Lesen und lernen neben Grimms’ Bibliothek

_Von Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin_

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Klassisch modern – der Blick auf die Leseterrassen vermittelt einen Eindruck der Architektur

5.000 Besucher nutzen das neue Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum täglich – und das bereits kontinuierlich seit der Eröffnung im Oktober, die Tendenz ist steigend. Vermutlich liegt das daran, dass die Universitätsbibliothek nicht nur eine Schatzkammer des universitären Wissens darstellt, sondern faktisch das sammelt, was Menschen gedacht, gefühlt und erlebt haben. Das lockt an. Die neue Zentralbibliothek ist freilich noch sehr viel mehr als nur eine klassische Bibliothek.

Mit der Einweihung des Jacobund-Wilhelm-Grimm-Zentrums am 19. November 2009 in Berlins Mitte an den Stadtbahnbögen zwischen Geschwister-Scholl und Max-Planck-Straße wurde nicht nur der größte zusammenhängende Freihandbestand an Büchern im deutschsprachigen Raum für die Öffentlichkeit zugänglich, sondern ein neues Informations- und Kommunikationszentrum der Superlative. Nach einer wechselvollen 177-jährigen Geschichte hat die HU damit pünktlich zum 200-jährigen Jubiläum der Universität und erstmals seit hundert Jahren wieder eine eigene Zentralbibliothek in Berlins Mitte erhalten. Das imposante Gebäude beherbergt in seinen sieben Stockwerken sowohl die Zentralbibliothek, zwölf weitere Zweig- und Teilbibliotheken der Geistes-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie ausgewählte Bereiche des Computer- und Medienservices der Universität.

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Das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum gilt als das Informations- und Kommunikationszentrum der Superlative

Im Jahr 2004 fand der Architekturwettbewerb für das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum statt. Mehr als 270 Entwürfe wurden gesichtet und bewertet. Der Entwurf des Architekten Max Dudler konnte sich durchsetzen. Seinen Bibliotheksbau prägt die formale Strenge der klassischen Moderne. In der Architektur des neuen Bibliotheksgebäudes drückt sich somit das Selbstverständnis der Universität als traditionsreiche, aber zugleich auch innovative Stätte für Lehre und Forschung von internationalem Rang aus. Der für seine Architektur bereits zweifach ausgezeichnete Bau fügt sich originell in die städtische Umgebung ein, hebt sich aber gleichzeitig auch deutlich von ihr ab: Wie von einem Stadtbalkon erlauben die oberen Etagen Blicke über die historische Mitte Berlins bis nach Kreuzberg, Tiergarten und Wedding. Unter einem Glasdach, das den Himmel über Berlin freigibt, befindet sich das Herzstück der neuen Universitätsbibliothek – der große Lesesaal mit seinen Leseterrassen. Von jeder Einzelnen ist der insgesamt 57 Kilometer Bücher umfassende Freihandbestand erreichbar.

Besondere Vorzüge des Entwurfs von Max Dudler sind einerseits der einprägsame große Lesesaal, aber auch die sorgfältige, ästhetisch einfühlsame Gestaltung der übrigen Arbeitsplätze, Studienkabinen und Gruppenräume. Von fast allen Lese- und Arbeitsplätzen schaut man – mal mehr, mal weniger – in die Stadtmitte. Die Bibliotheksnutzer können entscheiden, ob sie auf die Museumsinsel schauen oder lieber auf den Fernsehturm am Alexanderplatz, oder ob sie nicht doch lieber vorbeirasende Züge auf der alten Stadtbahntrasse betrachten wollen – jedenfalls dann, wenn sie beim wissenschaftlichen Arbeiten hochschauen, um ihre Gedanken zu sortieren oder schweifen zu lassen.

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So leer ist der Lesesaal sehr selten

Aber das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum ist nicht nur nach Prinzipien schönen Bauens entworfen, sondern auch durch das Prinzip der Freiheit geprägt, das uns angesichts der teilweise schrecklichen Geschichte der Universität in den totalitären Regimen des 20. Jahrhundert wichtig war. Die Bibliothek steht jedermann offen (und natürlich auch jeder Frau), ihre Regale sind weitestgehend auch für alle zugänglich. Lediglich historische und besonders wertvolle Bestände sind in geschlossenen Magazinen untergebracht, können aber im Forschungslesesaal genutzt werden, neben dem sich auch die Privatbibliothek der Namensgeber befindet: die Bibliothek der Brüder Grimm, kostbare Bände, aus denen die beiden Gelehrten ihr staunenswertes Projekt eines kompletten Wörterbuchs des deutschen Wortschatzes bestritten.

Ich selbst gehöre zu der kleinen Zahl deutscher Universitätspräsidenten, die noch lehren und forschen, dafür Bücher brauchen und sie auch gelegentlich selbst entleihen. Deswegen ist meine Begeisterung für die neue Bibliothek die eines dankbaren Benutzers. Aber auch der Präsident ist glücklich: Das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum präsentiert ein neues Schaufenster der Universität im 21. Jahrhundert an einem Ort inmitten der Stadt, der sich von einem wenig beachteten Hinterhof zu einem der spannendsten Orte der neuen Berliner Mitte verwandelt hat.


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