Stolpersteine Leonhardtstraße 6

Hausansicht Leonhardtstr. 6

Diese Stolpersteine wurde am 19.03.2011 verlegt.

Stolperstein für Bertha Gordon

Stolperstein für Bertha Gordon

HIER WOHNTE
BERTHA GORDON
JG. 1879
DEPORTIERT 15.8.1942
RIGA
ERMORDET 18.8.1942

Stolperstein für Wally Gordon

Stolperstein für Wally Gordon

HIER WOHNTE
WALLY GORDON
JG. 1881
DEPORTIERT 15.8.1942
RIGA
ERMORDET 18.8.1942

Stolperstein für Max Nachemstein

Stolperstein für Max Nachemstein

HIER WOHNTE
MAX NACHEMSTEIN
JG. 1881
DEPORTIERT 14.11.1941
MINSK
ERMORDET

Stolperstein für Clara Nachemstein

Stolperstein für Clara Nachemstein

HIER WOHNTE
CLARA NACHEMSTEIN
GEB. ROSENTHAL
JG. 1879
DEPORTIERT 14.11.1941
MINSK
ERMORDET

Verlegung Stolpersteine Leonhardtstr. 6

Clara Nachemstein, geb. Rosenthal wuchs in Schneidemühl auf. Nachdem der Versailler Vertrag 1920 in Kraft getreten war, lag die Stadt nahe der neuen deutsch-polnischen Grenze. Sie wurde als Provinzhauptstadt von Posen-Westpreußen zur Stabilisierung der Grenzverhältnisse in den 1920er- und 1930er-Jahren wirtschaftlich und kulturell intensiv ausgebaut. Auch in Schneidemühl hatte die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten weitreichende Folgen für die jüdische Gemeinde der Stadt. Waren im ausgehenden 19. Jahrhundert noch etwa fünf Prozent der Einwohner des Stadtkreises Schneidemühl jüdischen Glaubens, so lag der Bevölkerungsanteil vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 bei nur noch knappen 0,2 Prozent.

Clara Rosenthal heiratete den aus Lessen in Westpreußen stammenden Max Nachemstein, den Sohn von Salomon und Rosalie Nachemstein, geb. Galitzky. Über das Privatleben des Ehepaares ist wenig bekannt. Beruflich hatte Max Nachemstein wiederholt Probleme. Der Kaufmann hatte am 28. Oktober 1910 den Familienbetrieb R. Nachemstein in Lessen übernommen und den Geschäftssitz an den Getreidemarkt 4 nach Graudenz verlegt. Hier betrieb er die Vermittlung, den Ankauf und die Verwertung von Rohprodukten und Abfällen. Graudenz, das seit der ersten Teilung Polens 1772 zu Preußen gehörte, wurde 1920 als Grudziądz wieder in den polnischen Staat eingegliedert.

Die Nachemstein GmbH geriet während des Ersten Weltkrieges in Zahlungsrückstand und unter den Verdacht des Preiswuchers. Schließlich erhielt der Betrieb eine polizeiliche Handelsuntersagung, die in der Morgenausgabe des Berliner Tageblatts vom 1. März 1916 abgedruckt wurde.
Darin hieß es:

bq. Auf Grund der bekannten Bundesratsverordnung untersagte die Polizeiverwaltung zu Graudenz der Firma R. Nachemstein GmbH und deren Geschäftsführer Max Nachemstein in Graudenz den Handel mit Gegenständen des täglichen Bedarfs, Nahrungs- und Futtermitteln aller Art, sowie rohen Naturerzeugnissen, Heiz- und Leuchtstoffen und Gegenständen des Kriegsbedarfs.

Weil ihm durch diese Verordnung vermutlich seine Existenzgrundlage in Graudenz entzogen wurde, zog Max Nachemstein mit seiner Frau Clara im Juni 1916 nach Berlin, wo am 21. August 1917 ihr Sohn Hans-Siegmar geboren wurde. Vier Jahre später, am 5. Januar 1921, folgte ihr zweites Kind Marion. Den Firmensitz seines Unternehmens verlegte Max Nachemstein nach Berlin-Charlottenburg.

Doch auch in der Zeit der Weimarer Republik hatte er mit seinem Betrieb kein Glück. Bis 1925 mehrten sich Anzeigen wegen offener Forderungen, es kam zu Pfändungen. Der Plan, auf den Handel mit Altmetall umzusteigen, scheiterte an mangelndem Kapital. Im Zuge der immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Lage im ganzen Land musste Max Nachemstein die Selbstständigkeit am 20. März 1929 aufgeben und sein Unternehmen schließen.

Um die vierköpfige Familie ernähren zu können, arbeitete Max Nachemstein nun als Werkzeughändler. Max und Clara Nachemsteins Kindern Hans-Siegmar und Marion gelang noch vor Kriegsausbruch die Ausreise nach Großbritannien, wo sie den Krieg überlebten. Ihre Eltern blieben in Berlin zurück und mussten aus Geldnot und aufgrund von unzureichenden Lebensmittelkarten den Großteil ihres Mobiliars verkaufen.

Die Familie Nachemstein wohnte zuletzt in einer zweistöckigen Drei-Zimmer-Wohnung in der Leonhardtstraße 6 in Berlin-Charlottenburg. Am 14. November 1941 wurde das Ehepaar nach Minsk deportiert, wo Max Nachemstein wie auch seine Frau Clara bereits einen Monat nach der Ankunft ums Leben kamen. Ob Mord, Hunger, Kälte oder Krankheit die Todesursache waren, bleibt ungewiss.

Max Nachemsteins verwitwete 85-jährige Mutter Rosalie Nachemstein, die zuletzt in einem jüdischen Altersheim oder Krankenhaus in Berlin lebte, wurde am 30. Juni 1942 mit dem 12. »Altentransport« in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie verstarb dort weniger als zwei Monate später, am 18. August 1942.

Nur die Kinder von Max und Clara Nachemstein konnten sich durch ihre Emigration retten; sie gründeten in England neue Familien. Hans-Siegmar Nachemstein heiratete 1940 in Willesden im Nordwesten von London Eileen Miller. Seine Schwester Marion ein Jahr nach Kriegsende Eric C. L. Malzard in Cardiff in Wales.

Autor: Falk Plücker aus www.berlin-minsk.de