Stolpersteine Helmstedter Str. 24

Hauseingang Helmstedter Str. 24, Foto: J. Held

Hauseingang Helmstedter Str. 24, Foto: J. Held

Diese Stolpersteine wurden am 13.10.2009 verlegt.

Stolperstein für Felix Auerbach

Stolperstein für Felix Auerbach

HIER WOHNTE
FELIX AUERBACH
JG. 1889
DEPORTIERT 11.7.1942
AUSCHWITZ
ERMORDET

Felix Auerbach wurde am 30. Januar 1889 als Sohn des Rabbiners Menachim Mannheim Auerbach (1848–1937) und dessen Ehefrau Mally, geb. Mintz (1859–1926) in Gollantsch (heute Gołańcz/Polen) geboren, einem Ort südwestlich von Bromberg (Bydgoszcz) in der Provinz Posen. Er stammte aus einer alten Rabbinerfamilie. Der Beruf zwang die Familien, immer wieder den Wohnort zu wechseln. In Konin an der Warthe (damals in Russisch-Polen), in Lissa (Leszno/Polen) und Rawitsch (Rawicz/Polen) im Gebiet an der Grenze zwischen den preußischen Provinzen Posen und Schlesien waren die Väter Rabbiner, wurden die Kinder geboren oder wuchsen dort auf.
Felix Auerbach hatte sechs Geschwister, vier Brüder und zwei Schwestern. Die drei älteren Geschwister waren in Konin auf die Welt gekommen: Heimann 1880, Jakob 1882 und die Schwester Helene 1884. Die drei jüngeren Geschwister wurden in Rawitsch geboren, wo der Vater Rabbiner geworden war: Max 1890, Lucie 1895 und Leo im Jahr 1900. Allein der älteste Bruder Heimann setzte die Familientradition fort und wurde Rabbiner. Die anderen Brüder wurden Anwälte.

Auch Felix Auerbach studierte Jura und ließ sich als Rechtsanwalt in Berlin nieder. Anfangs war seine Kanzlei in der Turmstraße in Berlin-Moabit. Als lediger Mann wohnte er in Moabit und im Bezirk Kreuzberg. Eine Zeit lang lebten sein Bruder Leo als Student und seine unverheiratete Schwester Lucie bei ihm.
Seit Mitte der 1920er-Jahre befand sich seine Kanzlei in der Beuthstraße 14 in Berlin-Mitte. Sein Sozius war Dr. Erich Loewe (1889–1981). Mit ihm und später auch mit dessen Ehefrau Edith Loewe sollte er bis 1933 zusammenarbeiten.
Am 12. April 1927 heiratete Felix Auerbach Lisbeth Adler, geboren am 4. Dezember 1899 im oberschlesischen Gleiwitz (heute Gliwice/Polen) als Tochter des wohlhabenden Gutsbesitzers Joseph (Josef) Adler und der Frieda Adler, geb. Lichtenberg (*1878). Lisbeth Adler lebte 1927 mit ihrer verwitweten Mutter Frieda Adler in Breslau. Ihre 1904 geborene Schwester Vera studierte Medizin. Felix Auerbach wohnte zum Zeitpunkt der Hochzeit bei seinem Vater in der Friedbergstraße 18 in Berlin-Charlottenburg, seine Mutter war 1926 gestorben.
Am 4. März 1928 kam der Sohn Joachim auf die Welt. Er sollte das einzige Kind bleiben. Die junge Familie wohnte für kurze Zeit in der Roonstraße im „Alsenviertel“ in Berlin-Tiergarten – dies war ein bürgerliches Wohnviertel im Spreebogen. Nachbar war Bruder Jakob Auerbach.
Zuletzt lag die Kanzlei der Rechtsanwälte Auerbach und Loewe in der Stresemannstraße 12 (bis 1930 die Königgrätzer Straße). Groß und erfolgreich geworden, beschäftigte sie nach der Erinnerung von Bruder Jakob zeitweise über 70 Angestellte. Die beiden Anwälte und Edith Loewe, Ehefrau und Kollegin, waren über die Grenzen des Deutschen Reiches hinaus anerkannte Fachleute für Fragen des Urheberrechts, besonders aus der Literatur und Musik.
1931 wurde Felix Auerbach zum Notar bestellt. Er lebte mit seiner Familie – wiederum nur kurze Zeit – nicht weit von der Kanzlei im heutigen Berlin-Kreuzberg in der Bergmannstraße und der Großbeerenstraße. Die Familie war wenig religiös, gehörte zum assimilierten jüdischen Bürgertum der Großstadt Berlin.
Drei Brüder und eine Schwester von Felix Auerbach lebten ebenfalls in Berlin: Jakob und Leo als Rechtsanwälte, Max als Patentanwalt und seine Schwester Lucie als Ehefrau des russischen Zahnarztes Bernhard Podolski. Auch die Schwester Helene, verheiratet mit dem polnischen Kaufmann David Reich und Mutter von drei Kindern, kam nach Jahren in Polen mit ihrer Familie nach Berlin zurück. Ihr Mann hatte wirtschaftlich keinen Erfolg, die Familie lebte bei dem verwitweten Mannheim Auerbach zuerst in Schöneberg und dann in der Güntzelstraße 53 in Berlin-Wilmersdorf. – Ihr Sohn, der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (1920–2013), sollte in seinen Lebenserinnerungen von der Familie berichten.
Im April 1933 wurde Felix Auerbach nach dem „Gesetz gegen jüdische Rechtsanwälte und Notare“ die Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Notar verboten. Da er im Ersten Weltkrieg kein „Frontkämpfer“ gewesen war, galt für ihn auch die bis 1938 gültige Ausnahmeregelung nicht. Sein Sozius Dr. Erich Loewe floh mit seiner Ehefrau Edith nach Frankreich, wo er bis zu seinem Tod lebte und als Rechtsanwalt tätig war.
Im Berliner Adressbuch von 1935 findet sich Felix Auerbach als „Haushaltsvorstand“ in der Helmstedter Straße 24 im Bezirk Wilmersdorf. Nach den Erinnerungen seines Bruders Jakob Auerbach war die Familie hier bereits 1928 eingezogen. Straße, Haus und Wohnung waren Zeichen von Besitz und Bildung: Die 4-Zimmer-Wohnung (Wohnzimmer, Esszimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer und Mädchenzimmer) war nach der Erinnerung der Schwägerin von Felix Auerbach gutbürgerlich eingerichtet, mit dem entsprechenden wertvollen Hausrat, darunter silberne Schalen, Leuchter und Bestecke. Standesgemäß beschäftigte das Ehepaar ein Dienstmädchen und Lisbeth Auerbach besaß den für eine bürgerliche Ehefrau üblichen Schmuck.
1937 starb der zuletzt erblindete Vater Mannheim Auerbach. 1938 wurden die Schwester Helene, der Schwager David und der Neffe Marcel Reich nach Polen ausgewiesen. Der Bruder Jakob war mit seiner Ehefrau in die Niederlande geflohen. Er überredete Felix Auerbach, den Sohn Joachim nach England zu schicken. Im Juli 1939 verließen Joachim Auerbach und sein Vetter Frank, der Sohn des Patentanwalts Max Auerbach, mit einem Kindertransport den Hamburger Hafen. Beide sollten ihre Eltern nie wiedersehen. 1940 beging Frieda Adler, die Schwiegermutter von Felix Auerbach, in Breslau Suizid. Sohn Joachim schrieb noch aus England an die Eltern, wo er mit seinem Vetter Frank gemeinsam eine Schule besuchte.
Am 11. Juli 1942 wurden Felix Auerbach und seine Ehefrau Lisbeth aus der Helmstedter Straße 24 in Berlin-Wilmersdorf nach Auschwitz deportiert. Beide wurden dort ermordet

