu Fuß bis zum Bahnhof Grunewald laufen, von wo aus sie in das Ghetto Riga deportiert wurden.

Das Ghetto Riga war von den Deutschen nach der Einnahme der Stadt im Juli 1941 eingerichtet worden. Fast 30 000 lettische Juden waren dort auf engstem Raum und unter erbärmlichen Bedingungen eingepfercht. Ende November und Anfang Dezember des Jahres ließ die SS über 90 Prozent von ihnen ermorden – um Platz für die zu deportierenden „Reichsjuden“ zu schaffen. Die Menschen in dem ersten Zug aus Berlin, der am 30. November ankam, wurden alle ebenfalls sofort erschossen, eine „Eigenmächtigkeit“ des SS-Führers Friedrich Jeckeln, die ihm eine Rüge von Himmler einbrachte. Himmler hatte dieses Schicksal nur „Arbeitsunfähigen“ zugedacht.

Hedwig Holschauers Zug erreichte Riga am 16. Januar 1942, und einer neueren Quelle zufolge, gehörte sie nicht zu den sofort ermordeten. Das Leben im Ghetto muss aber für die 53-jährige sehr hart gewesen sein: Zu sechst hatten sie sich zwei Zimmer zu teilen, überall sah man noch Spuren der Massenermordung der lettischen Juden, Ernährung und Hygiene waren katastrophal, im Winter gab es kein Wasser, da die Rohre eingefroren waren. Zudem wurden die Insassen zu harter Zwangsarbeit herangezogen. Einen zweiten Winter überlebte Hedwig Holschauer höchstwahrscheinlich nicht, im Januar 1943 soll es noch ein letztes Lebenszeichen von ihr gegeben haben. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.

Hedwigs Schwester Rosa konnte rechtzeitig nach England fliehen mit ihrem Mann Sally Silbermann – oder Szoel Zylberman, wie er sich auch schrieb. Erwin und Nanny Davidsohn sowie ihre Tochter Hilde, Hedwigs Vermieter, tauchen glücklicherweise auf keiner Deportationsliste auf. Hedwigs Sohn Heinz starb 1966 in Miami.

Recherchen und Text: Dr. Micaela Haas. Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Jüdisches Museum Berlin

Stolperstein Selma Schubert, 25.08.2012

Stolperstein Selma Schubert, 25.08.2012

HIER WOHNTE
SELMA SCHUBERT
GEB. KRONE
JG. 1894
DEPORTIERT 19.10.1942
RIGA
ERMORDET 22.10.1942

Selma Krone war die Älteste von fünf Geschwistern. Sie wurde am 17. April 1894 in Berlin geboren. Die Eltern, der 25-jährige Schneider Salomon Krone aus Witkowo in Posen und die zwei Jahre ältere Hedwig geb. Lewin aus Schwerin an der Warthe (heute polnisch Skwierzyna), waren vermutlich kurz vor Selmas Geburt nach Berlin gezogen, im Adressbuch wird Salomon Krone zunächst nur 1894 erwähnt. Offenbar konnte die Familie in Berlin nicht Fuß fassen und kehrte in Hedwigs Heimatstadt Schwerin/Warthe zurück. Dort wurde 1896 die zweite Tochter, Margarete geboren, gefolgt 1898 von Anni, dem Bruder Sally (Dezember 1899) und Katharina im August 1901. Valeria, die jüngste Tochter, kam am 28. Oktober 1903 in Stettin auf die Welt, wo sich die Familie für fast ein Jahrzehnt aufhielt. Dann entschloss sich Salomon Krone, inzwischen Schneidermeister, noch mal nach Berlin zu ziehen.
Im Adressbuch findet man ihn erstmals wieder 1912 verzeichnet, wohnhaft in Charlottenburg, Krumme Straße 68. 1914 war die Familie in die Pestalozzistraße 6 gezogen, ein Jahr später um die Ecke, in die Schlüterstraße 68. 1914 war Selma 20 Jahre alt, hatte die Schule in Schwerin und Stettin absolviert, die Haushaltsschule in Ahlem/Hannover besucht und eine Büroausbildung gemacht. Im Oktober 1915 heiratete sie den aus Leipzig stammenden Rudolph Schubert. Die Ehe wurde aber um 1927 herum geschieden und war offenbar kinderlos geblieben. Selma musste auf ihre Büroausbildung zurückgreifen um ihren Unterhalt zu verdienen. Mehrere Jahre arbeitete sie für die Jüdische Telegraphen Agentur (JTA), bis diese im Herbst 1937 von der Gestapo aufgelöst wurde. Die JTA war damals die führende Jüdische Pressenagentur, mit Sitz in London und New York. 1922 wurde auch ein Berliner Büro gegründet.
Selma, die laut ihrer Schwester Valeria in der Weimarer Straße (wohl zur Untermiete) wohnte, sah sich nach dem Verbot der JTA gezwungen, zu ihrer Mutter in die Leibnizstraße 87 zu ziehen. Dort hatte, folgt man dem Adressbuch, Salomon Krone 1934 seine Schneiderei. 1935 sind sowohl Salomon wie seine Frau Hedwig, auch als Schneiderin, an dieser Adresse eingetragen. In diese Zeit fällt vermutlich die Scheidung von Hedwig und Salomon, denn in den folgenden Jahren ist nur Hedwig Krone, Schneiderin, in der Leibnizstraße aufgeführt.
Mit ihr lebte ihre zweite Tochter Margarete, die am 7. Dezember 1896 in Schwerin an der Warthe geboren worden war. Die Volksschule hatte sie in Stettin besucht und anschließend eine Schneiderlehre gemacht, die sie mit dem Gesellenbrief abschloss. Margarete war ledig geblieben, arbeitete mit der Mutter und führte auch deren Haushalt. 1939 musste auch die dritte Tochter, Anna, in die Leibnizstraße ziehen.

