Stolpersteine Goethestr. 69

Hausansicht Goethestr. 69

Diese Stolpersteine wurden am 19.4.2010 verlegt.

Stolperstein für Esther Weiss

HIER WOHNTE
ESTHER WEISS
GEB. COHEN
JG.1862
DEPORTIERT 8.7.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET SEPT. 1942 IN
TREBLINKA

Esther Weiss kam als Esther Elise Cohen am 21. November 1862 in Oldersum (Ostfriesland) zur Welt. Es ist nicht dokumentiert, wann Esther Cohen nach Berlin kam. Vielleicht mit ihren Eltern, vielleicht aber auch bereits als Esther Weiss mit ihrem Ehemann. 1939, als sie als in der Goethestraße 69 erfasst wurde, dürfte sie bereits verwitwet gewesen sein, da nur sie erwähnt war. In den Berliner Adressbüchern tauchen unter dieser Adresse weder ein Herr Weiss noch Esther Weiss auf, woraus zu schließen ist, dass sie zur Untermiete wohnte.

Ihr letzter Berliner Wohnort war die Iranische Strasse 3 im Wedding (bis September 1935 Exerzierstr 13), eine von ursprünglich fünf jüdischen Einrichtungen der Altersfürsorge in der Stadt. Das Heim war zwar nicht eine Sammelstelle wie etwa das von der Gestapo umfunktionierte Altenheim in der Großen Hamburger Strasse, aber es wurden dort laufend ältere Jüdinnen und Juden eingewiesen, um sie dann in größeren Gruppen nach Theresienstadt zu deportieren. So waren in einem “Transport” vom 3. Juli 1942 von 50 Verschleppten 32 aus der Iranischen Strasse 3. Am 6. Juli waren es 42 von 100, am darauffolgenden Tag 21 von ebenfalls 100 und am 8. Juli wieder 42 von 100. Danach war das Heim weitgehend geräumt, seine weitere Verwendung durch die Nazis bleibt unklar.

Esther Weiss war – in ihrem 80. Lebensjahr – eine von den 42 Bewohnern des Altersheims, die am 8. Juli 1942 zusammen mit 58 weiteren Berliner Juden vom Anhalter Bahnhof nach Theresienstadt deportiert wurden. Gut zwei Monate später, am 19. September 1942, wurde sie weiter nach Treblinka verschleppt und dort ermordet. Ihr Todestag ist nicht dokumentiert.

Quellen:
Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, 1995; Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Statistik des Holocausts; Gottwald/Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-45, Wiesbaden 2005; Akim Jah, Die Berliner Sammellager im Kontext der „Judendeportationen“ 1941–1945, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Nr. 3/2013

Stolperstein für Sally Kornblum

HIER WOHNTE
SALLY KORNBLUM
JG. 1878
DEPORTIERT
AUSCHWITZ
ERMORDET 5.11.1942

Sally Kornblum wurde am 30. Juni 1878 in Leipzig als Sohn von Markus Kornblum und seiner Frau Rosalie geboren. 1902 heiratete er die 20-jährige Stenotypistin Eleonore aus Berlin (geboren am 22.1.1882, nach anderer Aussage am 10.1.1883), Tochter von Georg und Lisa Kornblum, möglicherweise eine entfernte Verwandte. Das Paar lebte in Dresden, wo Sally eine Strohhutfabrik hatte. Dort wurden ihre beiden Söhne geboren, Helmut-Wolfgang am 2. September 1904 und Hanns-Georg am 30. August 1908. Kurz danach zog die Familie nach Berlin, wo Sally mit Erfolg eine In- und Exportfirma aufzog. Eleonore, die offenbar aus einem wohlhabenden Hause kam, konnte auch beträchtliche Vermögenswerte, namentlich Grundstücke, in die Ehe einbringen. Kornblums wohnten in der Kantstraße 47.

