Denkzeichen zur Erinnerung an die Ermordeten der NS-Militärjustiz am Murellenberg

Zugang von der Glockenturmstraße, 23.4.2010, Foto: KHMM

Zugang von der Glockenturmstraße, 23.4.2010, Foto: KHMM

Die Gedenkstätte wurde am 8. Mai 2002 vom Senator für Stadtentwicklung, Peter Strieder und von Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen eingeweiht.
Am Murellenberg existierten militärische Anlagen mit Kasernen und Schießständen seit der Zeit um 1840. Sie wurden unter anderem nach dem 2. Weltkrieg von den Alliierten und nach 1989 von der Polizei genutzt.
Am 28. November 2007 wurde der größte Teil des ehemaligen Sperrgebiets als rund 38 Hektar große neue Erholungsfläche der Öffentlichkeit übergeben. Damit ist dieses Gebiet nach rund 150 Jahren militärischer Nutzung wieder öffentlich zugänglich.

Verkehrsspiegel (zum Vergrößern Bild anklicken)

Unter den Nationalsozialisten wurde hier eine Wehrmachtshinrichtungsstätte errichtet: In der Murellenschlucht, am Hang des Murellenberges wurden zwischen dem 12. August 1944 und dem 14. April 1945 Deserteure, Wehrdienstverweigerer und Befehlsverweigerer unterschiedlicher Dienstgrade, mehrheitlich nach Urteilen des Reichskriegsgerichtes, standrechtlich erschossen.
Die genaue Zahl ist nicht bekannt, ca. 230 sind bisher namentlich ermittelt; viele der Exekutierten wurden im Spandauer Fort Hahneberg beerdigt. Erst 1998 hob der Deutsche Bundestag per Gesetz die rechtsstaatswidrigen Entscheidungen der “NS-Terrorjustiz” auf und sprach den Opfern “Achtung und Mitgefühl” aus.

Die Erschießungsstätte, 23.4.2010, Foto: KHMM

Die Erschießungsstätte, 23.4.2010, Foto: KHMM

Eine Initiative der evangelischen Kreissynode und einzelner Bürger bemühte sich seit 1994, später unterstützt von der Bezirksverordnetenversammlung, um die Errichtung einer Erinnerungsstätte. Im Herbst 2000 lobte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen Wettbewerb für ein Mahnmal aus. Im März 2001 entschied sich die Jury einstimmig für den Entwurf der Berliner Künstlerin Patricia Pisani: 106 Verkehrsspiegel wurden entlang des Waldweges von der Glockenturmstraße am Olympiastadion bis in die Nähe des Erschießungsortes hinter der Waldbühne aufgestellt. Der genaue Ort ist nicht bekannt.

Zugang vom Murellenweg, 23.4.2010, Foto: KHMM

Zugang vom Murellenweg, 23.4.2010, Foto: KHMM

Auf 16 Spiegeln informieren eingravierte Texte über das Geschehen in der Murellenschlucht. Die übrigen 90 Spiegel sind ohne Text. Die Künstlerin erklärt ihre Installation folgendermaßen: “Wie Verkehrsspiegel auf Gefahrenstellen im Straßenverkehr hinweisen, sollen sie auch hier eine spezifische Situation vor Augen führen, die außerhalb des Gesichtsfeldes liegt und auf diese Weise virtuell auf die verdrängten Verbrechen der NS-Justiz verweisen.”

vgl. auch
www.denkzeichen-am-murellenberg.de

Die 16 Texte

1.
Im Zweiten Weltkrieg wurden von Wehrmachtgerichten etwa 30.000 Todesurteile verhängt und etwa 20.000 Todesurteile vollstreckt, zunehmend wegen Fahnenflucht oder Zersetzung der Wehrkraft
Bundessozialgericht 1991

2.
Die Wehrmacht und ihre Gerichte sollten dazu beitragen, den volkerrechtswidrigen Krieg zu führen.
Bundessozialgericht 1991

3.
Die Anwendung der Höchststrafe, auch der Todesstrafe, wurde nicht mehr individuell durch Gerichte, sondern durch Führererlass generell als angemessen festgelegt.
Bundessozialgericht 1991

4.
Die massenhafte Verhängung von Todesurteilen zielte auf allgemeine Abschreckung und sollte um jeden Preis von allen Soldaten auch gegenüber sinnlosen Befehlen unbedingten Gehorsam erzwingen und jegliche Abweichung und Verweigerung mit dem Tode bestrafen.
Bundessozialgericht 1991

5.
Keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und Staatsanwalte wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt; ebensowenig Richter der Sondergerichte und der Kriegsgerichte.
Bundesgerichtshof 1995

6.
Die von der Wehrmachtjustiz wahrend des Zweiten Weltkriegs wegen Kriegsdienstverweigerung, Desertion/Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung verhängten Urteile waren unter Anlegung rechtsstaatlicher Wertmaßstäbe Unrecht.
Deutscher Bundestag 1997

7.
Durch dieses Gesetz werden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben.
Gesetz zur Aufhebung der NS-Unrechtsurteile 1998

8.
Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.
Artikel 4 (3) Grundgesetz 1949

9.
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern.
Artikel 5 (1) Grundgesetz 1949

10.
Hier, auf dem Gelände der ehemaligen Wehrmachterschießungsstatte Ruhleben am Murellenberg, wurden zwischen August 1944 und April 1945 mehr als 230 Menschen, überwiegend Wehrmachtsangehörig, zumeist wegen Fahnenflucht oder Wehrkraftzersetzung erschossen.

11.
Der Erschießungsplatz lässt sich heute nicht mehr exakt lokalisieren.

12.
Wir sind immer dran vorbeimarschiert, wenn wir zum Schießplatz gelaufen sind. Da war so eine Art Kiesgrube. Ich glaube nicht, daß die heute noch existiert.
Zeitzeuge, 1992

13.
Einmal mussten wir antreten. Auf einem Exekutionsplatz wurde dann einer hingerichtet. Wahrscheinlich ein Fahnenfluchtiger.
Zeitzeuge, 1992

14.
Da war ein Pfahl mit 70-80 cm Durchmesser, übermannshohe und vollkommen zerfleddert, also da sind, Tausende sind da gestorben. Es hat täglich mehrmals geknallt. Ich habe es gezielt einmal gesehen.
Zeitzeuge, 1992

15.
Ein Urteil wurde verlesen und drang in Bruchstücken zu mir hinüber Der Obergefreite … Jahre alt … wegen Fahnenflucht … zum Tode …, der Maat … Jahre alt… gerichtet … wegen Feigheit vor dem Feinde … zum Tode durch Erschießen…
Zeitzeuge, 1994

16.
Wir wurden dazu gezwungen, uns im Dreieck aufzustellen, und dann mussten wir zusehen, wie der arme Kerl da erschossen wurde.
Zeitzeuge, 1992