Stolperstein Margarete Krone, 25.08.2012

Stolperstein Margarete Krone, 25.08.2012

HIER WOHNTE
MARGARETE KRONE
JG. 1896
DEPORTIERT 15.8.1942
RIGA
ERMORDET 18.8.1942

Stolperstein Anna Krone, 25.08.2012

Stolperstein Anna Krone, 25.08.2012

HIER WOHNTE
ANNA KRONE
JG. 1898
DEPORTIERT 15.11.1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Anna Krone, am 2. Juli 1898 auch in Schwerin/Warthe geboren, litt von Kindheit an an einem Hüftleiden, weshalb sie keine Schule besuchte, sondern Privatunterricht zu Hause bekam. Als junge Frau machte sie in Berlin eine Lehre als Putzmacherin in der Hutbranche, und zwar im Hutsalon Eisenstaed in Schöneberg. Dort freundete sie sich mit der Volontärin Erna Bahn an. Als diese einen eigenen Hutsalon in der Heilbronner Straße eröffnete, war Anna mit dabei und wurde fest angestellt.
Erna heiratete den Hypothekenmakler Karl Johann Meyer und gab das Geschäft auf, aber Anni blieb bei dem Paar als Haushaltshilfe und später Kindermädchen. Über 20 Jahre lebte sie nicht nur als Angestellte, sondern auch als Freundin im Haushalt der Meyers, zuletzt in der Apostel-Paulus-Straße 5. Auch nachdem unter Hitler Beziehungen zu Juden verpönt bis verboten wurden, behielten Meyers die Freundin bei sich. Anfang 1939 erschien aber – zweifelsohne aufgrund einer Denunziation – in der Nazipostille „Der Stürmer“ eine Schmähnotiz mit Adressennennung zu Karl Meyer und seiner Frau Erna geb. Bahn: Sie hätten „noch heute“ eine jüdische Hausangestellte, schlimmer noch, Erna und Anna, „beide duzen sich sogar“.
Anni sah sich in der Folge gezwungen, zu den Schwestern zu ziehen. Diesen, die mit der Mutter in der Leibnizstraße lebten, wurde von der Gestapo beschieden, sie müssten die Wohnung räumen. Sie wurden in eine beengte, wahrscheinlich Ein-Zimmer-Wohnung in der Pestalozzistraße 15 eingewiesen. Noch kurz vor dem Umzug, am 24. Februar 1939, starb die Mutter Hedwig Krone, laut ihrer Tochter Valeria „an den Folgen der Aufregungen“. Einige Monate später, am 6. Juli 1939, starb auch Salomon Krone, mit dem möglicherweise weiterhin Kontakt bestanden hatte.

Ende 1940 gelang den drei Schwestern das in Zeiten der verschärften Diskriminierung und Entrechtung von Juden Ungewöhnliche: sie fanden eine 3-Zimmer-Wohnung in der Mommsenstraße 3. Vielleicht war Anna Krone zum Zeitpunkt des Umzuges schon schwanger, denn es gibt unterschiedliche Angaben über das Geburtsjahr ihrer Tochter Zilla: sie kam am 16. Januar entweder 1941 oder 1942 zur Welt.
Margarete, die noch lange versucht hatte, ihren Lebensunterhalt als Schneiderin weiter zu verdienen, und Selma wurden zur Zwangsarbeit eingezogen, wahrscheinlich bei Siemens. Wie mit der gehbehinderten und nicht mehr jungen Mutter Anna umgegangen wurde, wissen wir nicht.

