Stolpersteine Olivaer Platz 5 (früher Pariser Str. 30/31)

Hausansicht Olivaer Platz 5 Ecke Bayerische Straße

Der Stolperstein zum Gedenken an Alfred Schmidt-Sas wurde von seinem ehemaligen Schüler Gerd C. Wagner (USA) gespendet und am 29.03.2008 verlegt.

Der Stolperstein für Robert Gumpert wurde am 24.09.2010 verlegt.

Stolperstein für Alfred Schmidt - Sas

Stolperstein für Alfred Schmidt - Sas

HIER WOHNTE
ALFRED
SCHMIDT-SAS
JG. 1895
IM WIDERSTAND
TODESURTEIL 9.10.1942
HINGERICHTET 5.4.1943
GEFÄNGNIS PLÖTZENSEE

Alfred Schmidt-Sas wurde am 23. März 1895 als Ernst Alfred Schmidt in Schlegel (Oberlausitz), geboren. Sein Vater Reinhardt Schmidt war Bäckermeister, seine Mutter Bertha war eine geborenen Offermann. Den Beinamen „Sas“ bekam er später von Kollegen und Freunden, er ist die Abkürzung von „Schmidt aus Schlegel“. Alfred hatte zwei Geschwister, Martha, 1900 auf die Welt gekommen, und der vier Jahre später geborene Gerhard. Bei dessen Geburt starb seine Mutter. Ein Jahr später heiratete der Vater Pauline Nichterwitz, sie brachte ihren Sohn Ewald mit in die Ehe ein, der somit Alfreds Stiefbruder wurde.

Der Vater – unüblich für einen Bäckermeister – war ein leidenschaftlicher Klavierspieler und Alfred begeisterte sich früh für dieses Instrument. Gern hätte er Musik studiert, aber die Eltern sahen den Lehrerberuf für ihn vor. Ab 1910 besuchte Alfred das Lehrerseminar in Löbau, unterbrach jedoch die Ausbildung, als er sich 1914, von den Lehrern angefeuert, als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldete. Er diente an verschiedenen Fronten, wurde mehrmals verwundet und auch ausgezeichnet und wurde noch Ende 1917 zum Fliegerbeobachter ausgebildet. Kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs wurde sein Doppeldecker über Frankreich abgeschossen und er bei französischen Bauern einquartiert und gesundgepflegt. Dass er im Geschwader Richthofen gedient habe, gehört wohl ins Reich der Legende. Im Dezember 1918 kehrte er, wie so mancher, als Kriegsgegner nach Schlegel zurück.

Im Juli 1919 holte Alfred seine Lehramtsprüfung nach und machte seine ersten Berufserfahrungen an einer Dorfschule. Ob seines reformpädagogischen Ansatzes sorgte der Dorfpfarrer dafür, dass er zum Jahresende gekündigt wurde. Daraufhin besuchte er zunächst das Konservatorium in Leipzig, nahm aber im August 1920 wieder eine Stelle als Volksschullehrer in Leipzig an und fand bei den Schulräten der damals linken Koalition Unterstützung für seine fortschrittliche Pädagogik.

In Leipzig begann Schmidt-Sas sich politisch zu interessieren, schloss sich nacheinander verschiedenen linken Gruppierungen an, am längsten schließlich der anarchosyndikalistischen Allgemeinen Arbeiterunion. Ihrem Einfluss ist wahrscheinlich zu danken, dass er den Amtseid verweigerte, als er eine Beamtenstelle hätte bekommen können, und 1922 wurde er schließlich entlassen. Da er nun Erfahrungen im Arbeitermilieu sammeln wollte, arbeitete er kurze Zeit in Leipziger Fabriken und auf der Werft in Hamburg. Nach vier Monaten kehrte er allerdings gesundheitlich angeschlagen und um einige Illusionen ärmer nach Schlegel zurück. 1923 ging er wieder in den Schuldienst, nachdem er nun den Beamteneid nachholte, wurde jedoch über mehrere Jahre nur als „nichtständiger“ Lehrer beschäftigt. Nach wie vor Anhänger der Reformpädagogik, war er bei den Schülern beliebt, eckte aber häufig bei Kollegen und Eltern an und musste mehrmals die Schule wechseln. Im Oktober 1928 bekam er eine feste Stelle an der 55. Volksschule in Leipzig, an der auch einige reformpädagogische „Versuchsklassen“ eingerichtet worden waren. Sowohl in seinem Unterricht wie aber auch in seiner Freizeit spielte Musik weiterhin eine zentrale Rolle.