Ermordet wurden auch Felix Auerbachs Schwester Helene und ihr Ehemann David Reich, die 1942 aus dem Warschauer Ghetto nach Treblinka verschleppt wurden, sowie 1943 ihr Sohn Alexander Herbert Reich in einem anderen Lager in Polen. Ihre Tochter Gerda und ihr bekannt gewordener Sohn Marcel überlebten. Bruder Max und seine Ehefrau Charlotte wurden 1943 in Auschwitz ermordet. In der Güntzelstraße 49 erinnern seit März 2007 zwei Stolpersteine an das Ehepaar.
Vier Geschwister von Felix Auerbach überlebten: Heimann Auerbach (gestorben1957 Los Angeles) mit seiner Ehefrau Hedwig, ihr Sohn Willy wurde 1941 im KZ Mauthausen ermordet; Dr.Jakob Auerbach (gestorben 1969 in London), der mit seiner Familie in den Niederlanden den Krieg in der Illegalität überstand; Leo Auerbach, seit 1948 Rechtsanwalt in Frankfurt/M., gestorben 1964; die verheiratete Schwester Lucie, gestorben 1958 in London.

Der Neffe Frank Auerbach, Sohn des ermordeten Bruders Max, wurde in Großbritannien ein berühmter Maler. Er konnte am 29. April 2021 in London seinen 90. Geburtstag feiern.
Felix und Lisbeth Auerbachs Sohn Joachim Auerbach ist im Juli 2021 in Birmingham mit 93 Jahren gestorben.

Quellen:
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
BLHA Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Christine Fischer-Defoy: Rede bei der Verlegung der Stolpersteine für David und Helene Reich in der Güntzelstraße 53 am 6.8.2014, in: Aktives Museum, Mitgliederbrief Nr. 71 vom August 2014
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben. München 2000
Rebecca Schwoch: Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus : Ein Gedenkbuch, Berlin 2009
Uwe Wittstock: Marcel Reich-Ranicki – Die Biografie, München 2020
https://www.mappingthelives.org/
https://www.statistik-des-holocausts.de: Transportlisten
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.theguardian.com/uk-news/2021/jul/21/joachim-auerbach-obituary
Vorrecherchen Wolfgang Knoll

Stolperstein für Lisbeth Auerbach

Stolperstein für Lisbeth Auerbach

HIER WOHNTE
LISBETH AUERBACH
GEB. ADLER
JG. 1899
DEPORTIERT 11.7.1942
AUSCHWITZ
ERMORDET

Stolperstein für Lilli Günther-Gutermann

Stolperstein für Lilli Günther-Gutermann

HIER WOHNTE
LILLI GÜNTHER-
GUTERMANN
GEB. GALLINEK
JG. 1883
VOR DEPORTATION
FLUCHT IN DEN TOD
30.8.1942

(Margot) Lilli Gallinek kam am 7. September 1883 in Berlin als Tochter des Kaufmanns Joseph (Josef) Gallinek (1853–1899) und seiner 1857 geborenen Ehefrau Anna, geb. Cohn, auf die Welt. Ihr Vater war der Sohn des Rittergutsbesitzers Heymann Gallinek und der Linna Gallinek, geb. Heilborn, der Tochter eines Kaufmanns. Lillis Eltern, aus Oberschlesien und aus der Provinz Posen stammend (beide Provinzen heute Polen), hatten 1882 in Berlin geheiratet. Ihr Vater war dort Inhaber eines Kommissionsgeschäftes, er vertrat in Berlin „auswärtige Fabriken“ (so im Berliner Adressbuch) und handelte in deren Auftrag und für deren Rechnung.

