Gedenken in Berlins Mitte

_von Jan Piegsa_

In unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor, zu den deutschen Parlaments- und Regierungsbauten, zu Botschaften und Landesvertretungen ist seit dem 12. Mai 2005 ein Denkmal eröffnet, das an die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft erinnern soll. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hatte in der voherigen Ausgabe von aktuell über die Entstehungsgeschichte des Denkmals für die ermordeten Juden Europas berichtet.

Insgesamt 2711 Stelen unterschiedlicher Höhe bilden das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas.

Insgesamt 2711 Stelen unterschiedlicher Höhe bilden das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas.

Eingerahmt wird das Denkmal von zwei neuen Straßen, benannt nach Hannah Arendt und Cora Berliner, sowie von Ebert- und Behrenstraße. Die unterschiedlich hohen und geneigten 2711 Stelen erinnern an Sarkophag-Gräber auf jüdischen Friedhöfen, die bei Platzmangel aufeinander geschichtet werden.

„Da das Denkmal von allen Seiten Tag und Nacht frei zugänglich ist, können wir keine konkreten Angaben zu den Besucherzahlen des Stelenfeldes machen. Aber Schätzungen besagen, dass wir bereits hunderttausende Besucher hatten“, sagt Uwe Neumärker von der Stiftung für die ermordeten Juden Europas. Bereits im ersten Monat hätten mehr als 60 000 Menschen das Stelenfeld besucht. „Im ‚Ort der Information‘ haben wir in Spitzenzeiten bis zu 2700 Besucherinnen und Besucher. Gleichzeitig können aber nur 250 Personen in die Räumlichkeiten.“ Der Andrang sei so groß, dass mit Wartezeiten von bis zu zwei Stunden gerechnet werden müsse.

Der im Südosten des Stelenfeldes unterirdisch gelegene „Ort der Information“ war zunächst nicht vorgesehen und wurde erst 1999 in die Planung aufgenommen. Mit den dortigen Museumsräumen hoffte man, der anfänglichen Kritik zu begegnen, nach der das Denkmal zu beliebig sei und sich nicht selbst erklären würde. Nun wird anhand fundierter Dokumentationen über den Holocaust aufgeklärt.

Dabei spiegelt der „Ort der Information“ nicht nur die Struktur des Stelenfeldes darüber wider, indem er dessen Rasterung aufnimmt. Zum Teil scheint es, die Stelen würden durch die Decke in die fünf Museumsräume ragen, in denen das Thema aus historischer und persönlicher Sicht aufgearbeitet wird. Nach einem Überblick zur nationalsozialistischen Verfolgungspolitik folgt der erste von vier Themenräumen, der „Raum der Dimensionen“. Abschiedsbriefe und Tagebuchaufzeichnungen jüdischer Frauen und Männer werden dort gezeigt. Ein umlaufendes Band verweist auf die Opferzahlen in den betroffenen europäischen Ländern. Die Schicksale von 15 jüdischen Familien aus allen Teilen Europas sind im „Raum der Familien“ dokumentiert. Im „Raum der Namen“ werden Namen und Kurzbiografien ermordeter und verschollener Juden aus ganz Europa verlesen. Die Verlesung aller Namen und Lebensgeschichten der Opfer in der hier präsentierten Form würde nach Stiftungsangaben über sechs Jahre dauern. Die geografische Ausdehnung des Holocaust wird im „Raum der Orte“ verdeutlicht.

Besucher informieren sich im Informationszentrum unter dem Stelenfeld.

Besucher informieren sich im Informationszentrum unter dem Stelenfeld.

Um das Holocaust-Denkmal als nicht authentischen Ort mit den Orten zu verknüpfen, an denen die NS-Verbrechen begangen und der Völkermord – nicht nur – an den Juden geplant wurde, befindet sich im letzten Ausstellungsraum ein Gedenkstättenportal. Hier wird auch über die Arbeit der Forschungseinrichtungen in Europa informiert. Mit Computerterminals kann in der Namensdatenbank der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit ihren über drei Millionen Einträgen recherchiert werden. Ein weiterer Terminal dokumentiert die kontroversen Debatten um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Man mag durchaus seinen eigenen Weg in das Stelenfeld des Mahnmals finden. – Anfangs sprangen Besucher gar von Stele zu Stele und dem Denkmal wurde deshalb ein gewisser „Event-Charakter“ attestiert. – Der Vorwurf der Beliebigkeit aber ist unhaltbar. Der „Ort der Information“ lässt keinen Zweifel am Ernst der Auseinandersetzung mit dem Holocaust, dem zentralen Verbrechen der Nation.

Besucher aus ganz Deutschland und vielen europäischen Ländern, aber auch aus Israel, den USA, Lateinamerika, Asien und Afrika zollen dem Denkmal und der Ausstellung Anerkennung. Die überwiegend positive Resonanz des Publikums spiegelt sich auch im Gästebuch wider: „Dass Menschen bereit, sind sich zu erinnern, gibt Hoffnung für die Zukunft“, schrieb eine Besucherin.


Der Autor ist Politikwissenschaftler und freier Journalist in Berlin