Eine Oase in Berlin

Der Rüdesheimer Platz

von Heike Kröger, Senatskanzlei

Der Mittelpunkt des Rheingau-Viertels: Der Rüdesheimer Platz

Als im letzten Jahr in der New York Times stand, die Rüdesheimer Straße gehöre zu den zwölf schönsten Straßen Europas, hatten die Menschen in diesem gutbürgerlichen Teil von Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf schon fast Angst um ihren Kiez. Würden nun die hippen Gäste Berlins über die Gegend einfallen? Der „Rüdi“, wie ihn die Anwohnerinnen und Anwohner liebevoll nennen, hat sogar einen U-Bahn-Anschluss, sodass er unkompliziert erreichbar ist. Nein, die Sorge, dass scharenweise Neugierige kommen, war wohl unbegründet – die Gegend ist so beschaulich wie gemütlich geblieben. Sie hat einen ganz besonderen Charme und dieser ist wohl auch in der städtebaulich sehr umsichtig geplanten Entstehung des Viertels begründet.

1907 genehmigte die Stadt Wilmersdorf die Planung für ein neues Viertel, das Rheingau-Viertel. Die Straßen wurden nach Städten und Orten aus dem Rheingau-Taunus-Kreis in Hessen benannt und der Platz im Zentrum des neuen Viertels bekam 1909 den Namen Rüdesheimer Platz. An einer Seite des Platzes schuf Emil Cauer den imposanten Siegfriedbrunnen. Eine riesige Statue des Nibelungenhelden Siegfried wird von zwei weiteren Skulpturen eingerahmt. Die weibliche Figur in Gestalt einer Weinkönigin soll die Mosel symbolisieren, die männliche stellt „Vater Rhein“ dar. Die große Grünanlage neben dem Brunnen liegt etwas tiefer und ist durch den schönen Baumbestand und die je nach Jahreszeit bepflanzten Blumenrabatten eine kleine Oase inmitten der Großstadt.

Die Häuser um den Rüdesheimer Platz herum wirken sehr einheitlich und tatsächlich wurde damals für die Fassaden ein einziger Architekt, Paul Jatzow, beauftragt. Vor den Häusern liegen sogenannte Gartenterrassen, das sind 13 Meter breite Vorgärten – meist Rasenflächen, die sanft ansteigend zu den Hauseingängen führen. Auf Zäune hat man bewusst verzichtet. Schon 1912 schreibt Kurt Pallmann in dem Buch „Die Gartenkunst“: „Eine ganz eigenartige Straße ist da in Wilmersdorf bei Berlin entstanden … Solche Einheitlichkeit des Straßenbildes war uns bisher nur aus mittelalterlichen Städten bekannt und allenfalls aus englischen Gartenvorstädten und Landhaussiedlungen.“

Das Weinfest ist ein beliebter Treffpunkt bei schönem Wetter

Vor fast 50 Jahren, 1967, wurde zum ersten Mal ein Weinfest, der Rheingauer Weinbrunnen, auf dem Rüdesheimer Platz veranstaltet. Inzwischen findet es jährlich in den Sommermonaten statt. In Bayern üblich, aber in Berlin eine Besonderheit: Man darf sein Essen selbst mitbringen und kauft sich dazu den Wein oder Sekt. Dieser kommt aus dem Landkreis Rheingau-Taunus, mit dem der Bezirk Wilmersdorf seit 1972 patenschaftlich verbunden ist. Manchen Anwohnern ist das Weinfest ein Dorn im Auge, denn es gibt allein 350 Sitzplätze und die Gästeschar bringt eine Menge Leben auf den Platz und somit auch Lärm in die idyllische Gegend. Gerade erst hat das Verwaltungsgericht aber entschieden, dass auch in diesem Jahr das Weinfest wieder stattfinden darf. So werden vom 20. Mai bis zum 4. September wieder die Picknickkörbe ausgepackt und der Wein der Rheingauer Winzer genossen. Aus Lärmschutzgründen wird das letzte Glas bereits um 21.30 Uhr ausgeschenkt und um 22 Uhr müssen die Gäste das Gelände verlassen.

„Café Achteck“ für die Damen und die Herren

„Café Achteck“ für die Damen und die Herren

Wer vor lauter Wein das „Örtchen“ aufsuchen muss, findet auf dem Rüdesheimer Platz ein historisches Toilettenhäuschen. Das sogenannte Café Achteck wurde aus Überresten eines an anderer Stelle in Berlin stehenden alten Toilettenhäuschens hier vor zehn Jahren aufgebaut und ist ein echtes Schmuckstück neben dem Brunnen.

Auf einer Litfaßsäule informiert der Verein Rüdi-Net über den Kiez

Auf einer Litfaßsäule informiert der Verein Rüdi-Net über den Kiez

Um das Zusammenleben von Jung und Alt in dieser Gegend von Friedenau zu fördern, haben engagierte Anwohnerinnen und Anwohner den Verein „Rüdi-Net e.V.“ gegründet. Diverse Gruppen treffen sich, um zum Beispiel das jährliche große Sommerfest zu organisieren oder auch um Ausflüge zu unternehmen. Eine „AG Litfaßsäule“ des Vereins trifft sich regelmäßig und informiert auf einer Litfaßsäule an der Rüdesheimer Straße über aktuelle Termine und Wissenswertes aus dem Rheingau-Viertel.

Unaufgeregt und entspannt ist das Leben in dieser Ecke Berlins. Dienstags und freitags kommen die Leute auch aus anderen Ecken Friedenaus, um auf dem Wochenmarkt je nach Jahreszeit frischen Beelitzer Spargel, aromatische Erdbeeren oder Kürbisse zu kaufen. Und die vielen kleinen Geschäfte – vom Bäcker, Schuhgeschäft, Süßwarenladen, Juwelier, Schreibwarenladen bis hin zum Weinladen – bieten auch an den anderen Wochentagen alles, was man zum Leben braucht. Manch einer mit kleinen Kindern kommt auch von weiter her zum Rüdesheimer Platz. Am östlichen Ende befindet sich seit den 70er Jahren ein großer Kinderspielplatz. Die Spielgeräte sind keine anderen als die auf Berliner Spielplätzen üblichen. Aber wo gibt es schon auf einem öffentlichen Spielplatz eine Kiste mit Buddelzeug auf der steht „Leihbuddelzeug – Leihe es Dir aus, nimm aber bitte nichts weg. Vielen Dank.“ Wie schrieb Kurt Pallmann 1912: „Man glaubt, hier nicht in einer Millionenmetropole zu sein.“