Im Jahr 1886 wurde Lillis Bruder Fritz Heymann (Hermann) Gallinek geboren. Anfangs wohnten die Eltern am Kaiser-Franz-Grenadier-Platz in Mitte (seit 1951 Heinrich-Heine-Platz). Während der Kindheit und Jugend von Lilli Gallinek zog die Familie des öfteren um: Zum Zeitpunkt ihrer Geburt wohnten die Eltern in der Franzstraße 6, nicht weit entfernt von der ersten Wohnung. Nach der Geburt des Bruders lebte die Familie für kurze Zeit mit den beiden kleinen Kindern auf der anderen Seite der Spree, in der Holzmarktstraße 66, nahe der Jannowitzbrücke.
Dann folgten einige Jahre in der Schönebergerstraße 16a zwischen Ringbahn und Landwehrkanal im heutigen Stadtteil Kreuzberg. Mitte der 1890er Jahre ging es – wohl mit steigendem Einkommen – nach „Westen“: In der Augsburger Straße, damals in der Stadt Charlottenburg bei Berlin, wohnte die Familie Gallinek zuerst zur Miete, dann ließ Josef Gallinek das Haus Augsburger Straße 42/Ecke Rankestraße bauen.
1899 starb der Vater. Lilli Gallinek wird gerade die „standesgemäße“ Mädchenbildung beendet haben. Sie blieb ohne Beruf und wohnte weiter mit der verwitweten Mutter und dem Bruder in der Augsburger Straße 42. – Ein Leben, wie es für die Mehrzahl der gut versorgten Töchter des Bürgertums um die Jahrhundertwende üblich war.
Am 30. Mai 1905 heiratete Lilli Gallinek den am 17. Oktober 1879 in Berlin geborenen Opernsänger Arthur Gutermann, der aus einer bekannten jüdischen Familie in Schermeisel im Osten der Provinz Brandenburg (heute Trzemeszno Lubuskie/Polen) stammte. Er nannte sich später Arthur Günther oder Arthur Günther-Gutermann, „Günther“ war sein Künstlername.
Nach der Hochzeit blieben Lilli Gutermann und ihr Ehemann zunächst in der Augsburger Straße 42. Am 4. Oktober 1905 wurde ihre Tochter Manon Irmgard geboren. Sie sollte eigentlich Manon Butterfly Gutermann heißen, aber der Standesbeamte verweigerte den zweiten Vornamen. Fünf Jahre später, am 10. Dezember 1910, wurde die Tochter Musette Tosca in Berlin geboren, und auch der Vornamen Musette wurde vom Standesamt nicht akzeptiert. – Die Vornamen der Töchter entsprangen der „Bühnen-Welt“ des Vaters, den Opern von Giacomo Puccini: „Manon Lescaut“ und „Madame Butterfly“, „La Bohème“ und „Tosca“. (Glückliche Frauen waren dies nicht.)
In den folgenden Jahren scheint Lilli Gutermann das Leben der Ehefrau eines von Engagement zu Engagement ziehenden Sängers geführt zu haben. Nach der Erinnerung von Arthur Gutermann zog die Familie im Herbst 1905 nach Mailand und blieb bis 1909 in Italien. 1910 (zur Geburt von Tosca?) kehrte Lilli Gutermann mit Ehemann und Tochter Manon nach Berlin zurück. Das Haus in der Augsburger Straße 42 war inzwischen verkauft worden.
In Berlin ist Arthur Gutermann (als Haushaltsvorstand mit seiner Familie) nicht im Adressbuch verzeichnet. Vor dem Ersten Weltkrieg war er zu Gastspielen in Paris, während des Krieges wurde er in Davos interniert. (Er berichtete auch von Kriegsgefangenschaft. Auch andere seiner Angaben gegenüber der Entschädigungsbehörde sind widersprüchlich und nur schwer nachzuvollziehen.) Lilli Gutermann und die Kinder bekamen eine Einreiseerlaubnis in die Schweiz und blieben bis 1921 in Davos. Nach einem Jahr in einem Hotel in Innsbruck zog die Familie wieder nach Italien und blieb bis 1930 in einem Kurort in der Nähe von Genua.
Wie das Leben von Lilli Gutermann aussah, schildert ihr damaliger Ehemann in seinen Erinnerungen nicht. Dasselbe gilt für die jüngere Tochter. Die ältere Tochter Manon bekam Privatstunden.
1932 ließen sich Lilli und Arthur Gutermann scheiden. Lilli Gutermann lebte als geschiedene Frau in der Güntzelstraße 66 bei ihrem Bruder Fritz Gallinek, der ledig geblieben war und eine gut gehende Buchdruckerei besaß. Sie heiratete nicht wieder. Beide Töchter hatten Berufe gelernt: Manon war Zahnarzthelferin geworden, Tosca Stenotypistin. Die jüngere Tochter blieb bei Mutter und Onkel in der Güntzelstraße, die ältere scheint eine Zeitlang beim Vater in der Meier-Otto-Straße 1 gewohnt haben (so seine Erinnerung). Im Sommer 1933 floh der geschiedene Ehemann von Lilli Gutermann nach Frankreich. Dort wurde „Arthur Günther“ zu „Antoine Gautier“. Nach Internierung und Haft lebte er illegal in einer Kleinstadt am Fuß der Pyrenäen und erlebte dort das Kriegsende.
Am 23. September 1936 starb die Tochter Tosca in der Güntzelstraße 66. Sie wurde zwei Tage später als Tosca Günther in Weißensee beerdigt. – Einen Grabstein gibt es nicht.
Angemeldet wurde die Beisetzung von ihrem Onkel Fritz Gallinek. Von Juni 1938 bis Ende Februar 1939 war Lillis Bruder Fritz im KZ Buchenwald inhaftiert. Als Verwandte gab er seine Schwester Lilli Günther in der Güntzelstraße 66 an. Aber Lilli Gutermann (so will ich sie weiterhin nennen) musste die Wohnung verlassen: Ihr letztes selbst gewähltes Zuhause – für kurze Zeit auch für ihren aus dem KZ entlassenen Bruder Fritz – wurde eine Wohnung in der Helmstedter Straße 24. Dort lebte sie mit ihrer Tochter Manon. Fritz Gallinek konnte nach Großbritannien emigrieren und sein Leben retten.
Lilli und Manon Gutermann wohnten zuallerletzt als Untermieterinnen bei Else und Lily Herzfeld, ebenfalls Mutter und Tochter, am Bayerischen Platz in der Salzburger Straße 14.
Das Deportationsdatum vor Augen, nahmen Lilli Gutermann und ihre Tochter Manon am 28. August 1942 eine Überdosis Schlafmittel. Sie waren nicht sofort tot, sondern wurden in das Jüdische Krankenhaus in Berlin-Wedding gebracht. Hier starb Manon Gutermann am 29. August, Lilli Gutermann einen Tag später, am 30. August 1942. Beide wurden am 11. September 1942 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee begraben (im Sterberegister wie auf dem Friedhof mit dem Nachnamen „Gutermann“).
Ihre Vermieterinnen aus der Salzburger Straße flohen am 13. Dezember 1942 ebenfalls in den Tod. Lilli Gutermanns Bruder Fritz Gallinek nahm 1949 die britische Staatsbürgerschaft an und nannte sich Frank Harris. Er starb 1954 in Großbritannien. Lilli Gutermanns geschiedener Ehemann Arthur Gutermann kehrte später nach Berlin zurück; er starb hier 1968.

Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Centrum Judaicum
Deutscher Reichsanzeiger
Entschädigungsbehörde
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
Güteradressbuch Schlesien 1873
HU Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
Jüdisches Adressbuch 1931/31
Jüdische Gemeinde zu Berlin, Jüdischer Friedhof Berlin-Weißensee
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Neuer Theater-Almanach 1913, 1914
https://www.geni.com/people/
https://www. juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocausts.de: Transportlisten
https://www.mappingthelives.org/
Vorrecherchen Nachlass von Wolfgang Knoll

Stolperstein für Manon Günther-Gutermann

Stolperstein für Manon Günther-Gutermann

HIER WOHNTE
MANON GÜNTHER-
GUTERMANN
JG. 1906
VOR DEPORTATION
FLUCHT IN DEN TOD
29.8.1942

Manon Irmgard Gutermann kam am 4. Oktober 1905 in Berlin als Tochter des 1879 geborenen Schauspielers, Opernsängers und Gesangslehrers Arthur Gutermann und seiner Ehefrau Margot Lilli, geb. Gallinek (1883–1942) auf die Welt. Auch ihre Eltern sind beide in Berlin geboren. Ihr Vater stammte aus einer großen und einflussreichen jüdischen Familie in Schermeisel im Osten der Provinz Brandenburg (heute Trzemeszno Lubuskie/Polen). Er nannte sich später Arthur Günther oder Arthur Günther-Gutermann. „Günther“ war sein Künstlername. Ihre Mutter hatte bis zur Hochzeit ohne Beruf bei ihren Eltern bzw. ihrer verwitweten Mutter gelebt. Die Großeltern Josef und Anna Gallinek kamen aus dem Osten Preußens. Der 1899 gestorbene Großvater war in Berlin ein wohlhabender Kaufmann geworden.
Manon Irmgard Gutermann sollte eigentlich Manon Butterfly Gutermann heißen, aber der Standesbeamte verweigerte den zweiten Vornamen. Ihrer Schwester Tosca, die am 10. Dezember 1910 auf die Welt kam, erging es genauso: Als Musette Tosca – wie gewünscht – wurde sie vom Standesamt nicht akzeptiert. – Die Vornamen der beiden Töchter entsprangen der „Bühnen-Welt“ des Vaters, den Opern von Giacomo Puccini: „Manon Lescaut“ und „Madame Butterfly“, „La Bohème“ und „Tosca“. (Glückliche Frauen waren dies nicht).
Manon Gutermann wurde in der Familie weiterhin Butterfly genannt, auch wenn alle Urkunden etwas anderes sagen. Zum Zeitpunkt ihrer Geburt lebten die Eltern in der Augsburger Straße 42, damals in der Stadt Charlottenburg bei Berlin. Das Mietshaus an der Ecke zur Rankestraße hatte dem Großvater Gallinek gehört und war nun im Besitz der Familie.
Manon Gutermann scheint mal mit, mal ohne die Eltern (und der Schwester) aufgewachsen zu sein: Ihr Vater folgte seinen Engagements und Stipendien, und er und/oder die Familie zogen immer wieder um. Nach der Erinnerung des Vaters ging es gleich nach der Geburt von Manon im Herbst 1905 nach Mailand. Bis 1909 blieb die Familie in Italien, 1910 kehrte sie nach Berlin zurück. Das Haus in der Augsburger Straße 42 war inzwischen verkauft worden. Laut den Akten ist ihr Vater 1909 in Wien aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten. In Berlin ist Arthur Gutermann als Haushaltsvorstand mit seiner Familie nicht im Adressbuch verzeichnet.
Für Manon Gutermann begann die Schulzeit. Von 1911 bis 1913 war sie in einem „Institut“, wohl einer Privatschule, in München und lebte im Pensionat oder in einer privaten Unterkunft. Während des Ersten Weltkriegs wurde ihr Vater in Davos interniert. Er selbst berichtete, dass er in Kriegsgefangenschaft war. Lilli Gutermann und die Kinder bekamen eine Einreiseerlaubnis in die Schweiz und blieben bis 1921 in Davos. Manon Gutermann erhielt Privatstunden. Nach einem Jahr in einem Hotel in Innsbruck zog die Familie wieder nach Italien und blieb bis 1930 in einem Kurort in der Nähe von Genua.
Wie das Leben von Ehefrau und Töchtern genau aussah, schildert der damalige Ehemann und Vater in seinen Erinnerungen nicht. Aber er schreibt über seine Tochter Manon, dass sie perfekt Englisch, Französisch und Italienisch sprechen und schreiben konnte.
1932 ließen sich die Eltern von Manon Gutermann scheiden. Ihre Mutter lebte als geschiedene Frau in der Güntzelstraße 66 bei ihrem Bruder Fritz Gallinek, der ledig geblieben war und eine gut gehende Buchdruckerei besaß. Sie heiratete nicht wieder. Beide Töchter hatten Berufe gelernt: Manon war Zahnarzthelferin geworden, Tosca wurde Stenotypistin. Die jüngere Tochter blieb bei Mutter und Onkel in der Güntzelstraße, Manon scheint unverheiratet eine Zeitlang beim Vater in der Meier-Otto-Straße 1 gewohnt zu haben.
Im Sommer 1933 floh der Vater von Manon Gutermann nach Frankreich, hierbei benutzte er seinen Künstlernamen „Günther“. Dort wiederum wurde „Arthur Günther“ zu „Antoine Gautier“. Nach Internierung und Haft lebte er illegal in einer Kleinstadt am Fuß der Pyrenäen und überlebte so.
Am 23. September 1936 starb Manons jüngere Schwester Tosca in der Güntzelstraße 66. Sie wurde zwei Tage später als Tosca Günther in Weißensee beerdigt. Einen Grabstein gibt es nicht.
Angemeldet wurde die Beisetzung von ihrem Onkel Fritz Gallinek. Von Juni 1938 bis Ende Februar 1939 war ihr Onkel Fritz im KZ Buchenwald inhaftiert. Als Verwandte gab er seine Schwester Lilli Günther in der Güntzelstraße 66 an. Aber Lilli Gutermann und ihre Tochter mussten die Wohnung verlassen. Ihr letztes selbst gewähltes Zuhause wurde eine Wohnung in der Helmstedter Straße 24. Dort lebte Manon Gutermann mit ihrer Mutter und für kurze Zeit auch mit ihrem aus dem KZ entlassenen Onkel Fritz Gallinek.
Manon Gutermann wohnte zuallerletzt mit ihrer Mutter als Untermieterin bei Else und Lily Herzfeld, ebenfalls Mutter und Tochter, am Bayerischen Platz in der Salzburger Straße 14. Das Deportationsdatum vor Augen, nahmen sie und ihre Mutter am 28. August 1942 eine Überdosis Schlafmittel. Sie waren nicht sofort tot, sondern wurden in das Jüdische Krankenhaus in Berlin-Wedding gebracht. Hier starb Manon Gutermann am 29. August 1942. Ihre Mutter starb einen Tag später, am 30. August 1942. Mutter und Tochter wurden am 11. September 1942 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee begraben (im Sterberegister wie auf dem Friedhof mit dem Nachnamen „Gutermann“).
Ihre Vermieterinnen aus der Salzburger Straße flohen am 13. Dezember 1942 in den Tod. Manon Gutermanns Onkel Fritz Gallinek, der nach Großbritannien hatte emigrieren können, nahm 1949 die britische Staatsbürgerschaft an und nannte sich Frank Harris. Er erzählte später ihrem Vater vom Leben und Sterben seiner Schwester und ihrer Töchter. 1954 ist Fritz Gallinek/Frank Harris in Großbritannien gestorben. Manon Gutermanns Vater Arthur kehrte nach Berlin zurück, er starb hier 1968.