Margarete war die erste der drei Schwestern, die Mitte August 1942 in der als Sammellager missbrauchten Synagoge in der Levetzowstraße 7/8 interniert und am 15. August vom Güterbahnhof Moabit aus nach Riga deportiert wurde. Acht Wochen später wurde auch Selma von der Gestapo abgeholt und ebenfalls über die Levetzowstraße vom Moabiter Bahnhof aus am 19. Oktober 1942 nach Riga verschleppt. Ziel beider Züge war angeblich das Ghetto in Riga, dorthin gelangte jedoch nur das Gepäck der jeweils um die 1000 Deportierten.
Die Menschen selbst wurden, bis auf wenige Ausnahmen, nach der dreitägigen Reise sofort in den umliegenden Wäldern von Rumbula und Bikernieki ermordet. Der 18. August 1942 ist Margarete Krones Todesdatum, der 22. Oktober 1942 das ihrer Schwester Selma Schubert, geb. Krone.

Anna und ihre kleine Tochter blieben allein zurück und es lag auf der Hand, dass sie die nächsten Opfer sein würden. Daher beschloss ihre Schwester Valeria, seit 1929 mit dem nicht-jüdischen Friseur Paul Thiele verheiratet und durch diese Ehe geschützt, die beiden zu verstecken. Paul Thiele, der aus Luckenwalde stammte, hatte ein Haus in Lehnin und brachte Mutter und Kind dort unter. Nach etwa einem Jahr wurden sie jedoch denunziert und von der Gestapo verhaftet. Sie kamen zunächst ins Gefängnis in Potsdam, wo sie per Zufall von Valeria gesehen wurden, die mittlerweile mit ihrem Mann in Luckenwalde wegen des Versteckens von Juden ebenfalls verhaftet worden war. Es war das letzte Mal, dass Valeria Anna und Zilla sah. Mutter und Tochter wurden nach Berlin in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 überführt, ein ehemaliges jüdisches Altersheim, und am 15. November 1943 mit weiteren 42 Menschen wahrscheinlich in einem an einen Regelzug angehängten geschlossenen Waggon nach Theresienstadt deportiert. Ein knappes Jahr lebte Anna Krone mit der kleinen Zilla dort unter unerträglichen, menschenunwürdigen Umständen. Im Herbst 1944 wurden aus dem hoffnungslos überfüllten Lager zahlreiche Insassen in mehreren mit außerordentlich vielen Menschen besetzten Zügen nach Auschwitz verschleppt, angeblich zum „Arbeitseinsatz“. Anna und Zilla mussten den am 9. Oktober 1944 Theresienstadt verlassenden Zug mit 1600 Menschen besteigen und kamen am 12. Oktober in Auschwitz an. Zur „Arbeit“ wurden tatsächlich nur wenige hundert bestimmt; Anna, die in Verwaltungsdokumenten als „gebrechlich“ – wohl aufgrund ihres Hüftleidens – bezeichnet wurde, gehörte bestimmt nicht dazu. Sie und ihre zwei- oder dreijährige Tochter wurden kurz nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet.

Valeria überlebte den Krieg trotz der Verhaftung, vermutlich dank ihres Mannes. Katarina war bereits 1939 emigriert, auch der Bruder Sally hatte rechtzeitig aus Deutschland flüchten können.

Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer (zu Anna Krone)

Stolperstein Zilla Krone, 25.08.2012

Stolperstein Zilla Krone, 25.08.2012

HIER WOHNTE
ZILLA KRONE
JG. 1942
DEPORTIERT 15.11.1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Stolperstein Caspar Baer, 25.08.2012

Stolperstein Caspar Baer, 25.08.2012

HIER WOHNTE
CASPAR BAER
JG. 1868
GEDEMÜTIGT/ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
22.10.1942

Caspar Baer, geboren am 25.März 1868 in Ortelsburg, und seine Ehefrau Paula, geb. Süssmann, geboren am 18. Januar 1878 in Breslau/Wrocław, wohnten zur Zeit der Volkszählung im März 1939 in der Pestalozzistraße 14 in Charlottenburg.

Caspar Baer war Angestellter der Jüdischen Gemeinde, die im Hof des Wohnhauses eine Synagoge unterhielt. Caspar Baer war als Schammes (Synagogendiener) im Besitz des Schlüssels zur Synagoge. Über den 9. November 1938 wissen wir: „David Cycowicz, der zweitjüngste Sohn von Rabbiner Cycowicz und damals zehn Jahre alt, berichtet, dass der Mob zunächst von dem im Haus wohnenden Synagogendiener Caspar Baer den Schlüssel zum Hauptportal erpresst hätte, um dann die Synagoge zu stürmen.“ (Esther Slevogt, S. 49)

In der Pogromnacht ging die Synagoge zwar teilweise in Flammen auf, „durch rechtzeitiges Eingreifen der Feuerwehr ist ein großer Brand und eine Gefährdung des Nachbar-grundstücks vermieden worden.“ So steht es im Brandprotokoll vom 24. November 1938. Die Misshandlungen durch die Schlägertrupps gingen jedoch noch die ganze Nacht weiter.

