Stolpersteine Roscherstraße 7

Hauseingang Roscherstr. 7.

Hauseingang Roscherstr. 7.

Vor dem Haus Roscherstraße 7 wurden am 17.07.2007 die Stolpersteine für Arthur und Charlotte Baruch verlegt. Der Stolperstein für Alice Chotzen wurde verlegt am 24. Februar 2020 im Beisein ihrer in Israel lebenden Nachfahren.

Stolperstein für Arthur Baruch, 23.03.11

Stolperstein für Arthur Baruch, 23.03.11

HIER WOHNTE
ARTHUR BARUCH
JG. 1883
DEPORTIERT 26.10.1942
RIGA
ERMORDET 29.10.1942

Arthur Baruch, geboren am 14.5.1883, kam 1938 mit seiner Frau Charlotte Baruch geb. Rosenthal, geboren am 8.2.1894, aus der gemeinsamen Geburtsstadt Köslin in Pommern nach Berlin. Mit ihnen kam die am 11.1.1923 geborene Tochter Eva, die eine Ausbildung zur Säuglingsschwester im Jüdischen Krankenhaus machte, wo sie auch wohnte. Der Sohn Lothar hatte Köslin schon im Winter 1936/37 verlassen, als die Drangsalierung in der Mittelschule zu schlimm wurde. Er lebte im jüdischen Waisenhaus in Pankow.
Vielleicht glaubten die Baruchs, in der Großstadt Berlin sicherer vor der Verfolgung der Nazis zu sein. Die Hoffnung trog: Am 26.10.1942 wurden Arthur, Charlotte und Eva Baruch vom Güterbahnhof Berlin-Moabit nach Riga deportiert und dort unmittelbar nach Ankunft am 29.10.1942 in den Wäldern bei Riga ermordet.

Der Stolperstein für Eva Baruch wurde in der Waldschulallee 7 verlegt, wo sie 1939 wohnte. Lothar Baruch konnte den Nazis im Alter von 13 Jahren mit dem ersten Kindertransport am 1.12.1938 nach England entkommen.
Er hat die Stolpersteine gespendet.

Stolperstein für Charlotte Baruch, 23.03.11

Stolperstein für Charlotte Baruch, 23.03.11

HIER WOHNTE
CHARLOTTE BARUCH
GEB. ROSENTHAL
JG. 1894
DEPORTIERT 26.10.1942
RIGA
ERMORDET 29.10.1942

Stolperstein Alice Chotzen

HIER WOHNTE
ALICE CHOTZEN
GEB. PROSKAUER
JG. 1885
DEPORTIERT 2.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Am 9.Dezember 1885 kam Alice Chotzen geborene Proskauer im schlesischen Ratibor zur Welt. Es gibt keine Informationen über ihre Familie, ihr Heranwachsen, welche Schulen sie besuchte und was sie nach der Schule machte. Sie kam aus einer jüdischen Familie und heiratete Hugo Chotzen aus Cottbus. Das junge Ehepaar lebte dort. Aus dieser Zeit stammt wohl das einzige erhaltene Foto von dem jungen, gut situierten Paar. Alice war 20 Jahre alt, als 1906 ihr erstes Kind dort geboren wurde. Es war Ruth, und 1908 folgte ihre Tochter Ilse. 1910 wurde dann ihr Sohn Werner geboren. Die größer werdende Familie lebte in Cottbus. Hugo Chotzen betrieb dort die Firma „Otto Rechnitz“. 1914 wurde er Soldat und war in einer medizinischen Einheit tätig. Er war in Russland eingesetzt, wurde verwundet und starb am 9. Oktober 1914 in Szukle/Russland. Alice war 29 Jahre alt und hatte drei kleine Kinder im Alter von fünf, sieben und neun Jahren, als sie Witwe wurde.
Wie hat sie sich und die Kinder ernährt? Aus der Familienerzählung ist bekannt, dass sie einen Tabakladen, einen Kiosk, betrieb. Sie bekam eine Witwenrente, weil ihr Mann an der Front gefallen war. Sie blieb zunächst in Cottbus, arbeitete und zog ihre Kinder groß. 
Um 1930 ging sie von Cottbus nach Berlin. Werner war 20 Jahre alt um diese Zeit. Laut Berliner Adressbuch von 1931 lebte sie in der Bernhardstraße 8 in Berlin-Wilmersdorf. Sie wurde als Witwe dort geführt und hatte ein Telefon. 1934 zog sie in die Roscherstraße 7. Sie bewohnte eine 2-Zimmer-Wohnung im 2. Stock des Vorderhauses. Ihre Töchter heirateten. Alle drei Kinder konnten emigrieren: Ruth und Werner wanderten nach Palästina aus und Ilse nach Montevideo. Alice Chotzen aber blieb in der Roscherstraße. 7 zurück.