Quellen:
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Deutscher Reichsanzeiger
Entschädigungsbehörde
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
Güteradressbuch Schlesien 1873
HU Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
Jüdisches Adressbuch 1931/31
Jüdische Gemeinde zu Berlin, Jüdischer Friedhof Berlin-Weißensee
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Neuer Theater-Almanach 1913, 1914
Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Archiv
https://www.geni.com/people/
https://www. juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocausts.de: Transportlisten
https://www.mappingthelives.org/
Vorrecherchen Nachlass von Wolfgang Knoll

Stolperstein für Julie Lilienthal

Stolperstein für Julie Lilienthal

HIER WOHNTE
JULIE LILIENTHAL
GEB. WITTENBERG
JG. 1885
DEPORTIERT 19.4.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

Julie (Julia) Lilienthal wurde am 31. Oktober 1885 als Tochter des jüdischen Kaufmanns Fredrik Wittenberg und seiner Ehefrau Rosa, geb. Isakowitz, in der ostpreußischen Landgemeinde Schmalleningken (heute Smalininkai/Litauen) geboren. Schmalleningken lag im Memelland, einer Grenzregion weit entfernt von der deutschen Hauptstadt Berlin und direkt an der Grenze zum zaristischen Russland. Nah waren die Städte Ragnit (heute Neman/Russland) und Tilsit (heute Sowetsk/Russland). Die Juden lebten auf beiden Seiten der Grenze und waren meist Kaufleute.
Julie Wittenberg hatte drei ältere Geschwister: die 1878 geborene Schwester Dorothea und die 1881 und 1882 geborenen Brüder Hermann und Moritz (wahrscheinlich ein Halbbruder). Die Verwandten ihrer Eltern lebten im Memelland und in Königsberg, der Hauptstadt der Provinz Ostpreußen (heute Kaliningrad/Russland). Auch Fredrik Wittenberg (oder seine Witwe mit ihren Kindern) zog nach Königsberg. Im Adressbuch der Stadt aus dem Jahre 1899 ist Julies Mutter bereits als Witwe eines Buchhalters verzeichnet. Sie wohnte mit ihren Kindern nahe der Synagoge in der Selkestraße im jüdischen Viertel der Stadt. Einen Beruf lernte ihre Tochter Julie nicht.
Am 14. Dezember 1908 heiratete Julie Wittenberg den 1879 in Klein-Jerutten (heute Jerutki/Polen) geborenen Kaufmann Samuel Lilienthal. Die Landgemeinde im Kreis Ortelsburg (heute Szczytno/Polen) lag ebenfalls in Ostpreußen, aber im Ermland, einer Landschaft im Westen der Provinz.
Ehemann Samuel Lilienthal hatte vier Geschwister. Ebenfalls in Klein-Jerutten wurden seine älteren Geschwister geboren: Johanna (*1876, vor 1933 ausgewandert) und Saul (*1877, aus den Niederlanden deportiert, 1944 in Auschwitz ermordet). In Danzig kamen seine jüngeren Geschwister auf die Welt: Abraham im Jahr 1885 (emigriert, USA) und 1888 Herbert (gest. 1938 in Berlin). Samuel Lilienthals Vater Heiman (Chaim), ein Kaufmann, starb wohl Anfang der 1890er-Jahre in Danzig. Die Mutter Cecilia Lilienthal wohnte zuletzt gemeinsam mit ihrem Sohn Herbert in Berlin. Sie starb im März 1917.
Julie und Samuel Lilienthal lebten zunächst in Danzig. Sie wohnten in der Altstadt, Samuel Lilienthal arbeitete als Vertreter. Dann zog das Ehepaar nach Berlin, wo bereits Verwandte lebten. In den Berliner Adressbüchern von 1912 bis 1915 ist Samuel Lilienthal als Kaufmann in der Essener Straße 23 notiert, mit einer Wohnung im 3. Stock. Die Straße im Westfälischen Viertel von Moabit (heute der Bezirk Mitte) hatte im Gegensatz zu den meisten Straßen des Arbeiterviertels einen bürgerlichen Charakter. Julie Lilienthal war Hausfrau. Ob sie sich ehrenamtlich engagierte, wie es üblich war, ist nicht bekannt.
Die folgenden 20 Jahre lebte Julie Lilienthal mit Ehemann und später auch mit Kind in der Burgherrenstraße 8 in Tempelhof. Ihr Ehemann war weiterhin als Kaufmann eingetragen. Die Straße liegt nicht weit vom Tempelhofer Feld, bis Ende 1918 ein Exerzierplatz der Berliner Garnison, aber auch ein Flughafen, auf dem seit 1923 Linienverkehr herrschte. In der Burgherrenstraße wurde am 27. August 1924 der Sohn Walter, ihr einziges Kind, geboren.