Sally Kornblum wurde im Ersten Weltkrieg eingezogen und war Frontkämpfer. Der Krieg scheint seinen Geschäften nicht geschadet zu haben, denn um 1919 zog die Familie in eine gediegenere Wohnung im 3. Stock der Bleibtreustraße 10/11. Die Firma war in der Markgrafenstraße 30 angesiedelt. Nach späteren Aussagen von Jugendfreunden der Söhne führten Kornblums ein “luxuriöses” Leben, besonders beeindruckte die jungen Leute, dass Sally Kornblum einen Reitstall in Hoppegarten hatte. Um 1931 zog die Familie wieder um in die Schlüterstraße 17, auch diese eine großzügige Wohnung. Um die gleiche Zeit wurde eine weitere Firma “Überseehandel HG Kornblum” auf den Namen des jüngeren Sohnes, Hanns-Georg gegründet. Der Ältere, Helmut, hatte ein Jurastudium abgebrochen und arbeitete in den Firmen von Vater und Bruder mit. Nebenbei ging er seiner Autoleidenschaft nach, lernte bei einem befreundeten Kfz-Meister Automechanik. Für Helmut, der vorhatte zu heiraten, richtete die Mutter eine Wohnung in der Goethestraße 69 ein.

Aus der Heirat wurde nichts. Mit der Machtübernahme Hitlers wurden Sallys Geschäfte immer weiter eingeschränkt, bis er sie vermutlich 1939 ganz aufgeben musste. Helmut zog als erster Konsequenzen, er emigrierte 1936 nach Südafrika, wurde Taxifahrer in Johannesburg. Sally und Eleonore, und auch Hanns, zogen in die wesentlich bescheidenere Wohnung in der Goethestraße. Hanns heiratete kurz vor Kriegsbeginn die am 11. September 1914 im rumänischen Gura Humora (Gura Humorolui, Bukowina) geborene Ottilie Schöner, laut Hausverwalter “Ausländerin und Jüdin”. Das junge Paar wohnte auch in der Goethestraße 69, 1942 ist Ottilie Kornblum als Mieterin im Adressbuch eingetragen.

1939 wurde Hanns Kornblum wie andere Juden auch zur Zwangsarbeit verpflichtet, und zwar als Maschinenarbeiter. Sein 60-jähriger Vater Sally Kornblum wurde höchstwahrscheinlich ebenfalls zwangsverpflichtet. 1942 wurde Sally Kornblum laut Akten Opfer einer “Sonderaktion”. Ziemlich sicher handelte es sich um die Verhaftungswelle am 27./28. Mai: Als “Vergeltung” nach dem Anschlag der Gruppe Baum auf die Ausstellung “Das Sowjetparadies” wurden 500 Juden verhaftet, 250 sofort erschossen, die anderen ins KZ Sachsenhausen gesperrt. Sally Kornblum kam nach Sachsenhausen und wurde später mit dem Deportationsziel Auschwitz verschleppt. Am 5. November 1942 wurde er dort ermordet, vielleicht kam er auch bereits während der Fahrt dorthin ums Leben.

Die Ehe zwischen Hanns und Ottilie Kornblum wurde im Juli 1943 geschieden, unklar ist warum und ob sie sich schon vorher trennten. 1942 lebten in der Goethestraße 69 auf jeden Fall Hanns und seine Mutter Eleonore. Eleonore starb mit 60 Jahren an einer Lungenentzündung am 28. Dezember 1942 in ihrer Wohnung. Die schwer erträglichen Lebensumstände für Juden, vor allem aber die Nachricht von Sallys Tod dürften sie auch gebrochen haben. Sie wurde am 31.12.42 in Weißensee beerdigt.