Alice und Hugo Chotzen.

Alice und Hugo Chotzen.

Einige Details aus ihrer Vermögensverwertungsakte des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg in Potsdam sind bekannt: Sie erhielt 101 Reichsmark Kriegerwitwenrente und sie musste Zwangsarbeit verrichten. 1941 war sie 56 Jahre alt. Sie wurde zur Firma „Nordland-Schneeketten“ in der Kürfürstenstraße 14 im Bezirk Tiergarten vermittelt. Die Entfernung zwischen ihrer Wohnung und der Firma betrug 5,6 Kilometer und wahrscheinlich musste sie die Wege zu Fuß zurücklegen. Vielleicht hatte sie Kontakt zu ihren ausgewanderten Kindern durch die berühmten Briefe des Roten Kreuzes, auf denen 25 Wörter erlaubt waren. Es ist aber nicht überliefert. Ebenso wenig ist gewiss, wie die Qualität des Kontaktes zwischen ihr und der Familie einer ihrer Schwäger, der Familie Josef Chotzen in der Johannisberger Straße 3 war. Ihr Neffe Joseph Chotzen, genannt Eppi, hat darüber nichts hinterlassen. Fest steht aber, dass sie sich kannten und in Kontakt waren.
Aus ihrer Vermögensverwertungsakte ist ein letztes interessantes Detail über sie zu erfahren: Sie wurde nicht während der „Fabrik-Aktion“ am 27. Februar 1943 festgenommen, sondern schon früher. Ihre Unterschrift stand unter den 16 Seiten, auf denen sie all ihr Vermögen auflisten musste, datiert vom 22. Januar 1943. Sie musste also mehr als 5 Wochen im Sammellager Große Hamburger Straße zubringen. Den Grund dafür ist ebenfalls ungewiss. Nur, dass sie ihre Wohnung in der Roscherstraße 7 um den 20. Januar 1943 verließ und nie wiederkam, ist bestätigt. Alice Chotzen wurde am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert und vermutlich sofort in der Gaskammer umgebracht. Ihr Todesdatum ist nicht dokumentiert. Erst im Oktober 1943 wurde ihre Wohnung geräumt, und bis dahin wurde die Miete vom Oberfinanzpräsidenten an den „arischen“ Vermieter gezahlt.

Zur Verlegung des Stolpersteins sind ihr Enkel, ihre Urenkelin und ihre Ururenkeltochter nach Berlin gekommen – sie kommen aus Israel und zeigen, wie wichtig es ihnen ist, ihrer Großmutter und Urgroßmutter zu gedenken, die sie nie persönlich kennengelernt haben.
Das zentrale Ziel der Nationalsozialisten, die Juden auszulöschen, wurde in dieser Familie aber nicht verwirklicht! Diese Familie – Inbar Chotzen, ihr Vater, der Werners Sohn ist und drei weitere Familienangehörige – steht heute hier und zeigt, dass Alices Familie weiterlebt!

“Diese Biografie folgt der sehr anschaulichen und ergreifenden Rede, die Frau Barbara Schieb bei der Stolpersteinverlegung am 24.Februar 2020 vor der Roscherstraße 7 gehalten hat. Die Historikerin Barbara Schieb hat für die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz die Dokumentation „Nachricht von Chotzen“ verfasst über das Leiden der mit Alice und Hugo Chotzen verwandten Familie Chotzen, die in Wilmersdorf, Johannisberger Straße 3 gelebt hatte.”

Barbara Schieb, Nachricht von Chotzen, Edition Hentrich Berlin 2000
Text: Barbara Schieb