1936 starb Julie Lilienthals Schwester Dorothea. Sie hatte sehr jung den Kaufmann Hermann Isakowitz geheiratet (1879–1942 Riga) und mit ihrem Ehemann im westpreußischen Marienwerder (Kwidzyn/Polen) gelebt. Die Eheleute hatten vier Kinder und besaßen ein Geschäft für Herrenkonfektion. Hermann Isakowitz musste später sein Geschäft in Marienwerder aufgeben und zog mit seinen beiden Töchtern, die Söhne hatten bereits fliehen können, nach Berlin. Seine Töchter rettete er mit einem Kindertransport. Der Urenkel ihrer Schwester Dorothea, Danny Wattin, verarbeitete die Familiengeschichte in dem Roman „Der Schatz des Herrn Isakowitz“.

Ebenfalls 1936, nach 20 Jahren im Bezirk Tempelhof, zogen Julie und Samuel Lilienthal mit dem halbwüchsigen Sohn Walter in die Kaiserallee 172 (heute Bundesallee) in Wilmersdorf. Ihr Sohn, in Deutschland ohne Zukunft, bereitete sich in Gut Winkel in Spreenhagen/Mark Brandenburg auf die Auswanderung nach Palästina vor. Das große Gut war ein landwirtschaftlicher Lehrbetrieb für Jugendliche, die als „Pioniere“ im Kibbuz arbeiten wollten. Walter Lilienthal wanderte 1938 nach Palästina aus und nannte sich dort Zeev Tal. Er lebte als Landwirt, aber nicht im Kibbuz. 2015 ist er in Jerusalem gestorben.
1938 starb Julies Schwager Herbert Lilienthal, der Pianist und Musiklehrer geworden war, in Berlin. Julie und Samuel Lilienthal zogen in die Helmstedter Straße 24. Samuel Lilienthal war krank und starb am 17. Januar 1940 im Jüdischen Krankenhaus. – Sein Tod wurde von Schwager Hermann Isakowitz angezeigt, der am 19. Januar 1942 in Riga ermordet werden sollte. Am Kurfürstendamm 133 erinnert seit 2008 ein Stolperstein an ihn. In Riga starben ebenfalls 1942 Hermann Wittenberg, der Bruder von Julie Lilienthal, und seine Ehefrau Walli, geb. Joseph.
Julie Lilienthal war (fast) allein, aber ihr Sohn war in Sicherheit. Ihre letzte Anschrift war eine Wohnung im Parterre der Sybelstraße 58. Dort wohnte sie bei dem Ehepaar Wolfgang und Zerline Nathan. Beide wurden am 16. Dezember 1942 nach Theresienstadt deportiert, beide haben überlebt. Ihr Bruder (oder Halbbruder) Moritz Wittenberg lebte noch bis 1943, er wurde am 3. Februar 1943 aus Berlin nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.
Am 19. April 1943 wurde Julie Lilienthal mit dem „37. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert. Mit ihr wurde aus der Sybelstraße 58 die 1880 geborene Witwe Selma Ebstein, geb. Katzenstein, verschleppt, die in der Gneisstraße 8 im Grunewald ein Familienheim geführt hatte, und an die dort ein Stolperstein erinnert. Fast 700 Personen gehörten zu diesem Transport, darunter auch viele junge Menschen. Sie werden zu denjenigen gehört haben, die zur Arbeit in das Lager selektiert wurden. Die anderen wurden in Auschwitz-Birkenau getötet. Auch Julie Lilienthal wurde ermordet.

Quellen:
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Adressbuch Königsberg 1899, 1906
Adreß-Buch für die Provinzial-Hauptstadt Danzig und deren Vorstädte 1886
Arolsen Archives
BLHA Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Danny Wattin. Der Schatz des Herrn Isakowitz, Roman, Köln 2015 (Stockholm 2014)

https://annaberger-annalen.de/jahrbuch/2004/AnnabergNr.12_Kap4.pdf
https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001935 (Herbert Lilienthal)
https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001935?wcmsID=0003
https://www.mappingthelives.org/
https://www.statistik-des-holocausts.de: Transportlisten
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de/

Vorrecherchen Nachlass Wolfgang Knoll

Stolperstein für Salo Wieruszowski

Stolperstein für Salo Wieruszowski

HIER WOHNTE
SALO
WIERUSZOWSKI
JG. 1886
VERHAFTET 27.5.1942
SACHSENHAUSEN
ERMORDET 27.10.1942
AUSCHWITZ

Salo Wieruszowski kam am 15. Dezember 1886 in Kempen in der Provinz Posen (heute Kepno/Polen) als Sohn des Fleischers Simon Wieruszowski (1852–1894) und dessen Ehefrau Friederike, geb. Zwirner (1862–1934) auf die Welt. Er hatte fünf Geschwister, geboren ebenfalls in oder bei Kempen: die älteren Schwestern Bertha (*1883) und Minna (*1885) sowie die jüngeren Geschwister Martha (*1888), Moritz (*1890) und Victor (*1891).
Als sein Vater 1894 starb, war Salo Wieruszowski noch ein Kind. Seine Mutter blieb mit ihm und den anderen Kindern in Kempen. Als junger Erwachsener muss Salo Wieruszowski seine Geburtsstadt verlassen haben, denn zum Zeitpunkt seiner Hochzeit lebte er in Greiffenberg, einer kleinen Stadt in Niederschlesien. Für die Hochzeit reiste er nach Oppeln in Oberschlesien, in die Heimatstadt seiner Braut, wo er am 3. November 1913 die 1885 geborene Tina Kutner heiratete. Sein Schwiegervater Vater Leopold Kutner (1851–1928) besaß in Oppeln einen Mehlhandel, seine Schwiegermutter Fanni (1854–1930) war – wie auch seine eigene Mutter – eine geborene Zwirner aus Boleslawice im Kreis Kempen. So hatte er wohl innerhalb der großen und weit verzweigten Verwandtschaft eine Cousine geheiratet.
In Greiffenberg sollte das Ehepaar noch wohnen, als Sohn Rudi Simon am 4. Juni 1919 geboren wurde. Ihr zweites Kind, der Sohn Ernst, kam am 19. Dezember 1923 in Breslau auf die Welt.
Salo Wieruszowski war anfangs Mitinhaber und dann Alleininhaber der Firma Salomon & Co. Nachf. Die Firma, ursprünglich eine Großhandlung für Kurz-, Weiss- und Wollwaren, fabrizierte nun auch Kopfbedeckungen. Salo Wieruszoski wohnte mit Ehefrau und Kindern viele Jahre in der ersten Etage eines prächtigen (noch immer existierenden) Mietshauses in der Sternstraße 114. – Seine Brüder Moritz und Victor (Viktor) lebten ebenfalls in Breslau. Sie besaßen in der Matthiasstraße einen Sanitärgroßhandel, die Metallwarenhandlung der Gebr. Wieruszowski.