Nach den Erzählungen von Gemeindemitgliedern trug Caspar Baer sehr schwer daran, dass er den Schlüssel des Hauptportals nach den massiven Drohungen der Gestapo herausgegeben hatte. Er wohnte mit seiner Frau noch bis 1941 in der Pestalozzistraße, bevor er in der Gipsstraße eine Wohnung nahm. Seine letzte Adresse war dann die Linienstraße 12a. „Caspar Baer, der Schammes der Synagoge, erhängte sich am 22. Oktober in seiner Wohnung. Seine Frau Paula starb dort am selben Tag durch eine Überdosis Schlaftabletten.“ (Slevogt, S.54)

Die Akten der Oberfinanzdirektion Berlin, die im Brandenburgischen Landeshauptarchiv eingesehen werden können, geben Aufschluss darüber, was mit Caspar und Paula Baers Hinterlassenschaft geschah: Das Inventar der Wohnung, durch den Gerichtsvollzieher auf 632,40 RM geschätzt, wurde von dem neuen Eigentümer Paul Wedekind am 24. Juni 1943 für 442,70 RM erworben; das Bankguthaben in Höhe von fast 2000 RM wurde am 9. November 1942 „zugunsten des Reichs eingezogen“.
Eine Differenz von 385,80 RM erklärte die Deutsche Bank am 18.Januar 1945 mit der Überweisung dieses Betrags an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland am 1. Februar 1943 für die Beerdigungskosten.

Text und Recherche: Initiative Stolpersteine Charlottenburg-Wilmersdorf
Quellen: OFD-Akten im BLHA; Esther Slevogt: Die Synagoge Pestalozzistraße. Berlin, 2012

Stolperstein Paula Baer, 25.08.2012

Stolperstein Paula Baer, 25.08.2012

HIER WOHNTE
PAULA BAER
GEB. SÜSSMANN
JG. 1878
GEDEMÜTIGT/ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
22.10.1942

Stolperstein Paul Francke, 25.08.2012

Stolperstein Paul Francke, 25.08.2012

HIER WOHNTE
PAUL FRANCKE
JG. 1893
DEPORTIERT 15.8.1942
RIGA
ERMORDET 18.8.1942

Paul Francke wurde am 9. März 1893 in Hamburg geboren. Leider wissen wir sehr wenig über ihn. So ist nicht klar, wann er nach Berlin kam. 1939, als er 46 Jahre alt war, wohnte er zur Untermiete bei Hans Witkowski in der Pestalozzistraße 15. So ist es auf den „Ergänzungskarten“ zu der Volkszählung vom 17. Mai des Jahres festgehalten, in denen alle jüdischen Einwohner separat registriert wurden. 1942, in der „Vermögenserklärung“, die er vor der Deportation abzugeben hatte (irgendein „Vermögen“ konnte er allerdings nicht „erklären“), gab er an, unverheiratet und Kellner zu sein, vermutlich sein eigentlicher Beruf, denn zu diesem Zeitpunkt war er als Zwangsarbeiter bei der Firma Berliner Altpapiersortierbetriebe GmbH, Mühlenstraße 11, eingesetzt. Ein Kellner Paul Francke ist in den Berliner Adressbüchern nicht zu finden, entweder hat er auch vor der Pestalozzistraße zur Untermiete gewohnt, oder er war noch nicht in Berlin.

Bei den Altpapiersortierbetrieben war Paul Francke „nur 4 Tage tätig, seitdem arbeitsunfähig“. Was genau dort vorgefallen ist, erfahren wir nicht. Aus einem späteren Brief des Ernährungsamtes an die Oberfinanzdirektion geht hervor, dass dieses Amt am 30.4.1941 eine Ordnungsstrafe von 25.- RM gegen Francke verhängte, weswegen, wurde nicht gesagt. Francke habe bis zum 24.6.1941 „lediglich 6.- RM gezahlt“, den Rest dann nicht mehr „wegen angeblicher Krankheit und Aufenthalt in Heilstätten“. Eine Pfändung sei erfolglos geblieben. Das Amt hoffte wohl, die Außenstände von der Oberfinanzdirektion beglichen zu bekommen.

Die „Vermögenserklärung“ unterschrieb Paul Francke am 8. August 1942 noch in Charlottenburg. Wenige Tage darauf wurde er von der Gestapo in die Sammelstelle Levetzowstraße 7-8 gebracht, eine umfunktionierte Synagoge, und am 15. des Monats vom Güterbahnhof Moabit aus mit rund 1000 weiteren Leidensgenossen nach Riga deportiert.