Politisch sympathisierte Sas, so nannten ihn nun alle, mit dem Sozialismus, war aber, wie viele linke Intellektuelle, „gegen die Parteienwirtschaft“, weswegen er auf Distanz u.a. zur KPD stand. Parteidisziplin und Zentralismus passten auch schlecht zu seinem Lebensstil, der vielfach als „bohemehaft“ beschrieben wird. Unter dem Eindruck des Erstarkens der Rechten, namentlich der NSDAP, näherte er sich dann doch allmählich den KPD-Positionen und trat im Oktober 1930 in die kommunistische Partei ein. Für sie war er hauptsächlich als Schulungsleiter und beim Agitprop-Theater tätig. Zwei Jahre später geriet er aber über die Frage der „Vaterlandsverteidigung“ in offenen Konflikt und wurde im Herbst 1932 ausgeschlossen. Die Schulungsarbeit führte er jedoch weiter.

Im März 1933, kurz nach Hitlers Machtübernahme, wurde er wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus dem Schuldienst entlassen und von März bis Mai in „Schutzhaft“ genommen, auch aufgrund einer Resolution gegen die Nazis, die er im Lehrerverein eingebracht hatte. Fortan arbeitete er als freiberuflicher Musiklehrer.

Ende 1931 ließ sich Schmidt-Sas von der Lehrerin und Psychologin Marianne Haubold scheiden, die er 1924 geheiratet hatte. 1933 lernte er die Schauspielerin Marga Dietrich kennen, die mit ein Grund für seinen Entschluss werden sollte, im Herbst 1934 nach Berlin umzuziehen. Sie hatte eine Schauspielschule in der Droysenstraße 9 gegründet. Alfred wohnte in der Pariser Straße 30/31, am Olivaer Platz, und baute sich auch in Berlin eine Existenz als Musikerzieher auf.

In Berlin enthielt sich Alfred zunächst aktiver politischer Betätigung und war mehr darauf bedacht, seinen Beruf als Musikerzieher trotz der Naziherrschaft ausüben zu können. Bald hatte er zahlreiche Kontakte zu antifaschistischen Künstlern und Intellektuellen, deren Kinder er unterrichtete. Unter anderem besuchte er die Abendgesellschaften bei Elisabeth Pungs, deren Sohn Rainer bei ihm Klavierspiel lernte. Elisabeth Pungs, eine wohlhabende Ingenieursgattin, hatte sich vor 1933 in der „Roten Hilfe“ engagiert und stand der KPD nah. Bei den Gesellschaften in ihrer Wohnung in der Wiesbadener Straße wurde nicht nur über Kunst und Kultur debattiert, sondern auch politisch diskutiert. Dort verkehrte ebenfalls der sehr junge Hanno Günther, der Kontakt zur (inzwischen ja illegalen) KPD suchte, und der Alfred zum Verhängnis werden sollte – obwohl nicht erwiesen ist, dass er ihm je persönlich begegnete.

