Stolpersteine Augsburger Straße 27 (früher Nr. 45)

Hausansicht Augsburger Str. 27

Die Stolpersteine für Heinrich B. und Alice Kristeller wurden am 19.10.2009 verlegt.

Stolperstein für Heinrich B. Kristeller

Stolperstein für Heinrich B. Kristeller

HIER WOHNTE
HEINRICH B.
KRISTELLER
JG. 1871
DEPORTIERT 14.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 3.12.1942

Todesfallanzeige Theresienstadt Heinrich Benjamin Kristeller

Heinrich Benjamin Kristeller wurde am 30. April 1871 in Berlin geboren. Er war als Kaufmann in das Adressbuch eingetragen, zuvor als Fabrikant. Es ist zu vermuten, dass er die im Handelsregister stehende Lederhandlung an der Waldstrasse 4 im Stadtbezirk Tiergarten besaß, die 1909 gegründet und 1938 liquidiert wurde.

Er heiratete am 12. August 1911 die Witwe Alice Gräfenberg, geb. Magnus, und nahm deren Sohn Paul Oskar wie ein eigenes Kind an. Er förderte die Ausbildung des begabten Jungen nach Kräften und erkannte ihn auch offiziell an, sodass er ab seinem 15. Lebensjahr den Familiennamen Kristeller trug.

Die gemeinsame Tochter von Heinrich und Alice Kristeller, Marie Anne Kristeller, erblickte am 24. August 1913 das Licht der Welt. Später heiratete sie Heinrich Harke (1902-1945), mit dem sie in die Vereinigten Staaten von Amerika auswanderte, wo sie am 9. Dezember 1995 in Ohio verstarb.

Als „letzten Wohnort“ der Kristellers registrierte die Meldebehörde die Rankestraße 23, wohin das Ehepaar vermutlich kurz vor der Deportation zwangsweise umgesiedelt worden war. Vorher hatten sie lange Zeit in der Augsburger Straße 45 gewohnt, jedenfalls waren sie schon 1931 dort gemeldet.

Zusammen mit seiner Frau Alice wurde Heinrich Benjamin Kristeller am 14. September 1942 mit dem sogenannten „ 2. Großen Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Er überlebte die unsäglichen hygienischen Zustände dort, Kälte, Hunger, Mangel an medizinischer Versorgung etc. nicht einmal drei Monate. Auf der Todesfallanzeige vom 3. Dezember 1942 wird „Anaemia Perniciosa – Blutzersetzung“ als Todesursache angegeben. Es ist aber bekannt, dass die Angaben zur Todesursache häufig die wahren Gründe wie Mangelernährung, Darmparasiten etc. verschleierten.

Text: Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf mit wesentlichen Ergänzungen von Samuel Eleazar-Wendt

Quellen:
Gedenkbuch des Bundesarchivs
Berliner Adressbücher

Stolperstein für Alice Kristeller

Stolperstein für Alice Kristeller

HIER WOHNTE
ALICE
KRISTELLER
GEB. MAGNUS
JG. 1882
DEPORTIERT 14.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 19.3.1943

Alice Kristeller geb. Magnus, wurde am 5. Oktober 1882 als fünftes der sechs Kinder des Bankiers Julius Magnus (1844-1913) und seiner Ehefrau Margarethe geb. Mossner (1843-1913), in Berlin geboren. Alices Vater zog in den 1860er Jahren von Hannover nach Berlin und eröffnete hier ein eigenes Bankgeschäft, das bis zu seinem Tode bestand.

Am 4. Juni 1904 heiratete die 21-jährige Alice den Fabrikanten Oskar Gräfenberg (1872), der am 21. Mai 1905 im Alter von erst 33 Jahren an Herzversagen verstarb. Am darauffolgenden Tag gebar sie den gemeinsamen Sohn, Paul Oskar Gräfenberg, der seine frühe Kindheit im Haus der Großeltern Magnus in der Kurfürstenstraße 53 verbrachte.

In zweiter Ehe heiratete Alice Gräfenberg am 12. August 1911 den Fabrikanten Heinrich Benjamin Kristeller, der Paul Oskars Sprachtalent erkannte und bereitwillig dessen humanistische Ausbildung förderte. In den Jahren 1914 bis 1923 besuchte Paul Oskar das Mommsen-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg. Noch vor dem Abitur im Jahre 1919 nahm er offiziell den Familiennamen Kristeller an. Ein entsprechender Vermerk auf der Geburtsurkunde datiert vom 27. Mai 1919. In Heidelberg, Berlin, Freiburg und Marburg studierte er Philosophie, Mathematik und Geschichte. Nach Abschluss seiner Promotion in Heidelberg legte er 1931 das preußische Staatsexamen in Altgriechisch, Latein und Philosophie in Berlin ab. Seine Habilitation bei Martin Heidegger wurde durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten unmöglich gemacht. 1934 emigrierte er zunächst nach Italien und 1939 in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er an der Yale University und an der Columbia University in New York unterrichtete. Der Philosophiehistoriker und Renaissanceforscher Paul Oskar Kristeller verstarb am 7. Juni 1999 in New York.

Aus der Ehe von Alice und Heinrich Kristeller ging auch ein gemeinsames Kind hervor, die Tochter Marie Anne Kristeller, die am 24. August 1913 das Licht der Welt erblickte. Diese heiratete Heinrich Harke (1902-1945), mit dem sie in die Vereinigten Staaten von Amerika auswanderte, wo sie am 9. Dezember 1995 in Ohio verstarb.

Alice Kristeller wurde gemeinsam mit ihrem Ehemann am 14. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Mit diesem sogenannten „2. großen Alterstransport“ wurden 1001 jüdische Berlinerinnen und Berliner nach Theresienstadt verschleppt. Alice überlebte ihren Mann, der am 3. Dezember 1942 verstarb, nur ein viertel Jahr. Sie kam am 19. März 1943 im Ghetto Theresienstadt um.

Auch ihre Schwester, die mit dem Arzt Isidor Loewenthal (1867-1909) verheiratete Eva Loewenthal geb. Magnus (1879-1942), die in der Meerscheidtstraße 4 in Berlin-Charlottenburg lebte, fiel dem nationalsozialistischen Gewaltregime zum Opfer. Sie wurde am 19. Januar 1942 mit dem sogenannten „9. Osttransport“ mit weiteren 1001 Menschen von Gleis 17 des Güterbahnhofs Grunewald nach Riga deportiert und vermutlich unmittelbar nach der Ankunft am 23. Januar 1942 ermordet. Ihre Tochter Ruth Paula Loewenthal, geb. 3. August 1905, wurde 1943 in Auschwitz ermordet.

Alice Kristellers Neffe, der in Hamburg niedergelassene Arzt Dr. Julius Rosenberg, wurde auch in Auschwitz ermordet. Für ihn, seine Frau und Tochter liegen Stolpersteine in Hamburg, Von-Heß-Weg 10. https://www.stolpersteine-hamburg.de

Text: Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf mit wesentlichen Ergänzungen von Samuel Eleazar-Wendt

Quellen:
Gedenkbuch des Bundesarchivs,
Berliner Adressbücher, Landeszentralbibliothek,
Memoiren von Paul Oskar Gräfenberg/Kristeller in: The European Legacy, Volume 1 1966-Issue 6
Eugen and Frida Rosenberg Family Collection, 1867-1965, Leo Baeck Institute