Die meisten der bereits Ende 1941/Anfang 1942 nach Riga Deportierten waren in das Ghetto Riga eingeliefert worden, wo unsäglich schlechte Bedingungen herrschten. Bei dem „Transport“ vom 15. August 1942 sowie bei den folgenden war gar nicht mehr vorgesehen, die Menschen in das Ghetto zu bringen. Alle Insassen des Zuges außer einer Frau, die Krankenschwester war, wurden am 18. August, kurz nach der Ankunft am Bahnhof Riga-Skirotava, in den umliegenden Wäldern von Rumbula und Bikernieki ermordet. Der 18. August 1942 war auch Paul Franckes Todestag, er war erst 49 Jahre alt.

Text: Stolpersteine-Initiative Charlotteburg-Wilmersdorf. Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005

Stolperstein Karoline Frey, 25.08.2012

Stolperstein Karoline Frey, 25.08.2012

HIER WOHNTE
KAROLINE FREY
GEB. HAMMEL
JG. 1894
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Karoline Frey wurde am 10. Februar 1894 in Neufreistett, Amt Kehl – heute ein Stadtteil von Rheinau in Baden – als Karoline Hammel geboren. Die Familie Hammel war eine der wichtigsten in der 1831 in Neufreistett gegründeten jüdischen Gemeinde. Karolines Vater war der Viehhändler Lippmann (auch Liebmann geschrieben) Hammel, 1850 in Neufreistett geboren. 1881 heiratete er die zehn Jahre jüngere Pauline Nöther aus Kuppenheim, Ende des Jahres wurde ihr Sohn Max geboren, zwei weitere Söhne folgten: 1885 Friedrich, 1889 Leo. Karoline war das Nesthäkchen. Die Familie wohnte in der Neufreistetter Hafenstraße 36, später in Rheinstraße umbenannt. Ihren Bruder Leo lernte Karoline nicht kennen, er starb im Säuglingsalter. Bruder Friedrich fiel 1915 an der Westfront und der älteste, Max, ging als Kaufmann nach Frankfurt/M. Anfang 1915 war auch der Vater Lippmann Hammel gestorben.

Es ist nicht bekannt, wann und warum Karoline Neufreistett verließ und ob sie gleich nach Berlin ging. Vermutlich lernte sie dort den 1888 in Königshütte (polnisch Chorzow) geborenen Kurt Frey kennen, unklar bleibt aber auch, wann sie ihn heiratete. 1920 jedenfalls, am 28. August, brachte sie ihren Sohn Fritz in Berlin zur Welt, wir wissen nicht, ob sie vorher oder nachher weitere Kinder bekam. 1920 erwähnt das Berliner Adressbuch einen Kurt Frey, Vertreter der Lederwarenfirma Hammel & Rosenfeld aus Offenbach am Main. Diese hatte ab 1923 auch eine Zweigniederlassung in Berlin. Mehrere Hammel aus Offenbach hatten familiäre Verbindungen zu den Hammel aus Neufreistett. Es scheint plausibel, dass der Ehemann von Karoline als Vertreter eines der Unternehmen der Familie Hammel in Berlin tätig war. Er betrieb später auf eigenen Namen ein Geschäft für Leder- und Reiseartikel in der repräsentativen Friedrichstraße 59/60. 1927 war er unter dieser Adresse nicht mehr verzeichnet. Da der Name mehrmals vorkommt, ist es nicht möglich, zu verfolgen, wo die Familie tatsächlich wohnte.

Gesicherte Nachricht über Karoline Frey findet sich erst wieder 1939: Bei der Volkszählung vom Mai dieses Jahres wurde sie als Untermieterin in der Pestalozzistraße 15 erfasst. Sie wohnte mit ihrem Sohn Fritz bei Caspar und Paula Baer. Caspar Baer war Angestellter der Jüdischen Gemeinde und Synagogendiener der Synagoge im Hof des Hauses. Auch für diese beiden sind Stolpersteine verlegt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Karoline Frey ebenfalls für die Jüdische Gemeinde arbeitete und daher dort eine Bleibe mit ihrem Sohn finden konnte. Auffallend ist, dass nicht mehr die Rede von Kurt Frey ist. Erich Frey, sehr wahrscheinlich ein Schwager Karolines (für ihn liegt ein Stolperstein vor der Rheingoldstraße 4 in Lichtenberg), spricht in seinem Tagebuch von einem Bruder Kurt, „Onkel Kurt“, mit dem er häufig Kontakt habe, während Fritz selten und „Tante Line“ gar nicht zu Besuch kämen. Dies legt die Vermutung nahe, dass Kurt und Karoline womöglich schon länger getrennt lebten.

