Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen zur Enthüllung einer Gedenktafel für die Jüdische private Musikschule Hollaender

Rede der Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen

Zur Enthüllung einer Gedenktafel des Vereins Aktives Museum e.V. für die Jüdische private Musikschule Hollaender an dem Haus Sybelstraße 9 am 21.3.2007

Sehr geehrte Frau Dr. Fischer-Defoy!
Sehr geehrte Gäste aus Israel!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Herzlichen Dank für die Einladung zu dieser Enthüllung einer Gedenktafel. Ich freue mich, dass der Verein Aktives Museum mit einer Gedenktafel an eine Musikschule erinnert, die aus dem ältesten Konservatorium Berlins entstand. Julius Stern hatte es 1850 gegründet. 1895 wurde es von Gustav Hollaender übernommen. Dessen Kinder Kurt und Susanne übernahmen es und führten es von 1936 bis 1941 als private Musikschule weiter.
Hinter dieser knappen Zusammenfassung einer rund 90jährigen Geschichte von 1850 bis 1941 verbirgt sich eine dramatische Entwicklung. Sie ist eines der vielen Beispiele für die tragische deutsch-jüdische Geschichte, mit der unzählige grausame menschliche Schicksale verbunden sind.
Charlottenburg und Wilmersdorf waren die beiden Berliner Bezirke mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung. Deshalb haben wir besonders viel Anlass, an die vielen wertvollen jüdischen Beiträge zu unserer Kultur zu erinnern und ihre Zerstörung durch den mörderischen Nationalsozialismus. Die Nationalsozialisten haben die deutschen Juden zu Fremden erklärt, aber es waren in Wirklichkeit keine Fremden. Es waren deutsche Bürgerinnen und Bürger. Häufig waren es besonders patriotische Deutsche, die unendlich viel für das Gemeinwohl und für die deutsche Wissenschaft, Kultur und Geschichte geleistet haben.
Viele von den Nationalsozialisten ausgegrenzte, verfolgte, vertriebene und ermordete deutsche Juden waren nicht nur Bürgerinnen und Bürger wie alle anderen auch, sondern sie hatten durch herausragende Leistungen einen großen Anteil daran, dass Deutschland weltweit Spitzenpositionen einnahm in der Wissenschaft, Kultur, Medizin und auch in der Pädagogik.
Der mörderische Antisemitismus der Nationalsozialisten war nicht nur ein Menschheitsverbrechen, sondern er war auch ein Zerstörungswerk an der deutschen Kultur, das nicht wieder gut zu machen ist. Bis heute leiden wir alle an dem Verlust, und wir sind es nicht nur den Opfern schuldig, uns zu erinnern, sondern uns selbst. Die Ausgrenzung, die Vertreibung und schließlich die Ermordung von Millionen Juden war auch ein Akt der Selbstzerstörung, es war eine unvorstellbar grausame Form des Kriegs gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung.
Das Sternsche Konservatorium der Musik ist dafür ein besonders eindrucksvolles Beispiel. Das älteste Berliner Konservatorium war eine der bedeutendsten europäischen Musikschulen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Sie wurde 1850 als Musikschule für Gesang, Klavier und Komposition von Julius Stern, Adolf Bernhard Marx und Theodor Kullak ins Leben gerufen. Diese private Initiative musste damals ein staatliches Konservatorium ersetzen, dessen Gründung zuvor gescheitert war. Der Aufbau des Konservatoriums wurde zu einem Lebenswerk von Julius Stern, nach dem die Schule bald benannt wurde.
Nach dem Tod Julius Sterns 1883 führte seine Schwägerin Jenny Meyer das Konservatorium ein Jahrzehnt lang. 1894 erwarb der Komponist, Dirigent und Geiger Gustav Hollaender das Institut und leitete es bis zu seinem Tod 1915. Unter seiner Leitung erlebte das Konservatorium eine Blütezeit. Es kam ohne jegliche Subvention aus. Es wurde von mehr als tausend Schülerinnen und Schüler pro Jahr besucht. Darunter befanden sich besonders zahlreiche Ausländer, die ihr Musikstudium in die Metropole Berlin führte, damals ein weltweit bekannter Umschlagplatz auf dem Gebiet musikalischer Qualifikation.