Zu Hanns Kornblum teilte der Hausverwalter Johann Bäcker mit, er sei “nach der allgemeinen Verhaftungsaktion vom 27.2.43 nicht mehr in die Wohnung zurückgekommen” – die sog. “Fabrikaktion”, bei der zahlreiche Juden direkt am Arbeitsplatz festgenommen wurden. Hanns war jedoch der Verhaftung entkommen und offenbar untergetaucht. Eine jüdische Freundin, Ilse Arndt, arrangierte für sich und ihn die Flucht in die Schweiz über die Fluchthelferin Luise Meier. Luise Meier hatte schon mehreren Juden geholfen, von Singen aus über die Grenze zu gelangen, bis Ende des Krieges rettet sie 28 Menschen das Leben. Hanns Kornblum gelang die Flucht jedoch nicht: noch in letzter Minute, am Abend vor dem abgesprochenen Treffen am 1.11.43 mit Luise Meier, wurde er in Singen in seinem Gasthaus – wie es heißt, trotz gut gefälschtem Ausweis – von der Gestapo verhaftet. Nach mehreren Verhören habe er, so der offizielle Bericht, in der Gestapostelle in Singen Selbstmord begangen. Luise Meier und Ilse Arndt hatte er offenbar nicht verraten, denn Letztere gelangte unbeschadet in die Schweiz.

In Berlin war inzwischen die Einrichtung der Wohnung in der Goethestraße inventarisiert und auf 220.- RM geschätzt worden. Bis zur Versteigerung am 20.7.43 waren allerdings die besten Möbelstücke bereits “verschwunden”. Der Erlös brachte dem Deutschen Reich 117 RM ein – dennoch ein Verlustgeschäft, denn der Erwerber, ein Händler Dümel aus Steglitz, “verweigerte die Abnahme der Möbel” ohne eine vorherige “Wanzenentwesung”. Diese wurde von Desinfektor Hans Bredt “mittels Vergasung” für 179.60 RM durchgeführt.

Sally Kornblums ältester Sohn Helmut überlebte. Nachdem er infolge eines Raubüberfalls 1957 sein Taxigewerbe in Südafrika aufgeben musste, kehrte er zunächst nach Berlin zurück, konnte aber dort keine neue Existenz aufbauen. Nach einem rastlosen Dasein, das ihn unter anderem nach Argentinien, Uruguay, Israel und schließlich Italien führte, starb er in Genua am 15. Januar 1985.

Quellen:
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Berliner Adressbücher; Claudia Schoppmann, Fluchtziel Schweiz, in: Überleben im 3. Reich, Hrsg. W. Benz, München 2003; Claudia Schoppmann, Flucht in den Tod, Text zu einer Ausstellung im Rathaus Charlottenburg 2012

Stolperstein Hanns Kornblum

Stolperstein für Hanns Kornblum

HIER WOHNTE
HANNS KORNBLUM
JG. 1908
VOR DEPORTATION
FLUCHT IN DEN TOD
5.11.1943

Stolperstein für Joachim M. Aronade

Stolperstein für Joachim M. Aronade

HIER WOHNTE
JOACHIM M.
ARONADE
JG. 1916
DEPORTIERT 6.3.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

Joachim Max Aronade wurde am 14. September 1916 in Berlin-Wilmersdorf geboren als drittes Kind von Leonhard Aronade und Johanna, geb. Schlesinger. Der Vater stammte aus Schlesien und hatte sich mit seiner Frau in Breslau niedergelassen, wo auch Joachims ältere Geschwister zur Welt kamen, Herbert 1906 und Katharina 1910. Kurz nach deren Geburt zog die Familie nach Berlin, wo Leonhard Aronade einen Handel mit Mineralölen aufzog. Sie wohnten zunächst in der Joachim-Friedrich-Strasse 41, ab 1914 in der Sächsischen Strasse 43. Die Firma wechselte öfters die Adresse.