Gegen Ende ihres Lebens fanden sie allerdings – zufällig? – wieder zusammen. Am 1. April 1941 zog Karoline, freiwillig oder unfreiwillig, in die Klopstockstraße 9 in Tiergarten, zur Untermiete bei Krause. Dorthin zog auch Kurt, der zuvor in der Bötzowstraße 22 in Prenzlauer Berg gewohnt hatte. Am 12. Januar 1943 wurden beide von der Klopstockstraße aus nach Auschwitz deportiert. Auf der Transportliste, die 1196 Menschen umfasst, sind Karoline und Kurt getrennt aufgeführt, beide als ledig und arbeitsfähig bezeichnet. Der Deportationszug kam am folgenden Tag in Auschwitz an, nur 127 Männer wurden in das Lager eingewiesen. Wenn Kurt unter ihnen war, so überlebte er die Zwangsarbeit nicht. Alle anderen wurden sofort ermordet, der 13. Januar 1943 muss als Karolines Todestag gelten.

Mauthausen Kartei

Karolines Sohn Fritz Frey war rund einen Monat vor ihr, am 3. März 1941, aus der Pestalozzistraße ausgezogen, in die Bamberger Straße 22 bei Rieger. Spätestens im Oktober des Jahres, vermutlich schon früher, wurde er zu Zwangsarbeit herangezogen, zuletzt bei Ernst Müller, Ritterstraße 111, ein Rüstungsbetrieb für Feinmechanik und Apparatebau, vor allem für die Luftfahrtgroßindustrie. Danach hören wir erst wieder von Fritz Frey, dass er am 2. Juli 1943 in Innsbruck ins Polizeigefängnis kam und bereits am nächsten Tag in das Arbeitserziehungslager Innsbruck-Reichenau verbracht wurde. In Berlin zahlte Ernst Müller noch 3,68 Restlohn, die die Oberfinanzdirektion einzog.

Warum und auf welchem Wege Fritz Frey nach Österreich gelangte, bleibt unklar, möglicherweise wurde er bei einem Fluchtversuch in die Schweiz festgenommen. In Innsbruck-Reichenau blieb er nicht lange: am 15. Juli 1943 wurde er weiter nach Auschwitz deportiert. Dort wurde er zur Zwangsarbeit eingeteilt, bei Auflösung des Lagers im Januar 1945 gehörte er zu denen, die nach Mauthausen „evakuiert“ wurden, d. h. zunächst auf den Todesmarsch geschickt, später in Güterwaggons weiter transportiert. Am 25. Januar 1945 wurde Fritz in Mauthausen registriert (Häftlingsnummer 120 736). Er kam zunächst in das Außenlager Wien-Simmering, ein 1944 vor den Toren der Wiener Saurer-Werke errichtetes Nebenlager für 1000-1500 Zwangsarbeiter, vor allem Kriegsgefangene aus verschiedenen Ländern, aber auch etwa 10 % Juden. Für die KZ-Häftlinge wurde extra eine Werkshalle, die C-Halle in Werk 2, vergittert, dort hatten sie Panzerschlepper herzustellen. Am 2. April 1945 sollte auch dieses Lager vor der nahenden Front „evakuiert“ werden: in drei Kolonnen wurden die Häftlinge auf den Todesmarsch in das Mauthausen-Nebenlager Stayr-Münichholz gescheucht. Dieses Außenlager war 1942 speziell für die Zwangsarbeit bei der Rüstungsfirma Stayr-Daimler-Puch AG errichtet worden. Viele Häftlinge überlebten den Marsch nicht: wenn sie zu schwach waren oder auch schon, wenn ihre Schuhe kaputt gingen, wurden sie auf der Stelle erschossen. Laut einer Todesmeldung der 3. Marschkolonne von Mitte April 1945 wurden auch 14 Häftlinge „auf der Flucht“ erschossen – einer von ihnen war Fritz Frey. Eine Deportation nach Reichenau/Groß-Rosen – wie auf dem für ihn verlegten Stolperstein, wahrscheinlich falsch, vermerkt – ist nicht belegbar, der Tod außerhalb Mauthausens jedoch schon.

Auch die Vermieter von Karoline und Fritz wurden Opfer der Nationalsozialisten. Caspar und Paula Baer nahmen sich 1942 das Leben (siehe Biographie auf dieser Seite). Martin Krause und Johanna Krause geb. Wiener wurden am 2. April 1942 in das Warschauer Ghetto deportiert und kamen nicht zurück, Clara Rieger geb. Segall wurde am 14. Dezember 1942 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Recherchen und Texte: Micaela Haas. Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Berliner Adressbücher; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer; Stadtarchiv Rheinau; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Karl Ramsmaier: Jüdische Häftlinge im KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz. In: David. Jüdische Kulturzeitschrift, 12/2010; Herbert Exenberger: 2. April 1945 – Evakuierung des KZ-Nebenlagers Saurer-Werke)