Das Konservatorium verdankte zwar seine Existenz privatem jüdischem Engagement, aber es stand allen offen, die sich musikalisch bilden wollten. Es war im besten Sinne universell, und es war eines der wertvollsten Aushängeschilder für Berlin und für ganz Deutschland.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 wurde das Konservatorium gleichgeschaltet. Die jüdischen Inhaber wurden faktisch enteignet. Ihnen wurde verboten, nichtjüdische Schülerinnen und Schüler zu unterrichten. Sie konnten noch für wenige Jahre die Jüdische Musikschule Hollaender betreiben. Schließlich wurden Kurt Hollaender und Susanne Landsberg-Hollaender deportiert und ermordet.
Die Nationalsozialisten zerstörten zwar das Stern’sche Konservatorium in seiner geistigen Substanz und ermordeten seine Lehrerinnen und Lehrer. Sie führten die Schule aber in städtischer Hand fort, wobei das städtische Konservatorium bedeutungslos blieb.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt das Städtische Konservatorium in West-Berlin den Namenszusatz “Ehemals Sternsches Konservatorium”. Heute ist das Julius-Stern-Institut für musikalische Nachwuchsförderung Teil der Universität der Künste.
Der Name steht für eine große, bedeutende Tradition. Er steht für die deutsche Katastrophe, und er steht für einen Neuanfang, der die Geschichte nicht verdrängt.
Es ist ein großes Glück für uns, dass heute wieder jüdische Bürgerinnen und Bürger in Berlin, und auch heute wieder gerade in unserem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf leben, dass es wieder jüdische Kindertagesstätten, Schulen und sogar eine jüdische Universität, das Touro-College, gibt. Es ist ein unfassbares Glück, dass eine der größten touristischen Attraktionen in unserem Bezirk von einem jüdischen Bürger gestiftet wurde, der 1914 in Wilmersdorf geboren wurde, 1936 in die USA emigrierte und 1996 nach Berlin zurückkehrte: Heinz Berggruen, der hier mit seinen weltberühmten Bildern das Museum Berggruen schuf.
Um so beschämender ist es, dass es auch heute bei uns unbelehrbare Antisemiten gibt, dass unsere jüdischen Einrichtungen vor antisemitischen Anschlägen geschützt werden müssen. Vor wenigen Tagen gab es einen feigen Anschlag auf eine jüdische Kita in unserem Bezirk. Ich fürchte, dass Aufklärung bei manchen Menschen leider ihre Grenzen hat. Umso wichtiger sind Gedenktafeln wie diese als öffentliche Kundgebungen der Erinnerung und der Mahnung: Wir dürfen etwas Ähnliches nie wieder geschehen lassen.
Ich freue mich, dass an dieser Gedenktafelenthüllung auch Gäste aus Israel teilnehmen. Ich begrüße Sie herzlich und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Berlin. Er muss wohl zwiespältig und widersprüchlich ausfallen. Sie werden viel erfahren über die deutschen Verbrechen an den Juden. Aber ich hoffe, dass Sie auch erleben, dass wir etwas aus unserer Geschichte gelernt haben.
Wenn wir im Anschluss an diese Veranstaltung einen kleinen Spaziergang durch Charlottenburg machen, dann möchte ich Ihnen an einigen Beispielen, die am Weg liegen, zeigen, wie wir mit unserer Geschichte umgehen.
Herzlich bedanken möchte ich mich bei der Schulleiterin Cornelia Wehr. Die katholische Liebfrauen-Schule engagiert sich seit einigen Jahren mit einem eigenen deutsch-israelischen Austauschprogramm für das gegenseitige Kennenlernen von Deutschen und Israelis.
Zuletzt und vor allem möchte ich mich herzlich bei Dr. Christine Fischer-Defoy und ihren Mitstreitern im Verein Aktives Museum bedanken. Sie haben ja bereits 1992 an diesem Haus eine Gedenktafel für die Jüdische private Musikschule Hollaender enthüllt. Ihrer Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass jetzt, nach der Renovierung des Hauses, eine dauerhafte Tafel angebracht werden konnte. Vielen Dank dafür.