Frau Pungs hatte Sas wiederholt, erstmalig 1939, gefragt, ob er nicht einen Kontakt für Hanno zur Partei herstellen könne. Sas reagierte abweisend, fand sich zwei Jahre später aber doch bereit, ein Treffen mit einem KPD-Funktionär, den er gut aus Leipzig kannte, zu vermitteln. Nach Kriegsbeginn hatten Pungs und Günther eine Serie antifaschistischer Klebezettel und Flugblätter verbreitet. Um die Vervielfältigung zu erleichtern, fragte Elisabeth Pungs Sas, ob er ihr ein Abzugsgerät über seine Künstlerfreunde besorgen könne, den Zweck nannte sie nicht und Sas fragte auch nicht danach, sondern besorgte das Gerät. Es kam aber gar nicht zum Einsatz, denn nach einer Verhaftung im Bekanntenkreis unterbrach Frau Pungs die Aktion und brachte das Gerät Sas zurück. Erst nach einer Pause wurden weitere Flugblätter verfasst und auf einem anderen Gerät vervielfältigt, das nicht Sas, sondern Hanno Günther anderweitig organisiert hatte. Inzwischen hatte sich um Günther eine Gruppe von gleich jungen Menschen gebildet, von denen die meisten sich von der Rütli-Schule in Neukölln kannten, die sie vor 1933 besucht hatten, als dort noch fortschrittliche Reformkonzepte verfolgt wurden. Diese Gruppe wurde seit Anfang 1941 beraten und angeleitet von jenem KPDler, dessen Kontakt Sas vermittelt hatte. Sas selber hatte gar keinen Bezug zu der Gruppe. Es war die Gestapo, die später in ihm einen kommunistischen Anleiter und Drahtzieher der „Rütligruppe“, wie sie sie nannte, sehen wollte, um ihre Theorie zu stützen, die jungen Leute seien eine kommunistische Parteizelle gewesen.

Frau Pungs indes beanspruchte Sas noch einmal: als Hanno Günther einberufen wurde, galt es, das Abzugsgerät irgendwo sicher zu deponieren, und sie bat Sas, es aufzubewahren. Dieser stellte es in verhängnisvoller Unbekümmertheit neben das andere auf seinen Hängeboden…

Der tatsächliche Anleiter – ohne dass aus der Gruppe eine förmliche Parteizelle geworden wäre – wurde im Juni 1941 verhaftet. Den wochenlangen Verhören und Folter der Kriminalpolizei hielt er letztlich nicht stand und gab unter anderem auch die Namen der Rütligruppe preis.

Sechs junge Leute sowie Elisabeth Pungs und Alfred Schmidt-Sas wurden verhaftet. Sas war gerade zum Geburtstag seines Bruders in Schlegel, als er am 10. August 1941 dort festgenommen und in das Gefängnis in Bautzen gebracht wurde. Nach wenigen Tagen verlegte man ihn in das Berliner Polizeigefängnis am Alexanderplatz, wo auch die anderen Verhafteten vernommen wurden. In fünf Verhören versuchte die Gestapo von Sas das Geständnis zu bekommen, er habe eine kommunistische Jugendgruppe geleitet. Er bestritt das hartnäckig, gab lediglich die Beschaffung eines Abzuggerätes zu, zumal inzwischen beide Geräte bei einer Durchsuchung seiner Wohnung gefunden worden waren. Die Gestapo blieb aber bei ihrer Version und meinte, nun genug Indizien gegen ihn zu haben. Die Ermittlungen wurden noch im September abgeschlossen, die Gefangenen in Untersuchungshaft nach Moabit verlegt – außer Sas, der in das KZ Sachsenhausen kam, weil er ja vorbestraft sei. Im März 1942 wurde er überraschend freigelassen, vielleicht auf Fürsprache einflussreicher Freunde, am 25. Juni jedoch wieder verhaftet und diesmal in das Strafgefängnis Plötzensee gebracht.