Stolperstein Fritz Frey, 25.08.2012

Stolperstein Fritz Frey, 25.08.2012

HIER WOHNTE
FRITZ FREY
JG. 1920
INHAFTIERT 2.7.1943
INNSBRUCK
DEPORTIERT 3.7.1943
REICHENAU /GROSS-ROSEN
ERMORDET IN
MAUTHAUSEN

Stolperstein Martin Lwowski, 25.08.2012

Stolperstein Martin Lwowski, 25.08.2012

HIER WOHNTE
MARTIN LWOWSKI
JG. 1923
DEPORTIERT 6.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Martin Lwowski war knapp 16 Jahre alt, als er bei der Volkszählung vom 17. Mai 1939 in der „Ergänzungskartei“ als jüdischer Untermieter der Familie Reisner in der Pestalozzistraße 15 erfasst wurde. Er war am 25. Mai 1923 in Zwickau zur Welt gekommen. Laut – allerdings sehr ungenauen – Angaben von Verwandten auf Gedenkblättern in Yad Vashem waren seine Eltern der Kaufmann Srul (vielleicht: Smul) Lwowski aus Plesno und Dora, geb. Loew aus Krosno. Das Ehepaar lebte in Zwickau in der Leipziger Straße 15. Im Januar 1931 wurde die Tochter Frieda (auch Friedel genannt) geboren, im August 1941 die Tochter Rachel.

Warum der junge Martin nach Berlin geschickt wurde, wissen wir nicht. Vielleicht hofften die Eltern, ihn zu retten durch eine Auswanderung nach England oder nach Palästina. Möglicherweise sollte er einen Hachschara-Kurs machen, eine handwerkliche Ausbildung zur Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina. Verwandte namens Lwowski weist das Adressbuch nicht auf. Sicherlich nahm sich die Jüdische Gemeinde seiner an und vermittelte das Zimmer zur Untermiete bei dem Angestellten der Gemeinde Alfred Reisner.

Als Alfred und Lilly Reisner im November 1942 zur Deportation abgeholt wurden, wohnten bereits andere Untermieter bei Reisners. Martin Lwowski war inzwischen in die Lottumer Straße 6 in Prenzlauer Berg (Ecke Christinenstraße) gezogen. Mit Sicherheit wurde der inzwischen 19-Jährige zum Arbeitsdienst in der Rüstungsindustrie gezwungen. Im Frühjahr 1943 traf ihn dann das gleiche Schicksal wie alle anderen noch in Berlin verbliebenen jüdischen Zwangsarbeiter: Am 27. Februar 1943 wurden in der sogenannten „Fabrikaktion“ sämtliche Zwangsarbeiter direkt am Arbeitsplatz festgenommen, insgesamt etwa 7000 Menschen, und in zum Teil für diese Aktion improvisierte Sammellager gebracht. Martin Lwowski kam sehr wahrscheinlich in eine als Lager notdürftig umfunktionierte Fahrzeughalle der Göring-Kaserne in Reinickendorf. Dort wurde er unter katastrophalen und chaotischen Bedingungen festgehalten, bis er am 6. März nach Auschwitz deportiert wurde. Von den 665 Deportationsopfern im gleichen Zug, dem fünten aus Berlin nach der „Fabrikaktion“, wurden in Auschwitz nur 153 Männer und 65 Frauen zur Arbeit ausgesucht, alle anderen kurz darauf ermordet. Gut möglich, dass der junge Martin zunächst zur Zwangsarbeit bestimmt wurde, überlebt hat er dennoch nicht, er ist wohl der „Vernichtung durch Arbeit“ zum Opfer gefallen. Sein Todesdatum kennen wir nicht.

Zu diesem Zeitpunkt waren Dora und Srul Lwowski und ihre Töchter Friedel und Rachel bereits deportiert worden. Sie wurden am 10. Mai 1942 – Rachel war noch kein Jahr alt – in Chemnitz mit 13 weiteren Zwickauer Juden in einen von Weimar und Leipzig kommenden Zug gepfercht, in dem bereits knapp 1000 Juden aus Thüringen und Sachsen waren. Sie alle wurden in das Ghetto Belzyce im Distrikt Lublin verschleppt. Wenige Monate später wurde das Ghetto aufgelöst und die Überlebenden nach Majdanek und andere Lager geschickt oder direkt ermordet. Dora, Srul, Friedel und Rachel Lwowski sind nicht wiedergekommen. Für sie liegen in Zwickau seit 2004 vor der Leipziger Straße 15 vier Stolpersteine.