Salo Wieruszowski ging zu Beginn der 1930er-Jahre ohne seine Familie nach Berlin. Seine Firma und er selbst sind zwar noch 1934 im Breslauer Adressbuch zu finden, aber nach dem Bericht seines Sohnes Rudi Wieruszowski war er zu dieser Zeit bereits in der deutschen Hauptstadt und hatte eine Hutfabrik erworben: die Hutfabrik „Grotehenn & Co GmbH, Hutfabrikation und Großhandel für Kopfbedeckungen“ in der Kommandantenstraße 20/21 in Berlin-Kreuzberg – eine große und bekannte Firma mit über 100 Beschäftigten, die auch ins Ausland exportierte.
1933/34 folgten ihm Ehefrau und Kinder nach Berlin, und die Familie zog gleich in die Wohnung in der Helmstedter Straße 24.
Die NS-Diktatur erzwang schon bald das Ende der Hutfabrik: 1939 wurde die Firma liquidiert. (In die Kommandantenstraße 20 zog die Zigarettenfabrik Muratti.) Salo Wieruszowski ist im Berliner Adressbuch 1940 noch ein letztes Mal als Prokurist in der Helmstedter Straße 24 notiert.
Sein älterer Sohn Rudi Simon konnte ins Ausland emigrieren, nannte sich Rudy S. Weir und lebte schließlich in den USA, der jüngere Sohn Ernst blieb bei den Eltern. Salo Wieruszowskis Bruder Viktor, der mit Ehefrau und zwei Kindern noch immer in Breslau lebte, wurde 1938 nach der Reichspogromnacht für kurze Zeit im KZ Buchenwald inhaftiert. 1939 floh er aus Deutschland. Er konnte sich und seine Familie retten und nahm ebenfalls den Namen Weir an.
Salo Wieruszowski wurde am 27. Mai 1942 verhaftet und in das KZ Sachsenhausen geschafft. An diesem Tag wurden in Berlin 404 jüdische Männer aus Rache für einen Brandanschlag auf die antisowjetische und rassistische Ausstellung „Das Sowjetparadies“ durch zwei kommunistische Widerstandsgruppen verhaftet – dass unter den Widerstandskämpfern auch Juden waren, hatte die Nationalsozialisten ganz besonders empört. Am 28. und 29. Mai 1942 erschoss man 154 dieser Geiseln und 96 bereits im Lager inhaftierte Juden. Die anderen Geiseln überlebten zwar den Massenmord dieser beiden Tage, starben aber in der folgenden Zeit:
Salo Wieruszowski wurde im Oktober 1942 aus Sachsenhausen nach Auschwitz transportiert. (Bis zum 22.10.1942 sollten die letzten jüdischen Häftlinge das KZ Sachsenhausen verlassen haben.)
Am 27. Oktober 1942 wurde Salo Wieruszowski in Auschwitz ermordet.

Die Familie wohnte zuletzt in der Knesebeckstraße 70/71. Das Haus war ein sogenanntes Judenhaus, das heißt (nach vorläufigem Verständnis): Es war in jüdischem Besitz gewesen und nach der Enteignung der Besitzer zwangsweise mit jüdischen Mietern belegt worden. Ehefrau Tina Wieruszowski und Sohn Ernst wurden am 3. März 1943 im Rahmen der „Fabrikaktion“ aus der Knesebeckstraße nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Der Bruder Moritz Wieruszowski wurde am 2. April 1943 aus Breslau nach Theresienstadt und von dort am 26. September 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo auch er getötet wurde.
Die drei Schwestern von Salo Wieruszowski hatten geheiratet: Bertha und Minna die beiden Brüder Bruno (1878–1958) und Georg Ehmann (1879–1942), Martha den Kaufmann Siegfried Translateur (1885-1944?). Bertha war bereits 1935 in Berlin gestorben, Minna kam 1943 nach der Deportation und Ermordung ihres Sohnes (1909–1941) und dem Tod des Ehemannes in Theresienstadt um. Allein Martha konnte sich und ihre vier Kinder retten, sie starb 1959 in Kolumbien.

Quellen:
Adressbücher Breslau
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/
Vorrecherchen aus dem Nachlass von Wolfgang Knoll

Zur Familie Wieruszowski: Interview mit Rudi S. Weir, siehe USC Shoah Foundation, Los Angeles, California; Visuel History Archive: The Holocaust

Stolperstein für Tina Wieruszowski

Stolperstein für Tina Wieruszowski

HIER WOHNTE
TINA
WIERUSZOWSKI
GEB. KUTNER
JG. 1885
DEPORTIERT 3.3.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET

Tina Wieruszowski, geb. Kutner stammte aus einer sehr großen Familie: Am 19. Februar 1885 kam sie als eins von mehr als 12 (nach einer Datenbank sogar mehr als 20) Kindern des Kaufmanns Leopold Kutner (1851–1928) und seiner Ehefrau Fanni, geb. Zwirner (1854–1930) auf die Welt. Ihr Geburtsort Groß-Lassowitz im Kreis Rosenberg (heute: Lasowice Wielkie/Polen) war ein Dorf nordöstlich von Oppeln in Oberschlesien. Ihr Vater war Mehlhändler, ihre Mutter stammte aus dem Kreis Kempen/Posen – wie auch die spätere Schwiegermutter von Tina Kutner. Eine Reihe ihrer jüngeren Geschwister wurde in Stubendorf, ebenfalls in der Nähe von Oppeln, geboren: Pauline Martha 1886, Max Marcus 1888, Hermann 1890, Salo 1891, Helene 1893 und Selma 1894. (Die Schwester Helene starb bereits nach knapp zwei Monaten.)
Im neuen Jahrhundert zog die Familie nach Oppeln. Die Stadt an der Oder war ein Verwaltungszentrum, im Unterschied zu den großen Industriestädten Oberschlesiens mit ihren Hütten, Gruben und Fabriken fast (!) idyllisch. Die jüdische Gemeinde besaß seit 1840 eine erste Synagoge. 1897 wurde von Leo Baeck, für kurze Zeit Rabbiner in Oppeln, eine neue Synagoge für die inzwischen groß und einflussreich gewordene Gemeinde eingeweiht.
Die Familie Kutner wohnte in der Falkenberg(er)straße, heute ul. Niemodlinska. 1908 starb dort Tinas Schwester Pauline Martha, von Beruf Kassiererin. .
Am 3. November 1913 heiratete Tina Kutner, die „ohne Beruf“ war, ihren Vetter Salo Wieruszowski. Dieser war am 15. Dezember 1886 in Kempen in der Provinz Posen als Sohn des Fleischers Simon Wieruszowski (1852–1894) und dessen Ehefrau Friederike, geb. Zwirner (1862–1934) auf die Welt gekommen. Zum Zeitpunkt seiner Hochzeit lebte Salo Wieruszowski bereits in Greiffenberg, einer kleinen Stadt in Niederschlesien. Für die Hochzeit reiste er nach Oppeln, in die Heimatstadt seiner Braut – so war es in den jüdischen Familien üblich.
Das junge Ehepaar lebte die nächsten Jahre in der Kleinstadt Greiffenberg. Tina Wieruszowski bekam dort am 4. Juni 1919 ihr erstes Kind, den Sohn Rudi Simon. Ihr zweites Kind, der Sohn Ernst, kam am 19. Dezember 1923 in Breslau, der Hauptstadt der Provinz Schlesien, auf die Welt. Ihr Ehemann war anfangs Mitinhaber und dann Alleininhaber einer Großhandlung für Kurz-, Weiss- und Wollwaren, die später auch Kopfbedeckungen herstellte. Die Familie wohnte viele Jahre in der ersten Etage eines prächtigen (noch immer existierenden) Mietshauses in der Sternstraße 114. – Ihr 1874 geborener Bruder Riben/Reinhold Kutner, der Neurologe und Psychiater geworden war, lebte ebenfalls in Breslau, die Schwager Moritz und Victor (Viktor) Wieruszowski besaßen dort einen Sanitärgroßhandel. – 1928 starb Tinas Vater Leopold und 1920 ihre Mutter Fanni Kutner in Oppeln.
Ehemann Salo Wieruszowski ging zu Beginn der 1930er-Jahre ohne seine Familie nach Berlin. Er hatte die Hutfabrik „Grotehenn & Co GmbH, Hutfabrikation und Großhandel für Kopfbedeckungen“ erworben – eine große und bekannte Firma mit über 100 Beschäftigten, die auch ins Ausland exportierte.
1933/34 folgten ihm seine Ehefrau Tina und die Kinder nach Berlin, und die Familie zog gleich in die Wohnung in der Helmstedter Straße 24.
Die NS-Diktatur bedeutete das Ende der Hutfabrik: 1939 wurde die Firma liquidiert. Ehemann Salo Wieruszowski ist im Berliner Adressbuch 1940 noch ein letztes Mal als Prokurist in der Helmstedter Straße 24 notiert. Der Sohn Rudi Simon konnte ins Ausland emigrieren, nannte sich Rudy S. Weir und lebte schließlich in den USA, der jüngere Sohn Ernst blieb bei den Eltern. 1939 floh Tinas Schwager Viktor Wieruszowski, der mit seiner Familie noch immer in Breslau lebte, aus Deutschland. Er konnte auch seine Familie retten.
Tina Wieruszowskis Ehemann Salo wurde am 27. Mai 1942 verhaftet und in das KZ Sachsenhausen geschafft. An diesem Tag wurden in Berlin 404 jüdische Männer aus Rache für einen Brandanschlag auf die antisowjetische und rassistische Ausstellung „Das Sowjetparadies“ durch zwei kommunistische Widerstandsgruppen verhaftet – dass unter den Widerstandskämpfern auch Juden waren, hatte die Nationalsozialisten ganz besonders empört. Am 28. und 29. Mai 1942 erschoss man 154 dieser Geiseln und 96 bereits im Lager inhaftierte Juden. Die anderen Geiseln überlebten zwar den Massenmord dieser beiden Tage, starben aber in der folgenden Zeit: Salo Wieruszowski wurde im Oktober 1942 aus Sachsenhausen nach Auschwitz transportiert. In dem Vernichtungslager wurde Salo Wieruszowski am 27. Oktober 1942 ermordet.
Die Familie wohnte zuallerletzt in einem sogenannten Judenhaus in der Knesebeckstraße 70/71.
Tina Wieruszowski und ihr Sohn Ernst wurden am 3. März 1943 im Rahmen der „Fabrikaktion“ aus der Knesebeckstraße nach Auschwitz deportiert und dort ebenfalls ermordet.

Von ihren bekannten Geschwistern konnte der Bruder Reinhold Kutner in die USA entkommen. Ermordet wurden: Hermann Kutner 1942 in Auschwitz, Benno 1943 in Auschwitz, Selma 1944 in Auschwitz, Berta 1942 in Treblinka, Max 1943 in Riga. Sie starben mit ihren Ehemännern, Ehefrauen, Kindern. Schwager Moritz Wieruszowski wurde am 2. April 1943 aus Breslau nach Theresienstadt und von dort Ende September 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo auch er getötet wurde. Schwägerin Minna kam in Theresienstadt um. Allein die Schwägerin Martha konnte sich und ihre vier Kinder ins Ausland retten.

Quellen:
Adressbücher Oppeln
Adressbücher Breslau
Arolsen Archives
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
LABO Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, WGA
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
https://www.mappingthelives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.juedische-gemeinden.de
https://www.statistik-des-holocaust.de/
Vorrecherchen aus dem Nachlass von Wolfgang Knoll

Zur Familie Wieruszowski: Interview mit Rudi S. Weir, siehe USC Shoah Foundation, Los Angeles, California; Visuel History Archive: The Holocaust

Stolperstein für Ernst Wieruszowski

Stolperstein für Ernst Wieruszowski

HIER WOHNTE
ERNST
WIERUSZOWSKI
JG. 1923
DEPORTIERT 3.3.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 22.6.1943