Am 9. Oktober 1942 fand der Prozess gegen fünf der jungen Menschen und Sas vor dem Volksgerichtshof statt. Ein weiterer Jugendlicher war verhandlungsunfähig wie auch Elisabeth Pungs, die an einer offenen Tbc litt. Sie wurde dennoch als Zeugin geladen und zu der Aussage gedrängt, Sas hätte nicht ignorieren können, dass das Abzugsgerät zur illegalen politischen Arbeit dienen sollte. Der Prozess dauerte nur einen Tag und endete mit dem bereits vorbereiteten Urteilen: Todesstrafe wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit landesverräterischer Feindbegünstigung“. Sas wurde vorgeworfen, den Abzugsapparat beschafft, den Kontakt mit dem KPD-Funktionär hergestellt und für letzteren kommunistische Bücher aus Leipzig abgeholt zu haben, alles „zum Zwecke hochverräterischer Betätigung“. Dass er selber die Gruppe angeleitet habe, wurde in der Urteilsbegründung nicht mehr behauptet, aber alle „Angeklagten haben eine politische Betätigung entfaltet, deren kommunistische Zielrichtung von Anfang an feststand“. Verschärfend für Sas wurde gewertet, dass er bei seiner Entlassung aus der „Schutzhaft“ 1933 sich verpflichtet habe, nicht mehr gegen den Staat zu agieren. Lediglich eine junge Frau wurde „nur“ der Beihilfe beschuldigt und zu „nur“ 7 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die Gnadengesuche aller Angeklagten – Schmidt-Sas hatte drei geschrieben – wurden abgelehnt. Auch ein Gesuch, seine Verlobte Marga Dietrich noch zu heiraten, wurde abschlägig beschieden. Nach wenigen Wochen, Anfang Dezember, wurden die Mitverurteilten hingerichtet, Sas saß noch mehrere Monate in Plötzensee. Statt sich aber von dem Warten in Ungewissheit zermürben zu lassen, nutzte er die Zeit, um viel zu lesen und zu schreiben – Briefe, Notizen und, was ihm besonders wichtig wurde, Gedichte. Das half ihm, wie er in Abschiedsbriefen an seine Mutter und seine Lebensgefährtin schrieb, die Angst vor dem Tod vollständig abzustreifen. Am 5. April 1943 wurde er schließlich in Plötzensee durch das Fallbeil ermordet.

Alfred Schmidt-Sas

Alfred Schmidt-Sas

Alfred Schmid-Sas war unbestritten ein Opfer der menschenverachtenden Nazi-Justiz. Aus seiner antifaschistischen und pazifistischen Haltung machte er keinen Hehl. Ein linientreuer Kommunist war er jedoch nicht. Obschon er Freundschaften mit und Kontakte zu Kommunisten hatte, stand er der KPD kritisch gegenüber. Erst 1940 war er wieder bereit, sich sporadisch in Widerstandshandlungen einbinden zu lassen, mit der „Rütligruppe“ hatte er jedoch direkt nichts zu tun. Zur Legendenbildung hat hier paradoxerweise nicht nur die Sicht der Gestapo, sondern auch die DDR-Geschichtsschreibung beigetragen, die wiederholt Schmidt-Sas als den Kopf dieser Gruppe, die eine KPD-Jugendgruppe gewesen sei, dargestellt hat, sie mitunter auch als Sas-Gruppe bezeichnet. Eine Sichtweise, die eine führende Rolle der KPD im Widerstand untermauern sollte. Marga Schmidt-Dietrich, deren Ehe mit Sas posthum 1952 anerkannt wurde, verwahrte sich gegen diese Darstellung. Und ihr war wichtig, dass nicht nur der Antifaschist Schmidt-Sas, sondern auch der Musiker und (späte) Dichter in Erinnerung bleibe.

Text: Dr. Micaela Haas.
Quellen: Gedenkbuch. Bundesarchiv Koblenz, 2006; Akten des Landesentschädigungsamtes Berlin; Gedenkbuch Berlin der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus 1995; Volker Hoffmann, Der Dienstälteste von Plötzensee. Das zerrissene Leben des Musikerziehers Alfred Schmidt-Sas (1895-1943), Berlin, 1998

Stolperstein für Robert Gumpert

Stolperstein für Robert Gumpert

HIER WOHNTE
ROBERT GUMPERT
JG. 1860
DEPORTIERT 12.8.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 2.11.1942

Robert Gumpert wurde am 31. Oktober 1860 in Erkner geboren.