Stolpersteine-Intiative Charlottenburg-Wilmersdorf. Quellen:
Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gottwaldt/Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005; Yad Vashem, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer; Akim Jah, Die Berliner Sammellager im Kontext der Judendeportationen 1941-45, Zft. f. Geschichtswissenschaft 3/2013

Stolperstein Julius Oppenheim, 25.08.2012

Stolperstein Julius Oppenheim, 25.08.2012

HIER WOHNTE
JULIUS OPPENHEIM
JG. 1879
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Julius Oppenheim wurde am 19. Oktober 1879 in Hamburg als Sohn des Weißwarenhändlers Ahron und Henriette (genannt Jettchen) Oppenheim, geb. Ahrendsberg, geboren. Von 1897 bis 1902 machte er in Hamburg eine Lehre, ging danach nach Berlin und wurde dort als Graveur angestellt, wo er bei verschiedenen Firmen arbeitete. Mehrmals ist er trotz guter Zeugnisse „wegen Arbeitsmangels“ entlassen worden und musste sich neue Arbeitgeber suchen. Am längsten – von 1905 bis 1917 – arbeitete er in der Maschinen-Fabrik, Mechanische Werkstatt und Gravier-Anstalt R. Auerbach an der Grünauer Straße 17 in Kreuzberg. Aus dieser Zeit ist ein Dokument erhalten: „Hierdurch bescheinige ich, daß der Graveur Herr Julius Oppenheim aus seiner Beschäftigung bei mir im Jahre 1913 ein Einkommen von 1534 Mark 87 Pfg. bezogen hat.“ Von 1921 bis 1926 war er bei A. Bennecke & Co, Spezialfabrik für Numerier- und Perforier-Apparate, am Elisabethufer 27, angestellt, bald danach wurde er arbeitslos. Um diese Zeit wohnte er in der Skalitzer Straße 17.

Julius Oppenheim

Julius Oppenheim

1918 heiratete Julius Oppenheim, der von Geburt an taubstumm und Mitglied im Allgemeinen Taubstummen-Unterstützungsverein in Groß-Berlin e.V. war, die am 24. Januar 1888 in Breslau geborene Emma Naims. 1919 adoptierte er deren am 26. Juni 1907 in Berlin geborene uneheliche Tochter Edith. Doch Emma Oppenheim verließ ihn 1927 und heiratete später einen Nationalsozialisten. Die Tochter Edith jedoch, die sich aus diesem Grund mit ihrer Mutter für lange Zeit überwarf, wohnte weiterhin zusammen mit ihrem Vater Julius in die Eosanderstraße in Charlottenburg und heiratete 1928 Helmut Lawrenz, der mit in diese Wohnung einzog.

Julius Oppenheim, der bis 1927 nachweisbare Arbeitsstellen als Graveur hatte, bezog einige Zeit danach ein möbliertes Zimmer in der Pestalozzistraße 15. In diesem Haus, das der Jüdischen Gemeinde gehörte und in dessen Hof sich bis heute eine 1911/12 erbaute Synagoge befindet, wohnten zahlreiche jüdische Familien und betreuungsbedürftige Menschen. Seine Vermieter waren Hans und Frieda Witkowski (geboren 1892 und 1893), die am 26. Oktober 1942 nach Riga deportiert und drei Tage später erschossen wurden. Für sie liegen an der Pestalozzistraße 14 ebenfalls Stolpersteine.

Berliner Gravurwerkstatt in der Mitte sitzend Julius Oppenheim

Berliner Gravurwerkstatt in der Mitte sitzend Julius Oppenheim

Regelmäßig besuchte Julius Oppenheim seine Tochter und ihren Mann, die zu diesem Zeitpunkt bereits drei Kinder hatten, in Blankenfelde und später in Treptow. Einer der Enkel erinnert sich:

bq. Er hatte sich den gelben Judenstern nur mit Sicherheitsnadeln an das Revers seines Mantels oder seiner Jacke befestigt, um ihn dann in etlicher Entfernung von der jeweiligen Wohnung abzumachen. Wenn es während seines Besuches an der Wohnungstür läutete, wurde er versteckt, bis die Luft rein war. Wir Kinder wurden verpflichtet, nichts von unserem Opa Julius zu erzählen.

Julius Oppeneheim auf dem Motorrad

Julius Oppeneheim auf dem Motorrad

Bald nach seinen Vermietern und anderen Nachbarn wurde Julius Oppenheim aus seinem Zimmer heraus von der geheimen Staatspolizei abgeholt und zunächst in ein Sammellager an der Großen Hamburger Straße 26 gebracht, wo er sich registrieren lassen und eine Vermögenserklärung abgeben musste. Am 12. Januar 1943 wurde er auf dem Güterbahnhof Moabit an der Putlitzstrasse in einen mit 1196 Menschen besetzten Zug getrieben, dessen Ziel Auschwitz war. Wahrscheinlich ist er dort gleich nach der Ankunft am folgenden Tag vergast worden, weil er als taubstummer 63-jähriger sicherlich nicht für das Arbeitslager ausgewählt worden sein dürfte.

Zusammenstellung: Sven Lawrenz, Quellen: Familienarchiv, Bundesarchiv