1925 gab Leonhard Aronade vermutlich infolge der Inflation den Betrieb auf und verdiente fortan seinen Unterhalt als Versicherungsmakler. Nach 1933 wurde auch das zunehmend schwieriger. 1936 war er praktisch arbeitslos und die Familie musste in eine kleinere Wohnung in Halensee, Lützenstrasse 7, umziehen. Da war Jochim Max 20 Jahre alt, hatte eine Lehre bei der Wäschefabrik J. Eichenberg an der Immanuelkirchstraße in Prenzlauer Berg absolviert und war als Zuschneider von Oberhemden übernommen worden. Seine Schwester hatte als Sekretärin bei der Firma Frigidaire gearbeitet, war aber Ende 1935 wegen ihrer jüdischen Abstammung entlassen worden. Sie wanderte im Januar 1936 nach Brasilien aus und heiratete dort im März des gleichen Jahres den ebenfalls emigrierten Walter Leszszynski. Herbert hatte noch eine Stelle als Wirtschaftsberater.

Am 26. Juli 1937 starb Leonhard nach einem Schlaganfall, laut seiner Witwe “infolge der Aufregungen”. Im gleichen Jahr wurde Herbert entlassen und im Jahr darauf wurde Joachims Firma, weil jüdisch, aufgelöst, so dass auch er arbeitslos war. Die Einkünfte seiner Mutter, die inzwischen als Haushalthilfe arbeitete, reichten nicht aus, um die gemeinsame Wohnung zu halten. Sie wurde aufgegeben und jeder zog getrennt in ein möbliertes Zimmer, Joachim Max in die Goethestrasse 69 zur Familie Kornblum.

Anfang Februar 1940 emigrierte Johanna Aronade auch nach Brasilien, zu ihrer Tochter. Einen Monat zuvor, am 4. Januar, hatte Joachim Max Herta Ball geheiratet. Wahrscheinlich wohnte sie mit in der Goethestrasse. Die junge Ehefrau starb jedoch bereits nach gut anderthalb Jahren, am 18. August 1941, an Tbc. Joachim Max sah sich wohl daraufhin gezwungen ab September in ein Zimmer in der Maaßenstr 8, bei Rehfeld, zu ziehen. Wahrscheinlich hatte dort auch seine Mutter vor der Emigration gewohnt.

Auch Herbert heiratete – am 24. Mai 1941 – die ein Jahr ältere Liselotte Kalmann aus Beuthen (Schlesien). Joachim und Herbert waren beide seit 1940 zwangsverpflichtet, ab 1941 bei der gleichen Rüstungsfirma in Reinickendorf, Flottenstrasse 8 (H. Gossen, Stahlhoch- und Brückenbau). Max Joachim bekam 0,78 RM die Stunde. Von hier, direkt von der Arbeit, wurde er bei der “Fabrikaktion” Ende Februar 1943 oder kurz danach verhaftet und in die zum Sammellager umfunktionierte ehemalige Synagoge in der Levetzowstrasse 7-8 gebracht. Zu diesem Zeitpunkt besaß er nichts als 5 RM Bargeld und an Kleidung “das Nötigste”. Am 6. März 1943 wurde er nach Auschwitz deportiert. Möglich, aber unwahrscheinlich, dass er dort noch einmal seinen Bruder sah. Herbert und Liselotte Aronade waren am 29. Januar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden. Ihre Todesdaten sind nicht bekannt. Joachim Max wurde unter unmenschlichen Bedingungen zur Arbeit in Monowitz eingesetzt, dem zu Auschwitz gehörenden Arbeitslager auf dem Gelände der Buna-Werke der IG Farben. Vom 26. November bis 4. Dezember 1943 – und das ist das Letzte, was man von ihm weiß – war er im Häftlingskrankenbau von Monowitz, wurde dann „nach Birkenau entlassen“. Offenbar war der 27-Jährige als nicht mehr arbeitsfähig selektiert und in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in den Tod geschickt worden. Das Todesdatum von Max Joachim Aronade ist nicht bekannt.

Recherche/Text: Micaela Haas
Quellen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Akten der Oberfinanzdirektion; Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Berliner Adressbücher